L 3 AL 236/01

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Chemnitz (FSS)
Aktenzeichen
S 18 AL 843/99
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 3 AL 236/01
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Die Beteiligten streiten über die Aufhebung der Bewilligung von Arbeitslosenhilfe wegen Aufnahme einer mehr als 15 Stunden wöchentlich umfassenden Beschäftigung.
I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Chemnitz vom 06. August 2001 wird zurückgewiesen. II. Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten. III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die am ... 1950 geborene Klägerin war vom 10. Oktober 1988 bis 31. Dezember 1993 als Maschinist für Transportmittel und Hebezeuge tätig.

Im Rahmen einer Umschulungsmaßnahme erhielt sie einen Berufsausbildungsvertrag als Köchin für die Zeit vom 01. September 1992 bis 31. August 1995. Nach Ablauf einer ABM, in der sie in der Zeit vom 23. Oktober 1995 bis 22. Juli 1996 als Vorarbeiterin tätig war, wurde der Klägerin auf Grund ihrer Arbeitslosmeldung vom 01. November 1996 Arbeitslosengeld (Alg) für die Zeit ab 31. Oktober 1996 mit einer Anspruchsdauer von 266 Leistungstagen bewilligt.

Nach deren Ablauf beantragte die Klägerin am 20. August 1997 Anschluss-Arbeitslosenhilfe (Alhi). Im Antrag gab sie an, das Merkblatt I für Arbeitslose erhalten und von seinem Inhalt Kenntnis genommen zu haben. Ab 06. September 1997 erhielt sie Alhi. Wegen Arbeitsaufnahme entfiel die Leistungsvoraussetzung ab 03. September 1997, weshalb die Leistungsbewilligung aufgehoben wurde.

Nachdem die Klägerin eine Zwischenbeschäftigung vom 03. bis 19. September 1997 als Produktionshelferin aufgenommen hatte, beantragte sie am 20. September 1997 erneut Alhi und bestätigte unterschriftlich am 25. September 1997, das Merkblatt für Arbeitslose erhalten und von seinem Inhalt Kenntnis genommen zu haben.

Für die Zeit vom 20. September 1997 an bewilligte die Beklagte der Klägerin für drei Wochentage Alg und mit Bescheid vom 03. November 1997 ab 24. September 1997 Anschluss-Alhi.

Am 07. Mai 1998 ging die Nebenverdienstbescheinigung der Firma S ... und H ... H ... in M ... für die Zeit ab 01. April 1998 ein. Danach wurden im Monat April vom 01. bis 30. April 16 Arbeitsstunden erbracht und mit 100,00 DM netto vergütet. Auch für Mai und Juni 1998 wurden bei gleichen Arbeitsstunden 128,00 DM netto monatlich bescheinigt.

Am 20. August 1998 beantragte die Klägerin die Fortzahlung von Alhi, die ihr ab 24. September 1998 auch bewilligt wurde (Bescheid vom 31. August 1998).

Die Arbeitgeberin bestätigte weiterhin, dass in den Monaten Juli, August, September, Oktober, November und Dezember 1998 sowie im Januar, Februar 1998 jeweils bei 16 Arbeitsstunden im Monat 128,00 DM netto bezahlt worden seien.

Auf Grund einer anonymen Anzeige nahm die Beklagte eine Prüfung der Pachttoilette des Hauptbahnhofs Z ... vor. Nach von der Klägerin unterschriebenen Feststellungen der Prüferin K. vom 10. März 1999 arbeitete die Klägerin entweder in der Früh- oder in der Mittagschicht drei Tage in der Woche als Toilettenfrau. In der Rubrik "Arbeitsstunden" war angegeben: "4.30 Uhr bis 13.30 Uhr bzw. 13.30 Uhr bis 23.00 Uhr". Das Entgelt betrage 120,00 DM pro Monat. Nach der Anlage zum Prüfbericht ergab die Befragung der zum Zeitpunkt der Befragung in der Pachttoilette tätigen Personen, dass Öffnungszeit Montag bis Sonntag von 4.30 Uhr bis 23.00 Uhr sei. Die personelle Besetzung der Öffnungszeiten werde nur durch die befragten vier Personen getätigt. Schichtpläne gebe es nicht. Nicht einheitlich seien die Angaben bezüglich der wöchentlichen Schichten: zwei Tage in der Woche/zwei oder drei Tage pro Woche/zwei bis drei Tage pro Woche/ drei Tage pro Woche. Einheitlich aber unlogisch seien die Angaben zum Entgelt in Höhe von 120,00 DM pro Monat - alles, was den Betrag von 40,00 DM der Tageseinnahmen pro Tag übersteige, werde an den Arbeitgeber abgegeben.

Mit Schreiben vom 04. Juni 1999 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass ab April 1998 die erforderlichen Voraussetzungen für die Gewährung von Alhi nicht mehr erfüllt seien, da sie eine beitragspflichtige Beschäftigung - 15 Stunden wöchentlich - ausübe. Es sei beabsichtigt, die rechtswidrige Leistungsbewilligung zurückzunehmen. Bevor hierüber im Ermessenswege entschieden werde, erhalte sie Gelegenheit, sich innerhalb von zwei Wochen nach Empfang dieses Schreibens zu äußern.

Die Klägerin teilte mit Schreiben vom 06. Juni 1999 mit, der aufgeführte Sachverhalt treffe zu, sie bekomme jedoch nur vier Stunden einer Woche bezahlt.

Mit streitigem Bescheid vom 15. Juni 1999 hob die Beklagte die Bewilligung von Alhi ab 01. April 1998 ganz auf, weil die Klägerin eine Beschäftigung von mehr als 15 Stunden wöchentlich ausübe. Die Entscheidung beruhe auf § 118 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) i.V.m. § 48 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X). Den Umständen entsprechend sei die Bewilligung von Alhi auch für die Vergangenheit aufzuheben.

Die bisherige Arbeitgeberin bescheinigte auch für Mai 1999 ein Nettoentgelt von 128,00 DM, das für 16 Arbeitsstunden gezahlt worden sei.

In der Arbeitsbescheinigung vom 16. Juni 1999 bescheinigte die Arbeitgeberin das Ende des Beschäftigungsverhältnisses am 14. Juni 1999. Die Klägerin sei geringfügig beschäftigt gewesen. Sie habe monatlich 128,00 DM erhalten, was vier Stunden wöchentlich á 8,00 DM entspreche.

Mit Schreiben vom 23. Juni 1999 legte die Klägerin gegen die Aufhebung der Alhi Widerspruch ein. Ihr seien vom Arbeitgeber lediglich vier Stunden wöchentlich bezahlt worden. Sie legte die Lohnabrechnung für pauschal besteuerte Teilzeitbeschäftigte vom 02. März 1999 bei. Danach betrug der wöchentliche Arbeitslohn bei einer wöchentlichen Beschäftigungsdauer von 4,0 Stunden 32,00 DM.

Mit Widerspruchsbescheid vom 21. Juli 1999 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Auch ein nicht entgeltliches Beschäftigungsverhältnis von mindestens 15 Stunden schließe die Arbeitslosigkeit aus. Die Klägerin habe mindestens zwei Tage pro Woche entweder in der Frühschicht (9 Stunden abzüglich 0,5 Std. für Mittag) oder in der Mittagsschicht (9,5 Stunden abzüglich 0,5 Std. für Mittag) in der Pachttoilette des Hauptbahnhofes Z ... gearbeitet. Unerheblich sei, dass für diese Tätigkeit lediglich eine Entlohnung erfolgt sei, die einer wöchentlichen Arbeitszeit von vier Stunden entspreche. Da sie daher nicht mehr arbeitslos gewesen sei, habe die Klägerin keinen Anspruch auf Alhi mehr gehabt. Die Bewilligung sei gemäß § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X ab 01. April 1998 aufzuheben gewesen. Da sie grob fahrlässige Angaben gemacht habe, sei mit Wirkung zum Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufzuheben gewesen, § 330 Abs. 3 SGB III. Die Klägerin habe zwar die Nebenverdienstbescheinigungen eingereicht, diese seien jedoch hinsichtlich der Arbeitszeit fehlerhaft gewesen. Anhand des Merkblattes für Arbeitslose habe sie erkennen können, dass eine Nebenbeschäftigung, die 15 Stunden wöchentlich erreiche, Auswirkungen auf den Leistungsanspruch haben würde. Diesbezüglich hätte sie konkrete Angaben machen müssen, damit dem Arbeitsamt ermöglicht worden wäre, eine korrekte Beurteilung des Anspruchs auf Alhi vornehmen zu können.

Am 23. August 1999 ging bei dem Sozialgericht Chemnitz (SG) die Klageschrift der Klägerin ein. Es sei vom Sachverhalt fast alles korrekt. Soweit sie wisse, werde "bei zuviel Stunden und zuviel Geld" anteilsmäßig von der Alhi abgezogen. Damit habe sich lediglich das Arbeitsamt verrechnet. Das Arbeitsamt halte ihr vor, dass sie fahrlässig gehandelt habe. Dies könne sie nicht sagen. Ihren Verpflichtungen sei sie immer nachgekommen. Außerdem habe sie konkrete Angaben gemacht, indem sie "die ausgefüllten Formulare, die von der Firma ausgefüllt wurden" abgegeben habe. Somit habe auch dies das Arbeitsamt "erkennen müssen, was los ist" und sei auch verpflichtet gewesen, sie zu beraten. Sie lege Klage ein, weil der Abzug von der gesamten Alhi übertrieben und ungerechtfertigt sei. Sie "stehe auf dem Standpunkt, in den Formularen stehen meine geleisteten Stunden eindeutig drauf".

In der mündlichen Verhandlung am 06. August 2001 hat das SG die Klägerin persönlich gehört. Diese hat ausgeführt, die im Erfassungsbogen Bl. 86 der Beklagtenakte angegebenen Zeiten der Früh- oder Mittagszeit bezögen sich auf die Anwesenheit vor Ort, nicht auf die Arbeitszeit. Die Arbeitszeit habe tatsächlich 16,0 Stunden monatlich betragen. Das Nettoeinkommen habe 128,00 DM betragen. Die Abrechnung sei in der Weise vorgenommen worden, dass zunächst die Arbeitgeberin einmal im Monat oder zweimal im Monat, später dann eine Vorarbeiterin monatlich gekommen sei und die Einnahmen mit ihr abgerechnet worden seien.

Mit Urteil vom 06. August 2001 hat das SG der Klage stattgegeben und den Bescheid vom 15. Juni 1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. Juni 1999 aufgehoben.

Die Klägerin sei an zwei Tagen in der Woche für jeweils zwei Stunden, mithin vier Stunden in der Woche und 16 Stunden im Monat einer entgeltlichen Beschäftigung nachgegangen und habe ein monatliches Nettoeinkommen von 128,00 DM erzielt. Die Klägerin habe in der mündlichen Verhandlung klargestellt, dass sich die Zeitangaben im Erfassungsbogen vom 10. März 1999 auf die Ortsanwesenheit und nicht auf die Arbeitszeit bezogen hätten. Hierfür spreche auch das zur Verwaltungsakte gelangte Schreiben des Arbeitgebers vom 17. November 1999, in dem noch einmal bestätigt werde, dass die Klägerin "mit 16 Stunden monatlich und einem Nettoeinkommen von 128,00 DM beschäftigt" gewesen sei. Es sei zwar noch zu berücksichtigen gewesen, dass auch ein unentgeltliches Beschäftigungsverhältnis ein solches im Sinne des § 118 Abs. 1 Nr. 1 SGB III darstellen könne. Bei fehlender Entgeltlichkeit bedürfe es jedoch einer eingehenden Prüfung der das Beschäftigungsverhältnis charakterisierenden persönlichen Abhängigkeit. Einer solchen persönlichen Abhängigkeit dergestalt, dass die Klägerin auch im Hinblick auf die unentgeltliche Tätigkeit dem Arbeitgeber gegenüber verpflichtet und mithin beschäftigt gewesen sei, stünden die Angaben des Arbeitgebers im Schreiben vom 17. November 1999 entgegen. Darin habe er ausdrücklich ausgeführt: "Sollten die Frauen mehr gearbeitet haben, geschah das nicht mit unserer Absprache und auch ohne Vergütung." Habe es mithin an einer Absprache zwischen Klägerin und Arbeitgeber darüber gefehlt, sich über die bezahlte Arbeitszeit hinaus am Arbeitsplatz aufzuhalten, sei eine persönliche Abhängigkeit der Klägerin gegenüber ihrem Arbeitgeber von vornherein auszuschließen, ohne das es noch weiterer Sachaufklärung bedurft habe.

Hiergegen richtet sich die am 18. Oktober 2001 eingegangene Berufung der Beklagten. Diese meint, die Klägerin sei mehr als 15 Stunden wöchentlich abhängig beschäftigt gewesen. Die Aufhebungsvoraussetzungen lägen vor.

Sie beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Chemnitz vom 06. August 2001 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie meint, die effektive Arbeitszeit habe bei 16 Stunden monatlich gelegen. Im Fragebogen habe sie die Anwesenheitszeit "vor Ort" angegeben.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge und die Leistungsakte der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

1. Die Berufung ist statthaft, da der Wert des Beschwerdegegenstandes 1.000,00 DM übersteigt, § 144 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGG in der bis zum 31.12.2001 geltenden Fassung (a. F.). Darüber hinaus ist auch ein Zeitraum von mehr als einem Jahr betroffen, so dass die Statthaftigkeit auch aus § 144 Abs. 1 S. 2 SGG a. F. folgt. Die Berufung ist auch innerhalb der Frist des § 151 Abs. 1 SGG eingelegt worden.

2. Die Berufung ist auch begründet. Die Klägerin hat zwar - wie die Beklagte zutreffend festgestellt hat - in der Zeit vom 01.04.1998 bis zum 31.05.1999 Alhi materiell-rechtlich zu Unrecht bezogen.

Entgegen der Auffassung des SG handelte es sich auch bei den Zeiten, in denen die Klägerin über die bezahlte Stundenzahl hinaus in der Pachttoilette anwesend war, um im Rahmen des Beschäftigungsverhältnisses zu berücksichtigende Arbeitszeit. Wenn die Klägerin nicht die Toiletten sauber hielt und die Toilettenräume wischte oder kassierte, entfaltete sie zwar über die bloße Aufsicht hinausgehend keine Tätigkeit. Diese Aufsichtstätigkeit entsprach jedoch ebenfalls den Erwartungen des Arbeitgeberin. Damit ist davon auszugehen, dass die Arbeitgeberin mit der Wahrnehmung der Aufsicht rechnete. Dass dies so war, hat die Klägerin aus ihrer laienhaften Erkenntnis heraus auch bestätigt. Mithin ist angesichts der tatsächlichen Umstände von einer - konkludenten - Verpflichtung der Klägerin zu einer über die bezahlte Stundenzahl hinausgehenden weiteren Anwesenheit im beiderseitigen Einvernehmen auszugehen. Bei der - unbezahlt gebliebenen - weiteren Anwesenheit der Klägerin in der Pachttoilette handelte es sich - auch dann, wenn sie keine Aufsicht geführt hätte - um Zeiten der Arbeitsbereitschaft. Hierbei handelt es sich um Zeiten wacher Achtsamkeit im Zustand der Entspannung (vgl. BSG SozR 4100 § 112 Nr. 22). Die Tatsache, dass die grundsätzlich zu vergütende Arbeitsbereitschaft im vorliegenden Fall unvergütet blieb, ändert an der Beurteilung dieser Zeiten als Arbeitszeit nichts.

Nach § 118 Abs. 2 Satz 1 SGB III schließt nur die Ausübung einer weniger als 15 Stunden wöchentlich umfassenden Beschäftigung Beschäftigungslosigkeit und damit ein gemäß § 118 Abs. 1 Nr. 1 SGB III essenzielles Erfordernis für das Vorliegen von Arbeitslosigkeit nicht aus. Mit anderen Worten liegt bei einem Beschäftigungsverhältnis, das - wie hier - einen zeitlichen Umfang von 15 Stunden wöchentlich erreicht, Arbeitslosigkeit nicht vor.

Die Klägerin war daher ab dem 01. April 1998 nicht mehr arbeitslos.

Der von der Beklagten vorgenommenen Aufhebung der Bewilligungsentscheidung steht jedoch die Bindungswirkung (§ 77 SGG) der Bewilligungsbescheide vom 03.11.1997 und vom 31.08.1998 entgegen, ebenso wie der für die Zeit ab dem 24.09.1998 angesichts der Sachlage an sich vorzunehmen gewesenen Rücknahme des Bewilligungsbescheides vom 31.08.1998.

Die Bindungswirkung des nach seinem Erlass rechtswidrig gewordenen Bewilligungsbescheides vom 03.11.1997 wie auch des bereits bei seinem Erlass rechtswidrig gewesenen Bewilligungsbescheides vom 31.08.1998 konnte die Beklagte nicht rechtmäßig durchbrechen, weil die gemäß § 24 SGB X erforderliche Anhörung nicht erfolgt ist (s. unten 2.1.). Im übrigen lagen auch die Voraussetzungen der §§ 45, 48 SGB X i. V. m. 330 Abs. 2 bzw. 3 SGB III nicht vor (hierzu siehe unten 2.2 und 2.3) Im Einzelnen:

2.1. Gemäß § 24 SGB X ist den Beteiligten Gelegenheit zu geben, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern, bevor ein Verwaltungsakt erlassen wird, der in Rechte des Beteiligten eingreift. Entscheidungserhebliche Tatsachen i. S. v. § 24 Abs. 1 SGB X sind alle Tatsachen, auf welche die Behörde den Verfügungssatz - nach ihrer rechtlichen Ansicht - objektiv hat stützen wollen (vgl. von Wulffen, SGB X, 4. Aufl., Rdnr. 8 zu § 24 SGB X m. w. N.). Da die Beklagte die Aufhebungsentscheidung auf die Tatsache stützen wollte, dass die Klägerin grob fahrlässig nicht erkannt habe, dass die Leistungsvoraussetzungen wegen der Aufnahme einer Beschäftigung von (mindestens) 15 Stunden wöchentlich nicht mehr vorlagen, hätte sie diese Tatsache der Klägerin vor Erlass des Aufhebungsbescheides mitteilen müssen. Im Anhörungsschreiben ist diese Tatsache jedoch nicht enthalten. Dort wird lediglich darauf hingewiesen, dass die Voraussetzungen für den Bezug von Alhi wegen der Ausübung einer 15 Stunden wöchentlich umfassenden Beschäftigung seit dem 01.04.1998 nicht mehr vorlägen.

Die gemäß § 41 Abs. 2 SGB X sowohl in der bis zum 31.12.2000 geltenden Fassung (a. F.) wie auch in der ab dem 01.01.2001 geltenden Fassung (n. F.) - zu unterschiedlichen Zeitpunkten - mögliche Heilung des Verfahrensfehlers ist nicht dadurch erfolgt, dass die Klägerin im Rahmen des Widerspruchsverfahrens die Möglichkeit gehabt hätte, sich zu äußern (vgl. hierzu Wiesner in von Wulffen, a. a. O., Rdnr. 7 zu § 41 m. w. N.). Für eine solche Heilung muss der Bescheid alle entscheidungserheblichen Tatsachen so unterbreiten, dass der Betroffene sie als entscheidungserheblich erkennen und sich zu ihnen sachgerecht äußern kann (vgl. Wiesner, a. a. O., sowie von Wulffen, Rdnr. 10 zu § 24 SGB X m. w. N.). So liegt der Fall hier jedoch gerade nicht, da der Klägerin im Aufhebungsbescheid wie auch im weiteren Verlauf des Vorverfahrens nicht mitgeteilt wurde, dass die Aufhebungsentscheidung auf dem Vorwurf grob fahrlässiger Falschangaben und grob fahrlässiger Unkenntnis des Wegfalls der Leistungsvoraussetzungen beruhte, obwohl die Beklagte ihre Entscheidung hierauf stützen wollte.

Hierzu hat die Klägerin sich in keinem Stadium des Verwaltungsverfahrens zielgerichtet äußern können. Diese Tatsache wurden erst im Widerspruchsbescheid angegeben.

Der Anhörungsmangel kann gemäß § 41 Abs. 2 SGB X a. F. nicht mehr geheilt werden. § 41 Abs. 2 SGB X n. F. gilt nicht für Verfahren, in denen - wie hier - die letzte Verwaltungsentscheidung vor dem 01.01.2001 getroffen wurde (vgl. Urteile des BSG vom 12.06.2001 - B 4 RA 37/00 R und B 4 RA 4/01 R, Entscheidung des Senats vom 22.02.01 - L 3 AL 56/00). Die angefochtenen Bescheide waren daher gemäß § 42 S. 2 SGB X aufzuheben.

2.2. Ergänzend und hilfsweise wird zudem Folgendes ausgeführt: Die Bindungswirkung des rechtswidrig gewordenen Bewilligungsbescheides vom 03.11.1997 hätte angesichts dessen, dass in den tatsächlichen Verhältnissen, die dem Erlass dieses Bescheides zugrunde lagen, durch die Aufnahme einer versicherungspflichtigen Beschäftigung eine Änderung eingetreten war, nur dann durchbrochen werden können, wenn die Voraussetzungen des § 48 SGB X vorgelegen hätten.

Nach dieser Norm ist dann, wenn in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, der Verwaltungsakt bei Vorliegen der Voraussetzungen von § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufzuheben.

Bei dem hier gegebenen Sachverhalt kommen lediglich die Fallgestaltungen von § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 und 4 SGB X in Betracht. Danach soll der Verwaltungsakt mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit - der Betroffene einer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger Änderungen der Verhältnisse vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen ist (Nr. 2 - hierzu siehe unten 2.2.1.) oder - der Betroffene wusste oder nicht wusste, weil er die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat, dass der sich aus dem Verwaltungsakt ergebende Anspruch kraft Gesetzes zum Ruhen gekommen oder ganz oder teilweise weggefallen ist (Nr. 4 - s. hierzu unten 2.2.2.).

2.2.1. Die Klägerin hat gegenüber der Beklagten keine (mindestens) grob fährlässig falschen Angaben im Sinne von § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB X gemacht.

Die Mitteilung , dass eine den zeitlichen Umfang von mindestens 15 Stunden wöchentlich erreichende Beschäftigung aufgenommen wurde, ist nicht grob fahrlässig unterblieben. Es ist nicht festzustellen, dass die Klägerin ihre Mitteilungspflicht unter Berücksichtigung ihrer individuellen Einsichts- und Urteilsfähigkeit ihre Sorgfaltspflichten insoweit in außergewöhnlich hohem Maße, d. h. in einem das gewöhnliche Maß an Fahrlässigkeit erheblich übersteigenden Ausmaß (vgl. zu dieser Definition der groben Fahrlässigkeit Wiesner in von Wulffen, a. a. O., Rndr. 24 zu § 45 SGB X m. w. N.), verletzt hätte.

Der Klägerin ist unter Berücksichtigung dieser Vorgaben nicht mit der erforderlichen Sicherheit vorwerfbar, mit Abgabe der Bescheinigungen über die Nebenbeschäftigung auch für sie selber erkennbar falsche Angaben gemacht zu haben.

Die Klägerin war in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat nach dessen Überzeugung natürlich und ungekünstelt aufgetreten. Ihre Angaben erschienen glaubwürdig. Es trat zu keinem Zeitpunkt der Eindruck auf, dass sich die Klägerin verstelle. Insbesondere wirkte die Klägerin auch insoweit glaubwürdig, als sie auf Befragen des Senats mehrfach die 15-Stunden-Grenze hinsichtlich der maßgebenden Zeiteinheit (Woche bzw. Monat) durcheinander brachte und insgesamt den Eindruck erweckte, mit den maßgebenden Differenzierungen und Begriffen nicht im Mindestmaß sachgerecht umgehen zu können. Angesichts dieses Eindrucks, den die Klägerin bei ihrer mündlichen Befragung durch den Senat vermittelte, so wie auch ihres beruflichen Werdeganges, konnte sich der Senat nicht davon überzeugen, dass die Klägerin unter Berücksichtigung ihrer individuellen Erkenntnisfähigkeit in der Lage war, die für die Beurteilung, was als Beschäftigungszeit zählt, wesentlichen Differenzierungen vorzunehmen und insbesondere zu erkennen, dass auch nicht bezahlte "Anwesenheitszeiten" insoweit von Bedeutung sind. Vielmehr ist die Klägerin nach Auffassung des Senats der festen Überzeugung gewesen, es habe sich bei den Zeiten ihrer Anwesenheit in der Pachttoilette um bei der maßgeblichen Beschäftigungszeit nicht mitzählende Zeiten gehandelt. In Anbetracht der zu Tage getretenen geistigen Struktur der Klägerin kann ihr nicht vorgeworfen werden, dass sie sich auf die in der Bescheinigung über die Nebentätigkeit gemachten Angaben des Arbeitgebers zur Stundenzahl verlassen hat, zumal sie von ihrem intellektuellen Horizont her dies auch angesichts der dem Lohn für sechzehn Stunden monatlich (vier Stunden wöchentlich) entsprechenden Entlohnung als schlüssig ansehen durfte.

2.2.2. Auch die Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 SGB X, die für die Aufhebung der Bewilligung von Alhi für die Zeit vom 01.04.1998 bis zum 23.09.1998 erforderlich gewesen wären, liegen nicht vor.

Bezugspunkt für das grob fahrlässige Nichtwissen ist nach dem Wortlaut des § 48 Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 SGB X die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes - also das Ergebnis der Tatsachenfeststellung und Rechtsanwendung durch die Behörde. Allerdings können "Fehler im Bereich der Tatsachenermittlung oder im Bereich der Rechtsanwendung", auch wenn sie nicht Bezugspunkt des grob fahrlässigen Nichtwissens sind, Anhaltspunkt für den Begünstigten sein, die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes selbst zu erkennen. Voraussetzung dafür ist aber, dass sich die tatsächlichen oder rechtlichen Mängel aus dem Bewilligungsbescheid oder anderen Umständen ergeben und für das Einsichtsvermögen des Betroffenen ohne Weiteres erkennbar sind (BSG, Urteil vom 08.02.2001, Seite 7, Az: B 11 AL 21/00 R). Nach der Legaldefinition in § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3, 2. Halbsatz SGB X liegt grobe Fahrlässigkeit vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat. Dies bedeutet, dass die Klägerin unter Berücksichtigung ihrer individuellen Einsichts- und Urteilsfähigkeit die in ihrer Personengruppe herrschende Sorgfaltspflicht in ungewöhnlich hohem Maße verletzt haben, mithin außer Acht gelassen haben musste, was im konkreten Fall jedem hätte einleuchten müssen (Wiesner in: von Wulffen, SGB X, 4. Aufl., Rdnr. 24 zu § 45 SGB X, BSG, Urteil vom 08.02.2001, Az.: B 11 AL 21/00 R).

Die Nichtbeachtung eines nachweislich ausgehändigten Merkblattes zu einem konkreten Leistungstatbestand wird im Allgemeinen grobe Fahrlässigkeit begründen, wenn dieses so abgefasst ist, dass der Begünstigte seinen Inhalt erkannt hat oder ohne Weiteres hat erkennen können und die Aushändigung noch nicht zu lange zurücklag (Wiesner, a. a. O., m. w. N.). Dies ist im vorliegenden Fall zu verneinen.

Der Klägerin war unter Berücksichtigung ihrer intellektuellen Einsichts- und Urteilsfähigkeit angesichts der Hinweise in dem Merkblatt für Arbeitslose, welches sie im Übrigen nicht zeitnah zur Aufnahme der Beschäftigung, sondern mehr als sechs Monate zuvor erhalten hatte, nicht ohne Weiteres einleuchtend und nachvollziehbar, dass mit dem Datum der Arbeitsaufnahme die Leistungsbewilligung nicht mehr zutraf.

Im Merkblatt 1 für Arbeitslose "Ihre Rechte, Ihre Pflichten", Stand April 1997, ist nicht erläutert, welche Tätigkeitszeiten bei der Ermittlung der 15-Stunden-Grenze, die ab Januar 1998 galt, mitzählen. Insbesondere darauf, dass die Zeiten der Arbeitsbereitschaft - auch wenn sie faktisch unbezahlt blieben - hierbei zu berücksichtigen seien, war in dem Merkblatt an keiner Stelle hingewiesen worden. Gleiches gilt hinsichtlich der zur Zeit der Aushändigung des Merkblattes noch geltenden 18-Stunden-Grenze. In Kapitel 6 des Merkblattes wird auf Seite 36 zwar ausgeführt: "Die Nebenbeschäftigung darf allerdings nur weniger als 18 Stunden pro Woche betragen." Es folgen jedoch lediglich Ausführungen zu der Frage, wann die maßgebliche Woche beginnt. Zu der Frage der zu berücksichtigenden Stunden sind keinerlei Hinweise gegeben.

Auch in Hinblick auf die hier vorliegende Fragestellung, ob die Klägerin grob fahrlässig nicht erkannt hatte, dass die Leistungsvoraussetzung Arbeitslosigkeit mit der Aufnahme der Tätigkeit in der Pachttoilette entfallen war, gelten die Ausführungen unter 2.2.1 zur individuellen (Nicht-)Vorwerfbarkeit dessen, dass die Klägerin nicht erkannt hatte, dass die Beschäftigung den für die (weitere) Arbeitslosigkeit höchst zulässigen zeitlichen Umfang überschritten hatte, entsprechend.

2.3. Auch die Voraussetzungen für die Rücknahme des den Bewilligungsabschnitt ab dem 24. September 1998 regelnden Bescheides vom 31.8.1998 liegen nicht vor. Dieser war zwar deshalb, weil die Klägerin nicht mehr arbeitslos war, bereits bei seinem Erlass materiell-rechtlich rechtswidrig. Es liegen jedoch weder die Voraussetzungen des § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X (insoweit wird auf die obigen Ausführungen unter 2.2.1 sinngemäß verwiesen) noch die Voraussetzungen des § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X (diesbezüglich wird auf die obigen Ausführungen unter 2.2.2 sinngemäß verwiesen) vor.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

4. Gründe für die Zulassung der Revision, § 160 Abs. 2 SGG, liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
Saved