L 2 U 33/00

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Chemnitz (FSS)
Aktenzeichen
S 14 U 188/98
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 2 U 33/00
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Chemnitz vom 20.12.1999 aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Anerkennung eines Verkehrsunfalles als Arbeitsunfall.

Der am ... geborene und zwischenzeitlich verstorbene Inhaber des Pelzhauses K ... (K.) erlitt am 05.01.1970 gegen 9.00 Uhr auf der Landstraße zwischen H ... und C ... einen Autounfall. Ausweislich einer ärztlichen Bescheinigung vom 14.01.1970 zog sich K. hierbei eine Kopfplatzwunde und einen geringgradigen Schock zu. Er war wegen des Unfalles vom 05.01.1970 bis 07.01.1970 in stationärer Behandlung und danach noch ca. 10 Tage arbeitsunfähig erkrankt. In einem Arztbericht vom 19.04.1989 ist ein Autounfall von 1970 mit Schädelfraktur und Fraktur des 4. Halswirbelkörpers erwähnt; in einem ärztlichen Gutachten der Staatlichen Versicherung der DDR vom 28.09.1970 ist in der Krankheitsanamnese eine Sehminderung des linken Auges nach einem unverschuldeten Unfall erwähnt.

Mit bei der Beklagten am 09.01.1992 eingegangenem Schreiben beantragte K. Entschädigungsleistungen u. a. wegen dieses Unfalles, der einen bleibenden Körperschaden hinterlassen habe. Mit Schreiben vom 18.02.1992 teilte K. ergänzend mit, sein Geschäft habe sich in M ... befunden. Er sei am 05.01.1970 von dort nach C ... gefahren, um in C ... Fellmaterial und Zutaten einzukaufen.

Am 24.10.1996 erließ die Beklagte einen Bescheid, in dem sie ausführte, dass nach Ausschöpfung aller zur Verfügung stehenden Ermittlungsmöglichkeiten das Vorliegen eines entschädigungspflichtigen Arbeitsunfalles nicht mit der für das Überzeugtsein geforderten Wahrscheinlichkeit habe bewiesen werden können. Weder der Ausweis für Arbeit und Sozialversicherung des Versicherten noch Unterlagen des Kreiskrankenhauses Mittweida, des Versorgungsamtes Chemnitz, des Gesundheitsamtes Chemnitz, der Staatlichen Versicherung und des Archivs des Krankenhauses Chemnitz hätten Erkenntnise über das Vorliegen eines Arbeitsunfalles erbracht.

K. legte Widerspruch gegen den Bescheid ein und benannte mehrere Zeugen, mit denen das Vorliegen eines Arbeitsunfalles bewiesen werden könne. Von den benannten Zeugen gaben Frau H ..., Frau H ... und Frau G ... an, sie hätten von K. bzw. dessen Eltern bzw. Arbeitskollegen oder Nachbarn erfahren, dass er auf dem Weg von M ... zur Kürschnergenossenschaft nach C ... einen Verkehrsunfall erlitten habe.

Mit Bescheid vom 12.05.1998 wurde der Widerspruch im Wesentlichen mit der Begründung zurückgewiesen, dass die Erinnerungen von drei Zeuginnen allein nicht geeignet seien, das Vorliegen eines Arbeitsunfalles zu beweisen.

Am 15.06.1998 hat K. Klage vor dem Sozialgericht Chemnitz (SG) erhoben. Das SG hat zur weiteren Aufklärung des Sachverhaltes inbesondere Frau H ..., Frau G ... und Frau H ... schriftlich befragt. K. selbst hat im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem SG am 20.12.1999 nähere Angaben zum Unfallereignis gemacht.

Das SG hat mit Urteil vom gleichen Tag, der Beklagten zugestellt am 19.01.2000, das Vorliegen eines entschädigungspflichtigen Arbeitsunfalles bejaht. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, dass zur Überzeugung des Gerichtes aufgrund der übereinstimmenden schriftlichen Aussagen von Frau H ..., Frau G ... und Frau H ... und aufgrund der mit diesen Angaben ebenfalls übereinstimmenden, ferner schlüssigen und nachvollziehbaren Beschreibung des Unfalltages durch K. in der mündlichen Verhandlung, feststehe, dass sich der Unfall bei einer versicherten Tätigkeit, nämlich auf dem Weg von der Firma zur Einkaufs- und Liefergenossenschaft ereignet habe.

Die Beklagte hat am 17.02.2000 Berufung gegen das Urteil des SG eingelegt und zur Begründung ausgeführt, dass ihre Ermittlungen zwar den Unfall bestätigt hätten, jedoch hätten trotz Nachfrage bei verschiedenen Instituten und Krankenhäusern keine Unterlagen gefunden werden können, die einen Arbeitsunfall beweisen könnten. Sie - die Beklagte - habe Zweifel hinsichtlich der Aussagen der Zeuginnen, zum einen hinsichtlich der Wahrnehmungsmöglichkeit, da die Zeuginnen jeweils nur über Dritte den Unfall zur Kenntnis erhalten hätten. Zum anderen hätten die zum Teil sehr ähnlichen Aussagen nach einer so langen Zeitspanne nicht überzeugt. Zudem seien trotz angeblich bestätigten Arbeitsunfalles nur Leistungen durch die Lebensversicherung und ein tägliches Krankengeld der Staatlichen Versicherung gezahlt worden; dies sei auch widerspruchslos von K. hingenommen worden, obwohl ihm das Vorgehen der Staatlichen Versicherung aus einem anderen Unfall durchaus bekannt gewesen sei.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Chemnitz vom 20.12.1999 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Prozessbevollmächtigte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Seiner Ansicht nach ist das Urteil des SG nicht zu beanstanden.

Die von der Beklagten u. a. als Zeugin benannte Frau H ... hat auf die Ankündigung des Gerichtes, dass eine Ladung zum Termin vorgesehen sei, nochmals eine schriftliche Aussage zu den Akten gegeben.

Der Senat hat im Termin zur mündlichen Verhandlung am 07.02.2001 Frau R ... H ..., Frau E ... G ... und Frau I ... W ... als Zeuginnen vernommen. Wegen des Ergebnisses der Zeugenvernehmung wird auf die Niederschrift vom selben Tage verwiesen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten aus beiden Rechtszügen und die beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist begründet. Ein Anspruch auf Anerkennung des Verkehrsunfalles vom 05.01.1970 als Arbeitsunfall besteht nicht.

Als Rechtsgrundlage für den geltend gemachten Anspruch kommen nur die Vorschriften der Reichsversicherungsordnung (RVO) in Betracht, weil sich der als Arbeitsunfall geltend gemachte Verkehrsunfall vor dem 01.01.1992 im Beitrittsgebiet ereignet hat (§ 215 Abs. 1 Sozialgesetzbuch,Siebtes Buch - SGB VII).

Gemäß § 1150 Abs. 2 S. 1 RVO gelten Unfälle, die vor dem 01.01.1992 eingetreten sind und die nach dem im Beitrittsgebiet geltenden Recht Arbeitsunfälle der Sozialversicherung waren, als Arbeitsunfälle im Sinne der RVO. Da die Beklagte vor dem 31.12.1993 Kenntnis vom Unfall erlangt hat, ist die Regelung des § 1150 Abs. 2 S. 2 Nr. 1 RVO nicht einschlägig.

Maßgeblich für den vorliegenden Fall ist das Recht des Beitrittsgebietes, das zum Unfallzeitpunkt galt, hier § 220 Abs. 2 des Arbeitsgesetzbuches der DDR vom 16. Juli 1977 (- AGB -, GBl. 1977, Teil I, Nr. 18). Danach galt auch ein Unfall auf einem mit der Tätigkeit im Betrieb zusammenhängenden Weg zur und von der Arbeitsstelle als Arbeitsunfall. Ein Arbeitsunfall war definiert als die Verletzung eines Werktätigen im Zusammenhang mit dem Arbeitsprozess (§ 220 Abs. 1 S. 1 AGB). Die Voraussetzungen für die Anerkennung des Verkehrsunfalles vom 05.01.1970 als Arbeits- bzw. Wegeunfall sind vorliegend jedoch nicht erfüllt.

Erforderlich hierfür wäre, dass das Verhalten, bei dem sich der Unfall ereignet hat, einerseits der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist, und dass diese Tätigkeit andererseits den Unfall herbeigeführt hat. Es muss also eine sachliche Verbindung mit der versicherten Tätigkeit bestehen, die es rechtfertigt, das betreffende Verhalten der versicherten Tätigkeit zuzurechnen. Dieser innere Zusammenhang ist wertend zu ermitteln, indem untersucht wird, ob die jeweilige Verrichtung innerhalb der Grenze liegt, bis zu welcher der Versicherungsschutz reicht. Für die tatsächlichen Grundlagen dieser Wertentscheidung ist der volle Nachweis zu erbringen, bei vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens muss der volle Beweis für das Vorliegen der versicherten Tätigkeit als erbracht angesehen werden können. Es muss also sicher feststehen, dass im Unfallzeitpunkt eine versicherte Tätigkeit ausgeübt wurde (Bundessozialgericht - BSG -, Urteil vom 18.04.2000, Az.: B 2 U 7/99 R m. w. N.).

K. hat hierzu vortragen lassen, er habe sich auf dem Weg zur Einkaufs- und Liefergenossenschaft nach C ... befunden, als sich der Unfall ereignet habe. Träfe dies zu, dann wäre entsprechend den Ausführungen im Urteil des SG davon auszugehen, dass K. auf dem Weg von M ... nach C ... versichert war. Jedoch steht nicht zur vollen Überzeugung des Senates fest, dass K. sich am Morgen des 05.01.1970 tatsächlich zumindest auch auf dem Weg zur Kürschnergenossenschaft befunden hat, um dort Materialien einzukaufen.

So konnte sich zum einen keine der beiden damals bei ihm angestellten Pelznäherinnen (die Zeuginnen W ... und G ...) daran erinnern, dass der Versicherte ihnen an jenem Morgen mitgeteilt habe, dass er nach C ... zur Kürschnergenossenschaft fahren wolle. Zwar hat die Zeugin G ... ausgesagt, sie erinnere sich daran, dass K. an jenem Tag gesagt habe, er werde nach C ... fahren. Angesichts dessen, dass die beiden Zeuginnen W ... und G ... übereinstimmend ausgesagt haben, dass K. oft seine Mutter in C ... besucht habe, kann hieraus jedoch nicht zwingend geschlossen werden, dass er sich am 05.01.1970 auf dem Weg zur Kürschnergenossenschaft und nicht etwa allein auf dem Weg zu seiner Mutter befand. Die Zeugin H ..., die Cousine des Versicherten, hat hierzu ausgesagt, sie erinnere sich daran, dass ihr die Eltern von K. gesagt hätten, er habe gesagt, er fahre zum Einkaufen nach K ... Jedoch hieraus kann nicht mit Sicherheit geschlossen werden, dass K. auf dem Weg zur Kürschnergenossenschaft war. Der Senat kann sich schon nicht davon überzeugen, dass Frau H ... nach so langer Zeit ein Detail eines Gesprächs zutreffend wiederzugeben vermag. Davon abgesehen aber handelt es sich dabei nur um eine indirekte Bekundung: den Bericht über eine Äußerung des Klägers. Ein solcher hätte - ergänzende - Beweisfunktion nur als weiteres, stützendes Element einer Reihe stimmiger Indizien, an denen es hier jedoch fehlt. Isoliert und als einzige Stütze des behaupteten Anspruchs kann damit allein eine wesentliche Anspruchsvoraussetzung - der berufsbedingte Weg - nicht als bewiesen angesehen werden. Die Zeuginnen haben keine regelmäßigen Wochentage benannt, an denen K. die notwendigen Einkäufe für sein Pelzgeschäft bei der Kürschnergenossenschaft erledigte, und haben damit, soweit sie in ihren schriftlichen Aussagen gegenüber der Beklagten und dem Sozialgericht bejahten, dass K. sich am 05.01.1970 auf dem Weg zur Kürschnergenossenschaft befunden habe, dies in der mündlichen Verhandlung nicht bestätigt.

Auch spricht gegen einen Arbeitsunfall nach dem Recht der DDR, dass ein solcher von K. nicht schon in näherem zeitlichen Zusammenhang mit dem Unfall geltend gemacht worden ist. So ist z. B. in den Krankenunterlagen, die aufgrund des Unfalles vom 05.01.1970 gefertigt wurden, trotz einer ausführlichen Beschreibung des Unfalles kein Hinweis darauf enthalten, dass sich der Kläger im Zusammenhang mit seiner beruflichen Tätigkeit auf dem Weg nach C ... befunden hat. Auch in keiner anderen zeitnahen Unterlage wird ein beruflicher Bezug der Fahrt genannt.

Der Senat hält es zwar für möglich, dass sich K. tatsächlich auf dem Weg zur Kürschnergenossenschaft befunden hat. Angesichts des am Unfalltage herrschenden Wetters (Schnee- bzw. Eisglätte) mag sogar eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür sprechen, dass er sich nicht allein aus privaten Gründen auf den Weg nach C ... gemacht hatte. Jedoch kann allein hierauf die volle richterliche Überzeugung nicht gegründet werden.

Der Senat schließt damit nicht von vornherein die Möglichkeit aus, einen Unfallhergang prinzipiell allein aufgrund von Angaben des Betroffenen als bewiesen anzusehen. Doch bedarf es hierzu des persönlichen Eindrucks, um sich von der Richtigkeit der gemachten Angaben im Sinne von § 128 SGG zu überzeugen. Durch den Tod von K. ist dem Senat diese Erkenntnisquelle und damit die Möglichkeit, die genannten entgegenstehenden Indizien zu entkräften, genommen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs. 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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