L 3 AS 1009/17 B ER

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
3
1. Instanz
SG Dresden (FSS)
Aktenzeichen
S 10 AS 2531/17 ER
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 3 AS 1009/17 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
1. Ein Rechtsanwalt hat nicht nur eine zuverlässige Kanzleiorganisation für die Eintragung, Verwaltung und Löschung von Fristen sicherzustellen, sondern er hat auch die Ausgangskontrolle von fristgebundenen Schriftsätzen so zu organisieren, dass sie einen gestuften Schutz gegen Fristversäumungen bietet.
2. Diese Anforderungen sind auch an ein Postausgangskontrollsystem zu stellen, bei dem die Schriftsätze über ein EGVP an das Rechtsmittelgericht gesandt werden.
I. Der Antrag des Antragstellers auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Beschwerdefrist wird abgelehnt.

II. Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Chemnitz vom 12. Juli 2017 wird als unzulässig verworfen.

III. Außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

IV. Der Antrag des Antragstellers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren wird abgelehnt.

Gründe:

I. Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Dresden vom 12. Juli 2017 ist nicht statthaft und wird gemäß § 202 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) i. V. m. § 572 Abs. 2 Satz 2 der Zivilprozessordnung (ZPO) als unzulässig verworfen.

Der Antragsteller hat die Beschwerdefrist nicht gewahrt. Gemäß § 173 Satz 1 SGG ist die Beschwerde binnen eines Monats nach Bekanntgabe der Entscheidung beim Sozialgericht schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen. Die Beschwerdefrist ist auch gewahrt, wenn die Beschwerde innerhalb der Frist bei dem Landessozialgericht schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eingelegt wird (vgl. § 173 Satz 2 SGG).

Der mit einer vollständigen und zutreffenden Rechtsmittelbelehrung versehene Beschluss des Sozialgerichts vom 12. Juli 2017 wurde dem Prozessbevollmächtigten des Antragstellers gegen Empfangsbekenntnis am 12. Juli 2017 (vom Antragstellerbevollmächtigten am selben Tag unterschrieben und am 21. Juli 2017 per Telefax zurückgesandt) zugestellt. Die einmonatige Frist zur Einlegung der Beschwerde begann gemäß § 64 Abs. 1 SGG mit dem Tag nach der Zustellung, das heißt am 13. Juli 2017. Eine nach Monaten bestimmte Frist endet gemäß § 64 Abs. 2 Satz 1 SGG mit dem Ablauf desjenigen Tages des letzten Monats, welcher nach Benennung oder Zahl dem Tag entspricht, in den das Ereignis oder der Zeitpunkt fällt. Die einmonatige Beschwerdefrist endete somit einen Monat nach dem Tag der Zustellung des Beschlusses, mithin am 12. August 2017, einem Samstag. Fällt das Ende einer Frist wie hier auf einen Sonnabend, so endet gemäß § 64 Abs. 3 SGG die Frist mit Ablauf des nächsten Werktages, mithin am Montag, dem 14. August 2017. Der Prozessbevollmächtigte des Antragstellers übermittelte die an das Sozialgericht adressierte Beschwerdeschrift vom 3. August 2017 jedoch erst am 27. September 2017 per Elektronischem Gerichts- und Verwaltungspostfach (EGVP) an das Sächsische Landessozialgericht. An diesem Tag war die Beschwerdefrist bereits abgelaufen. Der Antragsteller wahrte mithin nicht die einmonatige Beschwerdefrist.

II. Der zugleich mit der Beschwerdeeinlegung gestellte Antrag des Antragstellers auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumens der Beschwerdefrist bleibt ohne Erfolg, da die Voraussetzungen hierfür nicht vorliegen. Nach § 67 Abs. 1 SGG ist Voraussetzung für die Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, dass jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Verfahrensfrist einzuhalten.

1. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes liegt ein Verschulden hinsichtlich der Wahrung der Frist vor, wenn der Prozessführende diejenige Sorgfalt außer Acht lässt, die für einen gewissenhaften und seine Rechte und Pflichten sachgemäß wahrnehmenden Prozessführenden im Hinblick auf die Fristwahrung geboten ist und ihm nach den gesamten Umständen des konkreten Falles zuzumuten war (vgl. z. B. BSG, Beschluss vom 8. September 2010 – B 14 AS 96/10 B – juris Rdnr. 6; BSG, Beschluss vom 6. Oktober 2016 – B 5 R 45/16 B – juris Rdnr. 14; vgl. auch Sächs. LSG, Urteil vom 14. Januar 2016 – L 3 AS 976/14 – juris Rdnr. 28; Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG [12. Aufl., 2017], § 67 Rdnr. 3, m. w. N.). Das Verschulden des Prozessbevollmächtigten steht dabei gemäß § 73 Abs. 6 Satz 7 SGG i. V. m. § 85 Abs. 2 ZPO dem Verschulden des Beteiligten gleich. Für ein Verschulden von Hilfspersonen des Bevollmächtigten gilt dasselbe dann, wenn dieses vom Bevollmächtigten selbst zu vertreten, also als dessen eigenes Verschulden anzusehen ist (vgl. BSG, Beschluss vom 8. Februar 2017 – B 1 KR 93/16 B – juris Rdnr. 5). Kein Verschulden des Prozessbevollmächtigten liegt dagegen vor, wenn er darlegen kann, dass ein Büroversehen vorliegt und er alle Vorkehrungen getroffen hat, die nach vernünftigem Ermessen die Nichtbeachtung von Fristen auszuschließen geeignet sind, und dass er durch regelmäßige Belehrung und Überwachung seiner Bürokräfte für die Einhaltung seiner Anordnungen Sorge getragen hat (vgl. BSG, Beschluss vom 8. Februar 2017, a. a. O.).

2. Vorliegend hat der Antragsteller weder dargetan noch glaubhaft gemacht, dass sein Prozessbevollmächtigter durch eine ordnungsgemäße Organisation der Ausgangskontrolle in seiner Kanzlei dafür Sorge getragen hat, dass Rechtsmittelfristen nicht versäumt werden.

a) Nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung hat ein Rechtsanwalt dafür zu sorgen, dass ein fristgebundener Schriftsatz rechtzeitig hergestellt wird und innerhalb der Frist beim zuständigen Gericht eingeht. Zu diesem Zweck hat er eine zuverlässige Fristenkontrolle zu organisieren, um Fehlerquellen bei der Behandlung von Rechtsmittelfristen auszuschließen (vgl. u.a. BSG, Urteil vom 18. März 1987 – 9b RU 8/86BSGE 61, 213 ff. = SozR 1500 § 67 Nr. 18 = juris Rdnr. 9; BSG, Beschluss vom 11. Dezember 2008 – B 6 KA 34/08 B – juris Rdnr. 8; BSG, Beschluss vom 8. September 2010 – B 14 AS 96/10 B – juris Rdnr. 6; BGH Beschluss vom 2. Februar 2010 – XI ZB 23/08 – juris Rndr. 11; BGH Beschluss vom 4. November 2011 – VIII ZB 38/14 – juris Rndr. 12; BFH, Beschluss vom 27. Juli 2011 – IV B 131/10 – juris Rdnr. 17; BFH, Beschluss vom 9. Januar 2014 – X R 14/13 – juris Rdnr. 12). Dabei hat er nicht nur eine zuverlässige Kanzleiorganisation für die Eintragung, Verwaltung und Löschung von Fristen sicherzustellen, sondern er hat auch die Ausgangskontrolle von fristgebundenen Schriftsätzen so zu organisieren, dass sie einen gestuften Schutz gegen Fristversäumungen bietet (vgl. BGH Beschluss vom 4. November 2014 – VIII ZB 38/14 – juris Rdnr. 9; OLG Frankfurt, Beschluss vom 16. Juni 2017 – 16 U 41/17 – juris Rdnr. 8; Greger, in: Zöller, ZPO [31. Aufl., 2016], § 233 Rdnr. 23 [Stichwort: Ausgangskontrolle). Dazu gehört, dass die fristgebundenen Schriftsätze nicht nur hergestellt sind, sondern auch so "postfertig" gemacht worden sind, dass die Beförderung nicht mehr durch ein Versehen verhindert werden kann. Dabei darf eine fristwahrende Maßnahme erst als erledigt gekennzeichnet werden, wenn der Schriftsatz in ein Postausgangsfach eingelegt ist und das Postausgangsfach "letzte Station" auf dem Weg zum Adressaten ist (vgl. BGH, Beschluss vom 9. September 1997 – IX ZB 80/97 – juris Rdnr. 10; OLG Frankfurt, a. a. O.). Denn mit einer derart abgestuft organisierten Ausgangskontrolle soll die Prüfung sichergestellt werden, ob möglicherweise in einer bereits als erledigt vermerkten Fristsache die fristwahrende Handlung noch aussteht (vgl. BGH Beschluss vom 4. November 2014 - VIII ZB 38/14 – juris Rdnr. 10; BGH, Beschluss vom 12. April 2011 – VI ZB 6/10 – juris Rndr. 7). Zur Postausgangskontrolle gehört, dass am Ende jedes Arbeitstages zu prüfen ist, welche fristwahrenden Schriftsätze hergestellt, abgesandt oder zumindest nach den vor genannten Grundsätzen versandfertig gemacht wurden, und ob diese mit den im Fristenkalender vermerkten Sachen übereinstimmen (vgl. BGH, Beschluss vom 4. November 2014, a. a. O.).

Diese Anforderungen müssen auch an ein Postausgangskontrollsystem gestellt werden, bei dem die Schriftsätze über ein EGVP an das Rechtsmittelgericht gesandt werden (vgl. OLG Frankfurt, a. a. O.). Auch hier muss ein abgestuftes System der Postausgangskontrolle eingerichtet sein. Denn elektronische Systeme dürfen keine hinter der manuellen Führung zum Beispiel eines Postausgangsbuchs zurückbleibende Überprüfungssicherheit bieten (vgl. BGH vom 4. November 2014, a. a O., m. w. N.). Wie im Fall einer Übermittlung per Telefax, bei dem nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs anhand des Sendeberichts zu überprüfen ist, ob der Schriftsatz vollständig und an das richtige Gericht übermittelt worden ist (vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 27. Juni 2017 – VI ZB 32/16 – juris Rdnr. 6, m. w. N.), muss auch im Fall der Übermittlung des Schriftstücks über ein EGVP überprüft werden, ob der Schriftsatz vollständig an das zuständige Gericht übermittelt worden ist. Dies ist dem am EGVP-Verfahren teilnehmenden Rechtsanwalt durch die Überprüfung der Eingangsbestätigung, die das Datum und die Uhrzeit des Eingangs auf dem Server des Empfängers sowie die Namen und Dateigröße der übermittelten Dokumente dokumentieren, ohne weiteres möglich.

b) Unter Beachtung der nach der vorgenannten Rechtsprechung geforderten Sorgfaltspflichten hat der Prozessbevollmächtigte des Antragstellers diese im vorliegenden Fall nicht erfüllt. Die von ihm für die Übermittlung eines fristgebundenen Schriftsatzes über ein EGVP an das Gericht dargelegten Maßnahmen und Anweisungen sind nicht ausreichend.

Es genügt nicht, dass lediglich geprüft wurde, dass der Schriftsatz nach erfolgter Signatur aus dem elektronischen Postausgangskorb von RA Micro, einer Kanzleisoftware für Rechtsanwälte, zum EGVP-Client übermittelt wurde, von dem aus es nach dem Vortrag des Antragstellers in der Regel automatisiert und in der Vergangenheit zuverlässig an den EGVP-Server für das Sozialgericht weitergeleitet worden war. Es genügt auch nicht, dass die Mitarbeiter seines Sekretariats angewiesen sind, den Ordner des EGVP-Client auf eine etwaige Fehlermeldung hin zu überprüfen. Eine wirksame Maßnahme zur Postausgangskontrolle im System des EGVP sowie zur Kontrolle des Zugangs des Schriftsatzes auf dem EGVP-Server für das Sozialgericht stellt diese Vorgehensweise nicht dar, da sich hierdurch nicht zuverlässig festzustellen lässt, dass der Schriftsatz tatsächlich aus dem System des Prozessbevollmächtigten an den EGVP-Server für das Sozialgericht übermittelt wurde. Allein dies wäre in einfacher Weise durch die Überprüfung und Kontrolle der im EGVP-System des Antragstellerbevollmächtigten hinterlegten Eingangsbestätigung des Dokuments auf dem EGVP-Server für das Sozialgericht möglich gewesen. Da es im vorliegenden Fall keine Eingangsbestätigung im System des Prozessbevollmächtigten gab, hätte sich hieraus im Umkehrschluss ergeben, dass die Beschwerdeschrift vom 3. August 2017 auch nicht beim Sozialgerichts eingegangen sein konnte und somit die Frist noch nicht gewahrt war.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.

4. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt. Die Beschwerde war aus den dargelegten Gründen von Anfang an unzulässig und daher ohne Erfolgsaussicht (vgl. § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG i. V. m. § 114 ZPO).

5. Diese Entscheidung ist nicht anfechtbar (vgl. § 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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