L 1 V 13/99

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
1
1. Instanz
SG Leipzig (FSS)
Aktenzeichen
S 2 V 174/94
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 1 V 13/99
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Leipzig vom 23. November 1998 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
II. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten darüber, ob der Klägerin Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) zusteht.

Die Klägerin ist die Witwe des am ... geborenen und am ... verstorbenen ... (F.).

Den Unterlagen der deutschen Dienststelle für die Benachrichtigung der nächsten Angehörigen der Gefallenen der ehemaligen deutschen Wehrmacht sind für F. folgende Eintragungen zu entnehmen: 17.10.43: - " ...schwer verw. Gr. Spl., Lunge li. Hand li. Knie ... H.V.Pl. 129" 24.11.43: - "Res. Laz. II Bresk-Litowsk ... Gr. Steckspl. li. Brust re. Lungenverletzg ..." 17.1.44: - "Res. Laz. Heiligenstadt/E ... Gr. Lungensteckspl. re ..." 10.2.44: - "Res. Laz. I, Erfurt ... Lungenstecksch. 31- u. 2c- ..."

Aufgrund seiner am 01. November 1943 erlittenen einmaligen Verwundung - Beschädigung (Versehrtenstufe III) wurde F. das Verwundetenabzeichen in Silber am 13. Dezember 1944 verliehen.

Im Soldbuch des F. ist unter dem 21. Oktober 1943 die Krankheitsnummer "31 b", unter dem 17. Januar 1944 die Krankheitsnummer "31 b" und unter dem 10. Februar 1944 die Nummer "31 b. 26" eingetragen.

Zumindest ab 01. September 1951 bezog F. von der Sozialversicherungsanstalt Sachsen-Anhalt eine Kriegsinvalidenrente (Bescheid vom 14. Juli 1951), zuletzt vom FDGB, Verwaltung der Sozialversicherung, Kreisvorstand ... eine Kriegsinvalidenaltersrente (Bescheid vom 31. August 1972). In einem vom Rat des Kreises ... am 16. März 1972 ausgestellten Ausweis für Schwerstbeschädigte mit Begleiter wurde F. als Schwerstbeschädigter (BLIND) anerkannt.

In der Zeit vom 17. Oktober bis 29. Oktober 1973 befand sich F. in stationärer Behandlung auf der Inneren Abteilung des Kreiskrankenhauses ... Im ärztlichen Bericht vom 13. November 1973 wurden folgende Diagnosen angegeben: Flüchtiger encephalomalazischer Insult, essent. Hypertonie (SG II bis III), Globalinsuffizienz des Herzens sowie chronisches Herzwandaneurysma.

Nach dem von der Ärztin W ..., Kreispoliklinik ..., am 29. November 1973 für F. ausgestellten Totenschein wurde als Todesursache eine Apoplexie als direkt zum Tode führende Krankheit oder Krankheitszustand festgestellt, bedingt durch (oder Folge von) Hypertonie und einer allgemeinen Vasosklerose. Als andere wesentliche Krankheit oder Krankheitszustand, der zum Tode beigetragen hat ohne mit der Apoplexie im Zusammenhang zu stehen: chronisch ischämische Herzkrankheit.

Eine Sektion wurde nicht durchgeführt. Am linken Herzrand in der Muskulatur der linken Herzkammer des F. befand sich bis zu seinem Tode ein Metallsplitter.

Am 18. Februar 1991 stellte die Klägerin bei dem Beklagten einen Antrag auf Hinterbliebenenversorgung nach dem BVG. Dabei gab sie als Schädigung des F. an: Ein Auge blind, das andere sehr stark geschwächt, schwere Kopfverletzung mit mehreren Brüchen, ein Splitter in der Herzkammer verkapselt.

Der Beklagte erließ am 09. August 1993 einen ablehnenden Bescheid. Als Wehrdienstbeschädigung seien bei F. eine schwere Verwundung mit Granatsplitter Lunge links, Hand links, Knie sowie Lungenverletzung rechts nachgewiesen. Die wiederholten Angaben über eine Kriegsblindheit seien nicht überzeugend, da es einfach unwahrscheinlich sei, dass sie bei den Eintragungen in die Krankenpapiere, die zu verschiedenen Zeitpunkten und von verschiedenen Lazaretten getätigt wurden, übersehen worden seien. Der Tod des F. sei somit nicht die Folge der im Krieg erlittenen Schädigung. Diese habe den Tod auch nicht ein Jahr früher herbeigeführt. Mit Bescheid vom 10. August 1993 wurde der Klägerin eine Witwenbeihilfe nach § 48 Abs. 1 und 2 BVG gewährt.

Gegen den Bescheid vom 09. August 1993 legte die Klägerin am 17. September 1993 Widerspruch ein. Der Tod des F. sei akut eingetreten, ohne wesentliche Vorboten. Nach Rücksprache mit Fachärzten könne der akute Herztod durch eine Ruptur des traumatischen Herzwandaneurysmas aufgetreten sein. Es sei auch zu erwägen, dass durch Thrombenbildung im Bereich des Herzwandaneurysmas der schnelle Tod durch ein embolisches Geschehen ausgelöst worden sei. Dabei sei zu bemerken, dass die krankhaften Veränderungen am Herzen und der Herzkranzgefäße sekundär durch die traumatischen Veränderungen aufgetreten sein könnten. Das apoplektische Geschehen könne im Rahmen einer Embolie zu erklären sein.

Nach Einholung einer versorgungsärztlichen Stellungnahme (Stellungnahme vom 27. Oktober 1994) blieb der Widerspruch erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 22. November 1994).

Die Klägerin erhob am 20. Dezember 1994 beim Sozialgericht Leipzig (SG) Klage.

Während des Klageverfahrens legte die Klägerin ein von ihr bei Dr. B ..., Facharzt für Innere Medizin/Kardiologie/Angiologie in ..., eingeholtes Gutachten vor (Gutachten vom 09. Mai 1997). In seinem Gutachten führte er im Wesentlichen aus, mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit treffe die im Totenschein angeführte Diagnose Apoplexie nicht zu. Es handele sich vielmehr um einen plötzlichen Herztod als Folge von Kammerflimmern, als Folge von Herzhypertrophie bei Mitralklappeninsuffizienz als Folge der Kriegsverletzung des Herzens. Die Hypertonie sei unter den anderen wesentlichen Krankheiten aufzuführen, ebenso wie die Hirnverletzung mit Schädigung der Sehbahnen. Der Tod des F. sei als Schädigungsfolge anzuerkennen.

Das SG hat Beweis erhoben durch Einholung eines kardiologischen Sachverständigengutachtens nach Aktenlage bei Prof. Dr. W ..., Leitender Arzt der ...-Klinik in ... In seinem Gutachten vom 06. Januar 1998 hat er im Wesentlichen ausgeführt, die Kriegsverletzung sei eine bestätigte Tatsache, die klinisch und röntgenologisch erhobenen Befunde ebenfalls. Der Tod sei relativ früh eingetreten. Leider gebe es in der medizinischen Dokumentation von der Zeit der Kriegsverletzung bis zum Tod viele subjektiv und objektiv verursachte Lücken. Sein Gutachten sei zum großen Teil auf Spekulationen und Betrachtungen von Wahrscheinlichkeiten angewiesen. Auch jedes weitere Gutachten werde deshalb immer nur medizinisch mehr oder weniger begründbare Spekulation bleiben. Er komme zu dem Fazit, dass der akut eingetretene Tod bei F. Folge einer massiven Hirnembolie, einer Aneurysmaruptur oder eines akuten Herzversagens bzw. Kammerflimmerns als Ausdruck der jahrelangen Überforderung des Herzens gewesen sei. Für alle aufgeführten Todesursachen ließen sich die offensichtlich als Folge der Kriegsverletzung des Herzens verursachten Schäden verantwortlich machen. Herzgeräusche, Arrhythmie, Dekompensation und Röntgenbefunde seien dabei i. S. v. "Brückensymptomen" zu werten. Der Tod sei mit mittelbare Schädigungsfolge der am 21. Oktober 1943 erlittenen Verwundung durch Granatsplitter. Der Tod des F. sei mit Wahrscheinlichkeit auf das schädigende Ereignis (Kriegsverletzung) zurückzuführen.

Mit Urteil vom 23. November 1998 hob das SG den Bescheid vom 09. August 1993 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 22. November 1994 auf und verurteilte den Beklagten, an die Klägerin Hinterbliebenenversorgung gem. § 38 BVG ab 01. Januar 1991 zu erbringen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, es halte eine Schädigung des Herzens durch einen Splitter für gegeben. Diese Verletzung habe mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einem Aneurysma des Herzens geführt, welches dann seinerseits mit Wahrscheinlichkeit ursächlich für den am 29. November 1973 eingetretenen Tod gewesen sei. Es halte die vorliegenden Gutachten für ausreichend, um eine Wahrscheinlichkeit i. S. v. § 1 Abs. 3 BVG anzunehmen. Nicht auszuschließen sei, dass eine später hinzugetretene Hypertonie am Eintritt des Todes beteiligt gewesen sei. Dies werde jedoch vom Gericht eher als unwahrscheinlich angesehen. Darüber hinaus sei angesichts der vorliegenden Gutachten Dr. B ... und Prof. Dr. W ... davon auszugehen, dass selbst bei Hinzutreten einer Hypertonie die Schädigung des Herzens als Hauptursache angesehen werden müsse.

Gegen das dem Beklagten am 01. März 1999 zugestellte Urteil legte dieser am 25. März 1999 beim Sächsischen Landessozialgericht Berufung ein.

Unter Vorlage versorgungsärztlicher Stellungnahmen vom 17. März 1999, 20. März 2000 und 16. August 2000 ist der Beklagte der Ansicht, der Tod des F. sei nicht Schädigungsfolge i. S. des BVG. Die in den Unterlagen der Wehrmachtsauskunftsstelle beschriebene Kriegsverletzungen ständen mit der im Totenschein dokumentierten Todesursache "Schlaganfall bei Bluthochdruck und allgemeiner Vasosklerose" in keinem kausalen Zusammenhang. Der reizlos in das Myokard eingeheilte Granatsplitter habe keine relativen Funktionsstörungen des Herzens verursacht. Er sei nicht für die sich Ende der 60-er Jahre manifes- tierenden Herzinsuffizienz verantwortlich zu machen.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Leipzig vom 23. November 1998 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie ist der Ansicht, das vom Gericht eingeholte Gutachten Prof. Dr. M ... sei in mehrfacher Hinsicht zu beanstanden. Sie verweist unter Vorlage einer Stellungnahme Dr. B ... vom 14. Mai 1999 auf ihre bisher vertretene Auffassung.

Das Landessozialgericht hat Beweis erhoben durch Einholung eines medizinischen Gutachtens nach Aktenlage von Dr ... In seinem Gutachten vom 26. Januar 2000 (und ergänzender Stellungnahme vom 26. Mai 2000) führte er unter anderem aus, bei einer Apoplexie wären wahrscheinlich als Art des Todeseintritts Atemlähmung, Koma oder Hypoxie aufgetreten. Es sei als überwiegend wahrscheinlich anzusehen, dass der Tod des F. als Herzstillstand infolge Kammerflimmerns eingetreten sei. Kammerflimmern bedeute, dass sehr häufige Kontraktionen der einzelnen Muskelfasern aufträten, was einen weiteren Bluttransport durch das Herz unmöglich machte. Kammerflimmern könne durch verschiedene Umstände ausgelöst werden. Bei F. sei dies sehr wahrscheinlich die durch die Mitralklappeninsuffizienz bedingte erhebliche Herzhypertrophie, erkennbar an der Vergrößerung des Herzens im Röntgenbild gewesen. Alternative Ursache des Kammerflimmerns könnte ein akuter Herzinfarkt gewesen sein. Dafür ergebe sich aber kein Anhalt, da keine Angina pectoris vermerkt sei und keiner der drei wichtigsten Risikofaktoren für Herzinfarkt (Rauchen, Übergewicht, Zuckerkrankheit) vorgelegen habe. Die seit 1967 bekannte Hypertonie habe wahrscheinlich zum Tode beigetragen, sei aber nicht die Hauptursache gewesen. Dies ergebe sich daraus, dass eine so genannte labile Hypertonie mit Abhängigkeit der Blutdruckwerte vom Tagesablauf, von Belastungen und von der Therapie vorgelegen habe. Er halte es für wahrscheinlich, dass bei F. der Tod am 29. November 1973 infolge der 1943 erlittenen Herzverletzung gewesen sei. Diese Herzverletzung sei bis zum Zeitpunkt des Todes nicht erkannt worden, wenngleich entsprechende Befunde bereits im Februar 1972 im Waldkrankenhaus Bad Düben festgestellt worden seien. Diese Herzverletzung müsse nachträglich als Schädigung anerkannt werden. Es werde eingeräumt, dass die vom Gutachter für wahrscheinlich gehaltene Art der Verletzung des Herzens durch Eindringen des Splitters von rechts ein ungewöhnliches (aber nicht unmögliches) Vorkommnis sei. Nochmals werde darauf hingewiesen, dass F. gleichzeitig mehrfache Verletzungen erlitten habe, die durch von rechts kommende Splitter verursacht worden seien. Es sei äußerst unwahrscheinlich, dass gleichzeitig ein von links kommender Splitter in den Brustkorb eingedrungen sei.

Ein pathologisches Sachverständigengutachten hat der Senat von Prof. Dr. M ..., Direktor des Institutes für Rechtsmedizin der medizinischen Fakultät ... der Technischen Universität ..., eingeholt. In seinem Gutachten vom 09. November 2000 stellte er zusammenfassend fest, unter Berücksichtigung der ärztlichen Diagnose beim letzten Krankenhausaufenthalt (17. bis 29. Oktober 1973) sei es wahrscheinlicher, dass F. an einer Apoplexie verstorben sei als an einem Herzkammerflimmern. Die wahrscheinlichste Kausalität des Todesmechanismus des F. sei: Atherosklerose - Bluthochdruck - Schlaganfall. Der Pathomechanismus der Todesursache könne sich auch in der Reihenfolge Bluthochdruck - Atherosklerose - Schlaganfall entwickeln. Ein Zusammenhang zwischen dem in der Herzmuskulatur steckenden Metallsplitter und der oben genannten Todesursache lasse sich nicht nachweisen. Eine Durchdringung eines Metallsplitters quer durch das Herz hätte mit Sicherheit den unmittelbaren Tod des F. bewirkt.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten beider Rechtszüge und der Verwaltungsakte der Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist zulässig und begründet.

Zu Unrecht hat das SG den Bescheid des Beklagten vom 09. August 1993 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 22. November 1994 aufgehoben und den Beklagten verurteilt, an die Klägerin Hinterbliebenenversorgung gem. § 38 BVG ab 01. Januar 1991 zu erbringen.

Die Klägerin hat keinen Rechtsanspruch auf Gewährung einer Hinterbliebenenrente nach § 38 Abs. 1 BVG, weil nicht festgestellt werden kann, dass F. an den Folgen einer Schädigung verstorben ist. Die Rechtsvermutung des § 38 Abs. 1 Satz 2 BVG, wonach der Tod stets dann als Folge einer Schädigung gilt, wenn ein Beschädigter an einem Leiden stirbt, das als Folge einer Schädigung rechtsverbindlich anerkannt und für das ihm im Zeitpunkt des Todes Rente zuerkannt war, kommt der Klägerin nicht zugute. Versorgungsleiden waren bei F. vor Stellung des Antrages auf Hinterbliebenenversorgung nach dem BVG am 18. Februar 1991 nicht anerkannt.

Ein Anspruch auf Witwenrente ergibt sich auch nicht aus § 38 Abs. 1 Satz 1 BVG.

Nach dieser Bestimmung besteht Anspruch auf Hinterbliebenenrente (hier Witwenrente), wenn ein Beschädigter an den Folgen einer Schädigung gestorben ist. Die Feststellung, ob ein Beschädigter an den Folgen einer Schädigung verstorben ist, setzt regelmäßig die vorherige Feststellung des zum Tode führenden Leidens voraus. Im Falle des § 38 Abs. 1 Satz 1 BVG steht den Hinterbliebenen unter Umständen Anspruch auf Versorgung zu, wenn diese Feststellung nachgeholt werden kann. Das Todesleiden muss dann, wenn die Schädigung nicht unmittelbar den Tod herbeigeführt hat, ebenso nachgewiesen werden wie ein als Schädigungsfolge geltend gemachtes Leiden zu Lebzeiten des Beschädigten. Bei diesem Leiden handelt es sich um eine Tatsache, welche den Vollbeweis erfordert, wobei das Todesleiden in einem ursächlichen Zusammenhang mit den Schädigungsfolgen stehen muss. (BSG, Urteil vom 05. Mai 1993, Az.: 9/9 aRV 1/92 = SozR 3-3100 § 38 BVG Nr. 2). Für den Beweisgrad des Vollbeweises ist es zwar nicht erforderlich, dass die erforderlichen Tatsachen mit absoluter Gewissheit feststehen, ausreichend, aber auch erforderlich ist indessen ein so hoher Grad der Wahrscheinlichkeit, dass bei Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens kein vernünftiger, den Sachverhalt überschauender Mensch noch zweifelt, d. h. dass die Wahrscheinlichkeit an Sicherheit grenzt (BSG a. a. O., BSG, Urteil vom 15. Dezember 1999, Az.: B 9 VS 2/98 R, st. Rspr. des BSG zur Kriegsopferversorgung).

Nach Überzeugung des Senats lässt sich das konkrete Todesleiden des F. im Nachhinein nicht mehr feststellen. Unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des plötzlich eingetretenen Todes des F. in der Mittagszeit des 29. November 1973, indem er plötzlich seitlich vom Stuhl am Küchentisch gefallen und keine Lebenszeichen habe mehr erkennen lassen, insbesondere keine Atmung mehr festzustellen gewesen sei, wie es dem Gutachter Dr. B ... von den Angehörigen des F. geschildert wurde (vgl. Gutachten Dr. B ... vom 09. Mai 1997, S. 7), kann F. sowohl an einer Apoplexie (Schlaganfall) als auch an einem so genannten Sekundenherztod verstorben sein. Der Senat folgt dem schlüssigen, ausführlichen und nachvollziehbaren Gutachten Prof. Dr. M ... vom 09. November 2000. Für einen lautlosen ohne Ankündigung eintretenden Tod kommt das Versagen von zwei Organsystemen in Betracht: das des Gehirns und das des Herzens. Beim Gehirn können es Blutungen oder Erweichungen sein (so genannter Gehirnschlag), während der plötzliche Herztod (ein so genannter Sekunden-Herztod) fast immer das Ergebnis einer ischämischen Herzkranheit (Sauerstoffbedarf kann nicht gedeckt werden) bzw. einer Koronarthrombose (Verschluss der Herzkranzgefäße durch ein Blutgerinnsel oder durch eine arteriosklerotische Einlagung in die Wand eines Herzkranzgefäßes) ist. Diese Veränderungen können einen plötzlichen Tod verursachen. Dagegen scheiden Blutungen nach Zerreißungen von größeren Blutgefäßen aus, da diese nicht mit der geschilderten Plötzlichkeit einhergehen und auch ein Prodromalstadium (Schmerzen, Angstgefühl, Atemnot) aufweisen. Dass F. an einer Apoplexie verstorben ist, ist insofern möglich, da auch schwere hypertonische (bedingt durch Bluthochdruck) Massenblutungen mit Einbruch in die Hirnkammern einen sofortigen Tod zur Folge haben können. Auch kleine Erweichungen im Gehirn können einen plötzlichen Tod verursachen, wenn dadurch lebenswichtige Zentren (z. B. das Atemzentrum) ausfallen. Eine andere Form der Apoplexie ist das Einhergehen mit Bewusstlosigkeit, einseitiger oder beidseitiger Lähmung, wobei die Atmung in aller Regel für Stunden bis Tage oder Wochen erhalten bleibt.

Den Ausführungen in den Gutachten Dr. B ... vom 09. Mai 1997 und 26. Januar 2000 ist daher hinsichtlich des Ausschlusses einer Apoplexie als Todesursache nicht zu folgen. Wie der Gutachter Prof. Dr. M ... überzeugend ausführt, liegt eine Apoplexie nicht nur bei einer plötzlich eintretenden halbseitigen oder beidseitigen Lähmung vor, wobei Bewußtlosigkeit besteht, die Atmung jedoch in aller Regel für Stunden bis Tage oder Wochen erhalten bleibt. Eine andere Auffassung ergibt sich auch nicht aus dem Gutachten Prof. Dr. W ... vom 06. Januar 1998. Darin hat er ausgeführt, für den plötzlichen Tod könne zwar ein Schlaganfall prinzipiell verantwortlich sein, dies sei aber eher unwahrscheinlich, da der akute Tod meist direkt kardialer Ursache sei. Es ist also nicht völlig auszuschließen, dass ein Schlaganfall für den plötzlichen Tod verantwortlich und dass dieser nicht unbedingt kardialer Ursache war.

Ebenso besteht die Möglichkeit, dass F. einen so genannten Sekundenherztod erlitten hat. Zumindest hinsichtlich der Möglichkeit stimmen die Gutachter Dr. B ..., Prof. Dr. W ... und Prof. Dr. M ... überein. Rhythmusstörungen des Herzens (Kammerflattern, Kammerflimmern) treten bei Patienten mit verminderter Herzleistung auf und können durchaus in einen Sekundenherztod münden. Wesentlichster Faktor für die Entstehung einer Arteriosklerose oder Herzmuskelhypertrophie (Herzvergrößerung) ist die bei F. diagnostizierte Hypertonie. Auch der Gutachter Prof. Dr. Wedler schließt ein generalisiertes degeneratives Gefäßleiden bei arterieller Hypertonie nicht aus. Entsprechend den Ausführung im Gutachten Prof. Dr. W ... könnte der Tod des F. Folge einer degenerativen Herzkreislauferkrankung gewesen sein und wäre damit ohne Beziehung zur Kriegsverletzung. Zweitens könnte der Tod durch eine akute Komplikation einer Herzerkrankung eingetreten sein, die sich F. im Krieg zugezogen hat und damit mehr oder weniger direkte Schädigungsfolge sein. Das Vorliegen einer kriegsbedingten Herzerkrankung lässt sich jedoch aus den vorliegenden Unterlagen nicht belegen. Unstreitig ist jedoch, dass F. über ein schwerstgeschädigtes Herz verfügte, deren Ursache in der Regel abgelaufene Entzündungen sind. Alle genannten Krankheitsbilder und Diagnosen wie Bluthochdruck, Arteriosklerose, Apoplexie, flüssiger encephalomalazischer Insult, chronisch-ischämische Herzkrankheit, Globalinsuffizienz des Herzens, chronisches Herzwandaneurysma und Aorten-Mitralvitium können durch vielfältige körperinnere und auch -äußere Prozesse ausgelöst werden. Ein Zusammenhang der genannten Diagnosen mit dem seit Jahren in der Außenseite des linken Herzmuskel steckenden Metallsplitter ist aber nicht zu erkennen.

Zutreffend hat das Sozialgericht unter Bezugnahme auf § 15 des Gesetzes über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung ausgeführt, dass sich am linken Herzrand in der Muskulatur der linken Herzkammer ein Metallstück befindet, das durch kriegsbedingte Splittereinwirkung dorthin gelangt ist. Es muss jedoch letztlich offen bleiben, welchen genauen Weg der Splitter dorthin genommen hat. Indes gibt es keine Anhaltspunkte dafür, dass der Splitter in der Außenseite des linken Herzmuskels unmittelbar vor dem Tod des F. "gewandert" ist und dabei den Tod verursacht hat. Ebenso ist ein Zusammenhang zwischen einer bestehenden Hirnläsion - ausgehend von der seitens der Klägerin behaupteten Splittereinwirkung im Kopfbereich - und einem neu aufgetretenen Schlaganfall abzulehnen, da dafür ein eindeutiger zeitlicher Zusammenhang (Wochen bis allenfalls wenige Monate) erforderlich ist (vgl. Rauschelbach/Jochheim/Widder (Hrsg.), Das neurologische Gutachten, 4. Aufl., S. 241). Mittelbare Ursache des Todeseintritts des F. ist der Bluthochdruck, dessen Ursache nicht festgestellt werden kann, ebenso wenig wie das erstmalige Auftreten des Bluthochdrucks bei F. Die während des stationären Aufenthalts des F. vom 17. Oktober bis 29. Oktober 1973 im Kreiskrankenhaus Eilenburg gestellte Diagnose einer essentiellen Hypertonie wird durch das Zusammenspielen mehrerer Faktoren ausgelöst. Einige heute als wesentlich erkannte Teilfaktoren sind Vererbung, Ernährung, Übergewicht und psychischer Stress (vgl. Schättler/Greten (Hrsg.), Innere Medizin, Verstehen-Lernen-Anwenden, 9. Aufl., S. 182). Das Auftreten eines dauerhaft erhöhten Bluthochdrucks als Folge z. B. von Kriegsereignissen oder anderen belastenden Situationen ist bislang jedoch nicht hinreichend belegt (vgl. Rauschelbach/Jochheim/ Widder, a. a. O., S. 242). Die im Totenschein vom 29. November 1973 bescheinigte Todesursache Apoplexie ist daher nach Überzeugung des Senats nicht als widerlegt anzusehen. Die Frage, ob F. an einem so genannten Sekundenherztod verstorben und der in der Herzmuskulatur steckende Metallsplitter ursächlich dafür gewesen ist, hätte sich nur durch die Ergebnisse einer Sektion bzw. Obduktion beantworten lassen. Da eine solche aber unterblieben und nicht nachzuholen ist, ließ sich der Sachverhalt hinsichtlich anderer als der im Totenschein vorgenommenen Feststellungen der Todesursache nicht mehr aufklären. Dies geht zu Lasten der Klägerin. Im Ergebnis ist daher der Aussage Prof. Dr. Wedler in seinem Gutachten von 08. Januar 1998 zu folgen, dass es in der medizinischen Dokumentation von der Zeit der Kriegsverletzung bis zum Tod viele Lücken gibt, wobei auch jedes weitere Gutachten immer nur medizinisch mehr oder weniger begründbare Spekulation bleibt.

Nach alledem hatte die Berufung Erfolg.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs. 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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