S 17 KR 67/03

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Gelsenkirchen (NRW)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
17
1. Instanz
SG Gelsenkirchen (NRW)
Aktenzeichen
S 17 KR 67/03
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten hinsichtlich der Kostenübernahme für eine Hilfsmittel-Zweitversorgung.

Der am 00.00.1993 geborene Kläger leidet an einem Zustand bei infantiler Cerebralparese mit spastischer Diplogie. In Folge dessen ist der Kläger unfähig, selbständig zu gehen und zu stehen und daher durch die Beklagte mit einem Rollstuhl ausgestattet, der mit einer speziell angepassten Sitzschale versehen ist.

Am 06.02.2002 wurde für den Kläger eine weitere Kombination aus Rollstuhl und Sitzschale als Zweitversorgung für die Schule beantragt. Daraufhin erfolgte durch die Beklagte die Versorgung mit einem weiteren Rollstuhl als Untergestell für die bereits vorhandene Sitzschale. Die Kosten für eine zweite Sitzschale lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 17.12.2002 ab, da die bereits vorhandene für den Zweitrollstuhl mitverwendet werden könne. Den Widerspruch vom 30.12.2002 wies die Widerspruchsstelle der Beklagten mit Bescheid vom 08.04.2003 zurück. Zur Begründung führte sie unter anderem aus, mit der Zurverfügungstellung eines weiteren Rollstuhls als Untergestell für die bereits vorhandene Sitzschale sei die Mobilität des Klägers auch in der Schule sichergestellt. Eine Zweitversorgung mit einer Sitzschale sei nicht möglich, da eine Mehrfachausstattung mit einem Hilfsmittel nur in Ausnahmefällen gewährt werden könne. Sie komme zum einen aus hygienischen Gründen in betracht, wenn z.B. ein am Körper getragenes Hilfsmittel gewechselt werden müsse, zum anderen dann, wenn aufgrund der besonderen Beanspruchung durch den Versicherten die gelieferte Erstausstattung nicht ausreiche, um alle konkret zu berücksichtigenden Grundbedürfnisse des Versicherten abzudecken. Die von der Kasse bereits zur Verfügung gestellte Sitzschale lasse sich problemlos auf den jeweils benötigten Rollstuhl umstecken. Die Sitzschale sei somit für die zur Verfügung gestellten Rollstühle (Untergestelle) nutzbar und gleiche die Behinderung in allen Bereichen des täglichen Lebens aus. Die Versorgung mit einer zweiten Sitzschale würde demnach das Maß des Notwendigen im Hinblick auf eine Grundversorgung überschreiten.

Mit der am 008.05.2003 bei Gericht eingegangenen Klage verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Er ist der Auffassung, es bestehe ein Anspruch auf Kostenübernahme für eine zweite Sitzschale für den in der Schule in I befindlichen Rollstuhl. Grundsätzlich sei er sowohl im häuslichen als auch im schulischen Bereich mit Hilfsmitteln zu versorgen. Daher sei auch ein rezeptierter zweiter Rollstuhl von der Beklagten bewilligt worden. Dieser Rollstuhl könne indes nicht genutzt werden, wenn die beantragte Sitzschale nicht eingelegt sei. Daher werde der Kläger zur Zeit in der Schule in seiner "Kinderkarre" geschoben, obwohl er in der Lage wäre, sich mit einem seinen Bedürfnissen angepassten Rollstuhl mit Sitzschale alleine fortzubewegen. Die Nichtversorgung mit einer zweiten Sitzschale und der damit einhergehenden Nichtnutzbarkeit des zweiten Rollstuhls habe zur Folge, dass eine optimale geistige und körperliche Entwicklung und Förderung verhindert werde.

Bei der beantragten Sitzschale handele es sich um eine 9,7 Kilogramm schwere Sitzschale, die mit Adaptern am Rollstuhl fixiert werde. Daher könne der Kläger auch nicht - wie von der Beklagten vorgeschlagen - selbst für eine täglichen Transport der Sitzschale von zu Hause zur Schule und zurück sorgen. Ebenso sei in der Schule kein Personal vorhanden, das die Sitzschale täglich ein- und ausbauen könnte. Darüber hinaus sei zu berücksichtigen, dass im Fahrzeug, welches vom Kläger für den Schulwege eingesetzt werde, kein zusätzlicher Raum für diese zweite Sitzschale vorgesehen sei. Demnach sei ein Mitverwenden der bereits vorhandenen Sitzschale für den häuslichen Bereich auch für die schulischen Bereich nicht praktikabel und durchführbar. Der Kläger werde nicht mit einem Privat-Pkw von seinem Zuhause zur Schule und zurück transportiert sondern fahre mit einem Sammelbus. Weder der Fahrer des Busses noch die Lehrkräfte der Schule seien zuständig und gewillt, die Sitzschale zu demontieren und in den Bus zu verbringen. Auch sei in dem Sammelbus kein geeigneter Raum für die schwere Sitzschale.

Schließlich könne der gewählte Transport in die Schule nicht als eigenverantwortlicher Bereich bezeichnet werden mit der Folge, dass die Eltern für den Transfer der Sitzschale zuständig seien. Die Eigenverantwortung für die Nutzbarkeit der Sitzschale im schulischen Bereich habe ihre Grenze in der Unzumutbarkeit. Gemessen an der zweimal täglich durchzuführenden Fixierung und Demontage der Sitzschale durch die Eltern des Klägers mit der dadurch erforderlich Präsenz in der Schule sei die Grenze der Zumutbarkeit überschritten.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 17.12.202 in Form des Widerspruchsbescheides vom 08.04.2002 zu verurteilen, ihm die weitere verordnete Sitzschale zur Verfügung zu stellen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie bezieht sich zur Begründung auf den Inhalt der angefochtenen Bescheide und weist ergänzend darauf hin, dass Sitzschalen mittels Gurtsystem oder mit einem Trapezadapter auf einem Rollstuhl befestigt werden. Diese Verbindung sei leicht zu lösen und erfordere kein geschultes Personal. Auch wenn nachvollziehbar sei, dass der Kläger aufgrund seines Körpergewichts und des Eigengewichts der Sitzschale nicht in dieser sitzend transportiert werden könne, so sei es dennoch zumutbar, die leere Sitzschale für den Transport in die Schule vom Rollstuhl abzunehmen und in den Kofferraum eines Pkw zu heben.

Grund für die beantragte Mehrfachausstattung mit einer Sitzschale sei vorliegend nicht, dass der Kläger diese zur Befriedigung seiner Grundbedürfnisse benötige, sondern dass ein Transport der vorhandenen Sitzschale aus den in der Klagebegründung genannten Gründen nicht möglich erscheine. Dies könne jedoch eine Leistungspflicht der Kasse nicht begründen, da diese für die medizinische Rehabilitation zuständig sei und besondere Schwierigkeiten, die durch den jeweils gewählten Transport entstünden, in den eigenverantwortlichen Bereich fielen.

Der Kläger benötige Hilfe beim Umsetzen von einem Rollstuhl auf den anderen, unabhängig davon, ob der zweite Rollstuhl für die Schule mit einer Sitzschale ausgestattet sei oder nicht. Auch bei Vorhandensein einer zweiten Sitzschale wäre der Kläger nicht in der Lage, den Transfer selbständig vorzunehmen. Das Vorbringe, weder der Fahrer des Sammelbusses noch die Lehrkräfte der Schule seien zuständig und gewillt, die Sitzschale zu transportieren, könne keine andere Entscheidung herbeiführen. Ggf. sei der Transport so zu organisieren, dass die Mitnahme aufgrund der Behinderung notwendiger Hilfsmittel möglich sei.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der vorbereitenden Schriftsätze und die Verwaltungsakte der Beklagten, die ihrem wesentlichen Inhalt nach Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Beratung war, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht erhobene Klage ist zulässig. Sie ist jedoch nicht begründet.

Der Kläger wird durch die angefochtenen Bescheide der Beklagten nicht in seinen Rechten verletzt. Die Bescheide sich rechtsfehlerfrei ergangen. Der geltend gemachte Anspruch steht dem Kläger auch nach Auffassung der Kammer nicht zu. Die Kammer nimmt insoweit zunächst vollinhaltlich Bezug auf die Gründe des angefochtenen Widerspruchsbescheides vom 08.04.2003 (§ 136 Abs. 3 Sozialgerichtsgesetz -SGG-).

Zu Recht verweist die Beklagte darauf, dass die Zweitversorgung mit einem Hilfsmittel im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung grundsätzlich nur in den von ihr aufgezeigten Ausnahmefällen möglich ist. Ein solcher Fall liegt aber beim Kläger nicht vor. Die Zweitausstattung wird ausschließlich begehrt, weil der Transport des bereits zur Verfügung gestellten Erstmittels problematisch ist. Dies jedoch kann nach Auffassung der Kammer den Anspruch auf eine Zweitausstattung nicht begründen. Die Leistungspflicht der Krankenkasse beschränkt sich bei der Hilfsmittelgewährung auf Maßnahmen medizinischer Art. Die Krankenkasse ist nicht zuständig für Maßnahmen, die nicht bei der Behinderung selbst, sondern bei deren Folgen auf beruflichem, gesellschaftlichem oder privatem Gebiet ansetzen. Bei Gehbehinderten, insbesondere rollstuhlgebundenen Versicherten beschränkt sich das Grundbedürfnis nach Bewegungsfreiheit und Teilnahme am gesellschaftlichem Leben auf das Bewegen in der Wohnung und im Nahbereich und wird insoweit durch Gehhilfen und Rollstühle sichergestellt. Die Erschließung eines größeren Bewegungsraumes durch die Benutzung eines Kraftfahrzeuges und den hierdurch ermöglichten Transport des Hilfsmittels zählt daher - auch nach Inkrafttreten des SGB IX - nicht zu der Grundbedürfnissen, für die die Krankenkassen einzutreten haben (BSG 26.03.2003, B 3 KR 23/02 R).

Nach Auffassung der Kammer gehört weder der Weg zur Schule noch der insoweit erforderliche Transport eines notwendigen Hilfsmittels zu dem in der gesetzlichen Krankenversicherung versicherten Risiko. Zudem würde die Zurverfügungstellung einer zweiten Sitzschale den persönlichen Freiraum des Klägers nicht wesentlich erhöhen. Da der Kläger selbst geh- und stehunfähig ist, bedarf er zur Durchführung des Transports in die Schule in jedem Fall fremder Hilfe. Er muss aus dem im häuslichen Bereich vorhandenen Rollstuhl in den Bus gesetzt und an der Schule wieder aus dem Bus getragen werden. Darüber hinaus muss im Bereich der Schule der dort vorhandene Rollstuhl zunächst herausgeholt, zum Bus gefahren und anschließend der Kläger in diesen Rollstuhl gesetzt werden. Zu diesem in jedem Fall vorhandenen und maßgeblichen Hilfebedarf kommt lediglich ist Demontage der Sitzschale bzw. erneute Montage auf dem zweiten Untergestell hinzu. Insoweit vermag die Kammer keine unzumutbare zusätzliche Mehrbelastung der Hilfspersonen zu erkennen. Darüber hinaus ist für die Art und Weise sowie die Finanzierung des Transports der Schüler zur Schule der Schulträger bzw. der Landschaftsverband zuständig. Deren Aufgabe wird es sein, eine Transportmöglichkeit zu schaffen, bei der die Mitnahme der Sitzschale für den Kläger möglich ist.

Darüber hinaus ist unter Beachtung des Wirtschaftlichkeitsgebots aus § 12 Abs. 1 SGB V zu bedenken, dass die beim Kläger körpergerecht angepasste Sitzschale - im Gegensatz zu den Rollstuhluntergestellen - aufgrund des Körperwachstums in gewissen Abständen immer wieder neu zur Verfügung gestellt und angepasst werden muss. Würde daher die Beklagte zukünftig die Kosten auch für eine zweite Sitzschale übernehmen müssen, würden sich die hierdurch entstehenden Kosten nicht nur einmalig sondern fortlaufend verdoppeln. Eine derartige Mehrbelastung für die Versichertengemeinschaft erscheint der Kammer im Hinblick auf die dargestellten Erleichterungen unverhältnismäßig.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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