L 1 KR 120/03

Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 34 KR 90/00
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 1 KR 120/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 13. Juni 2003 wird zurückgewiesen. 2. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. 3. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist die Erstattung von Kosten für eine kombinierte Enzym- und Zell-Milieutherapie.

Der 1928 geborene Kläger leidet an einer spinalen, 1990 bei ihm erstmals festgestellten Muskelatrophie, einer zu Muskelschwund und Muskellähmung im Bereich von Extremitäten und Gesicht führenden Erkrankung von Zellen des Rückenmarks. Ursache für diese selten auftretende Krankheit - nach Angaben des Klägers sind in Deutschland etwa 100 Menschen hiervon betroffen - können sporadisch auftretende oder autosomal – dominant vererbte Mutationen sein. Beim Kläger sind ein Grad der Behinderung von 90 und mehrere Merkzeichen festgestellt.

Nachdem sich der Kläger über Behandlungsmöglichkeiten durch Verabreichung von Enzymtabletten informiert hatte, wandte er sich unter dem 9. Februar 1999 an die Beklagte, bei der er freiwillig versichert ist, und ließ wissen, dass er beabsichtige, von einem Dr. P. ihm vorgeschlagene, von dem Nervenarzt F. befürwortete Enzymtherapien durchzuführen, weil keine weiteren schulmedizinischen Behandlungsmöglichkeiten bestünden. Er fragte an, ob die Wobe-Mugos E Tabletten weiterhin erstattungsfähig seien, anderenfalls bat er um Mitteilung, ob der Beklagten eine anteilige Beteiligung "an diesen Therapien" möglich sei. Die Beklagte lehnte die Übernahme von Kosten für eine Versorgung mit Wobe-Mugos E Tabletten im März 1999 bindend ab.

In der Folge ließ sich der Kläger, bei dem der Vertragsarzt F. unter dem 11. März 1999 einen Therapieversuch mit Wobe-Mugos E Tabletten (Anwendungsgebiet: Langzeitbehandlung bei Tumoren, Zusatzbehandlung während der Strahlentherapie, Metastasenprophylaxe, Unterstützung bei Entzündungen u. Virusinfektionen (z. B. Herpes zoster)) zur Stärkung des Immunsystems für vertretbar gehalten hatte, von dem nicht zugelassenen Arzt Dr. T. sowohl in der Zeit vom 22. März bis 29. April 1999, aber auch darüber hinaus in den folgenden Jahren behandeln. Er beantragte am 11. Mai 1999 bei der Beklagten insoweit die (anteilige) Kostenübernahme, wofür er Rechnungen über ärztliche Behandlung, Laboruntersuchungen und Arzneimittelverordnungen für die Zeit vom 22. März bis 29. April 1999 vorlegte. Im Rahmen des auf der Basis einer Blutuntersuchung von Dr. T. entworfenen Heilbehandlungs- und Ernährungsplans waren ihm zahlreiche Vitamin- und Aufbaupräparate sowie Enzymtabletten verordnet und verabreicht worden.

Die Beklagte lehnte die Kostenübernahme bzw. Kostenerstattung nach Einholung des Gutachtens des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) vom 18. Mai 1999 durch Bescheid vom 27. Mai 1999 ab, weil die Behandlung nicht wissenschaftlich fundiert sei und es sich bei der Spinalmuskelatrophie um eine nur symptomatisch einer Behandlung zugängliche Erbkrankheit handele. Im anschließenden Vorverfahren hielt der Kläger dieser Auffassung entgegen, dass seine Krankheit auf eine Virusinfektion (Herpes-simplex-Virus) zurückzuführen und die von Dr. T. erfahrene Behandlung durchaus wissenschaftlich begründet sei. Die Beklagte verblieb nach Einholung der MDK-Stellungnahme vom 12. August 1999 im Bescheid vom 18. August 1999 bei ihrer ablehnenden Entscheidung und wies den aufrechterhaltenen Widerspruch des Klägers durch Widerspruchsbescheid vom 17. Januar 2000 zurück. Ein Kostenübernahme- bzw. Kostenerstattungsanspruch bestehe nicht, weil die Behandlung durch einen nicht zugelassenen Arzt erfolgt sei und erfolge und der MDK die Behandlungsmethode als nicht auf wissenschaftlich gesicherter Grundlage beruhend beurteilt habe.

Mit der am 18. Februar 2000 erhobenen Klage hat der Kläger klargestellt, dass die durchgeführte Behandlung in einer Kombination der Enzymtherapie mit einer Zell-Milieutherapie bestehe, zu der sich der Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen noch nicht geäußert habe (vgl. Schreiben des Ausschusses an den Kläger vom 29. März 2000), und gemeint, die Beklagte habe die Kosten für die Wobe-Mugos E Tabletten zu übernehmen, weil diese vertragsärztlich verordnungsfähig seien.

Nachdem das Sozialgericht die Stellungnahme des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen vom 8. August 2000 eingeholt hatte, hat es nach Anhörung des Klägers im Termin die Klage durch Urteil vom 13. Juni 2003 abgewiesen. Die Voraussetzungen des § 13 Abs. 3 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) seien nicht erfüllt. Die kombinierte Enzym- und Zell - Milieutherapie gehöre als neue Behandlungsmethode iSd § 135 SGB V nicht zu den von der gesetzlichen Krankenversicherung geschuldeten Leistungen. Im Übrigen fehle es bezüglich dieser Therapie an statistisch nachgewiesener Wirksamkeit, sie habe sich auch in der medizinischen Praxis nicht durchgesetzt.

Gegen das ihm am 18. Juli 2003 zugestellte Urteil richtet sich die am 11. August 2003 eingelegte Berufung des Klägers. Er meint, dass die Voraussetzungen des § 13 Abs. 3 SGB V bei ihm vorlägen, weil es sich bei der in Rede stehenden Therapie um eine unaufschiebbare Leistung bzw. um eine Notfallbehandlung handele. Seine äußerst seltene Erkrankung würde von den gesetzlichen Vorschriften, der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) und der Praxis des (bisherigen) Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen nicht erfasst. Für seine Behandlung durch die kombinierte Enzym- und Zell-Milieutherapie habe er seit 1999 bis 2003 jährlich ca. 10.000 DM bzw. 5.000 EUR aufgewendet.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 13. Juni 2003 und die Bescheide der Beklagten vom 27. Mai 1999 und 18. August 1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. Januar 2000 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die Kosten der kombinierten Enzym- und Zell-Milieutherapie zu erstatten.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Der behandelnde Arzt Dr. T. sei nicht zugelassen, die durchgeführte Therapie vom Gemeinsamen Bundesausschuss nach § 135 Abs. 1 Satz 1 SGB V nicht anerkannt. Weder sei ein Systemmangel ersichtlich noch lägen dem Bundesausschuss ein Anerkennungsantrag für die fragliche Therapie oder Erkenntnisse darüber vor, dass die kombinierte Enzym- und Zell-Milieutherapie dem allgemein anerkannten Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse entspreche.

Wegen des weiteren Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Einzelnen wird auf den Inhalt und der Gerichtsakten und der Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen, die vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers ist statthaft, form- und fristgerecht eingelegt und auch im Übrigen zulässig (§§ 143, 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG)). Insbesondere überschreitet der streitige Erstattungsbetrag den in § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG für den Beschwerdegegenstand geforderten Wert von 500 EUR.

Das Rechtsmittel ist aber unbegründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die Bescheide der Beklagten vom 27. Mai und 18. August 1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. Januar 2000 sind rechtmäßig. Der Kläger hat keinen Anspruch darauf, dass die Beklagte ihm die durch seine Behandlung bei Dr. T. mittels der kombinierten Enzym- und Zell-Milieutherapie entstandenen Kosten erstattet. Das gilt insbesondere auch für die Kosten, die ihm durch die Verordnung von Wobe-Mugos E Tabletten entstanden sind.

Die Beklagte hat es zu Recht abgelehnt, dem im Mai 1999 gestellten Kostenerstattungsantrag zu entsprechen. Sie lehnt es auch zu Recht ab, die Kosten zu erstatten, die beim Kläger seither durch die privatärztlich durchgeführte kombinierte Enzym- und Zell-Milieutherapie angefallen sind.

Konnte die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen oder hat sie eine Leistung zu Unrecht abgelehnt und sind dadurch Versicherten für die selbst beschaffte Leistung Kosten entstanden, sind diese von der Krankenkasse in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war (§ 13 Abs. 3 SGB V a.F., ab 1. Juli 2001 § 13 Abs. 3 Satz 1 SGB V). Diese Voraussetzungen liegen nicht vor.

Der Erstattungsanspruch bezüglich der vor der Antragstellung am 11. Mai 1999 entstandenen Kosten ist schon deshalb unbegründet, weil die ablehnende Entscheidung der Beklagten vom 27. Mai 1999 für ihre Entstehung nicht kausal gewesen ist. Da der Kläger sich zudem bereits vor dieser Entscheidung auf den lang angelegten Behandlungsplan Dr. T., wie er sich aus dessen Schreiben an den Kläger vom 12. April 1999 ergibt, eingelassen und sich auch in der Folge an diesen Behandlungsplan (vgl. Schreiben Dr. T. vom 16. August 1999 und 7. November 2000) gehalten hat, spricht sogar einiges für die Annahme, dass die ablehnende Entscheidung der Beklagten auch hinsichtlich der nach Erteilung des Bescheide vom 27. Mai/18. August 1999 durch die Inanspruchnahme Dr. T. entstandenen Kosten nicht ursächlich gewesen sind. Diese Frage kann aber auf sich beruhen, weil auch die weiteren Voraussetzungen von § 13 Abs. 3 SGB V nicht gegeben sind.

Die Kosten für die Verordnung von Arzneimitteln durch Dr. T. können ungeachtet der Frage, ob die Arzneimittel jeweils für ihr Anwendungsgebiet verordnet worden sind, schon deshalb nicht übernommen werden, weil Dr. T. nicht zur Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung berechtigt ist. Dies ist aber Voraussetzung für einen Erstattungsanspruch. Das ergibt sich auch aus § 13 Abs. 2 Sätze 1 und 2 SGB V, wonach freiwillige Mitglieder, die für die Dauer der freiwilligen Versicherung anstelle der Sach- oder Dienstleistung Kostenerstattung wählen, nur die im Vierten Kapitel des SGB V genannten Leistungserbringer in Anspruch nehmen können. Soweit der Kläger vorbringt, es habe sich bei ihm um einen Notfall gehandelt, in welchem er auch andere Ärzte in Anspruch nehmen kann (§ 76 Abs. 1 Satz 2 SGB V), vermag ihm der Senat nicht beizutreten. Bei der Behandlung des langjährigen Leidens des Klägers handelt es sich nicht um eine Notfallbehandlung, für deren Kosten im Übrigen die Kassenärztliche Vereinigung aus der Gesamtvergütung und nicht – davon losgelöst – die Krankenkasse einzustehen hätte. Im Hinblick auf § 13 Abs. 3 SGB V ergibt sich deshalb, dass die Beklagte keineswegs "eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig" erbracht hat. Dass das Leiden des Klägers nicht sehr häufig vorkommt, erlaubt keine andere Beurteilung.

Die Beklagte hat eine Leistung auch nicht zu Unrecht abgelehnt. Zutreffend hat das Sozialgericht ausgeführt, dass es sich bei der hier in Rede stehenden kombinierten Enzym- und Zell-Milieutherapie um eine Behandlungsmethode handelt, über die der Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen (ab 1. Januar 2004: Gemeinsamer Bundesausschuss) nach § 135 Abs. 1 Satz 1 SGB V bisher eine Empfehlung über die Anerkennung ihres therapeutischen Nutzens sowie ihrer medizinischen Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit nicht abgegeben hat. Es liegt dem Gemeinsamen Bundesausschuss insoweit auch kein Antrag iSd § 135 Abs. 1 SGB V vor. Im Übrigen hat das Sozialgericht unter Hinweis auf das Urteil des BSG vom 16. September 1997 (1 RK 28/95, BSGE 81, 54 = SozR 3-2500 § 135 Nr 4) zutreffend dargelegt, dass auch ein Ausnahmetatbestand, der von der Abgabe der Empfehlung nach § 135 Abs. 1 SGB V absehen ließe, nicht gegeben ist. Auf diese Ausführungen wird, um Wiederholungen zu vermeiden, Bezug genommen (§ 153 Abs. 2 SGG). Zu Lasten der Beklagten durfte deshalb die in Rede stehende Therapie nicht erbracht werden.

Nach alledem hat die Berufung keinen Erfolg und ist zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Der Senat hat die Revision gem. § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 SGG nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen dafür fehlen.
Rechtskraft
Aus
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