L 2 U 74/01

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Leipzig (FSS)
Aktenzeichen
S 7 U 347/99
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 2 U 74/01
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Leipzig vom 23.05.2001 sowie der Bescheid der Beklagten vom 28.09.1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.11.1999 aufgehoben.
II. Es wird festgestellt, dass der Unfall des Klägers vom 01.12.1979 (Sturz in der Dusche) ein Arbeitsunfall ist und als Schädigungsfolgen sich hieraus ergeben haben: Kronenfraktur der Zähne 21 und 22 mit der Notwendigkeit prothetischer Versorgung.
III. Die Beklagte hat dem Kläger seine notwendigen außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten darüber, ob der Unfall des Klägers vom 1.12.1979 ein unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung stehender Arbeitsunfall ist.

Der Kläger war Wehrdienstleistender in der Nationalen Volksarmee (NVA) und dort als Kraftfahrer eingesetzt, als er am 1.12.1979 nach Dienstende beim Duschen ausrutschte, auf die Fliesen fiel und sich eine Zahnverletzung zuzog. Ausweislich des Befundes von Dipl.-Med. W ..., Zahnärztin in der stomatologisch-kieferchirurgischen Abteilung des Lazaretts L ..., vom 3.12.1979, waren die Zähne 21 und 22 von einer Kronenfraktur betroffen (Blatt 5 der Beklagtenakte). Eine prothetische Versorgung war zunächst nicht möglich, da der Kläger wegen einer Pharyngitis ab dem 4.12.1979 bis zum 7.12.1979 stationär behandelt wurde. In der "Dienstbeschädigungsliste bei Unfall" wurde unter dem 20.10.1980 vermerkt, der Kläger sei Anfang Oktober 1980 beim Duschen im Waschraum ausgerutscht, gestürzt und dabei mit dem Kinn aufgeschlagen. Als Befund wurde festgehalten: Schwellung der linken Wange und Fraktur der drei Schneidezähne links oben. Die Entscheidung des Kommandeurs der Dienststelle des Klägers lautete (Blatt 25 der Beklagtenakte):

"Der Unfall/die Erkrankung wird als Dienstunfall anerkannt. Begründung: Da sich der Unfall nach dem Dienst bei der Einhaltung der hygienischen Vorschriften ereignete, wird er als DB anerkannt."

Ein Schreiben der NVA vom 23.10.1980 über die Anerkennung des Unfalls als Dienstunfall wurde dem Kläger ausgehändigt (Blatt 3 der Beklagtenakte).

Am 20.5.1999 stellte der Kläger einen" Antrag zur Gewährleistung versorgungsrechtlicher Ansprüche aus meinem Dienstunfall von 1980". Mit Schreiben vom 22.6.1999 befragte die Beklagte den Kläger zu den Gründen des Duschens. Der Kläger teilte daraufhin mit, der Unfall habe sich tatsächlich im Jahre 1979 ereignet. In der NVA habe es keine Unterscheidung zwischen dienstlichem und privatem Bereich gegeben. Das Duschen habe zur pflichtgemäßen Körperpflege in der Kaserne gehört, da ein Verlassen der Kaserne nur mit befristetem und genehmigtem Urlaubsschein gestattet gewesen sei. Nach der Wiederherstellung der staatlichen Einheit Deutschlands habe er den Zahnschaden keinem anderen Leistungsträger gemeldet. Zur Zeit befinde er sich in keiner zahnärztlichen Behandlung, die in Beziehung zu dem Unfall stehe. Ferner fragte die Beklagte beim Institut für Wehrmedizinalstatistik und Berichtswesen an, ob das Duschen der Wehrpflichtigen in der Kaserne seinerzeit tatsächlich zur dienstlichen Tätigkeit gehört habe. Das Institut übersandte lediglich die den Kläger betreffenden Unterlagen. Mit Bescheid vom 28.9.1999 lehnte die Beklagte die Gewährung von Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung ab, weil der Unfall des Klägers kein Arbeitsunfall sei. Da der Kläger den Unfall erst nach dem 31.12.1993 einem Unfallversicherungsträger gemeldet habe, sei nur zu prüfen, ob für den Unfall Versicherungsschutz nach dem Dritten Buch der Reichsversicherungsordnung (RVO) bestanden habe. Da der Kläger den Unfall bei der täglichen Körperpflege (Duschen) nach dem Dienst erlitten habe, handele es sich um eine eigenwirtschaftliche Tätigkeit, die nicht versichert sei. Da der Unfall nach den Vorschriften der RVO nicht als Arbeitsunfall anzuerkennen sei, sei hier § 1150 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 RVO maßgeblich. Der vom Kläger eingelegte Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 23.11.1999).

Mit seiner vor dem Sozialgericht Leipzig (SG) erhobenen Klage hat der Kläger sein Begehren weiterverfolgt. Er hat im Wesentlichen ausgeführt: "Das Dienstende" in der einer Kaserne könne nicht mit dem Dienstende in einem freien Beschäftigungsverhältnis gleichgesetzt werden. Als Wehrpflichtiger habe der Kläger prinzipiell die gesamte Zeit Dienst gehabt. Das Duschen sei daher auch keine Privatangelegenheit gewesen. Soweit das Duschen auf einer Dienstvorschrift beruht habe, habe es sich um eine Wehrdienstverrichtung im Sinne des Soldatenversorgungsgesetzes gehandelt. Darüber hinaus werde das Duschen nach Dienstende auch dann noch dem Wehrdienst zugerechnet, wenn es nicht auf einer Dienstvorschrift beruhe, aber in einem inneren Zusammenhang mit dem Dienst stehe (Hinweis auf BSGE 33, 141, 143). Auf die Einhaltung der Frist nach § 215 Abs. 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) i.V.m. § 1150 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 RVO komme es daher nicht an. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) blieben Verwaltungsakte der Unfallversicherungsträger der DDR verbindlich. Hier liege zwar kein Bescheid eines Unfallversicherungsträgers vor, aber der Kläger habe auch keinen Anlass gehabt, einen herbeizuführen. Die Anerkennung durch den Dienstherrn müsse genügen.

Die Beklagte hat mit Schreiben vom 1.3.2001 auf das Urteil des BSG vom 19.12.2000 B 2 U 8/00 R hingewiesen. Danach finde die Ausschlussregelung des § 1150 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 RVO auch auf die dem Unfallversicherungsträger erst nach dem 31.12.1993 bekannt gewordenen Unfälle Anwendung, die bereits in der DDR als Arbeitsunfälle anerkannt worden seien.

Dem hat der Kläger entgegengehalten, das Urteil des BSG bestätige lediglich den Wortlaut des § 1150 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 RVO. Die Ausschlussfrist gelte nur für Arbeitsunfälle, die allein nach dem Recht der DDR als Arbeitsunfälle einzustufen gewesen seien. Der Unfall des Klägers habe aber auch nach bundesdeutschem Recht einen Arbeitsunfall im Sinne der RVO dargestellt.

Das SG hat den Kläger in der mündlichen Verhandlung am 17.5.2001 zum Hergang des Geschehens befragt und sodann die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die Voraussetzungen des § 1150 RVO lägen nicht vor. Der Unfall des Klägers sei kein Arbeitsunfall und erst nach dem 31.12.1993 bekannt geworden. Entscheidend sei hier, ob das Duschen nach der RVO unter Versicherungsschutz gestanden habe. Dies müsse verneint werden. Ein zeitlicher und örtlicher Zusammenhang genüge nicht. Die körperliche Reinigung sei dann versichert, wenn sie unmittelbar wegen der versicherten Tätigkeit notwendig sei (z.B. beim Arzt oder Lebensmittelverkäufer) oder wenn sich der Versicherte wegen der vorangegangenen versicherten Tätigkeit habe reinigen müssen. Letzteres habe der Kläger nicht vorgetragen. Er habe nicht angeben können, dass er geduscht habe, weil er durch die vorangegangene Tätigkeit körperlich verschmutzt gewesen sei. Die Kammer sehe sich nicht in der Lage, einen solchen Tatbestand zu unterstellen. Der Kläger sei nicht als Kfz- Mechaniker tätig gewesen, bei dem man die Notwendigkeit sich zu duschen unterstellen könne, sondern als Fahrer. Arbeitsbedingte Verschmutzungen seien, wenn überhaupt, dann doch nur in geringfügigem Maße und sicherlich auch nicht regelmäßig vorgekommen.

Mit seiner dagegen eingelegten Berufung wiederholt der Kläger sein bisheriges Vorbringen und macht ergänzend geltend, das SG sei unzutreffend davon ausgegangen, dass das Duschen eine eigenwirtschaftliche Tätigkeit dargestellt habe. Nach der Rechtsprechung des BSG sei kein unabweisbares Bedürfnis nach alsbaldiger Reinigung erforderlich. Es genüge die Notwendigkeit einer Erfrischung. Es sei einem Soldaten daher zuzubilligen, sich nach einer typischen Dienstverrichtung und einer damit einhergehenden Verschmutzung auch ohne besondere Anordnung körperlich zu reinigen, und zwar in der von dem Soldaten als notwendig erachteten Art und Weise (Hinweis auf BSGE 33, 141, 144). Der Kläger sei bei der NVA als Kraftfahrer eingesetzt gewesen. Hierbei sei er auch für die tägliche Wartung von Fahrzeugen zuständig gewesen (NVA-Dienstjargon: "tägliche technische Wartung" - "TTW"). Die damit einhergehende Verschmutzung habe eine tägliche Körperreinigung nach dem Dienst erforderlich gemacht. Der LKW habe auf die Waschrampe gefahren und mit Wasserschlauch und Schrubber gereinigt werden müssen. Öl und Luftdruck hätten kontrolliert werden müssen. Zum Teil habe sich der Kraftfahrer unter das Fahrzeug legen müssen. Wegen der Verschmutzungsgefahr hätten die Fahrer eine so genannte Schwarzkombi getragen. Beim Waschen der Fahrzeuge hätten die Fahrer oft mit den Stiefeln im Schlamm gestanden. Der Overall sei durchnässt gewesen, nicht zuletzt deswegen, weil nebenan zahlreiche andere Fahrzeuge mit dem Wasserschlauch abgespritzt worden seien. Gesicht und Hände seien meistens schwarz gewesen. Es liege daher auf der Hand, dass das Bedürfnis nach Reinigung nach Dienstende regelmäßig unabweisbar gewesen sei. Die Tätigkeit eines Militärkraftfahrers bei der NVA sei verschmutzungsgeneigt gewesen.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichts Leipzig vom 23.5.2001 sowie den Bescheid der Beklagten vom 28.9.1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.11.1999 aufzuheben, festzustellen, dass der Unfall vom 1.12.1979 ein Arbeitsunfall ist und als Schädigungsfolgen die Kronenfraktur der Zähne 21 und 22 und der sich daraus ergebenden Folgen (Notwendigkeit einer prothetischen Versorgung) anzuerkennen.

Die Beklagte beantragt sinnngemäß,

die Berufung zurück- und die Klage abzuweisen.

Zur Begründung führt sie aus, ein unfallversicherungsrechtlich relevantes, objektives Bedürfnis, sich zu duschen, habe der Kläger nicht durch eine entsprechende, verschmutzungsgeneigte konkrete Tätigkeit nachweisen können. Soweit eine Dienstvorschrift eine entsprechende körperliche Reinigung auch ohne entsprechenden Anlass vorgesehen habe, sei dies unfallversicherungsrechtlich nicht beachtlich. Insoweit handele es sich um eine Eigenart des militärischen Dienstes.

Die Beklagte hat mit Schriftsatz vom 15.12.2001 einen am 30.10.2001 im Erörterungstermin geschlossenen widerruflichen Vergleich widerrufen.

Dem Gericht liegen die Verfahrensakten beider Rechtszüge und die Beklagtenakte vor.

Entscheidungsgründe:

Das Gericht kann durch den Berichterstatter als Einzelrichter entscheiden (§ 155 Abs. 4 i.V.m. Abs. 3 Sozialgerichtsgesetz ), weil der Rechtsstreit nach dem Geschäftsverteilungsplan des Senats auf den Berichterstatter übertragen worden ist und die Beteiligten sich damit einverstanden erklärt haben, dass er allein über den Rechtsstreit entscheiden soll. Ferner kann das Gericht ohne mündliche Verhandlung entscheiden, weil sich die Beteiligten mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt haben (§ 124 Abs. 2 SGG).

I.

Die zulässige Berufung ist begründet.

Entgegen der Auffassung der Beklagten und des SG hat der Kläger am 1.12.1979 einen Unfall erlitten, der nach den Vorschriften der RVO als Arbeitsunfall zu behandeln ist. Die entgegenstehenden Bescheide und das Urteil des SG sind daher aufzuheben und festzustellen, dass es sich bei dem Unfall um einen Arbeitsunfall handelt.

1. Nach § 1150 Abs. 2 Satz 1 und Satz 2 Nr. 1 RVO gelten Unfälle, die vor dem 1.1.1992 eingetreten sind und die nach dem im Beitrittsgebiet geltenden Recht Arbeitsunfälle der Sozialversicherung waren, als Arbeitsunfälle im Sinne des Dritten Buches der RVO. Dies gilt nicht für Unfälle, die einem ab dem 1.1.1991 für das Beitrittsgebiet zuständigen Träger der Unfallversicherung erst nach dem 31.12.1993 bekannt werden und die nach dem Dritten Buch der RVO nicht zu entschädigen wären. § 1150 Abs. 2 Satz 1 und Satz 2 Nr. 1 RVO ist auch nach Inkrafttreten des SGB VII weiterhin zu beachten (§ 215 Abs. 1 SGB VII). Ferner bestimmt Art. 19 Satz 1 des Vertrages zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik über die Herstellung der Einheit Deutschlands - Einigungsvertrag - i.V.m. dem Einigungsvertragsgesetz (im Folgenden: § 19 Satz 1 EV), dass vor dem Wirksamwerden des Beitritts ergangene Verwaltungsakte der DDR wirksam bleiben.

Das an den Kläger gerichtete Schreiben der NVA vom 23.10.1980 ("Hinweise zur Gewährleistung versorgungsrechtlicher Ansprüche bei anerkanntem Dienstunfall bzw. anerkannter Diensterkrankung") enthält in seinen Nummern 1 und 2 Verfügungssätze, die die tatbestandlichen Voraussetzungen eines Verwaltungsaktes im Sinne des § 31 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) erfüllen. Durch die Hinweise ist klargestellt, dass der Unfall des Klägers beim Duschen ein Dienstunfall darstellt, zur Fraktur von Schneidezähnen links oben geführt hat und mit einem Grad des Körperschadens von 0 zu bewerten ist. Unschädlich ist hierbei, dass die "Hinweise" den Unfall auf Oktober 1980 datieren. Da der Kläger während seiner Wehrdienstzeit nur einen entsprechenden Unfall erlitten hat, ergibt die Auslegung des Bescheides, dass der Unfall vom Dezember 1979 gemeint war.

Nach § 220 Abs. 4 des Arbeitsgesetzbuches der DDR (im Folgenden: AGB) galt ein solcher Unfall nach Ausscheiden des Verunglückten aus der NVA als Arbeitsunfall. Für die Zeit des Wehrdienstes bestand kein Versicherungsschutz (vgl. § 11 der Verordnung zur Sozialpflichtversicherung der Arbeiter und Angestellten). Die Entscheidung der NVA über den Dienstunfall, und damit die Entscheidung über den Unfall als Arbeitsunfall, war für den DDR-Träger der sozialversicherungsrechtlichen Unfallversicherung verbindlich. Es bedurfte keiner weiteren konstitutiven Anerkennung durch den Unfallversicherungsträger. Allerdings hat der Kläger den Unfall erst im Mai 1999 gegenüber der Beklagten angezeigt. Auch in der Zeit davor hat kein anderer Unfallversicherungsträger Kenntnis erlangt. Gleichwohl greift hier die Ausschlussfrist des § 1150 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 RVO nicht ein. Er betrifft nur den Fall, dass zu DDR-Zeiten ein Verwaltungsakt ergangen ist, der Unfall nicht vor dem 1.1.1994 einem ab 1.1.1991 für das Beitrittsgebiet zuständigen Träger der Unfallversicherung bekannt geworden ist und der Anspruch auch nicht nach der RVO als Arbeitsunfall zu entschädigen wäre. Ob ein Unfall ein Arbeitsunfall im Sinne der RVO ist, bestimmt sich im Rahmen des § 1150 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 RVO nicht danach, ob im Einzelfall das Recht von den DDR-Behörden richtig angewandt wurde oder nicht, sondern danach, ob der bescheidmäßig festgestellte Arbeitsunfall auf einem Tatbestand beruht, den es so in abstrakt-genereller Form in der RVO nicht gibt. § 1150 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 RVO bedeutet gerade nicht, dass ab dem 1.1.1994 Art. 19 Satz 1 EV nicht mehr gilt. § 1150 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 RVO besagt lediglich, dass ein allein nach DDR-Recht als Arbeitsunfall anzuerkennender Unfall dann nicht mehr zu Ansprüchen führen kann, wenn er erst nach dem 31.12.1993 bundesdeutschen Unfallversicherungsträgern bekannt gemacht wird. Mithin zielt § 1150 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 RVO darauf ab, solche Teile des "abgestorbenen" DDR-Rechts abzuschichten und nur für eine Übergangszeit aufrecht zu erhalten, die bei abstrakt- genereller Betrachtung keine Entsprechung im Recht der RVO haben. Schon deswegen war der Berufung des Klägers stattzugeben.

Das Urteil des BSG vom 19.12.2000 lässt allerdings offen, ob es zumindest hinsichtlich des Schutzbereichs der gesetzlichen Unfallversicherung eine konkrete Betrachtungsweise favorisiert. Im vom BSG entschiedenen Fall ging es um den Versicherungsschutz eines Klägers, der seine Tätigkeit als Arbeitnehmer unterbrochen hatte, um eine Rechtsberatung wegen eines Verkehrsunfalls in Anspruch zu nehmen, den er im Zusammenhang mit seiner Beschäftigung erlitten hatte. Weder lag ein Unfall auf einem Betriebsweg noch ein Wegeunfall vor. Das BSG hat dort den inneren Zusammenhang verneint.

2. Vorliegend ist die Revision wegen einer eventuellen Abweichung von dieser Entscheidung nicht zuzulassen, weil der Kläger auch bei einer konkreten Betrachtungsweise nach dem Recht der RVO unter Versicherungsschutz stand. Dies setzt voraus, dass überhaupt in abstrakt-genereller Weise Unfallversicherungsschutz für eine bestimmte Art von Tätigkeit eröffnet ist. Weder von der Beklagten noch vom SG ist geprüft worden, ob ein Wehrpflichtiger während seiner Tätigkeit als Wehrpflichtiger nach der RVO überhaupt unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung steht. In Betracht kommt hier nur § 539 Abs. 1 Nr. 1 RVO. Hiernach ist in der gesetzlichen Unfallversicherung gegen Arbeitsunfall versichert, wer aufgrund eines Arbeits-, Dienst- oder Lehrverhältnisses beschäftigt ist. Grundsätzlich prägend ist für diese Art von Tätigkeiten, dass ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis vorliegt, das freiwillig zustande kommt. Deswegen ordnete § 540 für Strafgefangene in einer besonderen Norm Unfallversicherungsschutz an. Ein Wehrpflichtiger ist gewiss in nahezu allen Aspekten nicht mit einem Strafgefangenen vergleichbar. Jedoch ist auch für ihn charakteristisch, dass das öffentlich-rechtliche Beschäftigungsverhältnis ohne und unter Umständen sogar gegen seinen Willen zustande kommen konnte. Letzteres gilt insbesondere für jene Zeit, in der Wehrdienstverweigerer sich vor einer Kommission einer so genannten Gewissensprüfung unterziehen mussten. Entscheidend ist aber, dass eine so genannte Totalverweigerung bis auf wenige Ausnahmen rechtlich nicht möglich ist, mithin immer Männer gegen ihren Willen zu einer öffentlich-rechtlichen Indienstnahme gezwungen werden können und sie allenfalls die Wahl zwischen Zivildienst oder Wehrdienst haben. Das BSG hat in seinem Urteil vom 20.4.1993 (BSG SozR 3-2200 § 541 Nr. 3) zwar ausgeführt, dass der als Zivildienstbeschädigung anerkannte Unfall eines Zivildienstleistenden in einem als Beschäftigungsstelle nach dem Zivildienstgesetz anerkannten privatrechtlichen Unternehmen nicht zugleich die Voraussetzungen eines Arbeitsunfalls im Sinne der gesetzlichen Unfallversicherung erfülle. Das BSG ist jedoch auf die hier relevante Problematik nicht näher eingegangen - obwohl es hierzu keine ältere Rechtsprechung gibt -, sondern hat es vielmehr als selbstverständlich vorausgesetzt, dass der Zivildienstleistende unter Unfallversicherungsschutz steht ("Zwar stand er gemäß § 539 Abs 1 Nr 1 RVO in einem Dienstverhältnis ..."). Den Anspruch hat es an § 541 Abs. 1 Nr. 2 Halbsatz 1 RVO scheitern lassen, der bestimmt, dass Personen hinsichtlich solcher Arbeitsunfälle versicherungsfrei sind, für die ihnen Versorgung nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) oder solchen Gesetzen gewährt wird, die das BVG für anwendbar erklären (jetzt § 4 Abs. 1 Nr. 2 SGB VII). Das erkennende Gericht der Einzelrichter des Senats folgt dieser Bewertung, weil § 539 RVO Wehr- und Zivildienstleistende nicht ausdrücklich vom Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung ausgeschlossen hat, sondern nur nach Maßgabe des § 541 Abs. 1 Nr. 2 RVO, und im Wort "Dienstverhältnis" zudem ein hinreichender sprachlicher Anknüpfungspunkt besteht.

Da das Soldatenversorgungsgesetz (SVG) im Beitrittsgebiet nicht rückwirkend in Kraft gesetzt wurde, stehen Wehrdienstleistende der NVA nach § 539 Abs. 1 Nr. 1 RVO wegen der während ihrer Wehrdienstzeit erlittenen Dienstunfälle unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung. Anders als für den Bereich der Zeit- und Berufssoldaten haben der Einigungsvertrag und die spätere Gesetzgebung (Gesetz über einen Ausgleich für Dienstbeschädigungen im Beitrittsgebiet) für Wehrdienstleistende keine Sonderregelungen vorgesehen.

Der Unfall des Klägers am 1.12.1979 steht in innerem Zusammenhang mit seiner Tätigkeit als Wehrdienstleistender.

Es kann dahingestellt bleiben, ob es eine Dienstvorschrift gegeben hat, wonach der Soldat sich täglich nach Dienstende zu waschen gehabt habe. Wenn dem so war, stand der Kläger ohnehin während des Duschens unter Versicherungsschutz. Anhaltspunkte für ein überflüssiges abermaliges Duschen am selben Tage bestehen nicht. Einer allgemeinen Dienstvorschrift musste der Kläger ebenso Folge leisten, wie einem in einer konkreten Situation ausdrücklich angeordneten Befehl eines Vorgesetzten. Dies folgt aus der Eigenart des Wehrdienstverhältnisses. Hier liegt auch ein gedanklicher Fehler der Beklagten. Entweder ist der Wehrdienst von vornherein nicht in den Schutzbereich der Unfallversicherung einbezogen oder aber er ist es, dann aber auch unter Berücksichtigung aller sich aus diesem Dienst ergebenden Besonderheiten.

Geht man davon aus, dass keine generelle Waschanweisung für die Zeit nach Dienstende bestand, stand der Kläger gleichwohl unter Unfallversicherungsschutz.

Das BSG hat in seinem Urteil vom 22.9.1971 (BSGE 33, 141, ), dort zum SVG, ausgeführt:

"Die vom RVA hierzu entwickelte Rechtspr. (s. dazu EuM Bd. 37, 276 mit weiteren Hinweisen), nach welcher eine versicherte Beschäftigung beim Betrieb insoweit nur dann ausnahmsweise zu erblicken ist, wenn sich die alsbaldige Reinigung aus der Natur des Betriebes unabweisbar über das allgemeine Verlangen nach Reinigung und Erfrischung hinaus ergibt, ist vom 2. Senat des BSG aufgrund der heutigen Vorstellungen über die Körperhygiene und Reinerhaltung entscheidend erweitert worden (BSG 16, 236, 239; Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 482). Danach sind die im Einzelfall geleistete Arbeit und die dadurch bedingte Notwendigkeit zur Erfrischung dafür maßgebend, ob eine körperliche Reinigung - durch Baden oder Duschen - in der Freizeit zur versicherten Tätigkeit im Betrieb gehört (s. dazu auch Urt. des BSG vom 30.7.1968 - 2 RU 155/66 -); hiervon ausgeschieden ist nur ein unvernünftiges oder die notwendige Erfrischung überschreitendes Verhalten (Brackmann aaO). Auch der erkennende Senat ist der Auffassung, daß die Frage, ob die körperliche Reinigung eines Soldaten nach Beendigung seines Dienstes als "Ausübung des Wehrdienstes" anzusehen ist, also mit dem zuvor beendeten Dienst in einem engen inneren Zusammenhang steht und damit versorgungsrechtlich geschützt ist, nach der heutigen Auffassung über die angemessene Körperhygiene beantwortet werden muß. Dieser Auffassung entspricht es aber, daß dem Soldaten zuzubilligen ist, sich nach Beendigung der für den Soldaten typischen Dienstverrichtung und einer damit einhergehenden Verschmutzung auch ohne besondere Anordnung - sei es durch Dienstplan oder einen besonderen Befehl eines Vorgesetzten - körperlich zu reinigen und zwar in der von dem Soldaten als notwendig erachteten Art und Weise."

Diese Entscheidung ist bislang nicht durch ein späteres Urteil eines für das Versorgungsrecht zuständigen Senats des BSG korrigiert worden. Zugleich macht sie deutlich, dass sie von unfallversicherungsrechtlichen Vorstellungen nicht abweicht und auch nicht abweichen will. Auch insoweit gibt es kein späteres Urteil eines für die gesetzliche Unfallversicherung zuständigen Senats des BSG, der dieses frühere Urteil korrigiert hat. Es ist weiterhin maßgeblich für die Beurteilung des hier vorliegenden Sachverhalts.

Entgegen der Behauptung der Beklagten hat nicht der Kläger von sich aus Angaben zur Verschmutzung gemacht, sondern ist dazu von ihr und dem SG aufgefordert worden. Die Befragung des Klägers im Erörterungstermin hat ergeben, dass sich der Kläger konkret an den Grad seiner Verschmutzung nicht mehr erinnern kann. Er nimmt an, dass er auch an diesem Tag Fahrzeuge gewartet hat. Sicher bestätigen kann er dies nicht. Diese Aussage ist glaubhaft. Der Kläger hatte jedenfalls seit Ende 1980 keinen Anlass mehr, die Einzelheiten seines Unfall in der Erinnerung zu behalten. Es ist auch naheliegend, dass er sich nach fast zwanzig Jahren zwar an den mit erheblichen Schmerzen verbundenen Unfall noch konkret erinnern kann, nicht mehr aber an den vorausgegangenen alltäglichen Dienst, da dieser aus laienhafter Sicht keine Bedeutung für den Unfall als solchen hatte und deswegen auch nicht im Gedächtnis haften blieb. Aufgrund der Begründung über die Anerkennung des Dienstunfalls (Blatt 25 der Beklagtenakte) ist das Gericht jedoch davon überzeugt, dass für das Duschen ein sich aus dem Dienst heraus ergebender, hinreichender Anlass im Sinne des oben zitierten Urteils des BSG bestanden hat. Denn Ende 1980 waren die näheren Umstände des Unfalls von Ende 1979 durchaus noch erinnerlich. Auch ist es naheliegend, dass damals über diesen Vorgang Aktenvermerke bestanden, die jetzt nicht mehr vorliegen. Es gibt jedenfalls keinen Anhaltspunkt dafür, dass es sich dabei um eine willkürliche, gefälligkeitshalber getroffene Feststellung handelt.

Soweit das SG ergänzend ausführt, Militärkraftfahrer seien nur in geringfügigem Maße arbeitsbedingten Verschmutzungen ausgesetzt gewesen, belegt dies nur die nicht vorhandene, und auch nicht nachgewiesene, eigene Sachkunde des SG. Der hier erkennende Einzelrichter des Senats gehörte als Zeitsoldat, zuletzt mit dem Dienstgrad eines Fähnrichs, in den Jahren 1980 bis 1982 einer motorisierten Einheit an (acht LKW und drei PKW auf Zugebene) und kann aus eigener Erinnerung für die Bundeswehr die Angaben des Klägers bestätigen, dass der Fahrer einem ganz erheblichem Verschmutzungsrisiko ausgesetzt war, auch wenn dies gewiss nicht jeden Tag der Fall war. Es gibt keinen plausiblen Grund zu der Annahme, dass die Verhältnisse bei der NVA insoweit wesentlich anders gelagert waren. Im Gegenteil kann davon ausgegangen werden, dass in der NVA auf den einzelnen Soldaten eher noch weniger Rücksicht genommen wurde als in der Bundeswehr und der Dienst in der NVA tendenziell härter war.

II.

Die im Berufungsverfahren nach § 55 Abs. 1 Nr. 3 SGG erhobene Klage ist zulässig. Es kann dahingestellt bleiben, ob es sich dabei um eine Klageänderung im Sinne der Klageerweiterung handelt. Die Beklagte hat sich jedenfalls rügelos hierauf eingelassen. Aufgrund des von Dipl.-Med. W ... erhobenen Befundes steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass der Kläger durch den streitgegenständlichen Unfall eine Kronenfraktur bei Zahn 21 und 22 erlitt, die eine prothetische Versorgung erforderlich werden ließ.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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