L 3 AL 94/18

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Chemnitz (FSS)
Aktenzeichen
S 28 AL 146/17
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 3 AL 94/18
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Wenn auf eine Klage gegen einen ablehnenden Verwaltungsakt hin durch das Gericht der Verwaltungsakt aufgehoben und die Behörde verpflichtet wird, ein ihr zustehendes Ermessen nach Maßgabe der in den Entscheidungsgründen enthaltenen Vorgaben erneut auszuüben, ist es der Behörde verwehrt, ihre erneute Verwaltungsentscheidung mit Aspekten zu begründen, die, wenn sie vorlägen, das Ermessen gar nicht erst eröffnen würden.
I. Auf die Berufung der Klägerin werden der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Chemnitz vom 22. Mai 2018 sowie der Bescheid der Beklagten vom 7. Dezember 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. März 2017 aufgehoben.

II. Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin in beiden Rechtszügen zu 8/10.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt die Förderung der Teilnahme an einer beruflichen Weiterbildungsmaßnahme (Einzelumschulung zur Steuerfachangestellten).

Die Klägerin stellte am 20. Juni 2014 bei der Beklagten einen Antrag auf Förderung einer beruflichen Weiterbildung in Form einer Einzelumschulung zur Steuerfachangestellten.

Mit Bescheid vom 10. Juli 2014 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Arbeitslosigkeit oder drohende Arbeitslosigkeit allein begründeten nicht die Notwendigkeit der Weiterbildung. Weitere Voraussetzung sei, dass Arbeitslosigkeit voraussichtlich nur durch die Teilnahme an einer beruflichen Weiterbildung vermieden werden könne. Das sei bei der Klägerin nicht der Fall, da sie eine Ausbildung als Bürokauffrau abgeschlossen habe und auf dem Arbeitsmarkt gut verwertbare Kenntnisse in den Bereichen Buchführung, Buchhaltung und Finanzbuchhaltung besitze. Eine berufliche Weiterbildung/Qualifizierung als Finanzbuchhalterin oder Bilanzbuchhalterin sei in Aussicht gestellt worden.

Den Widerspruch vom 1. August 2014, mit dem die Klägerin unter anderem geltend machte, während ihrer vorangegangenen Beschäftigung lediglich einfache Sekretariats- und Empfangsarbeiten ausgeübt und sich deshalb ihrem Beruf entfremdet zu haben, wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 11. August 2014 zurück. Sie wog die wechselseitigen Interessen der Klägerin und der Versichertengemeinschaft gegeneinander ab und führte abschließend aus: "Es war nach alledem nicht ermessensfehlerhaft oder gar ermessensmissbräuchlich den Antrag der Widerspruchsführerin auf Förderung der beruflichen Weiterbildung abzulehnen."

Auf die Klage der Klägerin vom 8. September 2014 (Az. S 24 AL 744/14) hob das Sozialgericht mit Urteil vom 14. April 2016 den Bescheid vom 10. Juli 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. August 2014 auf und verpflichtete die Beklagte, über den Antrag der Klägerin auf Förderung der beruflichen Weiterbildung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden. Die Beklagte habe ermessensfehlerhaft festgestellt, dass die Umschulung der Klägerin zur Steuerfachangestellten nicht zu fördern sei. Zwar seien die von der Beklagten herangezogenen Ermessensgesichtspunkte nicht zu beanstanden, die Beklagte habe aber in der Einzelfallprüfung Gesichtspunkte nicht beachtet, die sie hätte berücksichtigen müssen. Im weiteren Verlauf der Entscheidungsgründe führte das Sozialgericht aus, welche – weiteren – Aspekte es bei der erneuten Ermessensausübung berücksichtigt wissen möchte. Das Sozialgericht gab dem Urteil eine Rechtsmittelbelehrung dahingehend bei, dass es mit der Berufung angefochten werden kann. Davon machten weder die Klägerin noch die Beklagte Gebrauch.

In der Folge erteilte die Beklagte der Klägerin den Bildungsgutschein Nr ... mit einer Gültigkeitsdauer vom 1. September 2014 bis zum 30. November 2014, der weiter regelte, dass tatsächlich anfallende Kosten bis zu 24 Monate einschließlich eines notwendigen Betriebspraktikums für das Bildungsziel Steuerfachangestellte bei Unterricht in Vollzeit in einer betrieblichen Weiterbildungsstätte im Tagespendelbereich übernommen werden.

Mit Bescheid vom 7. Dezember 2016 lehnte die Beklagte die Förderung der beruflichen Weiterbildung (zum Antrag vom 20. Juni 2014) ab. Die Dauer einer Vollzeitmaßnahme, die zu einem Abschluss in einem allgemein anerkannten Ausbildungsberuf führe, sei angemessen im Sinne des § 179 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 des Sozialgesetzbuches Drittes Buch – Arbeitsförderung – (SGB III), wenn sie gegenüber einer entsprechenden Berufsausbildung um mindestens ein Drittel der Ausbildungszeit verkürzt sei (§ 180 Abs. 4 Satz 1 SGB III). Da eine Verkürzung der Dauer der Vollzeitmaßnahme im Falle der Klägerin nicht erfolgt sei, beschränke sich ihr Umfang nicht auf das zum Erreichen des Maßnahmeziels notwendige Maß und könne nicht nach § 179 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB III von einer fachkundigen Stelle zugelassen werden, sodass eine Förderung durch Übernahme der Weiterbildungskosten nach § 81 Abs. 1 SGB III nicht möglich sei.

Den Widerspruch der Klägerin vom 19. Dezember 2016 wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 7. März 2017 zurück und wiederholte die Argumentation aus dem vorangegangenen Ablehnungsbescheid.

Die dagegen gerichtete Klage vom 29. März 2017 hat das Sozialgericht mit Gerichtsbescheid vom 22. Mai 2018 unter Bezugnahme auf den Widerspruchsbescheid vom 7. März 2017 abgewiesen. Da die objektiven Voraussetzungen für die Förderung fehlten, komme es auf Ermessenserwägungen gar nicht mehr an. Da sich das Urteil vom 14. April 2016 zu diesen Fördervoraussetzungen nicht geäußert habe, stehe die jetzige Entscheidung der Beklagten der dortigen Rechtsauffassung nicht entgegen.

Gegen den ihr am 29. Mai 2018 zugestellten Gerichtsbescheid wendet sich die Klägerin mit ihrer Berufung vom 26. Juni 2018. Die Ablehnung der Förderung verletze ihre Rechte aus dem Urteil des Sozialgerichts vom 14. April 2016. Zumindest habe sie Anspruch auf Umsetzung des erteilten Bildungsgutscheins.

Die Klägerin beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichtes Chemnitz vom 22. Mai 2018 sowie den Bescheid der Beklagten vom 7. Dezember 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. März 2017 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt des beigezogenen Verwaltungsvorgangs sowie der Gerichtsakten beider Instanzen verwiesen.

Entscheidungsgründe:

I. Die zulässige Berufung der Klägerin ist begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 7. Dezember 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. März 2017 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten. Der zu einer anderen Einschätzung gelangende Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Chemnitz vom 22. Mai 2018 ist aufzuheben.

Die Verwaltungsentscheidungen der Beklagten vom 7. Dezember 2016 und 7. März 2017 sind rechtswidrig, denn sie missachten den Ausspruch des rechtskräftigen Urteils vom 14. April 2016 im Verfahren Az. S 24 AL 744/14. Das Urteil gibt vor, dass die Beklagte das ihr im Rahmen von § 81 SGB III zustehende Ermessen nach Maßgabe der in den Entscheidungsgründen enthaltenen Vorgaben erneut auszuüben hat. Der Beklagten ist es damit verwehrt, ihre erneute Verwaltungsentscheidung mit Aspekten zu begründen, die, wenn sie vorlägen, das Ermessen gar nicht erst eröffneten.

Zwar ist der Beklagten zuzugestehen, dass das Sozialgericht sich in dem Urteil vom 14. April 2016 mit dem Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen, die das Ermessen erst eröffnen, nur rudimentär auseinandergesetzt hat. In den Entscheidungsgründen ist lediglich der Wortlaut von § 81 SGB III, der die Voraussetzungen aufzählt, auszugsweise zitiert. Das Sozialgericht stellt insoweit lediglich fest, dass eine Beratung der Klägerin (vgl. § 81 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB III) erfolgt sei. Das Vorliegen der weiteren Voraussetzungen hat das Sozialgericht offensichtlich als nicht problematisch angesehen und sich sodann in den Entscheidungsgründen lediglich noch mit der Ermessensausübung beschäftigt.

Dass sich das Sozialgericht mit den dem Ermessen vorgelagerten Tatbestandsvoraussetzungen nicht weiter auseinandergesetzt hat, führt aber nicht dazu, dass die Beklagte zur Begründung der hier zu beurteilenden Verwaltungsentscheidungen auf diese Aspekte zurückgreifen konnte. Denn wenn die Auffassung der Beklagten zuträfe, dass bereits die tatbestandlichen Voraussetzungen einer Förderung nicht vorlagen, sodass Ermessen nicht auszuüben war, hätte die Klage der Klägerin abgewiesen werden müssen. Die Beklagte wäre dann mit dem Urteil vom 14. April 2016 zu Unrecht zur erneuten Entscheidung über den Antrag der Klägerin unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts verurteilt worden. Wenn aber ein Leistungsträger zur Neubescheidung nach Rechtsauffassung des Gerichts verpflichtet wird, obwohl die Klage abweisungsreif ist, liegt darin eine Beschwer, die mit dem gegen die Entscheidung gegebenen Rechtsmittel nicht nur angefochten werden kann, sondern, um das Erwachsen der fehlerhaften Entscheidung in Rechtskraft zu vermeiden, auch angegriffen werden muss.

Die vom Sozialgericht im Gerichtsbescheid vom 22. Mai 2018 vertretene Auffassung, eine Ermessensreduzierung auf Null oder ein Ermessensfehlgebrauch liege deshalb nicht vor, weil es schon an den objektiven Voraussetzungen der Förderung fehle, hält nach alldem der rechtlichen Überprüfung nicht stand. Obwohl die vom Sozialgericht insoweit gewählten Formulierungen nicht völlig eindeutig sind, lässt sich den Ausführungen doch entnehmen, dass das Sozialgericht einen Ermessensfehler deshalb als nicht gegeben ansieht, weil ein Ermessen gar nicht auszuüben sei. Dies ist aber, wie ausgeführt, nicht zutreffend. Das rechtskräftige Urteil vom 14. April 2016 wirkt dahingehend, dass die Entscheidung auf der Ermessensebene zu treffen ist.

Ob angesichts der nunmehr eingetretenen Lage von einer Ermessensreduzierung auf Null ausgegangen werden kann, bedarf vorliegend schon deshalb keiner Betrachtung, weil der Senat über den gestellten Antrag nicht hinausgehen kann.

Zur Wiederherstellung der bereits erstrittenen Rechtsposition der Klägerin ist der Gerichtsbescheid vom 22. Mai 2018 ebenso aufzuheben wie der Bescheid der Beklagten vom 10. Juli 2014 und der Widerspruchsbescheid vom 11. August 2014. Im Ergebnis dessen hat die Beklagte, nunmehr in rechtmäßiger Weise, das Urteil vom 14. April 2016 umzusetzen. Ohne dass der Senat an den Vorgaben dieser Entscheidung zur Ermessensausübung Veränderungen vornehmen könnte, ist allerdings darauf hinzuweisen, dass die Beklagte, nachdem die Klägerin ihre Ausbildung erfolgreich abgeschlossen hat und in den Arbeitsmarkt integriert ist, Überlegungen dazu wird anstellen müssen, ob es zur Bewilligung der Förderung noch rechtlich vertretbare Alternativen gibt.

II. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG. Den Umstand, dass die Klägerin über die Verpflichtung zur Neubescheidung hinaus im Verfahren erster Instanz und im Berufungsverfahren bis zur Abfassung des Antrags in der mündlichen Verhandlung vom 23. Januar 2020 die Verpflichtung der Beklagten zur Bewilligung der Leistung beantragt hatte, berücksichtigt der Senat mit einer Quote von 20 % der Kosten. In diesem Umfang liegt erstinstanzlich ein Unterliegen und im Berufungsverfahren eine Kostenpflicht wegen – schlüssiger – Teilrücknahme vor.

III. Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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