L 5 AL 86/00

Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
-
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 5 AL 86/00
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Tatbestand:

Die Beteiligten streiten, ob die Beklagte der Klägerin für die Zeit vom 1. September 1996 bis zum 8. Dezember 1996 ungemindertes Arbeitslosengeld (Alg) aus abgetretenem Recht des Beigeladenen zu gewähren hat.

Der 1933 geborene Beigeladene war vom 12.Juli 1960 bis zum 31. Dezember 1994 bei der Firma B. und V. AG beschäftigt. Von 1972 bis zum Ende der Beschäftigung war er als Mitglied des Betriebsrates von der Arbeit freigestellt. Neben seiner Erwerbstätigkeit war er seit Oktober 1991 Abgeordneter der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD) in der Hamburger Bürgerschaft und bezog in dieser Eigenschaft eine steuerfreie Aufwandsentschädigung in Höhe von 1.920 DM monatlich. Das Arbeitsverhältnis mit der B. und V. AG wurde durch Aufhebungsvertrag vom 17. März 1994 gegen Zahlung einer Abfindung in Höhe von 200.000 DM beendet. Der Beigeladene meldete sich am 19. Dezember 1994 bei der Beklagten arbeitslos und beantragte Arbeitslosengeld. Er gab an, maßgebend für die Beendigung des Arbeitsverhältnisses seien gesundheitliche Gründe gewesen. Die Firma B. und V. bestätigte diese Angaben. Mit Bescheid vom 8. März 1995 bewilligte die Beklagte dem Beigeladenen Arbeitslosengeld ab dem 2. Januar 1995 in Höhe von 665,40 DM wöchentlich für 832 Tage. Mit Wirkung vom 1. Januar 1996 setzte die Beklagte das Arbeitslosengeld auf 679,80 DM wöchentlich fest (Bescheid vom 12. Januar 1996).

Am 1. September 1996 trat als Bestandteil einer Parlaments- und Verfassungsreform das von der Klägerin beschlossene neue Hamburgische Abgeordnetengesetz in Kraft. Dieses sieht in seinem § 2 vor, dass jedes Mitglied der Hamburger Bürgerschaft ein zu versteuerndes Abgeordnetenentgelt in Höhe von 4.000 DM monatlich erhält. § 3 regelt die Zahlung einer steuerfreien Aufwandsentschädigung. Gleichzeitig trat die Neufassung des Artikels 13 der Hamburgischen Verfassung (HV) mit folgendem Wortlaut in Kraft:

(1) 1Die Abgeordneten haben Anspruch auf ein angemessenes, ihre Unabhängigkeit sicherndes Entgelt. 2Das Gesetz bestimmt das Nähere.

(2) 1Die Vereinbarkeit des Amtes einer oder eines Abgeordneten mit einer Berufstätigkeit ist gewährleistet. 2Das Gesetz kann für Angehörige des hamburgischen öffentlichen Dienstes und für leitende Angestellte in Unternehmen, an denen die Freie und Hansestadt Hamburg unmittelbar oder mittelbar beteiligt ist, Beschränkungen der Wählbarkeit vorsehen.

(3) 1Niemand darf gehindert werden, das Amt einer oder eines Abgeordneten zu übernehmen und auszuüben; insbesondere ist Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern die dafür nötige freie Zeit zu gewähren. 2Eine Kündigung oder Entlassung aus einem Arbeits- oder Dienstverhältnis aus diesem Grunde ist unzulässig. 3Das Gesetz bestimmt das Nähere.

Bereits im Frühjahr 1996 hatte der Beigeladene, der weiterhin Mitglied der Bürgerschaft war, die Beklagte unter Hinweis auf die Absicht des Gesetzgebers, die bislang gewährte steuerfreie Aufwandsentschädigung durch ein zu versteuerndes Entgelt in Höhe von 4.000 DM zu ersetzen, nach den leistungsrechtlichen Folgen gefragt, die sich daraus für ihn ergeben könnten. Die Beklagte hielt in ihrer Antwort im Hinblick auf seine Beanspruchung durch die Tätigkeit als Abgeordneter das weitere Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen der Arbeitslosigkeit und der Verfügbarkeit für fraglich. Mindestens sei das Entgelt nach § 2 Abs. 1 Hamburger Abgeordnetengesetz im Rahmen des § 115 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) auf die Leistungen anzurechnen. Mit Bescheid vom 27. August 1996 hob die Beklagte unter Berufung auf § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 Sozialgesetzbuch – Zehntes Buch – Verwaltungsverfahren (SGB X) die Bewilligung des Arbeitslosengeldes für die Zeit ab dem 1. September 1996 in Höhe von 565,32 DM wöchentlich auf. Zur Begründung machte sie geltend, der Anspruch des Beigeladenen auf Alg werde sich um diesen Betrag vermindern, da er ab dem 1. September 1996 laufend ein Nebeneinkommen in Höhe von 923, 08 DM wöchentlich (4.000 DM brutto monatlich, vervielfacht mit 3 , geteilt durch 13) erzielen werde, das gemäß § 115 AFG nach Abzug von Steuern mit 565,32 DM auf das wöchentliche Alg anzurechnen sei.

Der Beigeladene erhob gegen diesen Bescheid Widerspruch und beantragte gleichzeitig, seine Vollziehung auszusetzen. Entgegen der Auffassung der Beklagten handele es sich bei dem Abgeordnetenentgelt nicht um anrechnungsfähiges Einkommen i. S. v. § 115 AFG. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sei die Entschädigung, die ein Abgeordneter für die Wahrnehmung seines Mandats erhalte, das Entgelt für die Ausübung eines öffentlichen Amtes. Diese Qualifizierung schließe die Abgeordneten in ihrer Eigenschaft als Mandatsträger von der Anwendung des AFG aus, da dieses an die Begriffe des Arbeitnehmers und des Selbstständigen anknüpfe. Bereits der Hinweis auf die Wahrnehmung eines Amtes verbiete es, die Abgeordneten als Beschäftigte des Parlaments oder Selbstständige anzusehen. Dass sie nicht Beschäftigte seien, ergebe sich aus dem Grundsatz des freien Mandats. Die Abgeordneten unterlägen keinerlei Weisungen. Der Unterschied zu den Selbstständigen bestehe darin, dass die Abgeordneten ihr Entgelt unabhängig von ihrer Arbeitsleistung erhielten. Durch den Übergang von der reinen Aufwandsentschädigung als Ausgleich für den Mehraufwand zum steuerpflichtigen Entgelt sei dieses nicht zu einer Art Gehalt geworden. Der Abgeordnete schulde rechtlich keine Dienste, sondern nehme in Unabhängigkeit sein Mandat war. Damit sei dem Entgelt jeder arbeitsrechtliche Charakter abzusprechen.

Durch Änderungsbescheid vom 18. September 1996 setzte die Beklagte das Alg mit Wirkung vom 6. September 1996 auf 114,48 DM fest.

Auch gegen diesen Bescheid erhob der Beigeladene Widerspruch und beantragte die Aussetzung seiner Vollziehung. Diesen Aussetzungsantrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 28. Oktober 1996 ab.

Mit Schreiben vom 28. Oktober 1996 verwies der Beigeladene zur zeitlichen Belastung durch seine Tätigkeit als Abgeordneter der Hamburgischen Bürgerschaft auf eine beigefügte Aufstellung der von ihm in Ausübung seines Mandats im Jahre 1996 wahrgenommenen und noch wahrzunehmenden Termine, der zufolge er in den 52 Wochen des Jahres 1996 insgesamt 238 Stunden - durchschnittlich 4,58 Stunden wöchentlich - durch Tätigkeiten in Wahrnehmung des Mandats in Anspruch genommen wurde. Eine weitere Inanspruchnahme durch Korrespondenz oder Öffentlichkeitsarbeit habe nicht bestanden und bestehe nicht. Für derartige Tätigkeiten stehe ihm eine Mitarbeiterin zur Verfügung. Für ihn habe stets seine Berufstätigkeit im Vordergrund gestanden. Bereits während seiner Beschäftigung bei der B. und V. AG sei er Abgeordneter der Hamburgischen Bürgerschaft gewesen und haben beide Aufgaben problemlos miteinander vereinbaren können

Am 7. November 1996 trat der Beigeladene den von ihm verfolgten Anspruch auf Alg an die Klägerin ab. Anlass war die Verfügung der Präsidentin der Bürgerschaft vom 25. August 1996, mit der sie dem Beigeladenen bis zum Ende der laufenden Wahlperiode ein in monatlichen Teilbeträgen zu zahlendes, bedingt rückzahlbares unverzinsliches Darlehen in Höhe des von der Beklagten unter Anwendung des § 115 AFG errechneten Anrechnungsbetrages zugesagt hatte. Dies sollte auch für den Fall gelten, dass das Arbeitsamt das Alg vollständig versagen würde. In diesem Fall würden dem Beigeladenen auch die ihm durch den Wegfall der Beitragsfreiheit für die Kranken- und Rentenversicherung entstehenden zusätzlichen Kosten erstattet.

Mit Bescheid vom 3. Dezember 1996 nahm die Beklagte den Bescheid über die Bewilligung von Alg mit Wirkung vom 6. Dezember 1996 mit der Begründung zurück, der Beigeladene habe keinen Anspruch auf Alg, da er aufgrund der Beanspruchung durch die Ausübung seines Mandats als Abgeordneter der Hamburger Bürgerschaft der Vermittlung nicht zu Verfügung stehe. Seine diesbezüglichen Angaben stünden im Widerspruch zu dem Gutachten, das Prof. R. 1992 im Auftrag der Enquete-Kommission Parlamentsreform erstattet habe (Bürgerschaftsdrucksache 14/2600). Nach den empirischen Untersuchungen in diesem Gutachten würden selbst berufstätige Abgeordnete durchschnittlich 6,5 Stunden täglich – unter Einschluss der Wochenenden - für die Wahrnehmung ihres Abgeordnetenmandats aufwenden.

Gegen den Rücknahmebescheid vom 3. Dezember 1996 erhob der Beigeladene, der sein Mandat als Abgeordneter der Hamburgischen Bürgerschaft am 6. Dezember 1996 niederlegt hatte, Widerspruch. Zur Begründung führte er aus, das Gutachten des Prof. R. sei in keiner Weise geeignet, die These der Beklagten zu stützen, er stehe dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung. Es sei nicht zulässig, aus diesem Gutachten Rückschlüsse auf den zeitlichen Aufwand eines einzelnen Abgeordneten zu ziehen. Vielmehr sei jedem Fall eine Einzelfallprüfung vorzunehmen. Zudem sei das Gutachten fehlerhaft. So stütze es sich u. a. auf die unzutreffende Annahme, dass alle 14 Tage eine zweitägige Bürgerschaftssitzung stattfinde. Den veröffentlichten Sitzungskalendern der Bürgerschaft sei zu entnehmen, dass es zehn Wochen mit eintägigen Sitzungen und sechs Wochen mit mehrtägigen Sitzungen gegeben habe. Es seien mithin zehn Sitzungen in das Gutachten einbezogen worden, die nie stattgefunden hätten. Das ganze darauf aufbauende Zahlenwerk falle mithin in sich zusammen und sei nicht geeignet, den angefochtenen Bescheid zu begründen.

Aufgrund seines Antrages vom 16. Dezember 1996 bewilligte die Beklagte dem Beigeladenen mit Bescheid vom 22. Januar 1997 Arbeitslosengeld ohne Anrechnung des Abgeordnetenentgelts für die Zeit vom 16. Dezember 1996 bis 31. Dezember 1996. Seit dem 1. Januar 1997 bezieht der Beigeladene eine Altersrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung.

Im Verlaufe des Widerspruchsverfahrens meldete sich die Klägerin bei der Beklagten unter Vorlage der Abtretungserklärung des Beigeladenen vom 7. November 1996 als neue Inhaberin des vom Beigeladenen verfolgten Anspruchs auf ungekürztes Alg. Sie machte sich die Ausführungen des Beigeladenen zu diesem Anspruch ausdrücklich zu eigen und setzte sich kritisch mit dem von der Beklagten zur Stützung ihres Standpunkts herangezogenen Gutachten des Prof. R. auseinander. Es sei als Arbeitsmaterial für die Enquete-Kommission erstellt worden und betreffe nicht das vorliegende Verfahren. Für die Anwendung der Bestimmungen des AFG komme es nicht auf den von Professor R. in seinem Gutachten zugrundegelegten Zeitrahmen, sondern auf das Ergebnis der Ermittlungen im Einzelfall an. Der Zeiteinsatz des Beigeladenen für seine Tätigkeit als Abgeordneter der Hamburgischen Bürgerschaft habe jedenfalls nicht die Grenze von 18 Stunden für eine kurzzeitige Beschäftigung überschritten.

Mit Widerspruchsbescheid vom 11. August 1997 hob die Beklagte ihren Rücknahmebescheid vom 3. Dezember 1996 auf , änderte den Bewilligungsbescheid vom 22. Januar 1997 dahin ab, dass das Alg bereits ab dem 9. Dezember 1996 ohne Anrechnung eines Nebeneinkommens zu zahlen sei, und wies den weitergehenden Widerspruch zurück.

Der Begriff der selbstständigen Tätigkeit in § 115 AFG sei dahingehend auszulegen, dass er alle Tätigkeiten erfasse, die nicht in Abhängigkeit verrichtet würden. Dementsprechend seien als Arbeitsentgelt alle Formen eines Entgelts zu berücksichtigen. Diese weite Auslegung sei gerechtfertigt, denn § 115 AFG verfolge insbesondere zwei Ziele: die Milderung der negativen psychologischen Auswirkungen der Arbeitslosigkeit und die Einsparung von Versicherungsleistungen. Die parlamentarische Tätigkeit eines Abgeordneten sei demzufolge eine selbstständige Tätigkeit im Sinne des § 115 AFG. Außerdem müsse das Abgeordnetenentgelt als Arbeitsentgelt im Sinne dieser Vorschrift gewertet werden. Dies ergebe sich bereits aus Art. 13 Abs. 1 Satz 1 HV, der die Zuwendungen an Abgeordnete ausdrücklich als Entgelt bezeichne. Ebenso spreche das Hamburgische Abgeordnetengesetz in § 2 von einem Entgelt und regele in einer besonderen Vorschrift, nämlich in § 3, die Aufwandsentschädigungen.

Bei Bescheidung des Widerspruchs habe sie zu Gunsten des Beigeladenen unterstellt, dass er für die Ausübung seines Mandats weniger als 18 Stunden in der Woche benötigt habe. Allerdings beständen an der Richtigkeit dieser Annahme erhebliche Zweifel, denn das BVerfG habe in mehreren Entscheidungen ausgeführt, dass die Tätigkeit eines Abgeordneten zumindest im Bund den vollen Einsatz der Arbeitskraft erfordere.

Einen gleich lautenden Widerspruchsbescheid erließ die Beklagte unter demselben Datum gegenüber dem Beigeladenen.

Mit zwei Bescheiden vom 18. September 1997 bewilligte die Beklagte dem Beigeladenen Alg vom 6. Dezember 1996 bis 15. Dezember 1996 in Höhe von 679,80 DM wöchentlich und hob diese Bewilligung für die Zeit vom 6.Dezember bis einschließlich 8. Dezember 1996.in Höhe von 182, 44 DM wegen eines in dieser Höhe anzurechnenden Nebeneinkommens auf.

Gegen den Widerspruchsbescheid vom 11. August 1997 hat die Klägerin am 1. September 1997 Klage erhoben. Zur Begründung hat sie ihre Ausführungen aus dem Widerspruchsverfahren vertieft und ergänzend ausgeführt:

Die Beklagte verkenne, dass die HV und das neue Abgeordnetengesetz für die Hamburger Bürgerschaft gerade nicht den Berufsparlamentarier geschaffen hätten, sondern davon ausgingen, dass die Mitglieder der Hamburger Bürgerschaft neben der parlamentarischen Tätigkeit auch weiterhin einen Beruf ausüben. Art. 13 Abs. 2 HV garantiere die Zulässigkeit einer Berufstätigkeit neben dem Mandat. Die Höhe des Abgeordnetenentgelts von 4.000 DM lege den Abgeordneten die Entscheidung für einen Beruf nahe. Die rechtliche Gewährleistung der Vereinbarkeit des Abgeordnetenmandates mit einer Berufstätigkeit widerspreche auch nicht den tatsächlichen Gegebenheiten. Die praktische Vereinbarkeit von Mandat und Beruf gem. Art. 13 Abs. 2 HV ergebe sich schon aus der Tatsache, dass im Jahre 1996 von den 121 Mitgliedern der Bürgerschaft 98 berufstätig gewesen seien. Es stelle somit den Normalfall dar, dass Abgeordnete der Bürgerschaft neben ihrer Abgeordnetentätigkeit einen Beruf ausübten.

Auch eine Anrechnung des Abgeordnetenentgelts auf das Alg gem. § 115 AFG komme nicht in Betracht. Es sei im Rahmen dieser Bestimmung nicht anders zu behandeln als die Entschädigung ehrenamtlicher Mitglieder kommunaler Vertretungsorgane, die wegen des besonderen Charakters der Tätigkeit nicht als anrechenbares Einkommen aus der Verwertung der Arbeitskraft gelte. Die Entschädigung von Abgeordneten sei, wie das BVerfG 1975 festgestellt habe, gerade kein arbeitsrechtlicher Anspruch, mit dem ein Anspruch auf Erfüllung dienstlicher Obliegenheiten korrespondiere.

Die Beklagte hat auf ihre Ausführungen im Widerspruchsbescheid verwiesen und ergänzend ausgeführt:

Der Beigeladene berufe sich zu Unrecht auf Art. 13 Satz 2 HV und § 8 Abs. 4 des Hamburgischen Abgeordnetengesetzes. Diese Vorschriften könnten als Landesrecht gem. Art. 31 Grundgesetz das zum Bundesrecht zählende AFG nicht ändern. Es gebe kein Sonderrecht für Abgeordnete der Hamburger Bürgerschaft. Der Beigeladene müsse, wolle er Alg in Anspruch nehmen, wie alle anderen Arbeitslosen die Voraussetzungen des § 103 AFG erfüllen. Die von ihm zur Stützung seines Standpunkts angeführte Beschäftigung einer Assistentin sei eher ein Indiz dafür, dass ein Abgeordneter sehr wohl in erheblichem Umfang durch sein Mandat gebunden sei, weil ihm anderenfalls sicherlich keine Mitarbeiterin zur Verfügung gestellt worden wäre. Abgesehen davon habe der Beigeladene bisher keine Angaben zu seiner Belastungsgrenze gemacht und nicht dargelegt, wie intensiv er sich selbst um einen neuen Arbeitsplatz bemüht habe. Wie das Bundessozialgericht entschieden habe, ließen sich aus der Intensität der eigenen Arbeitssuche durchaus Rückschlüsse auf die Arbeitsbereitschaft und damit auch auf die Verfügbarkeit ziehen.

Bei der Anwendung des § 115 AFG seien die Bürgerschaftsabgeordneten als Abgeordnete eines Länderparlaments ungeachtet der Doppelnatur der Freien und Hansestadt Hamburg als Bundesland und Gemeinde nicht mit ehrenamtlichen Mitgliedern eines kommunalen Vertretungsorgans nicht zu vergleichen. Als Parlamentarier erhielten sie ein Entgelt und nicht nur eine Aufwandsentschädigung.

Im Termin zur mündlichen Verhandlung und Entscheidung am 25. April 2000 hat das Sozialgericht das Verfahren der Klägerin mit dem vom Beigeladenen mit dem gleichen Streitgegenstand anhängig gemachten Klageverfahren 14 AR 1098/97 zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden, gleichwohl aber in beiden Verfahren gesonderte Entscheidungen verkündet. Es hat antragsgemäß die Bescheide vom 27. August 1996, 18. September 1996, 28. Oktober 1996,18. September 1997 und den Widerspruchsbescheid vom 11. August 1997 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, der Klägerin Alg aus dem abgetretenen Recht des Beigeladenen für die Zeit vom 1. September 1996 bis 8. Dezember 1996 ohne Anrechnung von Nebeneinkommen zu zahlen.

Zur Begründung hat es ausgeführt, der Bezug eines steuerpflichtigen Entgelts für die Tätigkeit als Bürgerschaftsabgeordneter beinhalte keine wesentliche Änderung der Verhältnisse gegenüber den Verhältnissen, die bei der Bewilligung des Alg vorgelegen hätten, und habe deshalb ihre teilweise Aufhebung nicht gerechtfertigt. Die Wahrnehmung seines Mandats als Bürgerschaftsabgeordneter habe die Arbeitslosigkeit des Beigeladenen nicht ausgeschlossen, denn sie beinhalte weder eine abhängige Beschäftigung noch eine selbstständige Erwerbstätigkeit im Sinne des § 101 AFG. Die zeitliche Bindung des Beigeladenen durch die Wahrnehmung seines Mandats im Umfang von höchstens 14 Stunden wöchentlich habe einer Beschäftigungsaufnahme und damit seiner Verfügbarkeit im Sinne des § 103 AFG nicht entgegengestanden, denn die Organisation des Sitzungsbetriebes der Bürgerschaft sei trotz Einführung eines steuerpflichtigen Entgelts für die Abgeordnetentätigkeit darauf ausgerichtet geblieben, Berufstätigen die Mandatsausübung zu ermöglichen.

Das Entgelt, das der Beigeladene als Mitglied der Hamburger Bürgerschaft erhalten habe, sei kein Einkommen aus einer kurzzeitigen Beschäftigung oder einer selbstständigen Tätigkeit, das gem. § 115 AFG auf das Alg anzurechnen wäre. Diese Bestimmung könne auch nicht analog auf den Bezug eines Entgelts aus der Abgeordnetentätigkeit der Bürgerschaft angewendet werden, denn eine planwidrige Unvollständigkeit dieser Bestimmung sei im Hinblick auf die Funktion der Arbeitslosenversicherung zu verneinen.

Die Beklagte hat gegen dieses Urteil, das ihr am 28. Juli 2000 zugestellt worden ist, am 28. August 2000 Berufung eingelegt.

In verfahrensrechtlicher Hinsicht trägt sie vor, die Klage sei nur aus formalen Gründen zulässig, weil die Klägerin Adressatin des irrtümlich ihr erteilten Widerspruchsbescheides sei. Jedoch sei die Klage unbegründet, ohne dass es einer der Sachprüfung bedürfe. Es habe der Klägerin nämlich an einer Widerspruchsbefugnis gefehlt, da das in Streit stehende Stammrecht auf Arbeitslosengeld nur durch den Beigeladenen geltend gemacht werden könne. Unabhängig davon, ob im Widerspruchsverfahren eine Beteiligung nach den Grundsätzen der Prozessstandschaft überhaupt in Betracht komme, lägen jedenfalls deren Voraussetzungen nicht vor. Zum einen mache die Klägerin ein eigenes – durch Abtretung erworbenes - Recht im eigenen Namen geltend, zum anderen verfolge der Beigeladene sein Stammrecht weiter, sodass für die Geltendmachung eines fremden Rechts im eigenen Namen kein Raum sei. Auch aus den Grundsätzen des Verwaltungsaktes mit Doppelwirkung könne eine Drittbetroffenheit nicht hergeleitet werden. Zwischen der Klägerin und dem Beigeladenen bestehe ein gleichgerichtetes Interesse an der Bewilligung der Leistung und kein den jeweiligen Anspruch des anderen Betroffenen ausschließendes Konkurrenzverhältnis. Das Sozialgerichtsgesetz (SGG) kenne im Gegensatz zu den Bestimmungen in § 360 Abgabenordnung nicht die grundsätzliche Möglichkeit, bei bestehendem rechtlichen Interesse neben dem Widerspruchsführer am Vorverfahren beteiligt zu werden. Der an die Klägerin gerichtete Widerspruchsbescheid vom 11. August 1997 sei mithin ins Leere gegangen.

In materiell-rechtlicher Hinsicht hält die Beklagte daran fest, dass die objektive Verfügbarkeit des Beigeladenen im Sinne des § 103 AFG nicht vorgelegen habe. Sein Vortrag sei erkennbar bemüht, den Arbeitsaufwand der Abgeordnetentätigkeit "klein zu reden". Seine Behauptung, lediglich 4,58 Stunden wöchentlich für sein Abgeordnetenmandat aufgewendet zu haben, sei trotz der detaillierten Aufstellung vom 22.Oktober 1996 unglaubhaft. Die Tätigkeit des Abgeordneten sei außer durch die Teilnahme an Sitzungen durch umfangreiche Zeiten der Vor- und Nachbereitung geprägt. Die Zuarbeit durch einen Mitarbeiter entbinde den Abgeordneten nicht von der eigenständigen Auseinandersetzung mit dem Inhalt seiner Arbeit. Der Entlastung von Routinearbeiten stehe das Erfordernis der Anleitung der Assistenten und des Setzens der Arbeitsschwerpunkte gegenüber. Vom Abgeordneten würden Initiative und Gestaltungswillen erwartet. Die Zuordnung eines Assistenten erfolge zur Erweiterung der persönlichen Wirkungsmöglichkeiten und nicht dazu, sich aus Teilbereichen der Abgeordnetenaufgaben zurückziehen zu können. Das Gutachten des Sachverständigen Professor R. sehe zudem einen weiteren erheblichen Zeitaufwand in Form von Wegezeiten, Medienterminen, Repräsentationspflichten, Informationsgewinnung und Wähler- bzw. Bürgerarbeit. Diese Zeiten seien vom Sozialgericht zu Unrecht vollständig vernachlässigt worden. Es sei unglaubhaft, dass der Beigeladene sich ausschließlich mit den Kernaufgaben seiner Abgeordnetentätigkeit befaßt haben wolle.

Die Frage der Verfügbarkeit sei unter Berücksichtigung der individuellen Leistungsfähigkeit des Beigeladenen zu beurteilen. Hier könne nicht unberücksichtigt bleiben, dass dieser aus gesundheitlichen Gründen seinen Arbeitsplatz aufgegeben habe. Ausweislich des ihr bei der Arbeitslosmeldung vorgelegten ärztlichen Attestes vom 9. November 1994 sei der Beigeladene nur eingeschränkt belastbar und habe seinen Arbeitsplatz nicht mehr vollständig ausfüllen können. Es sei daher davon auszugehen, dass dem Kläger eine vollständige berufliche Tätigkeit neben der Wahrnehmung des Abgeordnetenmandats nicht möglich gewesen sei. Zudem sei er Betriebsratsmitglied in einer untypischen berufliche Situation gewesen. Die Aufnahme einer neuen Beschäftigung wäre daher mit erheblichem Einarbeitungsaufwand und damit einhergehenden zeitlichen und persönlichen Belastungen verbunden gewesen.

Die Beklagte bleibt bei ihrer Auffassung, dass eine Anrechnung des Abgeordneten Entgelts nach Maßgabe des § 115 AFG möglich sei.

Sie beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts vom 25. April 2000 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

Die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Sie widerspricht den verfahrensrechtlichen Ausführungen der Beklagten. Auch für den Fall, dass nach der Abtretung das Stammrecht auf Arbeitslosengeld beim Beigeladenen verblieben sei, sei sie aktivlegitimiert, denn sie sei im Umfang der Abtretung des Leistungsanspruchs des Beigeladenen Inhaberin des Anspruchs geworden. Sie mache mithin ein eigenes Recht im eigenen Namen geltend, sodass es der von der Beklagten angeregten Prozessstandschaft nicht bedürfe.

Der Beigeladene hat sich in den Ausführungen und dem Antrag der Klägerin angeschlossen.

Zu weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der in der Sitzungsniederschrift aufgeführten Akten verwiesen, die vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist statthaft (§ 144 Abs. 1 Ziff. 1 SGG), form- und fristgerecht eingelegt worden (§ 151 Abs. 1 SGG) und auch sonst zulässig.

Sie ist insofern begründet, als die Beklagte vom Sozialgericht verurteilt worden ist, der Klägerin die Kosten der Rechtsverfolgung zu erstatten. Es hat mit dieser Entscheidung nicht berücksichtigt, dass die Aufwendungen der Behörden, der Körperschaften und Anstalten des öffentlichen Rechts und damit auch die Aufwendungen der Klägerin zu 2 gemäß § 193 Abs. 4 SGG nicht erstattungsfähig sind.

Im übrigen ist die Berufung der Beklagten unbegründet.

Sie ist insbesondere nicht schon wegen fehlender Aktivlegitimation der Klägerin unbegründet. Der diesbezügliche Einwand der Beklagten, das im Streit stehende Stammrecht auf Alg habe nicht auf die Klägerin übertragen werden können und könne nur vom Beigeladenen geltend gemacht werden, geht fehl. In der Tat können sozialrechtliche Ansprüche nur als Zahlungsansprüche abgetreten werden; alle weiteren damit im Zusammenhang stehenden Rechte (das Stammrecht) stehen nur dem Leistungsberechtigten zu. Jedoch geht es der Klägerin mit ihrer Klage nicht um dieses Stammrecht, sondern lediglich um den vom Stammrecht zu unterscheidenden Anspruch auf Auszahlung von Alg für den strittigen Zeitraum. Dieser ist durch die Abtretung auf sie übergegangen.

Die Abtretung war gemäß § 53 Abs. 2 Nr. 1 Sozialgesetzbuch - Allgemeiner Teil (SGB I) auch gegenüber der Beklagten wirksam, denn sie diente im Sinne dieser Bestimmung zur Erfüllung bzw. zur Sicherung von Ansprüchen auf Rückzahlung von Darlehen, die im Vorgriff auf fällig gewordene Sozialleistungen zu einer angemessenen Lebensführung gegeben worden sind.

Abgesehen von diesen formellen Gesichtspunkten ist die Berufung der Beklagten unbegründet, denn der Beigeladene hatte während der strittigen Zeit uneingeschränkt Anspruch auf Alg. Der Senat hält die diesbezüglichen Darlegungen des Sozialgerichts für überzeugend und nimmt vollen Umfangs auf sie Bezug (§ 153 Abs. 2 SGG). Die Ausführungen der Beklagten im Berufungsverfahren geben keinen Anlass zu einer anderen rechtlichen Beurteilung des Sachverhalts.

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG und trägt dem Ausgang des Verfahrens Rechnung.

Der Senat hat die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der behandelten Rechtsfragen zugelassen.
Rechtskraft
Aus
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