L 1 U 891/18

Land
Freistaat Thüringen
Sozialgericht
Thüringer LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Gotha (FST)
Aktenzeichen
S 10 U 2366/16
Datum
2. Instanz
Thüringer LSG
Aktenzeichen
L 1 U 891/18
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Gotha vom 5. April 2018 wird zurückgewiesen. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Anerkennung eines Unfallereignisses als Arbeitsunfall im Sinne der gesetzlichen Unfallversicherung und die Gewährung von Hinterbliebenenleistungen an die Klägerin. Diese ist die Witwe des am 23. März 1953 geborenen und am 2. März 2016 verstorbenen Versicherten.

Am Sonntag den 21. Februar 2016 suchte der Versicherte frühmorgens sein im Erdgeschoss des Wohngebäudes befindliches Büro auf. Aufgrund eines Totalausfalles der Internet- und Telefonverbindung in der Woche zuvor war es erforderlich, Arbeiten am Computersystem durchzuführen um, um einen reibungslosen Arbeitsablauf zu Wochenbeginn zu gewährleisten. Die Klägerin vernahm nach eigenen Angaben gegen 8:00 Uhr einen Aufprallton im Bad. Sie sah zunächst nach ihrer im Untergeschoss wohnenden pflegebedürftigen Mutter. Nachdem sie festgestellt hatte, dass dort alles in Ordnung war, hörte sie einen zweiten noch heftigeren Aufprallton. Sie suchte das Büro ihres Ehemanns auf und stellte dort eine erhebliche Unordnung fest. Den Versicherten fand sie in dem zum Büro gehörenden WC in voller Länge auf dem Fliesenboden liegend. Sie leitete eine sofortige Herzdruckmassage ein und benachrichtigte den Rettungsdienst. Der Notarzt äußerte ausweislich des Notarztprotokolls den Verdacht auf Herzinfarkt, Herzstillstand, akuten Myokardinfarkt und Schädelhirntrauma nach Sturz. Der Versicherte befand sich vom 21. Februar bis 2. März 2016 in stationärer Behandlung des Neurochirurgischen Zentrums der Zentralklinik B. B. Ausweislich des Befundberichtes vom 1. März 2016 wurde eine traumatische Subarachnoidalblutung mit Kontusion rechts bifrontal u.a. festgestellt. Der Versicherte verstarb am 2. März 2016.

Mit Unfallanzeige vom 10. März 2016 zeigte die Klägerin gegenüber der Beklagten das Vorliegen eines Arbeitsunfalles an. In der Unfallanzeige ging sie davon aus, dass ihr Ehemann beim Hinsetzen den Bürostuhl verfehlt und mit großer Gewalt auf den Fliesenboden gefallen war. Benommen von dem Sturz habe er sich noch zum WC begeben können und sei dort in voller Länge auf den Fliesenboden und die Wand gefallen. Die Beklagte zog eine Kopie des Totenscheines vom 2. März 2016 bei. Darin ist als Todesursache eine traumatische Subarach-noidalblutung nach Sturz bei Myokardinfarkt und koronarer Herzerkrankung angegeben.

Mit Bescheid vom 14. April 2016 lehnte die Beklagte Entschädigungsleistungen aus Anlass des Todes des Versicherten ab. Voraussetzung für ihre Gewährung sei das Vorliegen eines Arbeitsunfalles. Ein Unfall setze voraus, dass ein zeitlich begrenztes, von außen auf den Körper einwirkendes Ereignis vorliege, das zu einem Gesundheitsschaden führe. Grundsätzlich könne davon ausgegangen werden, dass der Versicherte auch an einem Sonntag seiner versicherten Tätigkeit nachgehen könne. Der Aufenthalt im Bereich der Toilette unterliege aber nicht dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung. Zudem sei der Sachverhalt nicht geklärt. Die Vorfindesituation lasse lediglich Vermutungen zu. Hiergegen legte die Klägerin Widerspruch ein. Die Toilette, in der der Versicherte aufgefunden wurde, werde ausschließlich als Toilette für das Büro genutzt. Es sei offenkundig in den Büroräumen zu einem Sturz gekommen. Hinsichtlich der örtlichen Situation gefertigte Fotos wurden beigezogen. Mit Widerspruchsbescheid vom 30. Mai 2016 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Ein Sturz innerhalb des Büros und ein hierbei erlittener Gesundheitserstschaden lasse sich nach den Feststellungen nicht mit der erforderlichen Gewissheit annehmen. Es reiche nicht aus, dass dies als möglich erscheine.

Hiergegen hat die Klägerin am 27. Juni 2016 vor dem Sozialgericht Gotha Klage erhoben und vorgetragen, für das Entstehen des tödlichen schweren Hirnödems komme allein ein Sturz des Versicherten in den Büroräumen in Betracht. Die Diagnose des Notarztes "Myokardinfarkt" sei keine endgültige Diagnose. Dass der erste Sturz sich im Büro ereignet habe, werde durch dessen unordentlichen Zustand bewiesen. Der Computer im Büro sei nicht abgeschaltet gewesen. Der bewegliche Rollstuhl sei in die Fensterjalousie gerollt und habe die Lamellen aus der Schiene gerissen. Der Bürostuhl sei mit dem Rollcontainer unter dem Schreibtisch kollidiert. Sie habe des Weiteren festgestellt, dass der Fenstergriff eines der kleinen Fenster im Büro aufgestellt, das Fenster aber nicht geöffnet gewesen sei.

Mit Urteil vom 5. April 2018 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Arbeitsunfälle seien nach § 8 Abs. 1 Satz 1 des Siebten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VII) Unfälle von Versicherten in Folge einer den Versicherungsschutz begründenden Tätigkeit. Unfälle seien zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führten. Hier sei ein von außen auf den Körper einwirkendes Ereignis nicht voll bewiesen. Das von der Klägerin angenommene tatsächliche Geschehen bleibe spekulativ und sei nicht belegt. Die nach der Rechtsprechung zu fordernde an Gewissheit grenzende Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen eines Arbeitsunfalles liege nicht vor.

Mit ihrer Berufung verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter. Das Haus sei als Wohn- und Geschäftshaus konzipiert, gebaut und auch deklariert. Der Sturz des Versicherten habe mit dem Familienheim nichts zu tun. Der erste Sturz könne durch Sie eindeutig als im Büro erfolgt zugeordnet werden. Sie habe ihren Mann klinisch tot in der Toilette vorgefunden. Die Toilette gehöre zum Gewerbebereich. Die Unordnung im Büro sei nachgewiesen.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Gotha vom 5. April 2018 aufzuheben und unter Aufhe-bung des Bescheides der Beklagten vom 14. April 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. Mai 2016 festzustellen, dass der Versicherte am 21. Februar 2016 einen Arbeitsunfall im Sinne der gesetzlichen Unfallversicherung erlitten hat und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin Hinterbliebenenleistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Zur Begründung nimmt sie auf die Ausführungen im Urteil des Sozialgerichts Bezug. Zur Annahme eines Arbeitsunfalles bedürfe es eines vollbeweislich gesicherten Primärschadens. Fest stehe nur, dass der Kläger einen Herzstillstand erlitten und eine traumatische Subarachno-idalblutung vorgelegen habe. Wie es dazu gekommen sei, sei nicht geklärt. Vieles spreche für einen Unfall aus innerer Ursache.

Die Beteiligten haben auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte, den Verwaltungsvorgang der Beklagten und die Akte der Staatsanwaltschaft Erfurt 102 UJs 100136/16 verwiesen, welche Gegenstand der Beratung waren.

Entscheidungsgründe:

Im Einverständnis der Beteiligten konnte der Senat ohne mündliche Verhandlung nach § 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) entscheiden.

Die zulässige Berufung der Klägerin (§§ 143, 144, 151 SGG) hat in der Sache keinen Erfolg. Das Sozialgericht hat die Klage gegen den Bescheid vom 14. April 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. Mai 2016 zu Recht abgewiesen. Der Bescheid ist nicht rechtswidrig. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Feststellung, dass der Versicherte am 21. Februar 2016 einen Arbeitsunfall im Sinne des § 8 Abs. 1 SGB VII erlitten hat und ihr deshalb ein Anspruch auf Gewährung von Hinterbliebenenleistungen nach § 63 SGB VII zusteht.

Nach § 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 i.V.m. Satz 2 SGB VII haben Hinterbliebene Anspruch auf Hinterbliebenenrente, wenn der Tod des Versicherten infolge eines Versicherungsfalls (Arbeitsunfall oder (Wie-)Berufskrankheit, § 7 Abs. 1 SGB VII) eingetreten ist. Es ist nicht nachgewiesen, dass der Versicherte durch einen hier allein in Betracht kommenden Arbeitsunfall i. S. des § 8 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 Nr. 1 SGB VII zu Tode gekommen ist. Arbeitsunfälle sind nach § 8 Abs. 1 S. 1 SGB VII Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). Unfälle sind zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen (§ 8 Abs. 1 S 2 SGB VII). Ein Arbeitsunfall setzt mithin voraus, dass die Verrichtung zur Zeit des Unfalls der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist (innerer oder sachlicher Zusammenhang), sie zu dem zeitlich begrenzten, von außen auf den Körper einwirkenden Ereignis - dem Unfallereignis - geführt (Unfallkausalität), und dass das Unfallereignis einen Gesundheitserstschaden oder den Tod des Versicherten objektiv und rechtlich wesentlich verursacht hat (haftungsbegründende Kausalität; st. Rspr; vgl. BSG, Ur-teile vom 20. Dezember 2016 - B 2 U 16/15 R - SozR 4-2700 § 8 Nr. 60 Rn. 12, vom 15. November 2016 - B 2 U 12/15 R - SozR 4-2700 § 2 Nr. 37 Rn. 14 und vom 5. Juli 2016 - B 2 U 16/14 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 58 Rn. 9, jeweils m.w.N.). Hinsichtlich des Beweismaßstabes gilt für die Beweiswürdigung der Tatsacheninstanzen bei der Tatsachenfeststellung, dass die Tatsachen, die die Tatbestandsmerkmale "versicherte Tätigkeit", "Verrichtung zur Zeit des Unfalls", "Unfallereignis" sowie "Gesundheitsschaden" erfüllen sollen im Grad des Vollbeweises, also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, für das Gericht feststehen müssen. Demgegenüber genügt für den Nachweis der naturphilosophischen Ursachenzusammenhänge zwischen diesen Voraussetzungen der Grad der (hinreichenden) Wahrscheinlichkeit, nicht allerdings die Glaubhaftmachung und erst Recht nicht die bloße Möglichkeit (vgl. BSG, Urteil vom 31. Januar 2012 - B 2 U 2/11 R - Rn. 17 - zitiert nach Juris).

Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt. Der Senat geht zwar davon aus, dass der freiwillig versicherte Ehemann der Klägerin am Morgen des 21. Februar 2016 einer grundsätzlich versicherten Verrichtung nachging, als er Tätigkeiten in seinem Büro ausführte. Das erforderliche zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignis lässt sich jedoch nicht im notwendigen Vollbeweis sichern. Fest steht nur, dass die Klägerin gegen/nach 8:00 Uhr am 21. Februar 2016 den Versicherten auf der Toilette im Büroteil des Wohngebäudes auf dem Fliesenboden liegend antraf, sofort eine Herzdruckmassage aufgrund des bestehenden Herzstillstandes einleitete und den Notarzt verständigte. Welches konkrete Geschehen diesem Zustand des Versicherten voranging, kann jedoch nicht festgestellt werden. Die von der Klägerin vorgebrachten Hergänge sind spekulativ und nicht durch objektive Anhaltspunkte belegt. Die geschilderte Unordnung im Büro beweist nicht ein Unfallereignis im vorgenannten Sinne. Zwar kann unterstellt werden, dass sich das Büro am frühen Morgen des 21. Februar 2016 in einem geordneten Zustand befand. Gleichwohl sind Ort, Zeitpunkt und nähere Umstände einer möglichen nachfolgenden Einwirkung physischer oder psychischer Art auf den Körper des Versicherten durch nichts belegt. Es kann nicht festgestellt werden, was sich zwischen dem Aufsuchen des Bürogebäudes durch den Versicherten am frühen Morgen des 21. Februar 2016 und dem Auffinden in der Toilette durch die Ehefrau gegen 8:00 Uhr im Büro ereignete. Der Akte der Staatsanwaltschaft Erfurt (102 UJs 100136/16) lassen sich hierzu ebenfalls keine Erkenntnisse entnehmen.

Auch nach den Grundsätzen des "Anscheinsbeweises" kann nicht ein von außen auf den Körper des Versicherten einwirkendes Ereignis angenommen werden. Beim Beweis des ersten Anscheins handelt es sich um eine Tatsachenvermutung. Danach erlauben typische Geschehensabläufe den Nachweis eines ursächlichen Zusammenhangs oder eines schuldhaften Verhaltens aufgrund von Erfahrungssätzen, auch wenn im Einzelfall entsprechende Tatsachen nicht festgestellt werden können (vgl. BSG, Urteil vom 31. Januar 2012 - B 2 U 2/11 R Rn. 30; LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 10. Januar 2018 - L 17 U 317/17, jeweils zitiert nach Juris). Mangels entgegenstehender Anhaltspunkte kann beim Beweis des ersten Anscheins der Geschehensablauf zugrunde gelegt werden, als habe er sich in typischer Weise ereignet. Dies setzt einen Hergang voraus, der nach der Lebenserfahrung unabhängig von den Umständen des Einzelfalles und dem Willen der handelnden Person in einer bestimmten Weise abzulaufen pflegt, und es deshalb rechtfertigt, ihn als gegeben zu unterstellen. Diese Voraussetzungen liegen hier jedoch deshalb nicht vor, weil in Ermangelung eines typischen Geschehensablaufes ein bestimmter Hergang nicht angenommen werden kann. Es ist unklar, welche Handlungen im Einzelnen der Versicherte nach Betreten des Büros am frühen Morgen des 21. Februar 2016 unternommen hat.

Anhaltspunkte für eine Beweislastumkehr bestehen mangels gesetzlicher Grundlage ebenfalls nicht. Wenn eine Tatsache nicht festgestellt werden kann, so trägt derjenige dafür die Beweislast, der sich auf diese Tatsache zur Begründung seines geltend gemachten Anspruchs stützen will. Beweisschwierigkeiten führen nicht zu einer Umkehr der Beweislast.

Mangels Vorliegen eines Arbeitsunfalles besteht daher auch kein Anspruch auf Gewährung von Hinterbliebenenleistungen gemäß § 63 Abs. 1 SGB VII.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 183 SGG.

Die Revision war nach § 160 SGG nicht zuzulassen.
Rechtskraft
Aus
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