L 1 KA 11/18 B ER

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
1
1. Instanz
SG Dresden (FSS)
Aktenzeichen
S 18 KA 112/18 ER
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 1 KA 11/18 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Neustrukturierung des ärztlichen Bereitschaftsdienstes - Präsenzpflicht in Bereitschaftspraxen an Krankenhäusern - Nutzung eines zentralen Fahrdienstes

Aufgrund des weiten Gestaltungsspielraums der Kassenärztlichen Vereinigung hinsichtlich der Organisationsform des Notdienstes (Bereitschaftsdienstes) begegnet es keinerlei Bedenken, allen Vertragsärzten eine Pflicht zur Anwesenheit in den bei den Krankenhäusern eingerichteten Bereitschaftspraxen aufzuerlegen. Dasselbe gilt für die satzungsmäßige Verpflichtung, einen zentralen Fahrdienst für Hausbesuche im jeweiligen Bereitschaftsdienstbereich zu nutzen.
I. Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Dresden vom 17. Juli 2018 wird zurückgewiesen.

II. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

III. Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 2.500,00 EUR festgesetzt.

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten um die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage der Antragstellerin gegen deren Verpflichtung zur Teilnahme am Bereitschaftsdienst in seiner neustrukturierten Form ab 02.07.2018.

Die Antragstellerin ist als Fachärztin für Allgemeinmedizin zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen. Ihre Praxis befindet sich in A ...; sie wohnt in Y ... Bis zum 01.07.2018 nahm sie an den Bereitschaftsdiensten im damaligen Bereitschaftsdienstbereich A ...-Ost mit einer maximalen Ausdehnung von 20 km in Nord-Süd- und 10 km in Ost-West-Richtung teil. Nach ihren Angaben sei sie bisher im Quartal fünf bis sechs Mal herangezogen worden, wobei maximal fünf Hausbesuche pro Schicht angefallen seien und sie die Termine habe frei einteilen können; ebenso habe sie diese Hausbesuche im eigenen Pkw nach eigener Planung wahrgenommen.

Am 18.10.2017 beschloss die Vertreterversammlung der Antragsgegnerin eine Zusammenfassung der bisherigen 95 allgemeinen Hausbesuchs-Bereiche zu 23 neuen Bereitschaftsdienstbereichen mit jeweils mindestens ca. 100 Ärzten u.a. mit jeweils mindestens einer Hauptbereitschaftspraxis, zusätzlich bis zu elf Bereitschaftspraxen mit eingeschränkten Öffnungszeiten und Pilotregionen in drei Bezirken, u.a. X ... Ferner wurde sachsenweit ein zentraler Fahrdienst für Hausbesuche im ärztlichen Bereitschaftsdienst eingeführt. Beginnend mit der Pilotphase ist ein permanentes Monitoring sowie eine Evaluierung durchzuführen (vgl. KVS-Mitteilungen 11/2017; abrufbar unter www.kvs-sachsen.de). Die geänderte Bereitschaftsdienstordnung (BDO) in der Fassung vom 18.10.2017 wurde zum 01.01.2018 in Kraft gesetzt. Am 17.01.2018 hat der Vorstand der Antragsgegnerin dazu Durchführungsbestimmungen erlassen, soweit er hierzu von der Vertreterversammlung ermächtigt war. Mit dem ab 01.07.2018 geltendem Vertrag über die "Zusammenarbeit bei der Gestaltung und Durchführung des Notdienstes – Errichtung und Betreibung von Bereitschaftspraxen an Standorten von Notaufnahmen" regelten die Antragsgegnerin und die Krankenhausgesellschaft Sachsen sowie Vertreter der gesetzlichen Krankenkassen das Vorgehen zu Kooperationsvereinbarung, Patientensteuerung, Behandlungsgrundsätze, Abrechnung und Evaluation der Zusammenarbeit.

Mit Bescheid vom 26.03.2018 verfügte die Antragsgegnerin gegenüber der Antragstellerin, ihr bisheriger Bereitschaftsdienstbereich A ...-Ost werde mit Ablauf des 02.07.2018 als eigenständiger Dienstbereich aufgelöst (Ziffer 1.) und sie werde mit Wirkung ab 02.07.2018 19.00 Uhr entsprechend ihrem Praxissitz dem neugeschaffenen Bereitschaftsdienstbereich X ... zugeordnet und zur Teilnahme am Bereitschaftsdienst im Umfang von 1,0 verpflichtet (Ziffer 2.). Mit Schreiben vom 18.05.2018 wurde der Dienstplan für das 3. Quartal 2018 übersandt, wonach die Antragstellerin am Samstag, den 25.08.2018, von 14.30 Uhr bis 20.00 Uhr zum Sitzdienst und am Freitag, den 27.07.2018, von 14.00 Uhr bis 19.00 Uhr zum Fahrdienst in X ... eingeteilt war. Beigefügt war eine elfseitige Broschüre "Neustrukturierung des ärztlichen Bereitschaftsdienstes in der Region X ..." mit Erläuterungen und Einzelheiten einer Bereitschaftspraxis am Kreiskrankenhaus X ... und einer Bereitschaftspraxis am Klinikum in A ... (siehe Bl. 111 ff. der Gerichtsakte).

Den Widerspruch der Antragstellerin gegen die Neuordnung und ihre Zuordnung zum neuen Bereich X ... wies die Antragsgegnerin mit Widerspruchsbescheid vom 31.05.2018 unter Anordnung der sofortigen Vollziehung zurück.

Hiergegen hat die Antragstellerin am 28.06.2018 Klage beim Sozialgericht Dresden erhoben, über die noch nicht entschieden ist (Az. S 25 KA 113/18).

Den am selben Tag gestellten Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung und Aufhebung der durch die neue Dienstplaneinteilung begonnene Vollziehung des Bescheides der Antragsgegnerin hat das Sozialgericht Dresden mit Beschluss vom 17.07.2018 abgelehnt. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung genüge den formellen Anforderungen, insbesondere habe die Antragsgegnerin ihre Begründungspflicht erfüllt. Sie habe das öffentliche Interesse an einer Sicherstellung des ärztlichen Bereitschaftsdienstes in der neuen Struktur dem privaten Interesse der Antragstellerin gegenüber gestellt und dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Funktionsfähigkeit höheres Gewicht beigemessen. Auch die durch das Gericht vorzunehmende Abwägung der beteiligten Interessen ergebe, dass das Interesse an der sofortigen Vollziehung überwiege, weil die Klage der Antragstellerin aller Voraussicht nach keinen Erfolg haben werde. Ihre grundsätzliche Verpflichtung, als niedergelassene Hausärztin am ärztlichen Bereitschaftsdienst teilzunehmen, stelle die Antragstellerin selbst schon nicht in Frage. Auch die Änderung der Struktur des ärztlichen Bereitschaftsdienstes erweise sich als voraussichtlich rechtmäßig. Der Antragsgegnerin komme bei der näheren Ausgestaltung des Bereitschaftsdienstes im Rahmen der Satzungsautonomie ein weiter Spielraum zu, der gerichtlich nur begrenzt überprüfbar sei. Weit sei der Gestaltungsspielraum der Antragsgegnerin vor allem in der Wahl des Organisationsmodells. Es müsse auch keine einheitliche Entscheidung getroffen werden, sondern die Antragsgegnerin könne nach der Struktur des zu versorgenden Gebietes differenzieren. Nach der mit Wirkung zum 01.01.2016 noch einmal verschärften Regelung in § 75 Abs. 1b Satz 2 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) solle der Bereitschaftsdienst auch durch Kooperation und organisatorische Verknüpfung mit zugelassen Krankenhäusern sichergestellt werden. Dazu sollten die Kassenärztlichen Vereinigungen entweder sogenannte Portalpraxen in oder an zugelassenen Krankenhäusern errichten oder vorhandene Notfallambulanzen der Krankenhäuser unmittelbar in den Bereitschaftsdienst einbinden. Diese Grundsätze habe die Antragsgegnerin in ihrer BDO hinreichend beachtet. Bei der Umsetzung der gesetzlichen Regelungen und wirksamen satzungsrechtlichen Vorschriften durch die beschlossene Zusammenlegung der früheren Bereitschaftsdienstbereiche und die Einrichtung von Bereitschaftsdienstpraxen an den Kliniken in X ... und A ..., die Grundlage des angegriffenen Bescheides vom 26.03.2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31.05.2018 seien, habe die Antragsgegnerin ausschließlich strukturplanerische Erwägungen angestellt. Sie habe die gesetzgeberischen Ziele berücksichtigt. Einzelne Ärzte oder Arztgruppen würden auch nicht willkürlich benachteiligt. Schließlich seien auch die örtlichen Verhältnisse ermessenfehlerfrei einbezogen. Soweit die Antragstellerin einwende, dass für die Patienten unzumutbare Fahrwege entstünden, könne das Gericht eine unzutreffende Tatsachenwürdigung nicht erkennen. Auch von den äußeren Grenzen des Planungsbereichs X ... im Nordosten seien die Bereitschaftspraxen in X ... oder A ... noch zumutbar zu erreichen. Es sei bekannt, dass die Notaufnahmen der Krankenhäuser in Anspruch genommen würden, ohne dass ein eine stationäre Behandlung erforderlich machender Notfall vorliege. Die Antragstellerin behaupte zwar, dieses Fehlverhalten werde durch die Umstrukturierung zunehmen. Dagegen stehe aber die Erwartung des Gesetzgebers, dass durch die Anbindung der Portalpraxen an die Krankenhäuser ein für die Notaufnahmen entlastender Effekt eintreten werde. Dieser Erwartung habe sich die Antragsgegnerin bei ihren Planungen angeschlossen. Die Fahrtzeiten der Antragstellerin nach X ... betrügen laut Routenplaner 29 Minuten, so dass selbst bei schwierigeren Verkehrsverhältnissen die zumutbare Wegezeit nicht überschritten werde. Insgesamt sei daher ein unverhältnismäßiger Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit der Antragstellerin nicht erkennbar.

Gegen den ihrer Prozessbevollmächtigten am 18.07.2018 zugestellten Beschluss wendet sich die Antragstellerin mit der am Montag, den 20.08.2018 beim Sozialgericht eingelegten Beschwerde.

Ihre Prozessbevollmächtigte trägt u.a. vor, die BDO werde weder der Ermächtigungsgrundlage noch höherrangigem Recht gerecht. Insoweit sei die Satzung auch gerichtlich überprüfbar. Das Sozialgericht habe auf § 3 der alten BDO vom 01.10.2015 verwiesen, der so in der neuen BDO nicht mehr enthalten sei. Dort solle nach § 6 BDO nur noch eine effiziente Versorgung sichergestellt und durch die Größe der Bereitschaftsdienstbereiche eine möglichst gleichmäßige Belastung der diensthabenden Ärzte erreicht werden. Es fehle eine Ermächtigungsgrundlage für die Aufhebung der bisherigen ortsnahen Bereitschaftsdienstbereiche, die Nutzung eines Fahrdienstes und die Auferlegung der Finanzierung der Neustrukturierung auf die niedergelassenen Ärzte. Die Umsetzung entspreche ausweislich des vorgelegten Dienstplans weder dem gesetzlichen Sicherstellungsauftrag noch höherrangigem Recht und erreiche den Gesetzeszweck nicht. Da an Wochentagen die Portalpraxen nicht geöffnet seien, müsse nur ein Fahrdienst die gesamte bereitschaftsärztliche Versorgung des versechsfachten Bereichs abdecken. Die Unterversorgung der Bevölkerung und Überlastung des jeweils bereitschaftsdiensthabenden Arztes sei absehbar. Allein Wirtschaftlichkeitserwägungen seien Grund für diese Unterbesetzung des Bereitschaftsdienstes, was keine sachbezogene strukturplanerische Erwägung mehr sei. Es lägen bereits negative Erfahrungen vor (übermüdeter Fahrer, ununterbrochen Hausbesuche im Dienst von 19.00 Uhr bis 7.00 Uhr, 300 km gefahren). Die örtlichen Verhältnisse würden nicht ermessensfehlerfrei einbezogen. Auf dem Rücken der Ärzte und Patienten in den ländlichen Bereichen Nordsachsens werde im Rahmen eines Pilotprojektes bei völliger Kappung der bisherigen ortsnahen Versorgungsstruktur getestet. Die Patienten aus ländlichen Räumen würden nur aus Wirtschaftlichkeitserwägungen schlechter versorgt. Die im ländlichen Bereich niedergelassenen Ärzte würden durch weitere Anfahrtswege, höheren Zeitaufwand und höhere Kosten willkürlich benachteiligt, weil sie unverhältnismäßig belastet würden. Die Antragstellerin selbst werde Fahrzeiten zu einem Hausbesuch von nahezu einer Stunde für die einfache Strecke haben, die Patienten jedenfalls 30 Minuten zu den Portalpraxen. Hinzu komme, dass diese Fahrtzeit auch an regulären Tagen anfallen werde und Zeit sei, die in der Patientenversorgung verloren gehe. Insbesondere der 12-stündige Fahrdienst laufe auf eine Vollzeitauslastung des diensthabenden Arztes ohne jede Freizeit- oder Schlafmöglichkeit auch zwischen regulären Arbeitstagen hinaus, so dass diese Dienstzeit nicht mehr als Bereitschaftszeit bezeichnet werden könne. Die Vergütung dürfte nicht angemessen sein. Auch ein Pilotprojekt müsse so ausgestaltet sein, dass nicht gegen den Sicherstellungsauftrag, zwingende gesetzliche Bestimmungen und Grundrechte der Ärzte verstoßen werde. Ab 2020 würde von den Ärzten zur Finanzierung der Bereitschaftspraxen eine Sonderumlage erhoben, für die es an einer Rechtsgrundlage fehle.

Die Antragstellerin beantragt,

den Beschluss des Sozialgerichts Dresden vom 17.07.2018 aufzuheben und die aufschiebende Wirkung der Klage S 25 KA 113/18 gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 26.03.2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31.05.2018 wiederherzustellen und die Aufhebung der Vollziehung anzuordnen.

Die Antragsgegnerin beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Sie hält den angefochtenen Beschluss für zutreffend und führt u.a. aus, der Sicherstellungsauftrag der Kassenärztlichen Vereinigung umfasse immer die ausreichende Versorgung der Bevölkerung und müsse daher in der BDO nicht explizit erwähnt werden. Belege für eine Unterbesetzung lägen nicht vor. Es sei auch nicht zu beanstanden, wenn der Bereitschaftsdienst wirtschaftlich betrieben werden solle. Neben dem stets dienstbereiten Fahrdienst müsse nicht in gleichem Umfang die Bereitschaftspraxis geöffnet sein. Ebenso wenig sei die Einschaltung der Vermittlungszentrale zu beanstanden. Der Umstand, dass der Arzt nach einem Nachtdienst im Bereitschaftsdienst die am nächsten Morgen anstehende Praxisöffnung als Belastung empfinde, sei nichts Neues. Im Übrigen habe sich die Vertreterversammlung die Vorlage eines Evaluationsberichts für Frühjahr 2019 vorbehalten.

Am 17.09.2018 hat die Antragstellerin den Dienstplan für das 4. Quartal 2018 erhalten, wonach sie zu zwei Fahrdiensten am 11.10.2018 und am 02.12.2018 jeweils von 19.00 Uhr bis 7.00 Uhr des Folgetages eingeteilt worden ist. Die Antragstellerin hat über den Verlauf des Fahrdienstes am 12./13.10.2018 berichtet (Bl. 175 f. der Gerichtsakte) und bezieht sich auf Erfahrungen der Kollegin Klaußner und eines bayerischen Kollegen sowie eine "Eilenburger Erklärung" gegen die Reform.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakten beider Rechtszüge ergänzend Bezug genommen.

II.

Die zulässige Beschwerde der Antragstellerin ist unbegründet. Zu Recht und mit zutreffender Begründung hat das Sozialgericht den Eilantrag abgelehnt.

Gemäß § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht der Hauptsache in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, auf Antrag die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Diese Anordnungsbefugnis besteht nicht nur dann, wenn von Gesetzes wegen die aufschiebende Wirkung von Widerspruch oder Anfechtungsklage entfällt (§ 86a Abs. 2 Nr. 1 bis 4 SGG), sondern auch dann, wenn eine Behörde die sofortige Vollziehung des Verwaltungsakts angeordnet hat (§ 86a Abs. 2 Nr. 5 SGG). Die Anordnungsbefugnis des Gerichts umfasst daher auch die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung, die in § 86b Abs. 1 Satz 3 SGG eigens erwähnt wird. Ein solcher Fall liegt hier vor. Die Anfechtungsklage gegen einen Widerspruchsbescheid, der in eine bestehende Rechtsposition eingreift, entfaltet nach § 86a Abs. 1 SGG aufschiebende Wirkung (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/¬Keller/¬Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl. 2017, § 86a Rn. 23). Die aufschiebende Wirkung entfällt allerdings, wenn – wie hier im angefochtenen Widerspruchsbescheid – die sofortige Vollziehung angeordnet ist.

Nach welchen Maßstäben das Gericht über die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung zu entscheiden hat, ist in § 86b Abs. 1 SGG nicht ausdrücklich geregelt. Der gerichtlichen Entscheidung hat aber eine behördliche Anordnung der sofortigen Vollziehung vorauszugehen. Für diese behördliche Anordnung bestimmt § 86a Abs. 2 Nr. 5 SGG, dass sie nur im öffentlichen Interesse oder im überwiegenden Interesse eines Beteiligten erfolgen darf und eine schriftliche Begründung des besonderen Interesses am Sofortvollzug erfordert. Das Gericht hat somit bei seiner Entscheidung über die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung zunächst zu prüfen, ob die behördliche Vollzugsanordnung formell rechtmäßig getroffen worden ist. Ergibt die Prüfung dagegen keinen formellen Mangel der behördlichen Anordnung, hat das Gericht losgelöst von der Verwaltungsentscheidung eine eigene umfassende Interessenabwägung vorzunehmen, in die die betroffenen öffentlichen und privaten Interessen einzubeziehen und bei der auch die Erfolgs¬aussichten im Hauptsacheverfahren zu berücksichtigen sind (Keller in Meyer-Ladewig/¬Keller/¬Leitherer/Schmidt, SGG, § 86b Rn. 12i). Von maßgeblicher Bedeutung ist auch, wie schwerwiegend die Beeinträchtigung durch die sofortige Vollziehung bzw. die aufschiebende Wirkung gerade im grundrechtsrelevanten Bereich ist. Effektiver Rechtsschutz ist nur dann gewährleistet, wenn für sofort vollziehbar erklärte Eingriffe in grundrechtlich gewährleistete Freiheiten noch einmal einer gesonderten – über die Beurteilung der zugrunde liegenden Verfügung hinausgehenden – Verhältnismäßigkeitsüberprüfung unterzogen werden (Bundesverfassungsgericht, Kammerbeschluss vom 24.10.2003 – 1 BvR 1594/03 – juris Rn. 20).

Die Anordnung der sofortigen Vollziehung durch die Antragsgegnerin genügt den daran zu stellenden formellen Anforderungen. Insbesondere hat sie ihre Begründungspflicht nach § 86a Abs. 2 Nr. 5 SGG erfüllt. Da die Begründung der Vollzugsanordnung der Schaffung von Transparenz und Rechtsklarheit dient und die Behörde zu besonderer Sorgfalt anhalten soll, sind an sie hohe Anforderungen zu stellen. Die Begründung muss sämtliche Gesichtspunkte enthalten, die die Behörde in ihre Entscheidung einbezogen hat, und zusätzlich erkennen lassen, warum im konkreten Einzelfall das Interesse an der sofortigen Vollziehung überwiegt und die sofortige Vollziehung dem Verhältnismäßigkeitsprinzip entspricht (Keller in Meyer-Ladewig/¬Keller/¬Leitherer/Schmidt, SGG, § 86a Rn. 21b m.w.N.). Dies ist hier der Fall. Der schriftlichen Begründung der Vollzugsanordnung ist zu entnehmen, dass die Antragsgegnerin das Vollzugsinteresse mit dem Aussetzungsinteresse der Antragstellerin abgewogen und dabei dem solidarisch-arbeitsteiligen Funktionieren des ärztlichen Bereitschaftsdienstes innerhalb eines bestimmten Territoriums überwiegende Bedeutung beigemessen hat. Damit hat die Antragsgegnerin nicht nur deutlich gemacht, dass sie eine Interessenabwägung vorgenommen hat, sondern auch die für sie dabei maßgeblichen Gesichtspunkte aufgezeigt. Ob diese Begründung inhaltlich zutrifft, ist bei der Überprüfung der formellen Anforderungen an die behördliche Anordnung des Sofortvollzugs unerheblich.

Auch aus Sicht des Senats überwiegt nach umfassender Abwägung der widerstreitenden Interessen im Rahmen der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes vorzunehmenden summarischen Prüfung vorliegend das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des angefochtenen Bescheides das Aussetzungsinteresse der Antragstellerin. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Anfechtungsklage der Antragstellerin aller Voraussicht nach keinen Erfolg haben wird.

Die Antragstellerin wendet sich ausdrücklich nicht gegen ihre Verpflichtung aus § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BDO vom 18.10.2017, am Bereitschaftsdienst teilzunehmen, als solche, sondern allein gegen die Neuordnung des Bereitschaftsdienstes ab 2018 und die Art und Weise, wie sie selbst hierzu durch Bescheid vom 26.03.2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31.05.2018 seit 02.07.2018 herangezogen wird.

Ermächtigungsgrundlage für diese – hier dem Grunde nach gar nicht strittige – satzungsrechtliche Verpflichtung der Antragstellerin zur Teilnahme am Notdienst ist § 75 Abs. 1b Satz 1 i.V.m. § 81 Abs. 1 Satz 1 Nr. 10 SGB V (in der Fassung des Krankenhausstrukturgesetzes vom 10.12.2015, BGBl. I S. 2229). Danach umfasst die der Antragsgegnerin als Kassenärztlicher Vereinigung obliegende Sicherstellung der Versorgung auch die vertragsärztliche Versorgung zu den sprechstundenfreien Zeiten (Notdienst), nicht jedoch – vorbehaltlich abweichender landesrechtlicher Regelungen – die notärztliche Versorgung im Rahmen des Rettungsdienstes (vgl. auch Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 06.09.2006 – B 6 KA 43/05 R – juris Rn. 10; Urteil vom 28.09.2005 – B 6 KA 73/04 R – Rn. 20; Urteil vom 05.02.2003 – B 6 KA 11/02 R – juris Rn. 11). Bei der näheren Ausgestaltung des Bereitschaftsdienstes im Rahmen der Satzungsautonomie kommt einer Kassenärztlichen Vereinigung ein weiter Spielraum zu, der gerichtlich nur auf die Beachtung der sich aus der Ermächtigungsgrundlage und dem übrigen höherrangigem Recht, insbesondere aus Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz, ergebenden Grenzen überprüfbar ist (Sächsisches Landessozialgericht [LSG], Urteil vom 14.12.2011 – L 1 KA 25/10 – juris Rn. 43 f. m.w.N.). Weit ist der Gestaltungsspielraum der Kassenärztlichen Vereinigung vor allem hinsichtlich der Wahl des Organisationsmodells, in dem der Bereitschaftsdienst stattfindet. Insbesondere darf sie dem zum Notdienst in einer zentralen Notfalldienststelle eingeteilten Arzt aufgeben, während der festgelegten Dienstzeiten in der Praxis ständig präsent zu sein (BSG, Urteil vom 11.05.2011 – B 6 KA 23/10 R – juris Rn. 17). Auch Einrichtungen von zentralen Notfallpraxen, deren Anschriften bekannt sind und die Patienten ohne größeren Aufwand aufsuchen können, entsprechen der Sicherstellungsverpflichtung der Kassenärztliche Vereinigung für die Versorgung der Versicherten auch zu sprechstundenfreien Zeiten gemäß § 75 Abs. 1b Satz 1 SGB V (BSG, Beschluss vom 02.08.2017 – B 6 KA 11/17 B – juris Rn. 8).

Diese Grundsätze hat die Antragsgegnerin bei den in der ab 01.01.2018 geltenden BDO festgelegten Regelungen beachtet. Danach sollen die Größe der Bereitschaftsdienstbereiche so gewählt werden, dass eine möglichst gleichmäßige Dienstbelastung der Ärzte erreicht wird, wobei regionale Besonderheiten – insbesondere die Zahl der am Dienst teilnehmenden Ärzte, die Bevölkerungszahl/-dichte, die topografischen Verhältnisse sowie die Verkehrsanbindungen – grundsätzlich zu berücksichtigen sind (§ 6 Abs. 1 Satz 2 und Satz 3 BDO). Die räumliche Gliederung ergibt sich aus der Anlage zur BDO, die einen Bereitschaftsdienstbereich für X ... vorsieht. Diese Planungsentscheidung hat die Antragsgegnerin mit der konkreten Festlegung der geografischen Bereitschaftsdienstbereiche in der Vertreterversammlung am 18.10.2017 getroffen. Die damit verbundene Auflösung der vorher bestehenden Bereitschaftsdienstebereiche beruht auf strukturplanerischen und damit sachgerechten Überlegungen und füllt den gesetzgeberischen Auftrag in § 75 Abs. 1b Satz 1 SGB V, die vertragsärztliche Versorgung zu den sprechstundenfreien Zeiten (Notdienst) sicherzustellen, aus. Bereits das Sozialgericht hat zutreffend darauf hingewiesen, dass gemäß § 75 Abs. 1b Satz 2 SGB V die Kassenärztlichen Vereinigungen den Notdienst auch durch Kooperation und eine organisatorische Verknüpfung mit zugelassenen Krankenhäusern sicherstellen sollen; hierzu sollen sie entweder Notdienstpraxen in oder an Krankenhäusern einrichten oder Notfallambulanzen der Krankenhäuser unmittelbar in den Notdienst einbinden. Damit hat bereits der Gesetzgeber die Einrichtung von Bereitschaftspraxen bei zugelassenen Krankenhäusern vorgegeben. Im Widerspruchsbescheid hat die Antragsgegnerin ausgeführt, welche Erwägungen ihre planerische Entscheidung getragen haben. Warum gerade im Bereitschaftsdienstbereich X ... Anlass bestehen sollte, von dieser Vorgabe abzuweichen, ist nicht ersichtlich. Bei der Wahl des Standortes der allgemeinärztlichen Bereitschaftspraxis sind gemäß § 11 Abs. 2 BDO die jeweiligen regionalen und örtlichen Gegebenheiten im Bereitschaftsdienstbereich zu berücksichtigen. Die Antragsgegnerin hat im Widerspruchsbescheid vom 31.05.2018 ausführlich die Kriterien und die Planungsgrundlagen erläutert und so in nicht zu beanstandender Weise dargelegt, dass die Belastungen, die durch die Heranziehung zu den Bereitschaftsdiensten entsteht, weitgehend gleichmäßig verteilt sind.

Die Präsenzplicht von Vertragsärzten in den sächsischen Bereitschaftspraxen ergibt sich aus § 8 Abs. 1 Satz 3 i.V.m. § 6 Abs. 5 Nr. 2 BDO, wonach der zum Bereitschaftsdienst eingeteilte Arzt mit Dienstbeginn (§§ 5, 11 BDO) die Tätigkeit in der Bereitschaftspraxis aufnehmen muss. Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, dass die grundsätzliche Verpflichtung eines jeden Vertragsarztes zur Teilnahme am ärztlichen Notfalldienst nicht erst aus der Satzungsunterworfenheit, sondern schon aus seinem Zulassungsstatus folgt. Daher erfordert es der einer Vertragsärztin auf ihren Antrag hin verliehene Status, in zeitlicher Hinsicht umfassend – also auch – außerhalb der Sprechzeiten – für die Sicherstellung der vertragsärztlichen Versorgung zur Verfügung zu stehen. Von dieser Verpflichtung zur Dienstbereitschaft rund um die Uhr wird die Ärztin entlastet, muss als Gegenleistung hierfür aber den Notdienst als gemeinsame Aufgabe aller Ärzte gleichwertig mittragen (so schon BSG, Urteil vom 11.05.2011 – B 6 KA 23/10 R – juris Rn. 14 m.w.N.; vgl. Hesral in jurisPK-SGB V, 3. Aufl. 2016, § 75 Rn. 92). Im übrigen hatte der Vorstandsvorsitzende der Antragsgegnerin in einem der Vertreterversammlung am 18.10.2017 vorgetragenen Referat zur Reform des Bereitschaftsdienstes von Erfahrungen aus Bereitschaftspraxen in Bayern berichtet, wonach die Nachfrage in den Notaufnahmen der Krankenhäuser während der Zeiten des vertragsärztlichen Bereitschaftsdienstes deutlich gesunken seien. Auch erscheint dem Senat das Vorbringen der Antragstellerin nicht nachvollziehbar, warum der beabsichtigte Zweck gerade in A ... verpuffen soll, wenn Patienten beim Krankenhaus A ... statt der dortigen Notaufnahme die vertragsärztliche Bereitschaftspraxis aufsuchen können. Wegen des weiten Gestaltungsspielraums der Antragsgegnerin hinsichtlich der Organisationsform des Notdienstes begegnet es keinerlei Bedenken, allen Vertragsärzten eine Verpflichtung zur Anwesenheit in den bei den Krankenhäusern eingerichteten Bereitschaftspraxen aufzuerlegen.

Dasselbe gilt für die Schaffung eines zentralen Fahrdienstes für Hausbesuche im jeweiligen Bereitschaftsdienstbereich. Die Verpflichtung der Vertragsärzte zur Teilnahme an der Sicherung der medizinischen Versorgung der Versicherten im Bereitschaftsdienstbereich durch Hausbesuche unter Nutzung des zentral organisierten Fahrdienstes ergibt sich aus § 10 i.V.m. § 6 Abs. 5 Nr. 1 BDO. Rechtliche Vorgaben, die es verbieten würden, den Notdienst in einen präsenzpflichtigen Sitzdienst in einer Bereitschaftspraxis einerseits und einen Hausbesuchsdienst mit Nutzung eines zentralen Fahrdienstes andererseits aufzuspalten, sind von der Prozessbevollmächtigten der Antragstellerin nicht benannt worden und auch sonst nicht ersichtlich. Anders als die Antragstellerin meint, kann der zentrale Fahrdienst auch als Vorteil gegenüber der bisherigen Regelung gewertet werden, weil die Vertragsärzte von der Aufgabe, schnell beim Patienten einzutreffen und sich als Selbstfahrer konzentriert und aufmerksam im Straßenverkehr zurechtzufinden, entlastet werden. Dass die konkrete Ausgestaltung gerade in der Anfangsphase noch nicht in jeder Hinsicht dem geplanten Ablauf entspricht und sich Verbesserungs- und ggf. Änderungsbedarf aufzeigen würde, hatte die Vertreterversammlung im Blick, so dass Pilotregionen, ein Monitoring und eine Evaluation schon bei der Beschlussfassung am 18.10.2017 vorgesehen wurden. Die von der Antragstellerin geschilderten Vorkommnisse und Erfahrungsberichte ihrer Kolleginnen und Kollegen stellen sich zumindest teilweise als zurecht kritikwürdige Umstände dar, denen durch organisatorische Vorkehrungen u.a.m. zu begegnen ist, stellt aber nicht die rechtliche Zulässigkeit der Neustrukturierung als solcher in Frage.

Eine Beibehaltung der bisherigen Organisationsform kann die Antragstellerin von Gesetzes wegen nicht beanspruchen. Denn der in der Bereitschaftsdienstverpflichtung liegende Eingriff ist auch dann hinzunehmen, wenn er für die einzelne Vertragsärztin über das bisherige Maß hinausgehende Unannehmlichkeiten und Erschwernisse mit sich bringt, weil es sich bei der Sicherstellung eines ausreichenden Notdienstes um eine gemeinsame Aufgabe der zugelassenen Vertragsärztinnen und -ärzte handelt, die nur erfüllt werden kann, wenn alle unabhängig von individuellen Besonderheiten und ohne Bevorzugung oder Benachteiligung einzelner Personen oder Gruppen gleichmäßig herangezogen werden (Sächsisches LSG, Beschluss vom 31.01.2008 – L 1 B 151/07 KA-ER – juris Rn. 24 m.w.N.). Dass die Neuordnung des Notdienstes im Zuständigkeitsbereich der Antragsgegnerin die Antragstellerin generell oder etwa im Verhältnis zu anderen zugelassenen Vertragsärzten übermäßig belastet oder dass ein willkürlicher oder unverhältnismäßiger Eingriff in ihre verfassungsrechtlich garantierte Berufsausübungsfreiheit vorliegen könnte, ist für den Senat nicht erkennbar. Im Übrigen hat die Antragsgegnerin Vorsorge getroffen, um – in eingeschränktem Umfang – sogar individuelle Vorlieben der Verpflichteten zu berücksichtigen. So sieht § 7 BDO i.V.m. Abs. 1 der entsprechenden Durchführungsbestimmung vom 17.01.2018 vor, dass die Dienstplanung grundsätzlich die Zielsetzung hat, unter Beachtung persönlicher Wünsche eine gerechte Dienstverteilung und damit Dienstbelastung sicherzustellen, insbesondere auch bezogen auf eine primäre Teilnahme an nur einer Dienstart, also Hausbesuchsdienst oder Dienst in einer Bereitschaftspraxis.

Soweit die Antragstellerin meint, es werde in ihre Berufsausübungsfreiheit eingegriffen, weil sie wegen der Teilnahme am Notdienst ihre eigenen Patienten nicht mehr versorgen könne, würde dies – die Richtigkeit des Vortrag unterstellt – nicht sie allein betreffen. Schon wegen des Umfang ihrer Heranziehung an zwei Tagen im Quartal erscheint dies fernliegend (so auch BSG, Beschluss vom 02.08.2017 – B 6 KA 11/17 B – juris Rn.10).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 154 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung.

Die Entscheidung über den Streitwert folgt aus § 53 Abs. 3 Nr. 4, § 52 Abs. 2 Gerichtskostengesetz (GKG) und entspricht derjenigen im erstinstanzlichen Verfahren aus den dort ausgeführten, zutreffenden Gründen. Der Beschluss ist nicht mit der Beschwerde anfechtbar (§ 177, § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit § 68 Abs. 1 Satz 5, § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).

Dr. Wahl Koppen Wagner
Rechtskraft
Aus
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