L 7 AS 1123/11

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
7
1. Instanz
SG Chemnitz (FSS)
Aktenzeichen
S 12 AS 5798/09
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 7 AS 1123/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Der Abschluss einer Eingliederungsvereinbarung mit einer Gültigkeit über den laufenden Zeitraum der Leistungsbewilligung hinaus ("soweit nicht zwischenzeitlich etwas anderes vereinbart wird") umfasst auch nicht konkludent einen Antrag auf Fortzahlung von Arbeitslosengeld II für den folgenden Bewilligungszeitraum.
2. Auch die Fortsetzung einer für 24 Monate geplanten Weiterbildungsmaßnahme umfasst nicht konkludent die Stellung eines Weiterbewilligungsantrages.
I. Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Chemnitz vom 29. November 2011 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind auch im berufungsverfahren nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt vom Beklagten Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für die Zeit vom 01.12.2008 bis zum 21.01.2009.

Die 1976 geborene, erwerbsfähige Klägerin steht seit 2005 im Leistungsbezug des Beklagten. Sie lebte im streitigen Zeitraum mit ihrer 2006 geborenen Tochter in einer Bedarfsgemeinschaft im Haus ihres Vaters, der von ihr keine Miete, aber einen monatlichen Vorschuss von 200,00 EUR für Betriebs- und Heizkosten verlangte. Mit dem vom Kindsvater gezahlten Unterhalt und Kindergeld konnte die Tochter L A ihren monatlichen Bedarf selbst decken.

Die Klägerin schloss am 21.08.2008 eine Eingliederungsvereinbarung mit dem Beklagten, der sich darin verpflichtete, einen Bildungsgutschein für eine Weiterbildung zur Kosmetikerin für maximal 24 Monate auszustellen, den er am selben Tag mit einer Gültigkeit vom 21.08.2008 bis 21.11.2008 erteilte. Die Klägerin verpflichtete sich, sich eine Weiterbildungsmaßnahme zu suchen und den Bildungsgutschein schnellstmöglich beim Beklagten einzureichen. Am 21.08.2008 wurde die Klägerin im Hinblick auf ihre gesundheitliche Eignung für die Umschulung zur Kosmetikerin ärztlich untersucht. Am 22.08.2008 bestätigte der Maßnahmeträger die Aufnahme der Klägerin in die vom 25.08.2008 bis 24.08.2010 dauernde Maßnahme. Die Klägerin sprach am 04.09.2008 beim Beklagten vor und reichte den Erhebungsbogen für die Umschulung ein. Der Beklagte bewilligte mit Bescheid vom 11.09.2008 die finanzielle Förderung der Maßnahme hinsichtlich der Lehrgangs-, Kinderbetreuungs- und Fahrtkosten.

Nachdem der Beklagte mit Bescheid vom 20.05.2008 der Klägerin monatliche Leistungen für den Zeitraum vom 01.06.2008 bis 30.11.20008 gewährt hatte, übersandte er der Klägerin mit Schreiben vom 02.10.2010 einen Weiterbewilligungsantrag, die Anlage EK und eine Einkommensbescheinigung und wies auf das ende der Bewilligung zum 30.11.2008 und wie folgt auf das Erfordernis der Antragstellung hin: "( ) Beachten Sie bitte, dass Leistungen frühestens ab dem Zeitpunkt der Antragstellung gewährt werden. Um Leistungsunterbrechungen im laufenden Bezug zu vermeiden, muss der Weiterbewilligungsantrag rechtzeitig vor Ablauf des aktuellen Bewilligungsabschnitts beim zuständigen Leistungsträger gestellt werden. ( )"

Am 22.01.2009 stellte die Klägerin einen Weiterbewilligungsantrag, auf den ihr der Beklagte mit Bescheid vom 20.05.2009 und Änderungsbescheid vom 11.09.2009 monatliche Leistungen für die Zeit vom 22.01.2009 bis 31.10.2009 gewährte. Am 24.06.2009 hatte der Prozessbevollmächtigte der Klägerin u.a. wegen des Bewilligungszeitraums Widerspruch gegen den Bewilligungsbescheid erhoben, weil die Klägerin Leistungen seit November 2008 begehre. Diesen wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 14.09.2009 als unbegründet zurück.

Am 14.10.2009 hat der Prozessbevollmächtigte beim Sozialgericht Chemnitz Klage erhoben, mit der er Leistungen für die Zeit vom 01.12.2008 bis 21.01.2009 begehrte. Der Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II ergebe sich aus dem Abschluss der Eingliederungsvereinbarung und der Fortführung der Weiterbildungsmaßnahme, weil die Klägerin damit sinngemäß einen Fortzahlungsantrag gestellt habe. Die Weiterbildungsmaßnahme mache nur Sinn, wenn die Klägerin auch zeitgleich Leistungen nach dem SGB II bekomme. Auch sei die Eingliederungsvereinbarung bis 22.02.2009 gültig gewesen. Dem ist der Beklagte entgegengetreten. Auf gerichtliche Anforderung hat er eine Kopie des Schreibens vom 02.10.2008 an die Klägerin sowie Ausdrucke der elektronischen Beratungsvermerke vom 21.08.2008, 04.09.2008 und vom 05.08.2008 übersandt.

Am 04.08.2010 hat die Klägerin erfolgreich die Gesellenprüfung als Kosmetikerin abgelegt.

Nach vorheriger Anhörung hat das Sozialgericht die Klage mit Gerichtsbescheid vom 29.11.2011 abgewiesen. Zu Recht habe der Beklagte die Bewilligung von Grundsicherungsleistungen ab dem 01.12.2008 abgelehnt, da ein Bewilligungsantrag nicht vorgelegen habe. Die Klägerin sei mit Schreiben vom 02.10.2009 ausdrücklich vom Beklagten an die Stellung eines Fortzahlungsantrages erinnert worden. Dieser sei erst im Januar 2009 gestellt worden. Auf den Fortzahlungsantrag könne nicht verzichtet werden. Die Eingliederungsvereinbarung sei im August 2008 geschlossen worden (mitten im Bewilligungszeitraum) und habe zum Gegenstand die Ausstellung eines Bildungsgutscheins gehabt. Hier sei nach dem Abschluss der Eingliederungsvereinbarung und dem ausdrücklichen Hinweis auf die (Weiter-)Beantragungspflicht von SGB II-Leistungen keine (auslegungsfähige) Reaktion der Klägerin erfolgt. Da die Klägerin nach dem Abschluss der Eingliederungsvereinbarung eine erneute Aufforderung zur Antragstellung erhalten habe, sei für sie zudem erkennbar gewesen, dass der Abschluss der Eingliederungsvereinbarung einen Fortzahlungsantrag nicht ersetze. Die Klägerin könne – und hierfür sei sie beweispflichtig – keine Antragstellung nachweisen und die Bewilligung von Leistungen ab dem 01.12.2008 sei abzulehnen.

Gegen den ihm am 30.11.2011 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin am 22.12.2011 beim Sächsischen Landessozialgericht Berufung eingelegt, mit der die Klägerin ihr Begehren weiter verfolgt.

Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin beantragt, den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Chemnitz vom 29.11.2011 aufzuheben und den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 20.05.2009 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 11.09.2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.09.2009 zu verurteilen, der Klägerin Leistungen nach dem SGB II für die Zeit vom 01.12.2008 bis 21.01.2009 nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen nebst Zinsen gemäß § 44 SGB I zu zahlen.

Der Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Er trägt vor, die Pflichten aus der Eingliederungsvereinbarung seien bereits im September 2008 mit der Einlösung des Bildungsgutscheins erfüllt gewesen. Die Fortsetzung der Weiterbildungsmaßnahme könnte allenfalls eine nicht vereinbarte Folgepflicht aus der Eingliederungsvereinbarung gewesen sein. Es ergebe sich keine Antragstellung allein aus der Fortsetzung der Bildungsmaßnahme.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Behördenakte (4 Bände; Band I-III Bl. 1-599 sowie eine Heftung Bildungsgutschein/Vermittlungsakte) verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Der Senat kann gemäß § 155 Abs. 3 und Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) durch die Berichterstatterin als Einzelrichter entscheiden, weil die Beteiligten hiermit ihr Einverständnis erklärt haben.

Die zulässige Berufung der Klägerin ist unbegründet. Zu Recht und mit zutreffender Begründung hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen, denn die bezogen auf den Zeitraum 01.12.2008 bis 21.01.2009 ablehnenden Bescheide des Beklagten vom 20.05.2009 und vom 11.09.2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.09.2009 sind insoweit rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 54 Abs. 2 SGG). Die Einzelrichterin des Senats schließt sich aus eigener Überzeugung den zutreffenden Ausführungen des Sozialgerichts an und sieht insoweit von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 153 Abs. 2 SGG).

Ergänzend ist lediglich Folgendes auszuführen: Ansprüche nach dem SGB II für die Zeit vom 01.12.2008 bis 21.01.2009 stehen der Klägerin nicht zu, weil hierfür keine gesetzliche Grundlage besteht. § 37 Abs. 2 Satz 2 SGB II in der damals geltenden Fassung steht dem entgegen. Ihr Weiterbewilligungsantrag ist erst am 22.01.2009 beim Beklagten eingegangen. Dass die Klägerin zu einem früheren Zeitpunkt einen Weiterbewilligungsantrag eingereicht hätte, hat sie nicht behauptet, sondern lediglich gegenüber dem Beklagten am 27.01.2009 angegeben, sie habe den Weiterbewilligungsantrag für die Zeit nach 30.11.2008 nicht erhalten. Hierauf kommt es jedoch nicht an, weil ein (Weiterbewilligungs-)Antrag nach § 37 Abs. 1 Satz 1 SGB II auch formlos gestellt werden kann (vgl. BSG, Urteil vom 16.05.2012 – B 4 AS 166/11 R, RdNr. 14, m.w.N.; SächsLSG, Urteil vom 15.05.2008 – L 2 AS 123/07, Juris, RdNr. 18).

Die Klägerin hat vor dem 22.01.2009 keinen Antrag auf Fortzahlung des Arbeitslosengeldes II für die Zeit vom 01.12.2008 bis 21.01.2009 gestellt. Es ist für das Gericht auch nicht erkennbar, dass sie nicht gewusst haben könnte, dass ihr Leistungen nur auf einen entsprechenden Fortzahlungsantrag ihrerseits zustehen. Für die Bewilligungszeiträume davor hatte sie stets fristgerecht derartige Anträge gestellt und auch sonst teilweise formlos und im Wesentlichen zeitgerecht auf Anfragen und Nachforderungen des Beklagten reagiert. Zuletzt waren ihr Leistungen bis zum 30.11.2008 bewilligt worden, was aus dem Bewilligungsbescheid vom 20.05.2008 ohne weiteres erkennbar hervorgeht. Hinzu kommt, dass der Beklagte der Klägerin mit Schreiben vom 02.10.2008 einen Weiterbewilligungsantrag zugesandt und damit nochmal vor Ablauf des laufenden Bewilligungszeitraums ausführlich und eindeutig auf das Erfordernis einer erneuten Antragstellung hingewiesen hat. Dieses Schreiben ist nicht zur Behördenakte zurückgelangt und die Klägerin hatte auch in der Zwischenzeit ihren Wohnsitz nicht verlegt. Damit ist der Beklagte seiner sich aus dem speziellen Sozialrechtsverhältnis ergebenden Pflicht, den Hilfebedürftigen vor dem Ablauf des letzten Bewilligungszeitraums über das Erfordernis eines Weiterbewilligungsantrag zu beraten (vgl. BSG, Urteil vom 16.05.2012, a.a.O., RdNr. 27), nachgekommen.

Der Abschluss der Eingliederungsvereinbarung am 21.08.2008 mit einer Gültigkeit bis 20.02.2009 ("soweit nicht zwischenzeitlich etwas anderes vereinbart wird") umfasst auch nicht konkludent einen Antrag auf Fortzahlung von Arbeitslosengeld II für den am 01.12.2008 beginnenden neuen Bewilligungszeitraum. Die wechselseitigen Verpflichtungen des Beklagten und der Klägerin hatten sich nämlich mit dem Antritt der Bildungsmaßnahme (Weiterbildung zur Kosmetikerin) durch die Klägerin am 25.08.2008 erledigt. Der Beklagte hatte sich (nur) zur Ausstellung eines Bildungsgutscheins verpflichtet, den er am selben Tag mit einer Gültigkeit vom 21.08.2008 bis 21.11.2008 erteilt hat. Der Maßnahmeträger, die KOMPKT – Schule mit Zukunft gemeinnützige Schulträgergesellschaft mbH, hat die Aufnahme der Klägerin in der Maßnahme "Umschulung zur Kosmetikerin" für die Zeit vom 25.08.2008 bis 24.08.2010 am 22.08.20080 bestätigt und den Bildungsgutschein beim Beklagten eingelöst. Damit hatte auch die Klägerin ihre Verpflichtung aus der Eingliederungsvereinbarung vom 21.08.2008, sich eine Weiterbildungsmaßnahme zu suchen und den Bildungsgutschein schnellstmöglich beim Beklagten einzureichen, schon wenige Tage nach Abschluss der Eingliederungsvereinbarung erfüllt. Allerspätestens mit Erlass des entsprechenden Bewilligungsbescheides am 11.09.2009, mit dem die Lehrgangs-, Kinderbetreuungs- und Fahrtkosten übernommen wurden, war die Eingliederungsvereinbarung tatsächlich vollständig erledigt.

Die Fortsetzung der für 24 Monate geplanten Weiterbildungsmaßnahme umfasst ebenso wenig konkludent die Stellung eines Weiterbewilligungsantrages. Abgesehen davon, dass die Teilnahme an einer Bildungsveranstaltung durch bloße körperliche Anwesenheit bzw. Mitarbeit beim Maßnahmeträger keine "Willenserklärung" gegenüber dem Beklagten darstellt, handelt es sich bei der Bewilligung von Zuschüssen für die Teilnahme an eine Weiterbildung (Lehrgangskosten usw.) und bei der Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II um unterschiedliche Sachverhalte. Hinzu kommt, dass auch im Bewilligungsbescheid vom 11.09.2008 für die Umschulung darauf hingewiesen worden war, dass beim Entfallen der Hilfebedürftigkeit die Maßnahme als Darlehen weiter gefördert werden könnte. Dieser Hinweis macht deutlich, dass die geförderte Maßnahme auch unabhängig vom Bezug von Leistungen nach dem SGB II fortgesetzt werden kann. Sämtliche Schreiben im Zusammenhang mit der geförderten Umschulung der Klägerin nehmen ausdrücklich Bezug auf die Teilnahme an einer Maßnahme der beruflichen Weiterbildung und unterscheiden sich inhaltlich sowie in Aufmachung und Gestaltung von Leistungsbescheiden nach dem SGB II. Ausweislich der Akten haben nach der Unterzeichnung der Eingliederungsvereinbarung am 21.08.2008 und nach Erlass des Bewilligungsbescheides vom 11.09.2008 auch keine Gespräche mehr mit der Klägerin stattgefunden. Es ergeben sich keine Anhaltspunkte, die Klägerin hätten veranlassen können anzunehmen, wegen der Eingliederungsvereinbarung oder wegen der Teilnahme an der Weiterbildungsmaßnahme sei ein Fortzahlungsantrag hinsichtlich der monatlichen Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts entbehrlich. Am 15.10.2008, 05.11.2008 und 27.11.2008 wurden lediglich Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen eingereicht. Ob dies wegen der Weiterbildung oder wegen etwaiger Leistungsansprüche geschehen ist, ist nicht zu erkennen.

Nach alledem ist die Berufung zurückzuweisen, so dass es nicht mehr darauf ankommt, ob die Voraussetzungen für einen Leistungsanspruch vorgelegen haben, insbesondere ob die Klägerin im hier streitigen Zeitraum auch hilfebedürftig gewesen ist.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 93 SGG.

Die Revision ist nicht zuzulassen, da Zulassungsgründe im Sinne des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.

Wagner Richterin am LSG
Rechtskraft
Aus
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