L 3 AS 605/18

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
3
1. Instanz
SG Dresden (FSS)
Aktenzeichen
S 29 AS 646/16
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 3 AS 605/18
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
1. Ein Rechtsanwalt genügt seiner Pflicht zur wirksamen Ausgangskontrolle fristwahrender Schriftsätze nur dann, wenn er seine Angestellten anweist, nach einer Übermittlung per Telefax anhand des Sendeprotokolls zu überprüfen, ob der Schriftsatz vollständig und an das richtige Gericht übermittelt worden ist. Erst danach darf die Frist im Fristenkalender gestrichen werden. Dabei darf sich die Kontrolle des Sendeberichts grundsätzlich nicht darauf beschränken, die auf diesem aufgedruckte Telefaxnummer mit der zuvor aufgeschriebenen, etwa in den Schriftsatz eingefügten Telefaxnummer zu vergleichen. Vielmehr muss der Abgleich anhand einer zuverlässigen Quelle, etwa anhand eines geeigneten Verzeichnisses, vorgenommen werden, aus der die Telefaxnummer des Gerichts hervorgeht, für das die Sendung bestimmt ist (vgl. BGH, Beschluss vom 19. Dezember 2017 – XI ZB 16/17FamRZ 2018, 610 = juris Rdnr. 7, m. w. N.).
2. Dem Erfordernis, durch organisatorische Anweisungen sicherzustellen, dass Fehler bei der Ermittlung der Telefaxnummer erfasst werden, kann auch durch die Anweisung genügt werden, die im Sendebericht ausgedruckte Telefaxnummer mit der schriftlich niedergelegten zu vergleichen, wenn sichergestellt ist, dass diese ihrerseits zuvor aus einer zuverlässigen Quelle ermittelt worden ist. Dies setzt aber voraus, dass zusätzlich die generelle Anweisung besteht, die ermittelte Telefaxnummer vor der Versendung auf eine Zuordnung zu dem vom Rechtsanwalt bezeichneten Empfangsgericht zu überprüfen.
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Dresden vom 24. April 2018 wird als unzulässig verworfen.

II. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts vom 24. April 2018 (Az.: S 29 AS 646/16) ist als unzulässig zu verwerfen (vgl. § 158 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes [SGG]). Die Berufung ist nicht in der gesetzlichen Frist eingelegt worden (vgl. § 151 SGG). Die Entscheidung konnte gemäß § 158 Satz 2 SGG durch Beschluss ergehen. Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung wurde nicht für erforderlich erachtet. Die Beteiligten wurden zur beabsichtigten Entscheidung durch Beschluss angehört.

a) Gemäß § 151 Abs. 1 SGG ist die Berufung bei dem Landessozialgericht innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen. Nach § 151 Abs. 2 SGG ist die Berufungsfrist auch gewahrt, wenn die Berufung innerhalb der Frist bei dem Sozialgericht schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eingelegt wird. In diesem Fall legt das Sozialgericht die Berufungsschrift oder das Protokoll mit seinen Akten unverzüglich dem Landessozialgericht vor.

Gemäß § 64 Abs. 1 SGG beginnt der Lauf einer Frist, soweit nichts anderes bestimmt ist, mit dem Tag nach der Zustellung oder, wenn diese nicht vorgeschrieben ist, mit dem Tag nach der Eröffnung oder Verkündung. Gemäß § 64 Abs. 2 SGG endet eine nach Monaten bestimmte Frist mit dem Ablauf des letzten Monats, welcher nach Benennung oder Zahl dem Tag entspricht, in den das Ereignis oder der Zeitpunkt fällt. Fällt das Ende einer Frist auf einen Sonntag, einen gesetzlichen Feiertag oder einen Sonnabend, so endet die Frist mit Ablauf des nächsten Werktages (vgl. § 64 Abs. 3 SGG).

b) Ausweislich des in der Gerichtsakte befindlichen Empfangsbekenntnisses wurde dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin das Urteil vom 24. April 2018 am 23. Mai 2018 zugestellt. Die Berufungsfrist lief damit ab dem 24. Mai 2018 (einem Donnerstag) bis zum 25. Juni 2018 (einem Montag). Die Berufungsschrift der Klägerin vom 25. Juni 2018 ging am 25. Juni 2018 um 17:12 Uhr per Telefax beim Oberlandesgericht Dresden ein. Das Gericht informierte den Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 26. Juni 2018 telefonisch über den offensichtlich fehlerhaften Eingang und leitete den Schriftsatz mit Schreiben vom 26. Juni 2018 an das Sächsische Landessozialgericht weiter. Die Berufung ging ausweislich des Eingangsstempels am 28. Juni 2018 und somit erst nach dem Fristende beim Sächsischen Landessozialgericht ein. Die Berufung wurde folglich zu spät eingelegt.

Der Eingang der Berufung beim Oberlandesgericht Dresden am 25. Juni 2018 wahrt die Berufungsfrist nicht. Abweichend von § 91 Abs. 1 SGG wahrt die Einlegung der Berufung bei einem anderen Gericht die Rechtsmittelfrist nicht (vgl. Leitherer in: Meyer-Ladewig/ Keller/Leitherer/Schmidt, SGG [12. Aufl., 2017], § 151 Rdnr. 2a). Die Berufung war beim Sächsischen Landessozialgericht oder beim Sozialgericht Dresden einzulegen. Dies weist auch die Rechtsmittelbelehrung des angefochtenen Urteils ausdrücklich aus.

Für die Rechtzeitigkeit des Eingangs eines fristwahrenden Schriftstücks kommt es allein darauf an, wann dieses in die Verfügungsgewalt des zuständigen Gerichts gelangt ist (vgl. BGH, Beschluss vom 6. Juni 2018 – IV ZB 10/17NJW-RR 2018, 957 f. = juris Rdnr. 10, m. w. N). Dies war vorliegend nach Weiterleitung durch das zunächst angewählte Gericht erst am 28. Juni 2018 und somit nach Ablauf der Frist der Fall. Die vorliegend genutzte Telefaxnummer (0351/4461529) ist dem Oberlandesgericht Dresden und nicht auch dem Sozialgericht Dresden oder dem Sächsischen Landessozialgericht in Chemnitz zugeordnet.

c) Gründe für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sind nicht gegeben.

Gemäß § 67 Abs. 1 ist auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Verfahrensfrist einzuhalten. Nach § 67 Abs. 2 SGG ist der Antrag binnen eines Monats nach Wegfall des Hindernisses zu stellen. Die Tatsachen zur Begründung des Antrags sollen glaubhaft gemacht werden. Innerhalb der Antragsfrist ist die versäumte Rechtshandlung nachzuholen. Ist dies geschehen, kann die Wiedereinsetzung auch ohne Antrag gewährt werden.

Vorliegend ist weder ausreichend dargelegt noch glaubhaft gemacht, dass die Berufungsfrist ohne Verschulden der Klägerin versäumt wurde.

Das Versäumen der Berufungsfrist beruht auf einem Verschulden des Prozessbevollmächtigten der Klägerin, das sich die Klägerin wie eigenes Verschulden zurechnen lassen muss (vgl. § 85 Abs. 2 Zivilprozessordnung [ZPO]). Es wurde weder dargelegt noch glaubhaft gemacht, dass in der Kanzlei des Prozessbevollmächtigten der Klägerin eine organisatorische Anordnung existiert, die sicherstellen würde, dass Schriftsätze an das richtige Gericht übermittelt werden.

Ein Verschulden im Sinne des § 67 Abs. 1 SGG liegt grundsätzlich vor, wenn die von einem gewissenhaften Prozessführenden im prozessualen Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht gelassen wurde. Das Verschulden einer Hilfsperson ist dem Beteiligten nicht zwingend zuzurechnen. Die Hilfspersonen muss jedoch entsprechend ausgebildet, auf ihre Zuverlässigkeit überwacht und die Büroorganisation muss so ausgestaltet sein, dass Fehler vermieden werden. Anderenfalls trifft den Beteiligten ein Auswahl-, Überwachungs- oder Organisationsverschulden, das ihm zuzurechnen ist (vgl. BSG, Beschluss vom 29. April 2005 – B 13 RJ 50/04 R – juris Rdnr. 4, m. w. N.).

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs genügt ein Rechtsanwalt seiner Pflicht zur wirksamen Ausgangskontrolle fristwahrender Schriftsätze nur dann, wenn er seine Angestellten anweist, nach einer Übermittlung per Telefax anhand des Sendeprotokolls zu überprüfen, ob der Schriftsatz vollständig und an das richtige Gericht übermittelt worden ist. Erst danach darf die Frist im Fristenkalender gestrichen werden. Dabei darf sich die Kontrolle des Sendeberichts grundsätzlich nicht darauf beschränken, die auf diesem aufgedruckte Telefaxnummer mit der zuvor aufgeschriebenen, etwa in den Schriftsatz eingefügten Telefaxnummer zu vergleichen. Vielmehr muss der Abgleich anhand einer zuverlässigen Quelle, etwa anhand eines geeigneten Verzeichnisses, vorgenommen werden, aus der die Telefaxnummer des Gerichts hervorgeht, für das die Sendung bestimmt ist. Denn diese Art der Ausgangskontrolle soll nicht nur Fehler bei der Eingabe, sondern auch bei der Ermittlung der Telefaxnummer und ihrer Übertragung in den Schriftsatz ausschließen (vgl. BGH, Beschluss vom 19. Dezember 2017 – XI ZB 16/17FamRZ 2018, 610 = juris Rdnr. 7, m. w. N.).

Dem Erfordernis, durch organisatorische Anweisungen sicherzustellen, dass Fehler bei der Ermittlung der Telefaxnummer erfasst werden, kann allerdings auch durch die Anweisung genügt werden, die im Sendebericht ausgedruckte Telefaxnummer mit der schriftlich niedergelegten zu vergleichen, wenn sichergestellt ist, dass diese ihrerseits zuvor aus einer zuverlässigen Quelle ermittelt worden ist. Dies setzt aber voraus, dass zusätzlich die generelle Anweisung besteht, die ermittelte Telefaxnummer vor der Versendung auf eine Zuordnung zu dem vom Rechtsanwalt bezeichneten Empfangsgericht zu überprüfen. In diesem Fall muss der Sendebericht nicht mehr zusätzlich mit der zuverlässigen Ausgangsquelle verglichen werden (vgl. BGH, Beschluss vom 19. Dezember 2017, a. a. O., Rdnr. 8).

Zudem sind besondere Anforderungen an die Sorgfalt des Prozessbevollmächtigten zu stellen, wenn dieser – wie vorliegend – die zu wahrende Frist vollständig ausnutzt. Zwar dürfen die vom Gesetz eingeräumten Fristen bis zu ihren Grenzen ausgenutzt werden (vgl. BSG, Urteil vom 11. August 1976 – 10 RV 225/75BSGE 42, 140 ff. = SozR 1500 § 84 Nr. 1 = juris Rdnr. 12, m. w. N.). Jedoch werden die Grenzen zusätzlich durch den Postbeförderungslauf, den Dienstbetrieb und sonstige Umstände gezogen, so dass die Risiken, eine Frist zu versäumen, steigen, wenn diese voll ausgeschöpft wird. Denn wäre vorliegend die Berufungsschrift nicht am Tag des Fristablaufs und erst um 17.12 Uhr an das Oberlandesgericht gefaxt worden, hätte die zu den Geschäftszeiten des Gerichts erst am nächsten Tag mögliche telefonische Information den Prozessbevollmächtigten der Klägerin noch rechtzeitig erreicht und hätte eine noch fristgerechte Übermittlung der Berufung an das Sächsische Landessozialgericht ermöglicht.

Dass der Prozessbevollmächtigte der Klägerin die nach dieser Rechtsprechung geforderten Sorgfaltspflichten erfüllt hatte, ist weder hinreichend vorgetragen noch glaubhaft gemacht.

Vorgetragen wurde lediglich, dass in der Kanzlei üblicherweise mit Vorlagen aus vorangegangenen Schriftsätzen gearbeitet werde und aus einem vorhergehenden Schriftsatz fälschlicherweise die Telefaxnummer des Oberlandesgerichts Dresden übernommen und vor der Eingabe in das Faxgerät durch die hervorragend ausgebildete Rechtsanwaltsfachangestellte, Z ..., welche die ihr übertragene Aufgaben üblicherweise gewissenhaft und fehlerfrei ausführe, nicht erneut überprüft worden sei, obwohl der Fehler offensichtlich gewesen sei. Mit der vorgelegten eidesstattlichen Versicherung wird gleichfalls lediglich bestätigt, dass die Berufungsschrift an die auf ihr aufgedruckte Telefaxnummer versandt wurde, ohne sie erneut auf ihre Richtigkeit überprüft zu haben.

Eine konkrete Kanzleianweisung ist weder durch den Prozessbevollmächtigten der Klägerin vorgetragen worden noch aus der eidesstattlichen Versicherung erkennbar. Vielmehr ist nach dem Vortrag davon auszugehen, dass eine entsprechende klare und die beschriebenen Schritte umfassende Anweisung in der Kanzlei nicht existiert. Insbesondere ergibt sich nicht, dass grundsätzlich der Sendebericht auch dahingehend zu kontrollieren ist, dass ein Abgleich der verwandten Telefaxnummer anhand einer zuverlässigen weiteren Quelle zu erfolgen hat. Vielmehr ist lediglich dargelegt worden, dass auf dem Schriftsatz durch das offensichtlich eigene Versehen des Prozessbevollmächtigten eine fehlerhafte Telefaxnummer verzeichnet war und dies der Kanzleiangestellten hätte bei einer auch nur oberflächlichen Kontrolle auffallen müssen, da die Telefaxnummer die Vorwahl von Dresden und nicht von Chemnitz enthielt. Dabei wird jedoch einerseits übersehen, dass auch eine Übersendung an das Sozialgericht in Dresden die Berufungsfrist gewahrt hätte und zudem erst ein Abgleich der im Sendebericht angegebenen Telefaxnummer anhand einer zuverlässigen weiteren Quelle grundsätzlich sicherstellen würde, dass fristwahrende Schriftsätze an das richtige Gericht übermittelt werden. Einer derartigen Konkretisierung der Kontrollpflichten gegenüber den eigenen Mitarbeitern hätte es jedoch bedurft. Der Rechtsanwalt hat seine organisatorischen Anweisungen klar und unmissverständlich zu formulieren, weil nur so die Wichtigkeit der einzuhaltenden Schritte in der gebotenen Deutlichkeit hervorgehoben wird (vgl. BGH, Beschluss vom 24. Oktober 2013 – V ZB 154/12NJW 2014, 1390 = juris Rdnr. 15; BGH, Beschluss vom 27. Juni 2017 – VI ZB 32/16NJW-RR 2017, 1139 Rdnr. 7 m. w. N.).

Der Vortrag, dass bei genauer Überprüfung durch die Rechtsanwaltsfachangestellte der Fehler hätte auffallen müssen, genügt insofern nicht. Ob eine entsprechende allgemeine Anweisung existierte und in welcher Form die Überprüfung hätte erfolgen sollen, geht daraus nicht hervor. Vor diesem Hintergrund kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Organisationsverschulden des Prozessbevollmächtigten der Klägerin zumindest mit ursächlich für den Fehler der Kanzleikraft gewesen ist. Denn zu der entsprechend notwendigen organisatorischen Anordnung erfolgte auch nach dem ausdrücklichen Hinweis des Beklagten mit Schriftsatz vom 24. Oktober 2018 kein weiterer Vortrag.

II. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

III. Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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