L 6 RJ 34/02

Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
9 J 1376/97
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 6 RJ 34/02
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 6. Dezember 2001 wird zurückgewiesen. 2. Die Klage gegen den Bescheid vom 30. Juli 2003 wird abgewiesen. 3. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. 4. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist der Anspruch der Klägerin auf Gewährung einer Altersrente nach Zulassung zur Nachentrichtung freiwilliger Beiträge.

Die am 24. Februar 1920 in B. K. (B.) in Ungarn unter dem Familiennamen W. geborene Klägerin jüdischer Abstammung lebt seit ihrer Übersiedlung aus Schweden im Jahre 1948 in den Vereinigten Staaten von Amerika (USA) und besitzt deren Staatsangehörigkeit. Das Regierungsbezirksamt für Wiedergutmachung in T. erkannte sie mit Bescheid vom 4. Januar 1957 als Verfolgte im Sinne des § 1 des Bundesentschädigungsgesetzes (BEG) an und bewilligte ihr eine Entschädigung in Höhe von 1800 DM für Schaden an Freiheit wegen erzwungener Aufenthalte im Ghetto S./Ungarn (S.) und in den Konzentrationslagern A., G.-R./Kommando N., F. und B.-B. von April 1944 bis April 1945 (12 Monate). Im Juni 1945 war sie aus dem Durchgangslager L. nach Schweden evakuiert worden.

Am 8. September 1995 beantragte die Klägerin unter Hinweis auf ihren Status als Verfolgte bei der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) die Gewährung einer Altersrente und in diesem Zusammenhang die Anerkennung von Fremdbeitragszeiten nach § 17a des Fremdrentengesetzes (FRG) i. V. m. §§ 19, 20 des Gesetzes zur Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts in der Sozialversicherung (WGSVG) und von Ersatzzeiten nach § 250 Abs. 1 Nrn. 4 und 6 des Sozialgesetzbuchs - Sechstes Buch – Gesetzliche Rentenversicherung (SGB VI) sowie die Zulassung zur Nachentrichtung von Beiträgen zur Rentenversicherung im Rahmen des zweiten Zusatzabkommens vom 6. März 1995 zum deutsch-amerikanischen Sozialversicherungsabkommen (DASVA) - Nr. 8 des Schlussprotokolls (SP). Sie gab dabei an, sie habe von 1926 bis 1931 in B. die Regierungsschule, bis zum 25. Juni 1934 in T1 die Bürgerschule (Gymnasium) besucht. Sodann habe sie bis 1937 in B1 an der Modellierschule das Modellieren von Kleidern erlernt. Anschließend sei sie bis 1944 in B1 im erlernten Beruf mit tariflicher Entlohnung beschäftigt gewesen. Sie habe bis 1943 bei der Firma F1 Damenkleider und bis 1944 in der Schneiderei R. Abend- und Hochzeitskleider modelliert. Für diese Beschäftigung habe der Arbeitgeber Beiträge zur Sozialversicherung abgeführt. Ihre Muttersprache wie auch ihre Volkszugehörigkeit im Herkunftsgebiet sei Deutsch gewesen. Sie habe im persönlichen Bereich überwiegend Deutsch gesprochen, daneben wenig Ungarisch, im Beruf Deutsch und Ungarisch. Deutsch sei auch die Muttersprache ihrer 1944 in A. umgekommenen Eltern gewesen. Im persönlichen Sprachgebrauch hätten beide überwiegend Deutsch, daneben auch Ungarisch gesprochen. Die Angaben der Klägerin über ihre Beschäftigungszeiten und die Verwendung der deutschen Sprache im Elternhaus wurden von ihrem Ehemann S1 R1, geboren am XX.XXXXXXX 1919, und ihrer Schwester E. S2, geboren am XX.XXXXXXXXX 1921, in schriftlichen Zeugenerklärungen auf dafür vorgesehenen Formularen bestätigt. Der ungarische Versicherungsträger teilte der Beklagten auf Anfrage mit, Versicherungszeiten der Klägerin zur ungarischen Sozialversicherung könnten nicht bestätigt werden. Es lägen für sie keine Versicherungsunterlagen vor. Unterlagen von Versicherten, die das 70. Lebens-jahr vollendeten, würden grundsätzlich vernichtet.

Mit Bescheid vom 16. Dezember 1996 lehnte die Beklagte die Anträge der Klägerin auf Altersrente, Anerkennung von Beitrags- und Beschäftigungszeiten sowie Zulassung zur Nachentrichtung von freiwilligen Beiträgen ab. Zur Begründung führte sie aus, die behaupteten ungarischen Beitrags- und Beschäftigungszeiten könnten schon deshalb nicht als Fremdbeitragszeiten in der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung berücksichtigt werden, weil die Klägerin weder Vertriebene auf Grund deutscher Volkszugehörigkeit bzw. Staatsangehörigkeit sei, noch bis zum Beginn der nationalsozialistischen Verfolgung im Frühjahr 1941 jemals dem deutschen Sprach- und Kulturkreis (DSK) angehört habe. Nach dem Ergebnis ihrer – der Beklagten – Ermittlungen sowie unter Berücksichtigung der örtlichen sprachlichen Verhältnisse am Heimatort B., ihrer familiären Situation bis 1941, ihrer Schulbildung und des beruflichen Werdeganges sei nicht überwiegend wahrscheinlich, dass sie die deutsche Sprache wie ihre Muttersprache beherrscht und überwiegend benutzt habe. Zudem seien die von der Klägerin behaupteten Beitrags- und Beschäftigungszeiten nach dem FRG weder nachgewiesen noch glaubhaft gemacht. Da die Klägerin deshalb nicht Versicherte im Sinne des § 250 SGB VI sei, komme eine Rentenzahlung aus dem verfolgungsbedingten Ersatzzeittatbestand vom 15. April 1944 bis 15. April 1945 nicht in Betracht. Aus demselben Grund sei die Klägerin auch nicht zur Nachentrichtung berechtigt. Grundlage dieser Entscheidung waren, was die Zugehörigkeit der Klägerin zum DSK anbetrifft, die Auskunft des Internationalen Suchdienstes in A1, in der dort für die Klägerin ausgestellten sogenannten DP-2 Karte seien als Sprachkenntnisse an erster Stelle Ungarisch, an zweiter Stelle Deutsch aufgeführt, sowie die der Heimatauskunftsstelle beim Landesausgleichsamt Baden-Württemberg über das Ergebnis der Volkszählungen in Ungarn in den Jahren 1930 und 1941 für B. Danach haben bei der Volkszählung 1930 von den 2279 Einwohnern 2261 als Muttersprache Madjarisch, fünf Deutsch und drei Sonstige angegeben, bei der Volkszählung für 1941 von 2248 Einwohnern 2245 als Muttersprache Madjarisch, zwei Deutsch und einer Slowakisch, als Nationalität 2246 Madjarisch, einer Deutsch und einer Slowakisch. Bei ihrer Feststellung zur fehlenden Glaubhaftmachung der Beitragszeiten stützte sich die Beklagte auch auf die Angaben der Klägerin im Entschädigungsverfahren zu ihren persönlichen Verhältnissen vor Beginn der Verfolgung, die die Beklagte der beigezogenen Akte jenes Verfahrens entnommen hatte. Die Klägerin hatte dort im Jahre 1957 im Fragebogen zur Prüfung eines verfolgungsbedingten Schadens an Körper und Gesundheit ähnlich wie im Rentenantrag u. a. angegeben, sie habe von 1926 bis 1935 in ihrem Heimatort B. fünf Jahre die Volksschule und vier Jahre die Mittelschule besucht, anschließend bis 1937 im selben Ort eine Berufsausbildung zur Schneiderin durchlaufen und sei dann bis zum Beginn der Verfolgung als angestellte Schneiderin erwerbstätig gewesen. In ihrer eidesstattlichen Versicherung vom 26. Oktober 1955 hatte sie davon abweichend ausgeführt, sie habe in ihrer Heimat sechs Jahre lang die Volksschule und vier Jahre die höhere Schule besucht und dann im Hause ihres Vaters gelebt, der ein selbstständiger Geschäftsmann gewesen sei. In ihrer eidesstattlichen Versicherung vom 2. Oktober 1958 hatte sie in diesem Zusammenhang erklärt, sie habe 1941 und 1942 eine Kleinigkeit als Näherin verdient. Sie sei zeitweise als Näherin in einer Schneiderwerkstätte beschäftigt gewesen, habe aber so wenig verdient, dass sie überwiegend von ihren Eltern habe unterhalten werden müssen. Der Nervenarzt Dr. B2 (New York) hatte in seinem in der Entschädigungsakte befindlichen Gutachten vom 5. Juni 1961 zu verfolgungsbedingten Gesundheitsstörungen über folgende Angaben der Klägerin zur Vorgeschichte berichtet: Ihr Vater sei in ihrem Geburtsort ein Lebensmittelhändler gewesen. Sie habe die Mittelschule beendet und dann im elterlichen Heim und Geschäft ausgeholfen. Dem Gutachten des Internisten Dr. S3 vom 29. Juni 1961 zufolge hatte sie dort angegeben, sie sei vor der Verfolgung Schneiderin gewesen.

Die Klägerin erhob gegen den ablehnenden Bescheid vom 16. Dezember 1996 Widerspruch und trat insbesondere den ihre Zugehörigkeit zum DSK in Frage stellenden Ausführungen der Beklagten entgegen. Die Beklagte veranlasste eine Prüfung der Sprachkenntnisse der Klägerin durch das Generalkonsulat der Bundesrepublik Deutschland in New York. In seinem Bericht über die Anhörung der Klägerin zur Feststellung der Zugehörigkeit zum DSK vom 2. Juli 1997 teilte das Generalkonsulat mit, die Klägerin spreche kaum noch Deutsch und habe Deutsch als Fremdsprache gelernt. Sie lese Deutsch mit großer Mühe und sei kaum in der Lage gewesen, längere Sätze in Deutsch zu sprechen, geschweige denn eine Unterhaltung in Deutsch zu führen. Beigefügt waren ein von der Klägerin geschriebenes Diktat von zehn Minuten, das acht Zeilen umfasste, und ein Aufsatz, für den fünf Minuten vorgesehen waren und der zwei Zeilen umfasste. Daraufhin wies die Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 28. August 1997 zurück. Im anschließenden Klageverfahren vor dem Sozialgericht Hamburg (SG) hat die Klägerin beanstandet, die Beklagte habe ihren Ausführungen zur fehlenden Zugehörigkeit zum DSK zu Unrecht in erster Linie die sprachlichen Verhältnisse in ihrem Geburtsort B. zugrunde gelegt. Maßgebend hätten stattdessen die sprachlichen Verhältnisse im Vertreibungsgebiet sein müssen, also in B1, wo sie seit 1937 ihren Wohnsitz gehabt habe und bei der Damenkleiderfabrik F1 als Schneiderin versicherungspflichtig beschäftigt gewesen sei. Die Beklagte habe aus dem Gutachten des Dr. B2 zu Unrecht gefolgert, sie habe bis 1944 in B. gewohnt. Sie habe vielmehr von 1937 bis 1943 in B1 gewohnt, sei dann 1943 - während der Verfolgung - nach B. zurückgekehrt. Sie habe zu keinem Zeitpunkt im Lebensmittelgeschäft ihrer Eltern gearbeitet. Im weiteren Verlauf des Klageverfahrens hat sie ausgeführt, sie habe von Ende 1943 bis Frühjahr 1944 in B1 in der Schneiderei R. gearbeitet und sei mit Beginn der Deportationen nach B. zurückgekehrt. Von dort sei sie in das Ghetto in S. deportiert worden.

Die Klägerin hat Zeugenerklärungen der T2 W1, geboren am XX.XXXXXXXX 1909 in Ungarn unter dem Mädchennamen W2, und der O. H., geboren am XX.XXXXX 1924 in Ungarn unter dem Mädchennamen B3, beide wohnhaft in B4, USA, vorgelegt. Die Zeugin W1 hat dort bestätigt, die Klägerin habe vor dem zweiten Weltkrieg in B1 bei R. als Näherin gearbeitet. Sie – die Zeugin - habe dort des Öfteren eingekauft. Die Zeugin H. hat ausgeführt, sie habe mit der Klägerin vor dem zweiten Weltkrieg bei F1 zusammengearbeitet. Die Klägerin habe versucht, sie Deutsch zu lehren.

Die Heimatauskunftsstelle für die Sowjetunion, Bulgarien, Bessarabien und Dobrudscha beim Landesausgleichsamt Baden-Württemberg hat dem SG auf Anfrage mitgeteilt, in Ungarn sei die Unterrichtssprache in den staatlichen Schulen, mit Ausnahme von Minderheitsgemeinden, in denen ein Teil des Unterrichts in der jeweiligen Muttersprache habe erteilt werden dürfen, Ungarisch gewesen. Da B. in einem fast rein ungarischen Gebiet gelegen habe, sei Deutsch dort nur als Fremdsprache unterrichtet worden. Schulen mit überwiegend deutschem Unterricht habe es nur in wenigen deutschen Gemeinden gegeben. In B1 habe es die Wäsche- und Kleiderfabrik M. F1 und Söhne gegeben. Über die Schneiderei R. sei nichts bekannt.

Das SG hat die Vernehmung der Zeuginnen W1 und H. durch das deutsche Generalkonsulat in New York angeordnet. Beide sind zu dem vom Generalkonsulat anberaumten Termin entgegen ihrer ursprünglich erklärten Zusagen und ohne Angabe von Gründen nicht erschienen. Zu der von der Klägerin angeregten Vernehmung der Zeuginnen – diese seien wohl bettlägerig - in ihren Wohnungen sah sich das Generalkonsulat außerstande. Die ihnen daraufhin am 3. Februar 1999 vom Generalkonsulat zugesandten Fragebögen mit den Beweisfragen des Gerichts sind am 5. März 1999 mit handschriftlich eingetragenen Antworten wieder beim Generalkonsulat eingegangen. Sie tragen Unterschriften, die nicht beglaubigt sind. In beiden ist vermerkt, die Klägerin habe von 1937 bis 1944 bei der Firma F1 gearbeitet. Der Arbeitgeber habe für die gesamte Zeit Beiträge zur Rentenversicherung abgeführt. Die Klägerin habe zu Hause ausschließlich Deutsch gesprochen. Im Geschäft seien die Kunden in Deutsch bedient worden. Sie – die Zeuginnen – hätten sich mit der Klägerin in deutscher Sprache unterhalten.

Am 5. Juni 2000 hat das Generalkonsulat der Bundesrepublik Deutschland in New York auf Veranlassung des SG die Zeugin C. G., geboren am X.XXXXXXXXX 1924 in Ungarn, wohnhaft in B4, im Wege der Rechtshilfe als Zeugin gehört. Diese hat ausgeführt, die Klägerin habe von 1937 bis ca. 1944 in der Textilfabrik F1 in B1 als Schneiderin an den Nähmaschinen gearbeitet. Über die Zahlung von Beiträgen zur Rentenversicherung für die Klägerin sei ihr nichts bekannt. So etwas habe es nach ihrer Erinnerung in Ungarn damals nicht gegeben. Sie selbst habe ebenfalls einige Jahre bis 1943 dort gearbeitet. In der Familie der Klägerin sei Deutsch gesprochen worden. Sie selbst habe sich mit der Klägerin in verschiedenen Sprachen unterhalten, in Ungarisch, Deutsch und Jiddisch. In den Geschäften in der Umgebung des Beschäftigungsbetriebes sei üblicherweise Ungarisch gesprochen worden. Über ein Geschäft, in dem die Klägerin gearbeitet habe, sei ihr nichts bekannt.

Das Sozialgericht hat die Klage durch das Urteil vom 6. Dezember 2001 abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Klägerin habe keinen Anspruch auf Rente aus der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung. Renten an Ausländer im Ausland würden grundsätzlich nur aus Entgeltpunkten für Bundesgebiets-Beitragszeiten gezahlt. Solche Zeiten lägen bei der Klägerin gegenwärtig nicht vor. Ihr stehe auch kein Recht zur Nachentrichtung freiwilliger Beiträge zur bundesdeutschen Rentenversicherung nach § 8 a SP zu, deren Vorhandensein zur Berücksichtigung etwaiger in Ungarn zurückgelegter Beitrags- oder Beschäftigungszeiten hätte führen können, denn sie habe zu dem Zeitpunkt, in dem sich der nationalsozialistische Einflussbereich auf ihr Heimatgebiet erstreckt habe, nicht dem DSK angehört. Zudem seien die von ihr behaupteten Beitrags- bzw. Beschäftigungszeiten nicht nachgewiesen oder glaubhaft gemacht.

Gegen dieses Urteil, das ihr am 7. Februar 2002 zugestellt worden ist, hat die Klägerin am 27. Februar 2002 Berufung eingelegt. Sie wiederholt ihr Vorbringen aus dem Klageverfahren und bekräftigt, die von ihr in Ungarn zurückgelegten Zeiten mit versicherungspflichtigen Tätigkeiten seien glaubhaft gemacht. Die in § 17 a FRG geregelten Voraussetzungen für die Berücksichtigung dieser Zeiten in der deutschen Rentenversicherung seien ebenso erfüllt wie die Voraussetzungen für ihre Zulassung zur Nachentrichtung von Beiträgen.

Im Juni 2003 haben die Bevollmächtigten der Klägerin beantragt, die Beklagte möge überprüfen, ob aufgrund des Gesetzes über die Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungszeiten im Ghetto (ZRBG) insofern eine Änderung zu Gunsten der Klägerin eingetreten sei, als die von ihr von Mai 1944 bis April/Mai 1945 im Ghetto in S. gegen Entgelt verrichtete Beschäftigung auf die Erfüllung der Anwartschaft anzurechnen sei. Die Beklagte hat diesen Antrag mit Bescheid vom 30. Juli 2003 abgelehnt. Nach den ihr vorliegenden Erkenntnissen habe das Ghetto in S. von Mai 1944 bis Juni 1944 existiert. Aus der Verwaltungsakte und der Entschädigungsakte ergäben sich keine Indizien für eine Beschäftigung der Klägerin im Ghetto. Bei dem kurzen Aufenthaltszeitraum im Ghetto von höchstens einem Monat sei nicht überwiegend glaubhaft, dass die Klägerin für den Zeitraum im Mai 1944 dort ein Beschäftigungsverhältnis aus freiem Willensentschluss gegen Entgelt zurückgelegt habe. Es sei vielmehr wahrscheinlich, dass das Ghetto den Charakter eines Durchgangslagers zwecks Weiterleitung der verfolgten Menschen in ein Konzentrations- oder Zwangsarbeitslager gehabt habe. Als gesicherte Erkenntnis gelte, dass Beschäftigungsverhältnisse in Ghettos im Übrigen vor Deportationen der dort internierten Verfolgten in Konzentrationslager geschützt hätten. Bei einer Aufenthaltsdauer von höchstens einem Monat könne dies auch nicht als Indiz für ein Beschäftigungsverhältnis in einem Ghetto herangezogen werden. Die Zeit von Mai 1944 bis Mai 1945 könne nicht als Zeit eine Beschäftigung in einem Ghetto anerkannt werden, weil sich die Klägerin seinerzeit in einem Konzentrationslager aufgehalten habe. Zeiten der Beschäftigung und des Aufenthalts in einem Konzentrationslager stünden einer Beschäftigung und einem zwangsweisen Aufenthalt in einem Ghetto nicht gleich.

Die Klägerin beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 6. Dezember 2001 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 16. Dezember 1996 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 28. August 1997 und des Bescheides vom 30. Juli 2003 zu verurteilen, der Klägerin ab dem 1. September 1995 Regelaltersrente zu gewähren

Die Beklagte beantragt, die Berufung des Klägers zurückzuweisen und die Klage gegen den Bescheid vom 30. Juli 2003 abzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Zu weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der in der Sitzungsniederschrift aufgeführten Akten verwiesen, die vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Beratung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts vom 6. Dezember 2001 sowie die Klage gegen den Bescheid der Beklagten vom 30. Juni 2003 sind unbegründet. Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig.

Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Regelaltersrente aus der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung, weil sie die allgemeine Wartezeit von fünf Jahren nicht erfüllt ( §§ 35, 50 Abs. 1 SGB VI ). Auf diese Wartezeit werden angerechnet Kalendermonate mit Beitragszeiten und Kalendermonate mit Ersatzzeiten (§ 51 Abs. 1, Abs. 4 SGB VI). Beitragszeiten sind Zeiten, für die nach Bundesrecht Pflichtbeiträge (Pflichtbeitragszeiten) oder freiwillige Beiträge gezahlt worden sind. Beitragszeiten zu nichtdeutschen Versicherungsträgern, wie sie die Klägerin behauptet, stehen den Beitragszeiten im Sinne dieser Bestimmung nach Maßgabe der Regelungen des FRG gleich. Die Bestimmung des § 15 Abs. 1 FRG sieht eine solche Gleichstellung zugunsten des in § 1 Buchst. a bis e FRG definierten Personenkreises vor. Die Klägerin gehört nicht zu diesem Personenkreis, denn sie ist nicht anerkannte Vertriebene. Im Hinblick auf ihre Anerkennung als Verfolgte im Sinne des BEG und auf ihre Herkunft aus Ungarn kam eine Gleichstellung gemäß § 17a FRG in Betracht. Dieser Bestimmung zufolge finden die für die gesetzliche Rentenversicherung maßgebenden Vorschriften dieses Gesetzes Anwendung auch auf Personen, die bis zu dem Zeitpunkt, in dem der nationalsozialistische Einflußbereich sich auf ihr jeweiliges Heimatgebiet erstreckt hat, 1. dem deutschen Sprach- und Kulturkreis angehört haben, 2. das 16. Lebensjahr bereits vollendet hatten oder im Zeitpunkt des Verlassens des Vertreibungsgebietes dem deutschen Sprach- und Kulturkreis angehört haben und 3. sich wegen ihrer Zugehörigkeit zum Judentum nicht zum deutschen Volkstum bekannt hatten und die Vertreibungsgebiete nach § 1 Abs. 2 Nr. 3 des Bundesvertriebenengesetzes verlassen haben. Für die Feststellung der danach erheblichen Tatsachen genügt es, wenn sie glaubhaft gemacht sind (vgl § 4 FRG). Diese Bestimmung kommt im Falle der Klägerin nicht zum Zuge, weil sie im Zeitpunkt der Erstreckung des nationalsozialistischen Einflusses auf ihr Heimatgebiet nicht dem DSK angehört hat. Im Regelfall ist der Gebrauch des Deutschen im Bereich des persönlichen Lebens ausreichendes Anzeichen für die Zugehörigkeit zum DSK. Dieser Betrachtungsweise des Bundesgerichtshofs (BGH - vgl. Rechtsprechung zum Wiedergutmachungsrecht – RzW - 1973, 266;) hat sich das Bundessozialgericht (BSG) in ständiger Rechtsprechung angeschlossen (vgl zB BSG SozR 5070 § 20 Nr 2; BSG SozR 3-5070 § 20 Nr 1). Mehrsprachige Verfolgte wie die Klägerin werden dem DSK zugerechnet, wenn sie die deutsche Sprache wie eine Muttersprache beherrscht und sie im persönlichen Bereich überwiegend verwendet haben (vgl BGH RzW 1970, 503, 505; 1972, 266; 1974, 247; BSG SozR 5070 § 20 Nrn 4, 13; BSG SozR 3-5070 § 20 Nrn 1, 2). Legt man diesen Maßstab im Falle der Klägerin an, so ist ihre Zugehörigkeit zum DSK nicht glaubhaft gemacht, d.h. nicht überwiegend wahrscheinlich. Maßgebend dafür ist das Ergebnis der Sprachprüfung, bei der die Klägerin sich als unfähig zeigte, längere Sätze in Deutsch zu sprechen, geschweige denn eine Unterhaltung in Deutsch zu führen. Der die Klägerin Befragende gewann bei der Anhörung der Klägerin den Eindruck, die Klägerin habe Deutsch als Fremdsprache erlernt. Wer Deutsch als Muttersprache beherrscht hat und auch im häuslichen Bereich überwiegend gebraucht hat, muss 60 Jahre später nicht fehlerfrei Deutsch sprechen, aber er muss es doch verstehen können und sich in dieser Sprache artikulieren, d.h. verständlich machen können. Dieses Minimum an Verständigung ist der Klägerin offensichtlich nicht möglich. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang die Mitteilung des Generalkonsulats, die Klägerin habe - eher ungewollt – erwähnt, noch heute mit ihren Geschwistern oder Kindern mitunter Ungarisch zu sprechen. Auch dies spricht eher gegen eine vormals selbstverständliche muttersprachlich geläufige Verwendung der deutschen Sprache im privaten Bereich. Der Senat nimmt hierzu im übrigen Bezug auf die überzeugenden Ausführungen des SG und macht sie sich zu eigen. Der Senat hält zudem die von der Klägerin behaupteten Beitragszeiten für nicht glaubhaft gemacht, d.h. überwiegend wahrscheinlich. Die diesbezüglichen Angaben der Klägerin im Rentenantrag werden durch ihre davon abweichenden Angaben in ihren eidesstattlichen Versicherungen 1955 und 1958 im Entschädigungsverfahren in Frage gestellt, wo von einer Beschäftigung gegen ein - nennenswertes - Entgelt nicht die Rede war. Zwar hat sie im Jahre 1957 in einer weiteren eidesstattlichen Versicherung von einer Beschäftigung gegen Entgelt, gegenüber Dr. B2 jedoch später nur wieder von Mithilfe im elterlichen Haus und Geschäft gesprochen. Der Senat sieht sich in seiner Auffassung bestärkt durch die Uneinheitlichkeit der Angaben der Klägerin über die Dauer ihres Aufenthalts in B1. Hatte sie im Rentenantrag erklärt, sie habe bis 1944 in B1 gelebt und gearbeitet, so hat sie im Rahmen der Sprachprüfung durch das deutsche Generalkonsulat und in der Klageschrift angegeben, sie habe bis 1943 in B1 gelebt und danach wieder in B. K ... Später hat sie mit Schriftsätzen vom 29. Dezember 1997 und 3. März 1998 wieder behauptet, sie habe bis zum Frühjahr 1944 in B1 – bei R.’s – gearbeitet. Die Aussage der Zeugin G. vor dem deutschen Generalkonsulat in New York vermag keine überwiegende Wahrscheinlichkeit für die von der Klägerin behaupteten Beschäftigungen in B1 und die Entrichtung von Beiträgen zur ungarischen Rentenversicherung zu begründen. Sie konnte über die Höhe des von der Klägerin bezogenen Entgelts und über die Abführung von Beiträgen keine Angaben machen. Abgesehen davon bestätigte sie die Beschäftigung der Klägerin in der Textilfabrik F1 (F1) für einen längeren Zeitraum, als die Klägerin angegeben hatte, und für einen Zeitraum, zu dem die Klägerin ihren Angaben zufolge bei einem anderen Arbeitgeber beschäftigt war. Auch die schriftlichen Angaben der Zeuginnen W1 und H. rechtfertigen – zumal vor dem Hintergrund der uneinheitlichen Angaben der Klägerin - keine für diese günstigere Beurteilung des Sachverhalts. Zweifel am Erinnerungsvermögen der Zeugin W1 rechtfertigen sich schon aus den Widersprüchen ihrer Angaben im Fragebogen des Generalkonsulats zu ihren eigenen früheren Angaben in der von der Klägerin vorgelegten Zeugenerklärung. Dort hatte sie ausgeführt, sie kenne die Klägerin von B1 von ihrer Beschäftigung bei R.’s, weil sie dort oft eingekauft habe. Abweichend davon hat sie in dem ihr vom deutschen Generalkonsulat übersandten Fragebogen angegeben, die Klägerin sei von 1937 bis 1944 bei der Fa. F1 beschäftigt gewesen. Die Angaben der Zeugin H. weisen keine derartigen Widersprüche auf, weichen aber – wie die Aussage der Zeugin G. - insofern von den Angaben der Klägerin ab, als sie eine Beschäftigung der Klägerin bei der Firma F1 – und eine Beitragsentrichtung durch diesen Arbeitgeber – nicht nur bis 1943, sondern bis 1944 behauptet. Der Umstand, dass die Angaben in den beiden Fragebögen im Wortlaut nahezu identisch sind und in derselben Schrift gemacht wurden, spricht zumindest dagegen, dass es sich um Angaben aus der eigenen Erinnerung beider Zeuginnen handelt, und mindert dementsprechend ihre Beweiskraft. Auch aus den Bestimmungen des Gesetzes zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto (ZRBG) vom 20. Juni 2002 (BGBl. I S. 2074) lässt sich für die Klägerin kein Anspruch auf Altersrente herleiten. Dieses Gesetz gilt gemäß seinem § 1 für Zeiten der Beschäftigung von Verfolgten in einem Ghetto, die sich dort zwangsweise aufgehalten haben, wenn 1. die Beschäftigung a) aus eigenem Willensentschluss zustande gekommen ist, b) gegen Entgelt ausgeübt wurde und 2. das Ghetto sich in einem Gebiet befand, das vom Deutschen Reich besetzt oder diesem eingegliedert war, soweit für diese Zeiten nicht bereits eine Leistung aus einem System der sozialen Sicherheit erbracht wird. Für Zeiten einer solchen Beschäftigung gelten gemäß § 2 Abs. 1 ZRBG Beiträge als gezahlt, und zwar 1. für die Berechnung der Rente als Beiträge nach den Reichsversicherungsgesetzen für eine Beschäftigung außerhalb des Bundesgebiets sowie 2. für die Erbringung von Leistungen ins Ausland als Beiträge für eine Beschäftigung im Bundesgebiet (Ghetto-Beitragszeiten).

Diese Voraussetzungen für eine solche Berücksichtigung fiktiver Beiträge liegen hier nicht vor, weil Ghettobeitragszeiten der Klägerin nicht zumindest glaubhaft gemacht sind. Auch wenn sich das ZRBG über die Beweisanforderungen für anspruchsbegründende Tatsachen ausschweigt, kann doch insofern nichts anderes gelten als für anspruchsbegründende Tatsachen nach dem WGSVG, auf das § 1 Absatz 2 ZRBG Bezug nimmt. Weder aus der Entschädigungsakte noch aus der Rentenakte der Beklagten ergeben sich Hinweise auf eine aus eigenem Willensentschluss zustande gekommene und gegen Entgelt ausgeübte Beschäftigung der Klägerin im Ghetto in S. Für die Zeit der Verfolgung ist vielmehr ausschließlich von Zwangsarbeit – d.h. nicht freiwillig aufgenommener Arbeit - die Rede. Zwangsarbeit im Ghetto wird im Entschädigungsverfahren erstmals im Gutachten des Dr. B5 vom 27. April 1961 erwähnt. Im Gutachten des Dr. B2 vom 5. Juni 1961 wird von Zwangsarbeit nur im Zusammenhang mit den anschließenden KZ-Aufenthalten gesprochen.

Die von der Klägerin zurückgelegte Zeit der Verfolgung kann nicht als Versicherungszeit in der Form einer Ersatzzeit der Erfüllung der Wartezeit dienen (§§ 51 Abs. 4, 54 Abs. 4 SGB VI). Sie ist keine Ersatzzeit im Sinne des § 250 Abs. 1 Nr. 4 SGB Vi, denn in Ermangelung von Beitragszeiten ist die Klägerin nicht Versicherte i. S. v. § 52 Abs. 1 SGB VI. Diesen Status kann sie auch nicht durch Nachentrichtung von Beiträgen oder Zulassung zur freiwilligen Versicherung erwerben. Für eine Zulassung der Klägerin zur Nachentrichtung von Beiträgen gibt es keine gesetzliche Grundlage. Die von der Klägerin ins Auge gefasste Regelung unter Ziff. 8 des Schlussprotokolls zum DASVA kommt nicht in Betracht, da der dort vorausgesetzte Tatbestand des § 17a FRG nicht erfüllt ist und – mit Hilfe der Nachentrichtung zahlbar zu machende - Pflichtbeitragszeiten von der Klägerin nicht zurückgelegt worden sind.

Auch eine Zulassung der Klägerin zur freiwilligen Versicherung gemäß § 10 WGSVG n. F. kommt nicht in Betracht. Dieser Bestimmung zufolge sind zur freiwilligen Versicherung berechtigt Versicherte, die Verfolgte im Sinne des § 1 BEG sind und die allgemeine Wartezeit erfüllt haben und pflichtversicherte Verfolgte im Sinne des § 1 Abs. 2 Nr. 3 WGSVG sind. Die Voraussetzungen unter den Ziffern 2 und 3 sind nicht erfüllt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Der Senat hat die Revision nicht zugelassen, da hierfür eine Veranlassung im Sinne des § 160 Abs.2 Ziffern 1 oder 2 SGG nicht bestanden hat.
Rechtskraft
Aus
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