L 2 U 36/98

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Chemnitz (FSS)
Aktenzeichen
S 14 U 20/96
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 2 U 36/98
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Zur Sehschärfenbestimmung und MdE-Bewertung, wenn ein Auge einen Visus von 1,0 oder besser hat und das verletzte Auge erheblichen Visus-Schwankungen (0,02 -0,2) unterliegt, deren Ursache nicht objektivierbar ist.
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Chemnitz vom 26. März 1998 wird zurückgewiesen. II. Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten. III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger aufgrund der anerkannten Folgen eines Arbeitsunfalls Anspruch auf eine Verletztenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung hat.

Der am ...1971 geborene Kläger wurde von einem Mitschüler am 22.12.1983 im Anschluss an die Weihnachtsfeier der Schule im Schulgebäude geschlagen. Er erhielt dabei einen heftigen Schlag mit der Faust auf sein rechtes Auge. Zwei Lehrerinnen mussten den im wahrsten Sinne des Wortes angeschlagenen Kläger nach Hause bringen. Das Hämatom am Auge und die Schmerzen klangen bald ab. Bei einer Schuluntersuchung wurde am 16.12.1985 auf dem rechten Auge ein Visus von 0,4 ermittelt und eine Überweisung zum Facharzt veranlasst (Bl 61 SG). Am 1.7.1986 wurde er von der ihn erstmals behandelnden Augenärztin H1 ... (Poliklinik Stadtzentrum) bei einem korrigierten rechtsseitigen Visus von 1/20 (Bl 59 SG) in das Krankenhaus eingewiesen. Am 2.7.1986 wurde beim Kläger im rechten Auge eine Ablösung der Netzhaut mit großem Orariss (Saumriss) festgestellt. Am 3.7.1986 wurde er operiert (Kryoretinopexie mit limbusparalleler Plombe). Das Anschweißen der Netzhaut mit Plombenaufnähung gelang. Der Kläger wurde am 18.7.1986 aus dem Krankenhaus entlassen. Der Entlassungsbefund für das rechte Auge lautete wie folgt: "sc [sine correctio] = 0,2 (LB) Nd 9 ... Gesichtsfeld-Außengrenzen R: oben bis nasal auf ca. 30° eingeschränkt" (Bl 50 SG).

In der Folgezeit ergaben sich folgende von der Augenärztin H1 ... und dem Augenarzt Dr. B1 ... für das rechte Auge festgestellte Visuswerte (Bl 57 bis 59 SG): 13.8.1986: sc 0,1 p[artiell?] 3.9.1986: sc 0,1 p[artiell?] 24.9.1986: sc 1/7,5 (~ 0,12) 17.10.1986: sc 1/15 (~ 0,06) 5.11.1986: sc 1/7,5 - 0,1 p[artiell?] 9.12.1986: sc 0,2 22.1.1987: sc 0,25 - 0,1 p[artiell] 3.3.1987: sc 0,2 (LR) 28.4.1987: 0,2 + 0,5/75 = 0,3 31.8.1987: +0,5/75 = 0,2 9.2.1988: +0,5/75° = 0,2 15.4.1988: +0,5/75° = 0,3 pp 26.9.1986: +0,5/75° = 0,2 27.3.1989: +0,5/75° = 0,2 24.8.1989: [sc ?] 0,2 6.11.1989: +0,5/75° = 0,2 mühsam.

Mit Schreiben vom 9.3.1987 forderten die Eltern des Klägers von der Schule Schadensersatz, die den Vorgang an die Staatliche Versicherung der DDR weiterleitete. Von dieser wurde eine Begutachtung veranlasst. Die Augenärztin H1 ... untersuchte den Kläger. In ihrem Gutachten vom 30.6.1987 ergab das korrigierte Sehvermögen bei +0,5/75° einen Visus von 0,3. Der Schaden wurde mit 5 % bewertet (Bl 25 BG). Daraufhin zahlte die Staatliche Versicherung der DDR 900 Mark an den Kläger. Am 14.6. und 23.6.1989 wandte sich der Vater des Klägers erneut an die Staatliche Versicherung der DDR und begehrte einen höheren Schadensersatz, weil der Kläger in seiner Berufswahl eingeschränkt sei und sich außerdem das gesunde Auge plötzlich oder im Laufe der Zeit verschlechtern könne. Erneut veranlasste die Staatliche Versicherung der DDR die Erstellung eines Gutachtens. In seinem Gutachten vom 30.10.1989 erhob der Oberarzt Dr. S1 ..., Augenklinik des Bezirkskrankenhauses F ..., K ..., folgenden Augenbefund (Bl 29 f BG):

"R sc 0,2 Nd 8 Gläser bessern nicht ... Stereosehen (mit 3-Stäbchengerät) vorhanden; Gesichtsfeld R in der Peripherie gering eingeschränkt; ..."

Der Grad des Körperschadens (GdK) wurde mit 10 % bewertet. Daraufhin gewährte die Staatliche Versicherung im Januar 1990 weitere 900 Mark. 1992 trat der Vater des Klägers an die Deutsche Versicherungs-AG heran, die jedoch eine Leistungspflicht ablehnte.

Am 15.3.1993 schrieb der Vater des Klägers an den Sächsischen Gemeindeunfallversicherungsverband und bat um Prüfung, ob ein Anspruch auf Verletztenrente bestehe. Zuständigkeitshalber wurde das Feststellungsverfahren an die Beklagte abgegeben. Sie holte bei MR Dr. J1 ..., Chefarzt der Augenklinik des Klinikums A ..., ein so genanntes "Erstes Rentengutachten (Augen)" ein, der bei der Untersuchung des Klägers am 6.10.1993 folgenden Befund am rechten Auge erhob (Bl 40 f BG):

Visus ohne Korrektion: 0,1; Visus mit Korrektion: fern (-1,0/+1,0/0°) 0,3 p[artiell] nah (-1,0/+1,0/0°) Nd 7 Text; Gesichtsfeld: Einschränkung des nasenwärts oberen Quadranten bis auf durchschnittlich 15°, sonst Außengrenzen voll; beidäugiges Sehen und Tiefensehen nicht vorhanden.

Die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) schätzte er auf 20 v.H., die er wörtlich wie folgt begründete:

"Aufgrund des fehlenden beidäugigen Sehens trägt Herr S ... keine Brille. Deshalb ist R. die Sehschärfe von 0,1 zugrunde zu legen."

Die Beklagte ließ den Kläger am 1.9.1994 erneut von dem Augenarzt Dr. K1 ... untersuchen, der in seinem Gutachten vom selben Tage (Bl 52 ff BG) zu dem Ergebnis kam, dass der Visus des Klägers rechts unkorrigiert 0,05 betrage und korrigiert (- 2,0/170°) 0,2 und Nd 7/40 cm. Bei der Prüfung am Polatest werde nur das linke Bild wahrgenommen. Eine Gesichtsfeldeinschränkung wurde verneint. Darüber hinaus verneinte er die Wahrscheinlichkeit eines Kausalzusammenhangs zwischen Faustschlag und Netzhautablösung. Letzterer Auffassung folgte die Beklagte nach Einholung einer Stellungnahme (vom 4.1.1995, Bl 62 BG) bei dem sie beratenden Augenarzt Dr. B2 ... nicht, der knapp, aber dezidiert die Wahrscheinlichkeit dieses Kausalzusammenhangs bejahte, jedoch den ebenfalls festgestellten Astigmatismus (Stabsichtigkeit) als unfallunabhängig bewertete. Mit Bescheid vom 8.3.1995 (Bl 67 BG) erkannte die Beklagte als Folgen des Unfalls des Klägers vom 22.12.1983 an:

Netzhautablösung mit Netz-Aderhautvernarbung durch Operation und Sehminderung sowie unbedeutende Gesichtsfeldeinschränkung nach Faustschlag auf das rechte Auge, welche keine rentenberechtigende MdE bedingen.",

lehnte es aber ab, eine Verletztenrente zu gewähren.

Dagegen erhob der Kläger Widerspruch. Im Wesentlichen stützte er sich auf mehrere augenärztliche Befunderhebungen, die er eingeholt hatte:

15.6.1995, Dr. B1 ...: korrigierter Visus (-1,25/+1,25/75°) 0,1; Gesichtsfeld mit zentralem Skotom ~ 15°; MdE um 25 v.H.; 25.7.1995, Dr. W1 ...: korrigierter Visus (-1,25/+1,75/75°) 0,16; Einengung des Gesichtsfeldes von oben um 25°; Skotom am hinteren Pol von etwa 20° oberhalb der Macula und an diese angrenzend; postoperativer Astigmatismus, funktionelle Einäugigkeit; MdE um 20 v.H.; 25.8.95, Dr. H1 ...: Visus 0,1, Gläser bessern nicht, Gesichtsfeld rechts defekt im oberen nasalwärtigen Quadranten; GdK 20 %.

Hieraus folge, dass die MdE mit 20 v.H. zu bewerten sei, weil zu dem eingeschränkten Visus eine erhebliche Gesichtsfeldeinschränkung, der Astigmatismus und das fehlende Stereosehen hinzukämen. Der Kläger wies ferner darauf hin, dass er unter einer Pollenallergie leide und hierdurch auch das gesunde Auge beeinträchtigt werde.

In seiner ergänzenden Stellungnahme vom 25.11.1995 führte Dr. B2 ... aus, dass selbst ein unfallbedingter Astigmatismus von 2 Dioptrien für die MdE-Bewertung unerheblich sei. Gleiches gelte für die unfallunabhängigen Auswirkungen der Pollenallergie. Bei den beigefügten augenärztlichen Befunden fielen die unterschiedlichen Werte zur zentra-Sehschärfe und zum Gesichtsfeld auf. Die Befunde seien nicht geeignet seine früheren Feststellungen zu entkräften. Mit Bescheid vom 20.12.1995 wies die Beklagte sodann den Widerspruch des Klägers zurück (Bl 99 ff BG).

Mit seiner dagegen vor dem Sozialgericht Chemnitz (SG) erhobenen Klage hat der Kläger sein Begehren weiterverfolgt. Wegen der Einzelheiten der Begründung und der beigefügten Anlagen wird auf Blatt 1 bis 33 der SG-Akte verwiesen.

Durch Beweisanordnung vom 9.9.1996 hat das SG Prof. Dr. S2 ... zum Sachverständigen auf augenärztlichem Fachgebiet bestimmt, der in seinem Gutachten vom 26.11.1996 (Bl 88 ff SG) im Anschluss an die Untersuchung des Klägers bei korrigiertem Visus für das rechte Auge folgende Werte ermittelt hat:

"0,5cyl-1,5/170° = 0,2; Nieden 8/30cm"

Bei vermindertem Kontrast, mit und nach Blendung (also bei nicht optimalen Prüfverhältnissen) betrug der Visus auf dem rechten Auge 0,1 oder weniger. Ein mit der Marke III/4 bezeichneter Ausfall des nasalen oberen Quadranten bei sonst regelmäßigen Außengrenzen ist beschrieben worden. Auf dem rechten Auge ist ein "deutlicher regulärer Astigmatismus" und auf dem linken Auge ein "geringer regulärer Astigmatismus" festgestellt worden. Der Astigmatismus sei nicht durch den Unfall verursacht, weil er schon präoperativ am 1.7.1986 in der Erstuntersuchung festgestellt worden sei. Er sei somit eher vorbestehend und nicht unfallbedingt gewesen, da Astigmatismus am ehesten durch eine Plombenoperation, aber nicht durch eine Augapfelprellung verursacht werden könne. Die unfallbedingte MdE ist auf 10 v.H. geschätzt worden. Der Gesichtsfeldausfall des schlechteren Auges bedinge ebenso wenig eine MdE wie das fehlende räumliche Sehen.

Gegen das Gutachten von Prof. Dr. S2 ... hat der Kläger eingewandt, der Sachverständige habe den MdE-Begriff nicht verstanden. Das "Funktionssystem Augen" sei insgesamt zu bewerten. Es dürfe nicht allein auf die unmittelbar durch den Unfall verursachten Verletzungsfolgen abgestellt werden. Das fehlende Stereosehen, der Astigmatismus rechts, der Gesichtsfeldausfall rechts, der Heuschnupfen und der Tränenfluss auf dem rechten Auge außerhalb der Zeiten des Pollenfluges seien in jedem Fall zu berücksichtigen. Im Übrigen müsse davon ausgegangen werden, dass der Astigmatismus unfallbedingt sei. Vor allem aber sei der Visus nicht richtig ermittelt worden. Seit 1991 sei der Visus mit 0,1 bzw. 0,16 gemessen worden. Außerdem hätte er die simulierten schlechteren Sehbedingungen (verminderter Kontrast, Blendung, nach Blendung) mit berücksichtigen müssen.

Ein erster Antrag des Klägers, den Augenarzt Dr. W2 ... als Gutachter nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zu hören (Bl 108, 125 SG), ist im Ergebnis deswegen erfolglos geblieben, weil Dr. W2 ... eine Begutachtung wegen fehlender Kompetenz bei derartigen Zusammenhangsbeurteilungen abgelehnt hat (Bl 139 SG). Hierauf hat der Kläger Sehtestbescheinigungen vom 6.5., 7.5. und 9.5.1997 datierend - von sechs Optikern vorgelegt, wonach auch bei korrigiertem Visus der Wert 0,1 nicht überschritten werde (vgl. Blatt 147 bis 152 der SG-Akte).

Das SG hat die bereits an dem Verfahren beteiligten augenärztlichen Sachverständigen Prof. Dr. S2 ..., Dr. J1 ... und Dr. B2 ... am 26.1.1998 um ergänzende Stellungnahmen gebeten (Bl 167 170 SG). Dr B2 ... hat am 28.1.1998 näher dargelegt, dass und warum der Gesichtsfeldausfall keine MdE bedinge. Insbesondere hat er darauf hingewiesen, dass der Gesichtsfeldausfall nur ein Teilausfall im unwichtigen nasenseitig oberen Quadranten sei (Blatt 171 bis 173 der SG- Akte). Dr. J1 ... hat in seiner Stellungnahme vom 2.2.1998 (Blatt 179 f. der SG-Akte) diese Einschätzung geteilt und ebenfalls näher erläutert. Zum Visus hat er ausgeführt:

"Die im Juni 1993 angegebene Sehschärfe betrug am rechten Auge ohne Glas 0,1, am linken Auge 1,0. Mit Korrektur konnte am geschädigten rechten Auge mit einem astigmatischen Glas von +1,0 in Achse 0° eine Sehschärfe von 0,3 partiell erreicht werden. In der Nähe wurden sogar nur mit Korrektion Nieden 7 Text erreicht. Bei Herrn S ... bestand kein beidäugiges Sehen und kein Tiefensehen. Subjektiv verspürte er mit dem Glas rechts kaum Besserung, so daß er die Brille nicht trägt, das heißt, die Minderung der Erwerbsfähigkeit würde zwar mit Brillenglaskorrektur nur 10 % betragen. Da aber eine Korrektion seitens des Herrn S ... abgelehnt wird, muß die Sehschärfe von 0,1 zugrunde gelegt werden. Daraus resultiert eine Minderung der Erwerbsfähigkeit durch die Verletzungsfolgen von 20 v.H ..."

Prof. Dr. S2 ... hat in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 13.1.1998 (Blatt 190 bis 192 der SG-Akte) darauf hingewiesen, dass die vom Kläger in das Verwaltungsverfahren eingeführten augenärztlichen Befunde eine deutlich andere Refraktion (Brillenkorrektur) aufwiesen (nämlich +0,5 dpt.), als die in seinem Gutachten vom 26.11.1996 zugrunde gelegte (-1,25 dpt.). Es sei anzunehmen, dass durch diese falsche Refraktion nicht das maximale Sehvermögen ermittelt worden sei. Die Untersuchungsgeräte der Optiker seien allesamt mit Visustestgeräten erhoben. Diese Geräte würden insbesondere bei okulären Pathologien wie z.B. nach Netzhautablösungen nicht exakt arbeiten und entsprächen auch nicht der DIN 58220 für Bestimmungen der Sehschärfe und seien somit für eine Begutachtung nicht relevant. Der Astigmatismus des Klägers sei nicht durch den Unfall verursacht. Notwendig sei dafür, dass es zu einer perforierenden Verletzung oder zu einer traumatischen Linsentrübung gekommen sei. Beides liege beim Kläger nicht vor. Zwar könne nicht ausgeschlossen werden, dass Astigmatismus auch durch eine Augapfelprellung verursacht werde. Ein wissenschaftlicher Erfahrungssatz hierüber bestehe aber nicht. Es handele sich dabei nur um eine Möglichkeit. Im Übrigen ergäbe sich auch bei unfallbedingter Verursachung aufgrund des Astigmatismus keine MdE, da er mit Gläsern korrigiert werden könne.

Die Beklagte hat noch eine weitere Stellungnahme von Dr. B2 ... vom 17.2.1998 vorgelegt (Blatt 194 der SG-Akte). Hierin wird ausgeführt, dass dem Kläger das Tragen einer Brille zugemutet werden könne. Eine Unverträglichkeit sei unwahrscheinlich. Die Ablehnung des Klägers mit der Begründung, die geringe Korrektur ergebe subjektiv keine Verbesserung, sei nicht bewertungsrelevant.

Der Kläger hat daraufhin vier augenärztliche Befunde vom 25.2.1998, 26.2.1998, 3.3.1998 und vom 11.3.1998 vorgelegt (Blatt 209 bis 215 der SG-Akte). Dabei ist ein Visus von 0,05, 0,1, 0,09 und 0,1 ermittelt worden. Ferner hat der Kläger Bestätigungen der Optiker, bei denen er sich jeweils eines Sehtests unterzogen hat, vorgelegt, wonach die Visustestgeräte der DIN 58220 entsprächen (Blatt 222 bis 228 der SG-Akte). Wegen des weiteren Vorbringens des Klägers wird auf Blatt 216 bis 221 und 229 f. der SG-Akte verwiesen.

Das SG hat die Klage mit Urteil vom 26.3.1998 abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die Ermittlung der maximalen Sehschärfe hänge insbesondere von der Ausstattung des Untersuchungszimmers und der angewandten Methodik des Sachverständigen ab. Das SG sei der Überzeugung, dass Prof. Dr. S2 ... die maximale Sehschärfe ermittelt habe, weil er als Lehrstuhlinhaber einer großen Augenklinik über besondere Erfahrung und Sachkunde verfüge. Auch Dr. J1 ... habe einen deutlich besseren Visus als 0,1 auf dem rechten Auge ermittelt. Das fehlende räumliche Sehvermögen bewirke keine eigenständige Erhöhung der MdE. Dieser Umstand sei in die MdE- Tabelle für Visusverluste bereits eingearbeitet. Der Gesichtsfeldausfall zeitige keine erheblichen Beeinträchtigungen beim Sehen. Den Ausführungen der Sachverständigen werde gefolgt. Der Heuschnupfen sei eine unfallunabhängige Erkrankung. Der Astigmatismus sei jedenfalls nach Auffassung aller Sachverständigen durch Gläser korrigierbar. Der Auffassung von Dr. J1 ... könne nicht gefolgt werden, dass die nicht korrigierte Sehschärfe für die Ermittlung der MdE zugrunde zu legen sei. Die MdE-Tabelle für Visusverluste gehe immer von korrigierten Visuswerten aus.

Mit seiner dagegen eingelegten Berufung macht der Kläger geltend, dass die Mehrzahl der Augenärzte den Visus des rechten Auges mit 0,1 oder schlechter angegeben habe. Das Gutachten von Dr. K1 ... sei schon deswegen nicht verwertbar, weil es unzutreffenderweise den Kausalzusammenhang zwischen Augapfelprellung und Netzhautablösung verneint habe. Dr. J1 ... habe nur eine partielle Korrektion für möglich angesehen. Dem von Prof. Dr. S2 ... mit der Messung beauftragten Mitarbeiter Dr. G1 ... müsse ein Fehler unterlaufen sein. Der sich aus den relevanten Messungen ergebende Durchschnittswert müsse entscheidend sein. Hiernach ergebe sich eine Visusverschlechterung, die mit einer MdE um 20 v.H. bewertet werden müsse. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf Blatt 1 bis 5 der LSG-Akte verwiesen.

Mit Schreiben des Senats vom 6.9.1999 ist der Kläger darauf hingewiesen worden, dass sich die richterliche Überzeugungsbildung nicht einfach an der Zahl der Köpfe orientiere, die für eine Meinung stünden. Maßgeblich sei die Überzeugungskraft des Gutachtens. Hinzu komme: Ein gutes Sehvermögen lasse sich nicht simulieren. Was man nicht sehe, könne man nicht erraten und damit den Eindruck eines besseren Sehvermögens erwecken. Maßgeblich sei daher der Befund, der das beste Sehvermögen bei korrigiertem Visus ausweise. Der Kläger ist vom Senat auf § 109 SGG hingewiesen worden. Dagegen hat der Kläger weiter umfänglich vorgetragen (vgl. Blatt 30 bis 62 der LSG-Akte) und nacheinander sowohl Dr. S3 ... und Prof. Dr. W3 ... als Gutachter benannt. Aufgrund eines weiteren Hinweisschreibens des Senats hat sich der Kläger zunächst auf Prof. Dr. W3 ... festgelegt und zugleich gefordert, dass dem Sachverständigen die Akten nicht ausgehändigt werden dürften und nur er persönlich die Messung vornehmen dürfe. In der Kostenanfrage an Prof. Dr. W3 ... hat der Senat diese Forderung übermittelt. Hierauf hat Prof. Dr. W3 ... wie folgt geantwortet (Blatt 87 der LSG-Akte):

"Weniger die Akteneinsicht als vielmehr die beabsichtigte Verweigerung derselben kann beim Gutachter Voreingenommenheit und Misstrauen provozieren (siehe Beweisanordnung). Da die Visusprüfung in der Begutachtung nach DIN (58220) durchgeführt wird, sind Zufälle weitgehend ausgeschlossen. Eine einmal festgestellte Sehschärfe, die auf dem Erkennen und richtigen Benennen von Sehzeichen beruht, kann nicht ohne Weiteres durch eine neue Untersuchung außer Kraft gesetzt werden. Sollte der Visus bei Wiederholung schlechter ausfallen, so ist er nur bei Verschlechterung des medizinischen Befundes glaubhaft. Vor Feststellung der MdE hat der Gutachter zu klären, ob die Sehschärfe mit den ärztlichen Untersuchungsergebnissen übereinstimmt. Zu diesem Zweck und auch zum Ausschluss einer Aggravation sind diverse Augenuntersuchungen sowie ein Vergleich mit Vorbefunden und Vorgutachten erforderlich. Ich möchte auch darauf hinweisen, dass evtl. zwei ambulante Untersuchungstermine erforderlich sind. Ich bin zu dieser Begutachtung nur bereit, wenn ich dazu gezwungen werde."

Mit Schreiben des Senats vom 17.5.2000 ist dem Kläger nahegelegt worden, sich doch mit einer umfassenden Begutachtung einschließlich Aktenübersendung einverstanden zu erklären. Daraufhin hat der Kläger Prof. Dr. W3 ... abgelehnt und Dr. S3 ... als Sachverständigen benannt, der seinerseits wohl aus Gründen der Arbeitsbelastung die Übernahme des Gutachtensauftrages abgelehnt hat. Sodann hat der Kläger am 10.10.2000 beantragt, den Augenarzt Dr. S1 ... als Sachverständigen zu hören, jedoch mit Schriftsatz vom 9.11.2000 einen Befund des Augenarztes Dr. S1 ... vom 7.11.2000 vorgelegt: ohne Korrektion 1/50, mit Korrektion (+1,5/- 1,5/160°) 0,08; Gesichtsfeldausfall rechts nasal oben 15° bis nach peripher; 20 v.H. bei Verträglichkeit der Brillenwerte (Blatt 110 der LSG-Akte). Am 20.12.2000 hat der Kläger beantragt, die Augenärztin Dr. H2 ... als Sachverständige nach § 109 SGG zu hören. Durch Beweisanordnung vom 13.2.2001 bzw. vom 17.4.2001 ist Dr. H2 ... zur Sachverständigen nach § 109 SGG bestimmt worden. Entsprechend den Wünschen des Klägers sind die Akten nicht mit übersandt worden. Das gesamte Gutachten" von Dr. H2 ... vom 7.5.2001 lautet wie folgt:

"r +0,75 -1,5 160 = 0,1 Visus l ohne Glas = 1,0 Gesichtsfeld r nasal oben gering eingeengt l regelrecht MdE der Unfallfolge: 20 %"

Am 31.5.2001 hat der Kläger beantragt, den Augenarzt Dr. S4 ... als Sachverständigen nach § 109 SGG zu hören. Der Senat hat durch Beweisanordnung vom 23.7.2001 Prof. Dr. U1 ... mit dem Ziel zum Sachverständigen nach § 106 SGG bestimmt, eine objektive Messung des Visus des Klägers durchzuführen. Prof. Dr. U1 ... hat mit Schreiben vom 22.8.2001 mitgeteilt, ihm sei eine unabhängige objektive Messung der Sehschärfe mit der erforderlichen Genauigkeit nicht möglich, und hat den Senat an Prof. Dr. Z1 ..., Direktor der Abteilung für Pathophysiologie des Sehens und Neuro-Ophthalmologie, Augenklinik des Universitätsklinikums T ... verwiesen (Blatt 161 der LSG- Akte). Daraufhin hat der Senat Prof. Dr. Z1 ... mit Beweisanordnung vom 12.9.2001 zum Sachverständigen bestimmt. Für Prof. Dr. Z1 ... hat die Oberärztin Dr. L1 ...r im Schreiben vom 22.10.2001 (Blatt 174 bis 176 der LSG-Akte) ausführlich dargelegt, dass sie sehr wohl in der Lage seien, mittels visuell evozierten Potentiale (VEPs) objektive Sehschärfebestimmungen durchzuführen. Diese Messmethode sei aber gerade in dem Sehschärfenbereich, der hier gutachtlich gefragt sei (Sehschärfe 0,1 oder kleiner 0,1) nicht genau genug, um eine Unterscheidung, ob hier eine Sehschärfe von 0,1 oder 0,16 vorliege, zuzulassen. Mit der üblichen Sehschärfeprüfung nach DIN 58220 könne hier nach Lage der Akten keine verlässliche Aussage erreicht werden. Es komme noch eine weitere Methode in Betracht, die insbesondere an der Universitäts-Augenklinik F ... seit langem angewandt werde. Im Übrigen haben Prof. Dr. Z1 ... und Dr. L1 ... ausgeführt, dass hinsichtlich der anderen Punkte (Ursachenzusammenhang, Gesichtsfeldausfall, fehlendes räumliches Sehen) den Beurteilungen von Dr. B2 ... uneingeschränkt gefolgt werden könne. Durch Beschluss vom 1.11.2001 hat der Senat die entsprechende Beweisanordnung aufgehoben und nunmehr unter Übersendung der Schreiben von Prof. Dr. U1 ... sowie von Prof. Dr. Z1 .../ Dr. L1 ... sich an Prof. Dr. W4 ... mit der Bitte gewandt, einen Mitarbeiter als Gutachter zu benennen, sofern er nicht selbst die Begutachtung durchführen wolle. Für Prof. Dr. W4 ... hat Dr. M1 ... am 7.1.2002 mitgeteilt, dass auch der Freiburger Visustest für die Beantwortung der gutachtlich relevanten Frage nicht geeignet sei. Auch der Freiburger Visustest könne als psycho-physische Untersuchungsmethode eine Aggravation oder Simulation nicht aufdecken. Eine Unterscheidung danach, ob der Kläger an dem erkrankten Auge eine Sehschärfe von 0,16 oder 0,1 und damit eine Minderung der Erwerbsfähigkeit im rentenberechtigenden Grade habe, sei nicht objektiv möglich. In Betracht kämen Simulationstests, die heimatnah möglich seien (Blatt 192 der LSG-Akte). Mit Schreiben vom 7.2.2002 hat der Senat Prof. Dr. G2 ... um eine gutachtliche Stellungnahme gebeten (Blatt 196 der LSG-Akte). Prof. Dr. G2 ... hat offenbar unter Außerachtlassung der vorgenannten Schreiben, obwohl auf sie im Schreiben des Senats hingewiesen worden war, die vom Senat gestellte Frage, nach anderen objektiven Messmethoden unter Hinweis auf die Universitäten F ... und T ... beantwortet. Im Übrigen hat er die Ausführungen von Prof. Dr. S2 ... zu den Gründen der abweichenden Visus-Feststellungen (Blatt 191 der SG-Akte) bestätigt. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf Blatt 202 bis 204 der LSG-Akte verwiesen. Gegen das Schreiben des Senats vom 7.2.2002 an Prof. Dr. G2 ... hat sich der Kläger mit verschiedenen Einwürfen gewandt (Blatt 205 bis 211 der LSG- Akte) und einen von Dr. S4 ... erhobenen Augenbefund zum rechten Auge vorgelegt (ohne Korrektur 0,1; eine Korrektur verbessert nicht; MdE 20 v.H.). Gegen das Gutachten von Prof. Dr. G2 ... hat der Kläger im Wesentlichen eingewandt, der Sachverständige habe nicht sorgfältig die Fragen des Senats beantwortet (Blatt 220 bis 223 der LSG- Akte).

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Chemnitz vom 26. März 1998 aufzuheben und den Bescheid der Beklagten vom 8. März 1995 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Dezember 1995 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger eine Verletztenrente nach einer MdE um 20 v.H. zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das Urteil des SG für zutreffend und sieht sich durch die gutachtlichen Äußerungen von Prof. Dr. G2 ... in ihrer Auffassung bestätigt.

Dem Senat liegen die Verwaltungsakten der Beklagten und die Verfahrensakten beider Rechtszüge vor.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist unbegründet. Das SG hat zu Recht die gegen den eine Verletztenrente versagenden Bescheid der Beklagten vom 8.3.1995 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.12.1995 gerichtete Anfechtungsklage abgewiesen. Der Kläger hat keinen Anspruch auf eine Verletztenrente. Demzufolge bleibt auch die Leistungsklage ohne Erfolg.

Aufgrund des insoweit bestandskräftig gewordenen Bescheides steht zwischen den Beteiligten fest, dass die körperliche Misshandlung des Klägers durch einen Mitschüler einen Arbeitsunfall darstellt, der zumindest die dort näher bezeichneten Schädigungsfolgen verursacht hat, und dass die Beklagte grundsätzlich leistungszuständig ist.

Streitig ist allein die Frage, ob der Kläger so schwer verletzt wurde, dass er nunmehr deswegen einen Anspruch auf Verletztenrente hat. Ihre Beantwortung richtet sich hier nach §§ 215 Abs. 6, 56 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) i.V.m. § 1154 Reichsversicherungsordnung (RVO). Nach § 56 Abs. 1 Satz 1 SGB VII besteht ein Anspruch auf Verletztenrente nur dann, wenn der Versicherte, dessen Erwerbsfähigkeit infolge des Arbeitsunfalls über die 26. Woche nach seinem Eintritt hinaus um wenigstens 20 v.H. gemindert ist. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit richtet sich gemäß § 56 Abs. 2 Satz 1 SGB VII nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens. Die Ermittlung der MdE bei Augenverletzungen ist derzeit durch "die Grundsätze zur Beurteilung der Minderung der Erwerbsfähigkeit bei Augenverletzungen" (im Folgenden: "Grundsätze") nach dem Stand vom 20.4.1994, wie sie sich aufgrund einer Besprechung am 16.2.1994 ergeben haben (abgedruckt in HVBG-INFO 1994, 1075 ff.) konkretisiert. An dieser Besprechung waren beteiligt, die DOG, der BVA, der Hauptverband der gewerblichen Berufsgenossenschaften e.V. sowie Vertreter des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung.

Die Beurteilung, in welchem Umfang die körperlichen und geistigen Fähigkeiten des Verletzten durch die Unfallfolgen beeinträchtigt sind, liegt in erster Linie auf ärztlich- wissenschaftlichem Gebiet. Ärztliche Meinungsäußerungen darüber, inwieweit derartige Beeinträchtigungen sich auf die Erwerbsfähigkeit auswirken, haben keine verbindliche Wirkung; sie sind aber eine wichtige und vielfach unentbehrliche Grundlage für die richterliche Schätzung der MdE, vor allem soweit sie sich darauf beziehen, in welchem Umfang die körperlichen und geistigen Fähigkeiten des Verletzten durch Unfallfolgen beeinträchtigt sind (vgl. BSG SozR 2200 § 581 Nrn. 22 und 23 m.w.N.; Brackmann/Burchardt, Handbuch der Sozialversicherung, Gesetzliche Unfallversicherung, SGB VII, 12. Aufl. § 56 Rn. 67 f). Bei der Beurteilung der MdE sind aber auch die zumeist in jahrzehntelanger Entwicklung von der Rechtsprechung sowie von dem versicherungsrechtlichen und versicherungsmedizinischen Schrifttum herausgearbeiteten allgemeinen Erfahrungssätze zu beachten, die zwar nicht für die Entscheidung im Einzelfall bindend sind, aber Grundlage für eine gleiche, gerechte Bewertung der MdE in zahlreichen Parallelfällen der täglichen Praxis bilden und einem ständigen Wandel unterliegen (vgl. BSG SozR 2200 § 581 Nrn. 23 und 27; Brackmann/Burchardt, a.a.O., Rn. 71). Bei einer Vielzahl von Unfallfolgen haben sich im Laufe der Zeit für die Schätzung der MdE Erfahrungswerte herausgebildet. Sie sind in Form von Rententabellen oder Empfehlungen zusammengefasst und dienen als Anhaltspunkte für die MdE-Einschätzung im Einzelfall. Die in den Tabellen und Empfehlungen enthaltenen Richtwerte bilden lediglich die Basis für einen Vorschlag, den der medizinische Sachverständige zur Höhe der MdE unterbreitet, und gewährleisten, dass alle Betroffenen bei der medizinischen Begutachtung nach einheitlichen Kriterien beurteilt werden (Ruppelt in: Schulin, HS-UV, § 48 Rn. 28). Den in den "Grundsätzen" enthaltenen MdE-Tabellen kommt nicht der Rechtscharakter einer gesetzlichen Norm zu (vgl. Pense, Die Rechtsnatur von MdE-Tabellen, 1995, S 37, 58 und 155; siehe ferner Wiester, NZS 2001, 630 ff. m.w.N.). Sie können vielmehr als antizipierte Sachverständigengutachten angesehen werden (vgl. Pense, a.a.O., S 98, 142 f. und 155), um den unbestimmten Rechtsbegriff der MdE auszufüllen (so allgemein auch BSG SozR 3-2200 § 51 Nr. 5).

Nach den "Grundsätzen" ist die Erwerbsfähigkeit aufgrund einer verletzungsbedingten Visusminderung auf einem Auge bei einem Visus von 1,0 auf dem unverletzten Auge erst dann in rentenberechtigendem Grade gemindert, wenn der nach Korrektion verbleibende Visus weniger als 0,16 bzw. 5/30 beträgt. Die Untersuchung des Visus hat grundsätzlich nach DIN 58220 zu erfolgen. Aufgrund der durchgeführten Untersuchungen muss zur vollen Überzeugung (Gewissheit) des Gerichts feststehen, dass der genannte Visus nicht erreicht wird. Vernünftige Zweifel dürfen nicht bestehen bleiben. Bei nicht weiterer Aufklärbarkeit gehen sie zu Lasten des Anspruchstellers. Er trägt die objektive Beweislast dafür, dass die Voraussetzungen für die Annahme einer rentenberechtigenden Visusminderung vorliegen. So verhält es sich hier. Der Senat kann sich keine Gewissheit darüber verschaffen, dass beim Kläger der optimal korrigierte Visus des rechten Auges im Durchschnitt unter 0,16 liegt.

Vorliegend kommen alle Sachverständigen, die im Verwaltungsverfahren und im SG-Verfahren den Kläger untersucht haben, zu dem Ergebnis, dass die korrigierte Visusminderung keinen rentenberechtigenden Grad erreicht. Dies gilt auch für Dr. J1 ... Er begründet in rechtlich unzulässiger Weise seine vom eigenen Untersuchungsergebnis abweichende rechtliche Einschätzung damit, der Wille des Klägers, keine Brille tragen zu wollen, weil subjektiv keine Verbesserung der Sehschärfe bei beidäugigem Sehen zu bemerken sei, sei beachtlich. Maßgeblich sei daher der Visus ohne Korrektion. Dies entspricht jedoch nicht den in den "Grundsätzen" enthaltenen Vorgaben, die der Senat als maßgeblich ansieht. Nach DIN 58220, auf die in den "Grundsätzen" verwiesen wird, ist zur Ermittlung der zentralen Sehschärfe die optimal verträglich Brillenkorrektur maßgeblich. Zudem hat Prof. Dr. G2 ...n darauf hingewiesen, dass zerebral in der Regel nur das Bild des besseren Auges wahrgenommen und verwertet werde. Würde sich das Bild des schlechteren Auges über das des besseren legen, wäre das Gesamtergebnis, die beidäugige Gesamtsehschärfe, schlechter. Dies überzeugt den Senat. Die weitgehende Bedeutungslosigkeit des schwächeren Auges für die Sehschärfe stellt bei deutlich voneinander abweichenden Visuswerten eine typische Folge dar, die bei der MdE-Bewertung nicht gesondert berücksichtigt werden darf.

Allerdings hat der Kläger etliche augenärztliche Befunde vorgelegt, die, mit Ausnahme des von Dr. W1 ... ermittelten Befundes, unter der Schwelle von 0,16 liegen. Warum die Visuswerte hier schlechter sind als die im Rahmen der Begutachtungen erhobenen, ist für den Senat nicht nachvollziehbar. Will man dem Kläger nicht Aggravation unterstellen, können die Abweichungen darin begründet sein, dass entweder die niedergelassenen Augenärzte oder die Sachverständigen die Voraussetzungen der DIN 58220, im einen Falle zum Vorteil des Klägers, im anderen zu seinem Nachteil, nicht in ausreichendem Maße beachtet haben. Sie können auch darin begründet sein, dass einigen der Ärzte keine optimale Korrektion mit Brille gelungen ist. Nicht nachvollziehbar sind auch die Sprünge, die bei den einzelnen Messungen der niedergelassenen Ärzte auftreten (ohne Korrektur: 0,02 [Dr. S1 ...] bis 0,1 [Dr. H1 ..., Dr. S4 ...]). Allerdings weisen die nicht korrigierten Visuswerte der Sachverständigen Dr. J1 ... (0,1), Dr. K1 ... (0,05) und Prof. Dr. S2 ... (0,01) auch erhebliche Abweichungen auf. Jedoch hat eine Mehrheit der augenärztlichen Befunde und der von den Sachverständigen erhobenen Befunde zusammen einen nicht korrigierten Visus von 0,1 ergeben. Abweichend von den vom Kläger beigebrachten Befunden haben aber die Sachverständigen alle übereinstimmend einen korrigierten Visus von 0,2 bis sogar 0,3 (partiell) festgestellt. Selbst wenn man berücksichtigt, dass sich ein einzelnes Messergebnis nicht jedes Mal mit demselben Wert wiederholen lässt, sondern sehr wohl Abweichungen vorkommen können, wird hier gerade nicht deutlich, ob eine optimale Korrektion mittels Brille den Visus nicht doch in der Weise dauerhaft verbessern kann, wie dies von den Sachverständigen im Verwaltungs- und SG-Verfahren behauptet worden ist.

Hinzu kommt, dass die unterschiedlichen Werte auch kein eindeutiges zeitliches Muster ergeben. So hat der Kläger noch im Widerspruchsverfahren (im Juni und Juli 1995) Befunde von Augenärzten eingeholt, die deutlich von den Feststellungen von Prof. Dr. S2 ... abweichen, dessen Gutachten auf einer ambulanten Untersuchung des Klägers mehr als ein Jahr nach diesen Befunden beruht. Auch ist nichts, insbesondere auch keine organische Ursache für eine allmähliche Verschlechterung des verletzungsbedingt schon deutlich reduzierten Visus ersichtlich. Dies hat im gesamten Verfahren kein Augenarzt behauptet.

Die vom Kläger nach § 109 SGG benannte Sachverständige Dr. H2 ... hat letztlich nur einen Befund mitgeteilt. Damit der Senat gerade auf diese Messung seine Überzeugung stützen könnte, müsste im "Gutachten" von Dr. H2 ... eine Auseinandersetzung mit früheren Gutachten, insbesondere mit dem von Prof. Dr. S2 ..., erfolgen. So ist nicht klar, ob mit anderen Korrektionswerten, die denen von Prof. Dr. S2 ... oder einem anderen der früheren Gutachter entsprechen, andere Ergebnisse hätten erzielt werden können. Letztlich hat damit der von Dr. H2 ... erhobene Befund keine größere Aussagekraft als die anderen Befunde. Er weicht nur insoweit von einigen augenärztlichen Stellungnahmen (Dr. H1 ..., Dr. S4 ...) ab, als er einen korrigierten Visus zugrunde legt, also den Visus, wie die anderen Sachverständigen und einige vom Kläger einbezogene Augenärzte (Dr. B1 ..., Dr. W1 ..., Dr. S1 ...) für korrigierbar hält.

Der Senat hat, weil der Kläger im Rahmen der Beweiserhebung nach § 109 SGG auf eine letztlich untaugliche Beweisführung nachhaltig bestanden hat, die besonders eindrucksvoll auch dem Kläger durch das Schreiben von Prof. Dr. W3 ... vor Augen geführt worden ist, aus Gründen der sich aus dem Untersuchungsgrundsatz ergebenden Amtsermittlungspflichten nach einer Methode gesucht, die eine objektive Prüfung ermöglicht, ohne auf die subjektiven Angaben des Klägers und/oder die kommunizierende Mitwirkung eines Untersuchers angewiesen zu sein. Die Nachforschungen des Senats haben ergeben, dass es eine solche Methode nicht gibt, die hier in der Läge wäre, zwischen einem Visus von 0,1 und 0,16 zu unterscheiden. Im Übrigen hat der Senat davon Abstand genommen, den Empfehlungen von Prof. Dr. W4 ... und Dr. M1 ... zu folgen. Denn eine Begutachtung, die vornehmlich unter dem Gesichtspunkt des Ausschlusses der Aggravation und Simulation vorgenommen worden wäre, hätte nur insoweit einen Erkenntnisgewinn gebracht, wenn dem Kläger Simulation oder Aggravation hätte nachgewiesen werden können. Hätte hingegen ein derartiges Verhalten durch die Begutachtung ausgeschlossen werden können, wäre immer noch nicht klar, worin die Ursache für die unterschiedlichen Visuswerte liegt und was der durchschnittliche Visuswert bei optimaler Korrektion mit Brille ist.

Soweit der Kläger auch auf von ihm selbst eingeholte Befunde von Optikern hinweist und darüber hinaus durch Aussagen der Optiker belegt, dass die verwendeten Visustestgeräte der DIN 58220 entsprächen, sind die Befunde der Optiker unerheblich, weil es sich dabei entweder um den "Allgemeinen Sehtest" nach DIN 58220-5 oder um den "Straßenverkehrsbezogenen Sehtest" nach DIN 58220-6 handelt. Die vom Kläger vorgelegten "Sehtest-Bescheinigungen" vermerken ausdrücklich, dass sie im Hinblick auf § 9 a StVZO erstellt worden sind. Die Prüfung für "Gutachten" ist hingegen in DIN 58220-3 geregelt. Sie ist allein maßgeblich. Demgemäß heißt es auch in den Sehtest-Bescheinigungen: "Ist der Sehtest nicht bestanden oder bestehen sonstige Zweifel an ausreichendem Sehvermögen, so müssen Sie eine augenärztliche Untersuchung durchführen lassen." Prof. Dr. S2 ... hat darauf hingewiesen, dass die von den Optikern verwendeten Visustestgeräte bei okulären Pathologien wie z.B. nach Netzhautablösungen nicht exakt arbeiten würden. Prof. Dr. G2 ... hat auf Nachfrage durch den Senat u.a. hinsichtlich dieser Äußerung ausgeführt, dass ihr voll zuzustimmen sei. Der Senat hat daher keinen Zweifel, dass die von den Optikern beigebrachten Befunde nicht geeignet sind, den optimal korrigierten Visus des Klägers zu bestimmen. Zudem zeigen die völlig widersprüchlichen Auffassungen der Augenärzte, ob der Visus korrigierbar ist, welcher unkorrigierte Visuswert vorliegt und ausgehend von welchem unkorrigierten Visuswert er in welchem Umfang korrigiert werden kann, dass es sich hier nicht um einen Fall handelt, der durch einen Optiker zuverlässig diagnostiziert werden kann. Schließlich bleiben nicht behebbare Zweifel daran, ob den Optikern - selbst bei normgerechter Messung - die maximal erreichbare Gläserkorrektur gelungen ist (s.o. S 18).

Die MdE ist auch nicht aus anderen Gründe auf 20 v.H. anzuheben.

Soweit der Kläger im Rechtstreit darauf hingewiesen hat, dass das "Funktionssystem Augen" zu bewerten sei, beachtet er nicht hinreichend, dass die vorbestehende Pollenallergie den Visus auf dem besseren, linken Auge des Klägers nicht einschränkt. Jedenfalls liegen dem Senat keine ärztlichen Befunde vor, die eine dauerhafte Einschränkung des Visus in Gestalt eines chronisch entzündeten Auges vor dem Arbeitsunfall belegen würden, so dass der Visus auf dem linken Auge im Zeitpunkt des Arbeitsunfalls mit weniger als 1,0 bewertet werden müsste. Auch für die Zeit nach dem Arbeitsunfall fehlt es an entsprechenden augenärztlichen Feststellungen (zum Problem des Nachschadens bei endgültigem Verlust oder weitergehender Minderung des Sehvermögens durch arbeitsunfallfremde Ursachen vgl. Kater/Leube, SGB VII, § 8 Rn. 144 f.).

Es kann dahingestellt bleiben, ob der Astigmatismus Folge des Unfalls ist. Er ist jedenfalls für sich genommen korrigierbar, wie die Äußerungen der Sachverständigen belegen. Die Einschränkung des Gesichtsfeldes ist zwar Folge des Arbeitsunfalls. Alle Sachverständigen haben jedoch, soweit sie hierzu Stellung genommen haben, deutlich gemacht, dass der beim Kläger aufgetretene Gesichtsfeldausfall eine völlig untergeordnete Rolle spielt und keine eigene MdE-Bewertung rechtfertigt. Der Ausfall des Stereosehens ist bereits in die MdE-Tabelle eingearbeitet.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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