L 1 RJ 109/02

Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 20 J 423/00
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 1 RJ 109/02
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 2. Juli 2002 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
2. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
3. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über den Beginn der Altersrente der in Kanada ansässigen Klägerin. Dabei geht es um die Frage, ob der Klägerin aufgrund einer Rentenantragstellung beim kanadischen Sozialversicherungsträger am 8. November 1990 Altersrente bereits ab 1. Mai 1991 (Vollendung 65. Lebensjahr am XX.XXXXXX 1991) statt ab 1. Januar 1993 (Rentenantragstellung bei der Beklagten im Mai 1997) zu gewähren ist.

Die am XX.XXXXXX 1926 in Berlin geborene Klägerin lebt seit 1957 in Kanada und ist kanadische Staatsangehörige.

Am 8. November 1990 stellte sie gegenüber dem kanadischen Rentenversicherungsträger einen Antrag auf Gewährung einer Altersrente. Nach eigenem Vortrag gab sie hierbei nicht an, in der Bundesrepublik Deutschland rentenrelevante Zeiten zurückgelegt zu haben.

Auf ihren im Mai 1997 gegenüber der Beklagten gestellten Rentenantrag gewährte ihr diese mit Bescheid vom 10. Dezember 1998 Regelaltersrente ab 1. Mai 1997. Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin Widerspruch ein und machte im Hinblick auf den 1990 in Kanada gestellten Rentenantrag einen früheren Rentenbeginn geltend. Im Widerspruchsverfahren änderte die Beklagte den ursprünglichen Bewilligungsbescheid dahingehend ab, dass eine Rentenzahlung unter Zugrundelegung eines Leistungsfalls vom 1. Mai 1991 ab 1. Januar 1993 erfolgte (Bescheid vom 17. Dezember 1999). Den Widerspruch wies sie mit Widerspruchsbescheid vom 6. April 2000 zurück. Rente für die Zeit vor dem 1. Januar 1993 könne nicht gezahlt werden. Weil die Klägerin 1990 gegenüber dem kanadischen Sozialversicherungsträger keine deutschen Zeiten angegeben habe, könne sie sich nicht auf diesen Antrag berufen. 1997 habe sie die versäumte Mitwirkung nachgeholt bzw. einen Überprüfungsantrag gestellt und könne deswegen Leistungen für vier Jahre nachgezahlt bekommen.

Das Sozialgericht hat der Klage mit Urteil vom 2. Juli 2002 stattgegeben und die Beklagte zur Gewährung von Regelaltersrente für die Zeit vom 1. Mai 1991 bis 31. Dezember 1992 verurteilt. Der gegenüber dem kanadischen Rentenversicherungsträger gestellte Rentenantrag gelte auch als Rentenantrag nach den deutschen Rechtsvorschriften. Für eine Verweigerung der Rentenzahlung für einen mehr als vier Jahre vor der Antragstellung gegenüber der Beklagten zurückliegenden Zeitraum fehle es an einer Rechtsgrundlage. Insbesondere sei der Anspruch der Klägerin nicht verwirkt. Eine Einrede der Verjährung habe die Beklagte nicht erhoben.

Gegen diese Entscheidung hat die Beklagte Berufung eingelegt. Im Berufungsverfahren hat sie die Verjährungseinrede ausdrücklich (ihrer Auffassung nach erneut) erhoben. Sie ist weiterhin der Auffassung, zu einer Rentenzahlung vor dem 1. Januar 1993 nicht verpflichtet zu sein, und beruft sich hierzu auch auf das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 3. Mai 2002 (L 5 RA 10/01), in dem dieses Gericht zwar eine die Verjährung unterbrechende Wirkung des im Ausland gestellten Antrages bejaht, aber aufgrund eines klägerseitig zu verantwortenden Verfahrensstillstandes dennoch den zwischenzeitlichen Ablauf der Verjährungsfrist angenommen hat. Sie trägt vor, zu diesem Ergebnis käme man auch, wenn man im Rahmen eines Herstellungsanspruchs wegen des in Kanada gestellten Rentenantrags im Jahre 1990 eine Rente für die Zeit vor der Antragstellung in der Bundesrepublik zugestünde, denn dann wäre die rückwirkende Leistungserbringung in analoger Anwendung des § 44 Abs. 4 SGB X ebenfalls auf einen Zeitraum von vier Jahren vor der Antragstellung 1997 begrenzt.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 2. Juli 2002 aufzuheben und die Klage gegen die Bescheide der Beklagten vom 10. Dezember 1998 und 17. Dezember 1999 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 6. April 2000 abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

Sie ist der Auffassung, ihr stehe ab 1. Mai 1991 Altersrente zu, da der in Kanada gestellte Rentenantrag, obwohl sie keine deutschen Zeiten angegeben habe, dem Rentenanspruch zugrunde zu legen sei. Dieser Antrag habe die Verjährung unterbrochen. Im Übrigen gelte die von mehreren Senaten des Bundessozialgerichts (BSG) geteilte Rechtsprechung des 4. Senats des BSG, wonach Rentenansprüche in Zeiten vor Inkrafttreten des SGB VI ohne ausdrückliche Antragstellung entstanden seien. Außerdem hätte die Beklagte die Einrede der Verjährung bereits im Verwaltungsverfahren erheben müssen.

Wegen des Sachverhalts im Einzelnen wird auf den Inhalt der in der Sitzungsniederschrift vom 22. Oktober 2003 aufgeführten Akten und Unterlagen verwiesen. Sie sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Beratung des Senats gewesen.

Entscheidungsgründe:

Trotz des Nichterscheinens der Klägerin sowie ihres Prozessbevollmächtigten zum Verhandlungstermin konnte der Senat den Rechtsstreit entscheiden, weil der Prozessbevollmächtigte der Klägerin ausweislich des Zustellnachweises ordnungsgemäß vom Termin benachrichtigt und darauf hingewiesen worden ist, dass auch im Falle seines Ausbleibens entschieden werden könne (§ 110 Abs. 1 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG)).

Die statthafte, form- und fristgerecht eingelegte und auch im Übrigen zulässige Berufung der Beklagten (vgl. §§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG)) ist begründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Gewährung einer Altersrente für die Zeit vor dem 1. Januar 1993. Zwar wurde die Verjährung des Anspruchs für die Zeit vom 1. Mai 1991 bis 31. Dezember 1992 durch die Stellung des Rentenantrags vom 8. November 1990 gegenüber dem kanadischen Rentenversicherungsträger unterbrochen, aber diese Unterbrechung endete, weil das Antragsverfahren dadurch, dass es von der Klägerin nicht betrieben wurde, in Stillstand geriet. Die Beklagte durfte sich auf die Verjährung berufen.

Auf den Rechtsstreit sind die Vorschriften der Reichsversicherungsordnung (RVO) anzuwenden (§ 300 Abs. 2 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI)). Entgegen der Auffassung der Beklagten und der – nicht näher dargelegten - Auffassung des Sozialgerichts ist das SGB VI nicht anzuwenden. Zwar gelten die Vorschriften des SGB VI vom Zeitpunkt ihres Inkrafttretens an auch für Sachverhalte und Ansprüche, die bereits vor diesem Zeitpunkt bestanden haben (§ 300 Abs. 1 SGB VI), aber gemäß § 300 Abs. 2 SGB VI sind u.a. durch das SGB VI ersetzte Vorschriften auch nach dem Zeitpunkt ihrer Aufhebung noch auf den bis dahin bestehenden Anspruch anzuwenden, wenn der Anspruch bis zum Ablauf von drei Kalendermonaten nach der Aufhebung geltend gemacht wird. Die Klägerin hat gegenüber dem kanadischen Rentenversicherungsträger am 8. November 1990 einen Rentenantrag gestellt, der gemäß Art. 19 Abs. 3 Satz 1 des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Kanada über soziale Sicherheit (DKSVA) auch als Antrag auf eine Leistung nach den Rechtsvorschriften des anderen Vertragsstaates, mithin nach den Vorschriften der deutschen Rentenversicherung, gilt. Diese Wirkung ist nach dem Wortlaut des DKSVA und wie ein Vergleich mit anderen zwischenstaatlichen Regelungen - z.B. denen des deutsch-amerikanischen Sozialversicherungsabkommens - zeigt, nicht an weitere Bedingungen - wie z.B. die Angabe von deutschen Versicherungszeiten - geknüpft. Mit diesem Antrag hat die Klägerin Ansprüche auf eine Altersrente nach dem vor Inkrafttreten des SGB VI maßgeblichen deutschen Recht fristgerecht geltend gemacht. Die von der Beklagten zitierten Entscheidungen des BSG betreffen Fälle, in denen der für die Entscheidung maßgebliche (Überprüfungs-) Antrag erst nach dem 31. März 1992 gestellt wurde.

Für den streitigen Zeitraum ist der Rentenanspruch auf Altersruhegeld wegen Vollendung des 65. Lebensjahres gemäß § 1248 Abs. 5 RVO jedoch verjährt. Gemäß § 45 Abs. 1 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) in der bis zum 31. Dezember 2001 geltenden Fassung (aF) verjähren Ansprüche auf Sozialleistungen in vier Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem sie entstanden sind. Für die Hemmung, die Unterbrechung und die Wirkung der Verjährung gelten die Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) sinngemäß (§ 45 Abs. 2 SGB I aF). Durch Klageerhebung wird die Verjährung unterbrochen (§ 209 Abs. 1 BGB in der bis zum 31. Dezember 2001 geltenden Fassung-aF). Diese Unterbrechung dauert fort, bis der Prozess rechtskräftig entschieden oder anderweit erledigt ist (§ 211 Abs. 1 BGB aF). Die Verjährung wird auch durch schriftlichen Antrag auf die Sozialleistung unterbrochen (§ 45 Abs. 3 Satz 1 SGB I aF). Gerät das Verfahren u. a. dadurch in Stillstand, dass es nicht betrieben wird, so endet die Unterbrechung mit der letzten Verfahrenshandlung der Parteien oder des Gerichts (§ 211 Abs. 2 Satz 1, 2. Variante BGB aF). Die nach der Beendigung der Unterbrechung beginnende neue Verjährung wird dadurch, dass eine der Parteien den Prozess weiter betreibt, in gleicher Weise wie durch Klageerhebung unterbrochen (§ 211 Abs. 2 Satz 2 BGB aF).

Für den Rentenanspruch der Monate Mai bis Dezember 1991 begann die Verjährungsfrist mit Ablauf des Jahres 1991. Die Vier-Jahresfrist endete am 31. Dezember 1995. Durch den Antrag vom 8. November 1990 wurde die Verjährung zwar unterbrochen. Die Unterbrechung endete jedoch sogleich wieder, weil die Klägerin dadurch, dass sie – nach eigenem Vortrag – keine Angaben zu rentenrelevanten deutschen Zeiten machte, das Verfahren nicht betrieb und es – gegenüber dem deutschen Rentenversicherungsträger (sofort wieder) - zum Stillstand kam. Die Regelung des § 211 Abs. 2 Satz 1, 2. Variante BGB aF ist auf eine Unterbrechung durch Antragstellung entsprechend anwendbar (vgl. BSG 13.12.84 – 9a RV 60/83, SozR 1200 § 45 Nr 5, 15.6.00 – B 7 AL 64/99 R, BSGE 86, 182 und 24.9.92 – 9a RV 22/91, SozR 3-1200 § 45 Nr 1). Ein Verfahren wird dann durch den Betroffenen nicht betrieben, wenn von ihm erwartet werden darf, dass er auf den Verfahrensfortgang einwirkt. Von der Klägerin konnte erwartet werden, dass sie Beschäftigungs- und sonstige rentenrelevante Zeiten, die sie in Deutschland absolviert hatte, bei Antragstellung gegenüber dem kanadischen Rentenversicherungsträger angab. Im Antragsformular sind hierzu entsprechende Rubriken vorgesehen. Wegen der Nichtangabe konnte der kanadische Rentenversicherungsträger den Antrag nicht an den deutschen Rentenversicherungsträger weiterleiten und dieser keine Bearbeitung vornehmen. Die Weiterbetreibung erfolgte erst durch den Antrag vom 16. Mai 1997, also zu einem Zeitpunkt, als die Verjährungsfrist bereits abgelaufen war. Ebensolches gilt für die Rentenansprüche aus dem Jahr 1992. Hier begann die Verjährungsfrist mit dem Schluss des Jahres 1992 zu laufen und endete am 31. Dezember 1996, also ebenfalls vor dem Weiterbetreiben des Verfahrens.

Das Erheben der Einrede der Verjährung durch die Beklagte ist nicht zu beanstanden. Entgegen der Auffassung der Klägerin muss die Einrede nicht bis zum Abschluss des Verwaltungsverfahrens erhoben werden. Eine solche Beschränkung ist gesetzlich nicht vorgesehen. Nach Vollendung der Verjährung ist der Verpflichtete – bis zur Erbringung der Leistung, die dann nicht zurückgefordert werden kann – berechtigt, die Leistung zu verweigern (§ 222 BGB aF). Zwar kann entgegen der Auffassung der Beklagten aus ihren Äußerungen, dass sie eine Rentengewährung an die Klägerin für einen mehr als vier Jahre vor dem Antrag vom 16. Mai 1997 liegenden Zeitraum nicht für gerechtfertigt halte und auch meine, hierzu nicht gesetzlich verpflichtet zu sein, nicht geschlossen werden, sie berufe sich auf Verjährung, denn diesen Begriff verwendet sie weder direkt noch sinngemäß. Mit Schreiben vom 12. September 2002 hat die Beklagte die Einrede der Verjährung jedoch erhoben. Ermessenserwägungen brauchte sie nicht anzustellen, denn es sind keine Gesichtspunkte vorgetragen oder sonst ersichtlich, die gegen die Erhebung der Einrede sprechen könnten.

Ob die Rente ab 1. Januar 1993 trotz der unzutreffenden Anwendung des SGB VI in richtiger Höhe gewährt wurde, ist nicht Gegenstand dieses Verfahrens.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und entspricht dem Ausgang des Rechtsstreits in der Hauptsache.

Der Senat hat die Revision wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache zugelassen ( § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG).
Rechtskraft
Aus
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