L 6 RJ 50/00

Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
-
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 6 RJ 50/00
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Tatbestand:

Streitig ist die Zulassung der Kläger als Rechtsnachfolger ihrer Mutter, der während des Rechtsstreits 2001 verstorbenen Versicherten S., zur Nachentrichtung von Pflichtbeiträgen für die Monate August 1943 bis März 1944 und die anschließende Gewährung einer Altersrente ab dem 1. April 1997.

Die 1900 unter den Mädchennamen O. in N., seinerzeit Weißrußland, geborene Versicherte lebte seit November 1956 ständig in den Vereinigten Staaten von Amerika (USA). Sie besaß deren Staatsangehörigkeit und bezog eine Rente aus der US-amerikanischen Sozialversicherung auf der Grundlage von 35 Beitragsquartalen.

Am 21. Dezember 1995 beantragte sie bei der Beklagten eine Altersrente aus der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung. Sie gab dabei an, von Oktober 1943 bis zum August 1944 als Hilfsarbeiterin bei der Fa. S. in S. und anschließend bis Mai 1945 in G. bei S. als Arbeiterin im Straßen- und Tiefbau beschäftigt gewesen zu sein. Sie verwies auf die ihr erteilte Auskunft des Internationalen Suchdienstes (I.T.S) vom 17. Mai 1996, die die folgenden Angaben zu ihrer Biografie enthielt:

- 1938 bis August 1943: Hausfrau, eigene Landwirtschaft, N., Polen, verschleppt;

- August 1943 bis Oktober 1943: Arbeiterin, 10 RM, Baufirma M., Deutschland;

- Oktober 1943 bis Juli 1944: Arbeiterin, 10 RM, Fabrik, D.-S.

Deutschland;

- Juli 1944 bis Mai 1945: Arbeiterin, 10 RM, Baufirma, Geisweid., Deutschland, befreit;

- Mai 1945 bis November 1945: arbeitslos, DP-Lager Siegen.;

- November 1945 bis in Dezember 1946 arbeitslos, im DP-Lager Neuvrees;

- Dezember 1946 bis Januar 1947 arbeitslos, im DP-Lager Sande ;

- Januar 1947 bis Mai 1951 arbeitslos, im DP Lager Marx.

Der I.T.S. wies darauf hin, dass es sich bei diesen Angaben um solche handele, die die Versicherte seinerzeit bei einer Befragung gemacht habe. Dabei habe ein Arbeitsbuch vorgelegen, ausgestellt am 20. November 1944 vom Arbeitsamt in S ...

Die Beklagte lehnte den Rentenantrag mit Bescheid vom 9. Juli 1996 mit der Begründung ab, die gemäß Artikel 7 Abs. 2 des Sozialversicherungsabkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinigten Staaten von Amerika (DASVA) zur Begründung eines Rentenanspruchs erforderliche Mindestversicherungszeit von 18 Monaten sei nicht erfüllt. Die behauptete Versicherungszeit vom 1. April 1944 bis zum 8. Mai 1945 umfasse nur 13 Monate. Die Zeit vor dem 1. April 1944 könne nicht angerechnet werden, da die Versicherte zum Personenkreis der Ostarbeiter gehört habe, für die Versicherungspflicht frühestens am 1. April 1944 eingetreten sei. Es bestehe auch kein Anspruch auf Leistungen wegen Kindererziehung für die Tochter P. K. , da dieses Kind in den besetzten Ostgebieten geboren worden sei, die Versicherte jedoch nicht zum Personenkreis der Vertriebenen bzw. Verfolgten gehört habe.

Der Ablehnung des Antrags vorausgegangen waren erfolglose Anfragen der Beklagten bei der Allgemeinen Ortskrankenkasse (AOK) D., der Landesversicherungsanstalt Westfalen und der AOK S.-W ...

Die Versicherte erhob gegen diesen Bescheid Widerspruch und legte eine eidesstattliche Erklärung ihrer Tochter P. (vormals A.) K., geborene S., vom 30. Juni 1991 vor, der die Beklagte Altersrente aus der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung u. a. unter Berücksichtigung einer Beitragszeit vom 15. August 1943 bis 30. April 1945 gewährt. Sie bestätigte, zusammen mit ihrer Mutter, der Versicherten, und den nächsten Angehörigen für die Fa. W. S. von August 1943 bis Oktober 1943 auf der Baustelle in M. und anschließend bis März 1944 in S. bei D. gearbeitet zu haben. Beigefügt waren Ablichtungen aus dem Arbeitsbuch der Tochter der Versicherten, die ihre Beschäftigung bei der Fa. W. S. bestätigten.

Der Widerspruch hatte keinen Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 21. November 1996).

Während des anschließenden Klageverfahren vor dem Sozialgericht Hamburg (SG) hat die Versicherte auf Empfehlung des SG die Zulassung zur Nachentrichtung von Beiträgen für Zeiten vor dem 1. April 1944 beantragt. Die Beklagte hat diesen Antrag durch Bescheid vom 14. April 1997 mit der Begründung abgelehnt, für das von der Versicherten geltend gemachte Recht auf Nachzahlung von Pflichtbeiträgen sei eine Rechtsgrundlage nicht vorhanden. Auch § 197 Abs. 3 Sozialgesetzbuch - Sechstes Buch - Gesetzliche Rentenversicherung (SGB VI) sei nicht anwendbar , da es sich bei dieser Bestimmung um eine Härtefallregelung handele und ein solcher Härtefall bei der Versicherten nicht vorliege. Über den Widerspruch der Versicherten gegen diesen Bescheid hat die Beklagte nicht entschieden, weil der Bescheid ihres Erachtens Gegenstand des laufenden Klageverfahrens geworden ist.

Im Termin zur mündlichen Verhandlung am 2. Juni 2000 hat die Beklagte die Zeit vom 1. April 1944 bis 30. April 1945 als glaubhaft gemachte Beitragszeit anerkannt.

Das SG hat die Beklagte durch das Urteil vom 2. Juni 2000 unter Aufhebung des Bescheides vom 9. Juli 1996 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 31. November 1996 sowie des Bescheides vom 14. April 1997 verurteilt, die Versicherte zur Nachentrichtung von Pflichtbeiträgen gemäß § 197 Abs. 3 SGB VI für die Monate August 1943 bis März 1944 zuzulassen und nach fristgemäßer Nachentrichtung der Beiträge durch die Versicherte dieser eine Altersrente ab dem 1. April 1997 zu gewähren. Die weitergehende Klage hat es abgewiesen. Die Versicherte könne nicht die Gewährung eines Altersruhegeldes aus der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung unmittelbar aus den geltend gemachten Beschäftigungszeiten vom 15. August 1943 bis zum 30. April 1945 verlangen. Die Klage sei insofern unbegründet, da die Versicherte die allgemeine Wartezeit von 60 Kalendermonaten nicht erfüllt habe. Die Zusammenrechnung der als glaubhaft gemacht anerkannten Beitragszeit der Versicherten zur deutschen Rentenversicherung mit amerikanischen anrechnungsfähigen Versicherungszeiten gemäß Artikel 7 Abs. 1 DASVA scheitere daran, dass die Versicherte die Mindestversicherungszeit i. S. v. Art. 7 Abs. 2 DASVA von 18 Monaten nicht erfüllt habe. Die Zeit vom 15. August 1943 bis zum 31. März 1944 könne ohne Nachentrichtung von Beiträgen keine Berücksichtigung als Beitragszeit finden, denn die Klägerin habe als sogenannte Ostarbeiterin in dieser Zeit nicht der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung unterlegen. Diese Zeit könne auch nicht als fiktive Beitragszeit nach Art. 6 § 23 Fremdrenten- und Auslandsrenten-Neuregelungsgesetz vom 25.2.1960 (BGBl I S. 93; FANG) angerechnet werden. Da sich die Versicherte seit 1956 auf Dauer in den USA aufhalte und ihren Aufenthalt weder am Stichtag 30. Juni 1950 im Geltungsbereich des Gesetzes gehabt, noch innerhalb von zwei Jahren danach dauernd in der Bundesrepublik Deutschland begründet habe, sei die fiktive Nachversicherung für den strittigen Zeitraum ausgeschlossen. Die strittige Zeit könne auch nicht als Ersatzzeit gemäß § 250 Abs. 1 Nr. 4 SGB VI angerechnet werden, denn eine anrechnungsfähige Ersatzzeit liege bereits tatbestandsmäßig nicht vor. Jedoch habe die Versicherte ein Recht zur Nachentrichtung von Pflichtbeiträgen für die Zeit vom 15. August 1943 bis zum 31. März 1944 gemäß § 197 Abs. 3 SGB VI. Der Anwendung dieser Bestimmung auf die zivilen Arbeitsverhältnisse der Ostarbeiter stehe keine spezielle Nachentrichtungs- bzw. Nachversicherungsregelung entgegen. In der genannten Zeit seien die Beiträge zur Invalidenversicherung zu Unrecht nicht entrichtet worden. Die Versicherte habe in einem versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis gestanden, denn ihre Beschäftigung sei nicht im Rahmen eines öffentlich-rechtlichen Gewaltverhältnisses ausgeübt worden. Der Ausschluss der Ostarbeiter von der Invalidenversicherung bis zum 31. März 1994 habe nationalsozialistisches Unrecht dargestellt mit der Folge, dass die entsprechenden Bestimmungen als nichtig anzusehen seien. Die Versicherte treffe keine Schuld an dem Unterlassen der Beitragsentrichtung; vielmehr liege ein Fall der besonderen Härte vor, so dass die Nachentrichtung von Beiträgen grundsätzlich möglich sei. Das Ermessen der Beklagten sei dahingehend reduziert, dass sie die Versicherte zur Nachentrichtung zuzulassen habe.

Gegen dieses Urteil, das ihr am 16. Juni 2000 zugestellt worden ist, hat die Beklagte am 20. Juni 2000 Berufung eingelegt.

Die Beklagte stimmt der Feststellung des SG zu, der Ausschluss der früheren Ostarbeiter von der Versicherungspflicht bis zum 31. März 1944 im damaligen Deutschen Reich habe gegen die fundamentalen Prinzipien der Gerechtigkeit verstoßen und sei von Beginn an nichtig gewesen. Dies reicht ihres Erachtens allerdings nicht aus, einen Anspruch auf Zulassung zur Nachentrichtung von Pflichtbeiträgen und damit einen Rentenanspruch zu begründen. Aus der Entwicklung des Rechts der Wiedergutmachung in der Sozialversicherung sei zu schließen, dass der Gesetzgeber den früheren Ostarbeitern das Recht der Nachentrichtung von Beiträgen nicht habe eröffnen wollen.

Für die diesem Rechtsstreit zugrunde liegende Fallgestaltung und eigens zur Wiedergutmachung des durch die Diskriminierung der Zwangsarbeiter in der Sozialversicherung entstandenen Schadens in der Rentenversicherung habe der Gesetzgeber die Vorschrift des Art 6 § 23 FANG als abschließende Regelung geschaffen. Entgegen der Darstellung des SG habe die Versicherte ursprünglich zu dem dort beschriebenen begünstigten Personenkreis gehört, denn sie habe sich am Stichtag 30. Juni 1950 (§ 1 Abs. 1 Satz 2 des Gesetzes über die Rechtsstellung heimatloser Ausländer im Bundesgebiet vom 25. April 1951 - HAuslG) in der Bundesrepublik Deutschland aufgehalten, und würde auch noch dazu gehören, wenn sie ihren Wohnsitz nicht 1956 in die USA verlegt und damit ihren Status als heimatloser Ausländer verloren hätte. Der Gesetzgeber (gemeint ist wohl die Bundesregierung) habe durchaus die Möglichkeit gehabt, diesen Statusverlust zu vermeiden, denn die Bundesregierung sei durch § 1 Abs. 2 HAuslG ermächtigt gewesen, andere ausländische Flüchtlinge den in § 1 Abs. 1 genannten Personen gleichzustellen. Von dieser Möglichkeit habe er (sie ) jedoch keinen Gebrauch gemacht. Später sei diese Ermächtigung gestrichen worden.

Die Auffassung des SG unterlaufe die vom Gesetzgeber nachprüfbar gewollte Rechtslage durch Rückgriff auf eine Vorschrift, die von der Systematik her für den diesem Rechtsstreit zugrunde liegenden Sachverhalt nicht konzipiert gewesen sei. Es reiche nicht, den damaligen Ausschluss der Ostarbeiter von der Versicherungspflicht für verfassungswidrig und damit nichtig zu erklären. Vielmehr hätte das SG dann feststellen müssen, dass der Ausschluss der Geltung des Art 6 § 23 FANG für den Personenkreis , zu dem die Klägerin gehört, mit dem Grundgesetz nicht vereinbar sei, und diese Frage dem Bundesverfassungsgericht vorlegen müssen.

Zwar habe das Bundessozialgericht (BSG) am Ende seines Urteils vom 23.5.95 erstmalig die Möglichkeit der Nachentrichtung von Pflichtbeiträgen für Ostarbeiter für die Zeit vor dem 1.4.44 angesprochen, dies jedoch als fraglich bezeichnet und keine Feststellungen getroffen. Die Bestimmung des § 197 Abs. 3 SGB VI sei auf den vorliegenden Sachverhalt nicht anwendbar. Der Tatbestand setze voraus, dass Versicherungspflicht bei Verrichtung der Tätigkeit bestanden habe, dass mithin eine rechtzeitige Beitragsentrichtung theoretisch möglich gewesen sei. Daran fehle es im Falle der Klägerin. Für sie sei lediglich rückwirkend Versicherungspflicht festgestellt worden. Eine rechtzeitige Entrichtung der Beiträge sei ihr schon rechtlich nicht möglich gewesen.

Der Anwendung des § 197 Abs. 3 SGB VI stehe des weiteren entgegen, dass es sich um eine Ausnahmebestimmung handele, die für Fälle einer besonderen Härte und damit für Ausnahmefälle – eine begrenzte Anzahl von Fällen - gedacht sei. Daran fehle es hier, denn es sei von mehreren Tausend vergleichbarer Fälle auszugehen.

Der Annahme einer besonderen Härte iSd § 197 Abs. 3 SGB VI stehe schließlich entgegen, dass die Klägerin sich nicht schon früher um die Beitragsleistung für die fragliche Zeit gekümmert habe.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 2. Juni 2000 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Der Antrag auf Nachentrichtung diene dem Ziel , das Verfehlen der zwischenstaatlichen Wartezeit zu vermeiden. Dies stelle einen Fall besonderer Härte im Sinne des § 197 Abs. 3 SGB VI dar.

Zu weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der in der Sitzungsniederschrift aufgeführten Akten Bezug genommen , die vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist statthaft (§§ 143,144 Sozialgerichtsgesetz (SGG)), form- und fristgerecht eingelegt worden (§ 151 SGG) und auch sonst zulässig.

Sie ist auch begründet.

Da die Versicherte das Urteil des SG vom 2. Juni 2000 in seinem klagabweisenden Teil hat rechtskräftig werden lassen, ist Streitgegenstand des Berufungsverfahrens nicht mehr der ursprünglich verfolgte Anspruch auf Bewilligung einer Altersrente unter Berücksichtigung der Zeit vom August 1943 bis einschließlich März 1944 als Versicherungszeit (Beitrags- oder Ersatzzeit), sondern lediglich die Verpflichtung der Beklagten, den Klägern als Rechtsnachfolgern der Versicherten die Nachzahlung von Beiträgen für diesen Zeitraum zu gestatten und ihnen anschließend aus der Versicherung ihrer Mutter Altersrente ab dem 1. April 1997 zu gewähren.

Das SG hat die Klage gegen den Bescheid der Beklagten vom 14. April 1997 zu Recht als zulässig angesehen, obwohl das vor seiner gerichtlichen Anfechtung durchzuführende Vorverfahren noch ausstand. Zwar ist dieser Bescheid nicht gemäß § 96 SGG Gegenstand des Klageverfahrens geworden, da er den ursprünglich angefochtenen Bescheid betreffend die Ablehnung des Rentenantrags weder ersetzt noch geändert hat. Er ist jedoch zulässigerweise im Wege der Klageänderung in das Verfahren einbezogen worden. Die Durchführung eines Vorverfahrens war entbehrlich, da die Beklagte die Durchführung eines solchen Verfahrens unter Hinweis auf § 96 SGG abgelehnt hatte.

Das SG hat zu Unrecht der gegen diesen Bescheid gerichteten Klage stattgegeben und die Beklagte verpflichtet, der Versicherten die beantragte Nachzahlung von Beiträgen zu gestatten. Für eine solche Verpflichtung gibt es keine gesetzlichen Grundlage. Die Bestimmung des § 197 Abs. 3 SGB VI ist auf den hier gegebenen Sachverhalt nicht anwendbar.

Dieser Bestimmung zufolge ist in Fällen der besonderen Härte - insbesondere bei einem drohenden Verlust der Anwartschaft auf eine Rente - auf Antrag der Versicherten die Zahlung von Beiträgen auch nach Ablauf der in den Absätzen 1 und 2 genannten Fristen zuzulassen, wenn die Versicherten an der rechtzeitigen Beitragszahlung ohne ihr Verschulden gehindert waren. Der Antrag kann nur innerhalb von drei Monaten nach Wegfall eines Hinderungsgrundes gestellt werden.

Die Nachzahlung setzt grundsätzlich voraus, dass im Geltungszeitraum der Beiträge ein Zugang zur Rentenversicherung bestanden hat, denn das Recht zur Nachzahlung ersetzt nicht das Recht, im Geltungszeitraum überhaupt Beiträge entrichten zu müssen oder zu dürfen (Peters, Kasseler Kommentar , § 197 Rdnr. 5). Ein solcher Zugang zur Versicherung hat für die Klägerin während der strittigen Zeit nicht bestanden, da sie als sog. Ostarbeiterin von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung ausgenommen war. Der Senat teilt die Auffassung des SG, dass die diesbezüglichen Bestimmungen – die Verordnung über die Einsatzbedingungen der Ostarbeiter vom 30.6.42 (RGBl. I, 419 – im folgenden OstarbeiterVO 1942), Erlasse des Reichsarbeitsministers (RAM) vom 4.3.1942 (AN II , S. 167 – dort Nr. 1 – ) und vom 19.8.42 (AN II 466) gegen die fundamentalen Prinzipien der verfassungsrechtlichen Ordnung verstoßen und nichtig sind. Daraus ergibt sich, dass die Verweigerung der Versicherungspflicht bzw. der Möglichkeit, Anwartschaften in der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung zu erwerben, nichtig war. Es bedeutet entgegen der Auffassung des SG nicht, dass ein Zugang zur Rentenversicherung bestand, sondern (nur), dass die Verweigerung dieses Zugangs nichtig ist. Die Nichtigkeit der Verweigerung des Zugangs hat nicht zur Folge, dass bei der Prüfung der Voraussetzungen des § 197 Abs. 3 SGB VI von der Verweigerung des Zugangs abgesehen werden kann. Will man wie das SG von ihr absehen, dann muss dies ebenso wie bei der Frage des Zugangs der Versicherten zur Rentenversicherung auch bei der Frage geschehen, ob die Versicherte seinerzeit an der rechtzeitigen Entrichtung der Beiträge gehindert war. Die Argumentation bzw. die Auslegung des § 197 Abs. 3 SGB VI durch das SG liegt insofern nicht auf einer einheitlichen Ebene und ist inkonsequent, denn es argumentiert ohne die staatliche Verweigerung und erklärt diese für unbeachtlich, soweit es um den Zugang der Klägerin zur Rentenversicherung geht, argumentiert aber mit ihr, soweit es um die Frage geht, ob die Klägerin an der rechtzeitigen Entrichtung gehindert war.

Diese Widersprüchlichkeit lenkt den Blick darauf, dass § 197 Abs. 3 SGB VI für Fallgestaltungen der vorliegenden Art nicht bestimmt ist. Ihre Anwendung auf solche Fälle im Wege der verfassungskonformen Auslegung ist auch nicht von Verfassung wegen – zur Vermeidung verfassungswidriger Ergebnisse - geboten. Vielmehr hat der Gesetzgeber für die diesem Rechtsstreit zugrundeliegende Fallgestaltung und eigens zur Wiedergutmachung der durch die Diskriminierung in der Sozialversicherung bei ehemaligen Zwangsarbeitern entstandenen Schäden in der Rentenversicherung als abschließende Regelung die Vorschrift des Art 6 § 23 FANG geschaffen und bewusst sowie verfassungsrechtlich unbedenklich die fiktive Nachversicherung geschaffen – statt der ursprünglich geplanten Zulassung zur Nachentrichtung von Beiträgen (vgl. Reg.-Entw. FANG BTDrs 3/1109 S. 32 zu Art 6 §16 - und auf den Kreis der heimatlosen Ausländer beschränkt, der durch die Alliierte Hohe Kommission 1950 in die deutsche verwaltungsmäßige und finanzielle Obhut übergeben worden war (vgl. Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 23. Mai 1995, 13 RJ 67/91, SozR 3-2200 § 1251 Nr. 7). Mit der Bestimmung des Art 6 § 23 FANG hat der Gesetzgeber eine Ausnahme von dem ansonsten verfolgten Grundsatz gemacht, die Entschädigung der Nationalgeschädigten im Gegensatz zu jener der Verfolgten im Sinne des § 1 Bundesentschädigungsgesetz (BEG) auf die im BEG-Schlussgesetz vorgesehenen Leistungen zu beschränken und nicht auf die Rentenversicherung zu erstrecken. Während Zeiten der Zwangsarbeit in Deutschland im Verlauf des Zweiten Weltkriegs bei den Personen, die nach Kriegsende wieder in ihre Heimat zurückgekehrt sind, als kriegsbedingte Schäden in den Alterssicherungssystemen dieser Staaten berücksichtigt werden, konnten Personen, die aufgrund der Nachkriegsverhältnisse diese Möglichkeit nicht hatten, keine Leistungen aus den Alterssicherungssystemen ihrer Heimatländer erwarten. Die Obhutspflicht der Bundesrepublik Deutschland für diese Personen beinhaltete deshalb die Verpflichtung, u.a. die Zeit der Zwangsarbeit in der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung zu berücksichtigen. Die Bestimmung des Art 6 § 23 FANG hätte auch die Klägerin begünstigt, wenn sie nicht 1956 in die USA ausgewandert wäre. Für den Kreis derjenigen ehemaligen Zwangsarbeiter, die nach dem Zweiten Weltkrieg weder in Deutschland blieben noch – auf Dauer - in ihre Heimat zurückkehrten, bestand keine vergleichbare Obhutspflicht.

Auch das SG hat nicht in Frage gestellt, dass Art 6 § 23 FANG verfassungskonform ist , soweit er die fiktive Nachversicherung auf die heimatlosen Ausländer beschränkt und die Personen ausschließt, die wie die Klägerin nach dem Krieg nicht in Deutschland geblieben sondern ins westliche Ausland ausgewandert sind. Ist dem so, so kann die von den Klägern gewünschte und vom SG praktizierte Anwendung des § 197 Abs. 3 SGB VI auf diesen von der fiktiven Nachversicherung ausgeschlossenen Personenkreis nicht verfassungsrechtlich geboten sein. Das SG argumentiert insofern inkonsequent. Mit seiner verfassungsrechtlichen Argumentation zu § 197 Abs. 3 SGB VI stellt das SG indirekt die Verfassungsmäßigkeit des Art 6 § 23 FANG in Frage. Darüber hätte es im negativen Sinne nicht selbst entscheiden dürfen, sondern diese Frage dem Bundesverfassungsgericht zur Entscheidung vorlegen müssen.

Vor diesem Hintergrund sieht der Senat sich außerstande, der im bereits zitierten Urteil des BSG vom 23. Mai 1995 zum Ausdruck kommenden Auffassung des 13. Senats des BSG zu folgen, der sich dort in einem vergleichbaren Fall positiv zur Befugnis der sog. Ostarbeiter geäußert hat , gemäß § 1418 Abs. 3 Reichsversicherungsordnung Beiträge für Beschäftigungszeiten vor Einführung der Versicherungspflicht nachzuzahlen, allerdings ohne die von ihm aufgeworfene Frage der Zulässigkeit einer solchen Beitragsnachzahlung abschließend zu entscheiden.

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG und trägt dem Ausgang des Verfahrens Rechnung.

Der Senat hat die Revision gemäß § 160 Abs. 1 Nr. 1 SGG wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtsfrage zugelassen, ob dem Personenkreis, zu dem die Versicherte gehörte, die Nachzahlung von Beiträgen für Zeiten der Beschäftigung im früheren Deutschen Reich während des Zweiten Weltkrieges vor der Erstreckung der Versicherungspflicht auf ihre Beschäftigungsverhältnisse zu gestatten ist.
Rechtskraft
Aus
Saved