L 1 RJ 40/03

Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 4 RJ 52/00
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 1 RJ 40/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 28. November 2002 wird zurückgewiesen. 2. Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten zu erstatten. 3. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Im Streit ist noch, ob Altersrente bereits ab 1. Juli 1987 -statt erst ab 1. Januar 1994- zu zahlen ist.

Die am XX.XXXXX 1922 in W. geborene Klägerin - geb. B. - war zwischen dem 1. Juni 1936 und dem 6. Oktober 1941 rentenversicherungspflichtig mit Beitragsentrichtung beschäftigt (62 Kalendermonate). Ihre letzte Quittungskarte wurde am 7. Januar 1942 von der Allgemeinen Ortskrankenkasse Hamburg aufgerechnet (Mitteilung der Landesversicherungsanstalt (LVA) Schleswig-Holstein an die Klägerin vom 2. Dezember 1953). Die Klägerin gebar am XX.XXXXX 1945 einen Sohn und am XX.XXXXX 1948 eine Tochter und erzog beide Kinder.

Ein von der Klägerin am 6. November 1951 nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) gestellter Antrag auf Gewährung von Grundrente blieb erfolglos (Bescheid des Versorgungsamtes Hamburg vom 23. April 1953). Seit dem 1. August 1983 bezieht sie nach ihrem 1920 geborenen und verstorbenen Ehemann eine - mit Bescheid vom 1. August 1995 neu festgestellte - Hinterbliebenenrente von der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA). Die LVA Schleswig-Holstein hatte sich, wie aus einem Bildschirmausdruck hervorgeht, unter dem 24. September 1986 mit dem Versicherungskonto der Klägerin befasst.

Am 21. Dezember 1998 beantragte die Klägerin, die seit September 1998 in einem Hamburger Seniorenheim lebt, bei der Beklagten die Gewährung von Altersrente wegen Vollendung des 65. Lebensjahres. Nachdem ihr die LVA Schleswig-Holstein die maschinellen Daten der Klägerin am 26. Februar 1999 überspielt hatte, gewährte die Beklagte durch Bescheid vom 11. August 1999 Altersrente mit Rentenbeginn ab 1. Dezember 1998 (ab 1. Oktober 1999 in Höhe von 323,22 DM). Hierbei fanden auch Kindererziehungszeiten vom 1. Juli 1945 bis 30. Juni 1946 und vom 1. August 1948 bis 31. Juli 1949 Anrechnung.

Im anschließenden Vorverfahren begehrte die Klägerin die Rentenzahlung bereits ab 1. Juli 1987. Die Beklagte wies den Widerspruch unter Hinweis auf § 99 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) zurück (Widerspruchsbescheid vom 16. Dezember 1999).

Die Klägerin hat mit der hiergegen am 12. Januar 2000 erhobenen Klage die Auffassung vertreten, die Beklagte sei aufgrund eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruches zur Rentenzahlung bereits ab 1. Juli 1987 verpflichtet. Obwohl sie, die Klägerin, ein Stammrecht auf Altersrente mit Vollendung des 65. Lebensjahres erworben habe, hätten weder die Beklagte noch die LVA Schleswig-Holstein sie auf die Möglichkeit der Rentenantragstellung hingewiesen. Die Beklagte habe ihre Hinweispflicht nicht erfüllt und dadurch die rechtzeitige Antragstellung verhindert.

Die Beklagte hat erwidert, sie habe erst nach Eingang des Rentenantrages und Kenntnis der aktuellen (Hamburger) Anschrift der Klägerin das Rentenverfahren einleiten können und vorher keinen konkreten bzw. geeigneten Anlass gehabt, die Klägerin in Richtung einer Rentenantragstellung zu beraten. Auch nach den zum 1. Juli 1998 in Kraft getretenen gemeinsamen Richtlinien der Rentenversicherungsträger zu § 115 Abs. 6 SGB VI habe für sie eine Hinweispflicht nicht bestanden, weil für die Klägerin kein "Aktiv-Konto" vorgelegen habe, auf das sie oder die LVA Schleswig-Holstein hätten zurückgreifen können. Ihr hätten weder Versicherungsunterlagen der Klägerin vorgelegen noch seien ihr deren aktueller Name oder Wohnsitz bekannt gewesen.

Das Sozialgericht hat von der BfA die Hinterbliebenenrentenakten beigezogen. Durch Urteil vom 28. November 2002 hat es die Beklagte verpflichtet, der Klägerin – die seit Oktober 2002 pflegebedürftig nach Pflegestufe I ist - bereits ab 1. Juli 1987 Altersrente zu gewähren. Die Rentenantragstellung erst am 21. Dezember 1998 stehe dem Anspruch auf frühere Altersrente nicht entgegen. Die Vorschriften des SGB VI über den Beginn der Rentenzahlung seien, weil insoweit noch die Vorschriften der Reichsversicherungsordnung (RVO) anzuwenden seien, nicht einschlägig. Eine Verjährungseinrede habe die Beklagte nicht erhoben. Selbst wenn die Beklagte diese aber erhoben hätte, wäre dies unbeachtlich. Denn eine solche Einrede verstieße gegen Treu und Glauben und wäre rechtsmissbräuchlich, weil die Beklagte wegen der Erfüllung der Voraussetzungen der Regelaltersrente und eines geklärten Versicherungskontos eine Pflicht zur Beratung gehabt habe. Diese Beratungspflicht habe sich in § 115 Abs. 6 SGB VI und den hierzu verabschiedeten Richtlinien niedergeschlagen. Im Rahmen dieser Pflicht hätte die Beklagte die Klägerin zur Rentenantragstellung auffordern müssen. Die Vorschrift des § 44 Abs. 4 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) stehe der Gewährung der Rente bereits ab 1. Juli 1987 nicht entgegen. Sie finde auf Erstfeststellungen keine Anwendung.

Gegen das ihr am 3. März 2003 zugestellte Urteil richtet sich die am 21. März 2003 eingelegte Berufung der Beklagten. Sie erhebt die Einrede der Verjährung und führt zur Begründung des Rechtsmittels aus: Laut Kontoinhalt sei zu keiner Zeit vor 1999 ein Versicherungsverlauf über das Versicherungsleben der Klägerin erstellt worden. Erst mit Festsetzung der Rente seien erstmals Zeiten der Kindererziehung anerkannt worden. Entgegen den Ausführungen des Sozialgerichts habe es sich deshalb nicht um ein zum Zeitpunkt der Antragstellung geklärtes Versicherungskonto gehandelt. Der Verband Deutscher Rentenversicherungsträger (VDR) habe allerdings festgelegt, dass § 99 SGB VI nicht anzuwenden sei, wenn wegen einer Verletzung der Hinweispflicht nach § 115 Abs. 6 SGB VI ein vor dem 1. Januar 1992 entstandener Anspruch auf Regelaltersrente erst nach dem 31. Dezember 1991 durch einen Antrag zahlbar gemacht werde. Für diesen Fall seien die Versicherten im Wege eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruches so zu stellen, als hätten sie den Antrag auf Regelaltersrente spätestens drei Kalendermonate nach Inkrafttreten des SGB VI (31. März 1992) gestellt. Gem. § 300 Abs. 2 SGB VI seien in einem solchen Fall auf den Rentenanspruch weiterhin die Vorschriften der RVO anzuwenden. Obwohl hier ein ungeklärtes Versicherungskonto vorgelegen habe, handele es sich dennoch um einen geeigneten Fall, der der Hinweispflicht des § 115 Abs. 6 SGB VI unterlegen habe, weil bereits mit den in den gespeicherten Versicherungskarten enthaltenen Versicherungszeiten die Wartezeit für die beantragte Regelaltersrente erfüllt gewesen sei. Die Altersrente sei der Klägerin allerdings unter Anwendung von § 44 Abs. 4 SGB X erst ab 1. Januar 1994 zu gewähren. Für den Verurteilungszeitraum 1. Januar 1994 bis 30. November 1998 werde das erstinstanzliche Urteil nicht angefochten.

Die Beklagte beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 28. November 2002 aufzuheben, soweit die Beklagte verurteilt worden ist, der Klägerin Altersrente vom 1. Juli 1987 bis 31. Dezember 1993 zu zahlen, und die darauf gerichtete Klage abzuweisen, hilfsweise die Revision zuzulassen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil des Sozialgerichts für zutreffend.

Im Übrigen wird auf den Inhalt der Prozessakten und der Rentenakten der Beklagten Bezug genommen, die vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Beklagten ist statthaft, frist- und formgerecht eingelegt und auch im Übrigen zulässig (§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG)).

Das Rechtsmittel ist aber unbegründet. Das Sozialgericht hat der Klage zu Recht stattgegeben. Der Bescheid der Beklagten vom 11. August 1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. Dezember 1999 ist insoweit rechtswidrig, als die Beklagte der Klägerin für die Zeit vom 1. Juli 1987 bis 31. Dezember 1993 Altersrente vorenthält.

Vom 1. Januar 1994 bis 30. November 1998 steht der Klägerin Altersrente zu, weil die Beklagte das Urteil des Sozialgerichts vom 28. November 2002 für diesen Zeitraum nicht mehr angreift, sondern das Rechtsmittel insoweit zurückgenommen hat.

Auf den Rechtsstreit sind grundsätzlich die Vorschriften des SGB VI anzuwenden, weil der Anspruch – auch wenn er sich auf die Zeit ab 1. Juli 1987 bezieht – erst nach dem 31. März 1992 geltend gemacht worden ist (§ 300 Abs. 2 SGB VI; vgl. auch § 302 Abs. 1 SGB VI). Dementsprechend hat die Beklagte Regelaltersrente zutreffend nach § 35 SGB VI geleistet, weil die Klägerin das 65. Lebensjahr vollendet und die allgemeine Wartezeit (§ 50 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI) erfüllt hat.

Zu Unrecht hat die Beklagte aber der Klägerin diese Rente nicht auch für die Zeit vom 1. Juli 1987 bis 31. Dezember 1993 gewährt. Dem für diese Zeit erhobenen Rentenanspruch stehen weder der Antragseinwand des § 99 Abs. 1 SGB VI noch die Nachleistungsbegrenzung des § 44 SGB X entgegen. Er ist auch nicht verjährt.

Unter Zugrundelegung der Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) vom 2. August 2000 (B 4 RA 54/99, SozR 3-2600 § 99 Nr. 5), der sich der erkennende Senat bereits in mehreren Verfahren angeschlossen hat, hatte die Klägerin, weil sie die erforderliche Wartezeit von sechzig Kalendermonaten zurückgelegt hatte, mit Vollendung des 65. Lebensjahres im Juni 1987 ein Stammrecht auf Altersruhegeld und ein Recht auf Einzelansprüche ab 1. Juli 1987 erworben (§ 1248 Abs. 5, Abs. 7 Satz 3 RVO). Der Beginn der Altersruhegeldgewährung nach § 1248 Abs. 5 RVO war, wie der Rückschluss aus § 1290 Abs. 1 Sätze 1 und 2 RVO ergibt, grundsätzlich nicht von einem bestimmten Zeitpunkt der Antragstellung abhängig. Die Gewährung des Altersruhegeldes begann – sofern nicht Verjährung eingriff - "vom Ablauf des Monats an, in dem seine Voraussetzungen erfüllt sind", hier also – nachdem der zur Erfüllung des Anspruchs erforderliche Antrag im Dezember 1998 gestellt worden war - ab 1. Juli 1987.

Die Beklagte hält dem ohne Erfolg entgegen, dass nach § 99 Abs. 1 Satz 1 SGB VI idF des Rentenreformgesetzes 1992 (BGBl. 1989 I S 2261) eine Rente aus eigener Versicherung von dem Kalendermonat an geleistet wird, zu dessen Beginn die Anspruchsvoraussetzungen für die Rente erfüllt sind, wenn die Rente bis zum Ende des dritten Kalendermonats nach Ablauf des Monats beantragt wird, in dem die Anspruchsvoraussetzungen erfüllt sind, und dass nach § 99 Abs. 1 Satz 2 SGB VI bei späterer Antragstellung eine Rente aus eigener Versicherung von dem Kalendermonat an geleistet wird, in dem die Rente beantragt wird. Der Antragseinwand des § 99 Abs. 1 SGB VI greift nämlich nicht, wenn das Recht auf Regelaltersrente (früher Altersruhegeld genannt; zum Sprachgebrauch vgl. § 300 Abs. 4 Satz 2 SGB VI) vor den 1. Januar 1992 - wie hier - entstanden ist. Er greift hier weder für die Zeit vom 1. Juli 1987 bis 31. Dezember 1991 noch für die Zeit vom 1. Januar 1992 bis 31. Dezember 1993. Insoweit nimmt der Senat, um Wiederholungen zu vermeiden, auf die überzeugenden Ausführungen im Urteil des BSG vom 2. August 2000 (B 4 RA 54/99 R, a. a. O.) Bezug.

Soweit die Beklagte meint, durch § 44 Abs. 4 SGB X werde der (streitige) Rentenanspruch auf die Zeit ab 1. Januar 1994 begrenzt, so dass für die Zeit vom 1. Juli 1987 bis 31. Dezember 1993 kein Raum für einen Rentenanspruch mehr verbleibe, vermag ihr der Senat nicht zu folgen. Der materiell-rechtliche (einzel-) anspruchsvernichtende Einwand der Nachleistungsbegrenzung auf vier Jahre nach § 44 Abs. 4 SGB X konkretisiert keinen allgemeinen Rechtsgrundsatz und ist nicht "analogiefähig" (BSG 2. 8. 2000 - B 4 RA 54/99 R, a. a. O.; 6. 3. 2003 – B 4 RA 38/02 R, BSGE 91, 1 = SozR 4-2600 § 115 Nr 1 = NZS 2004, 149). Wenn der anspruchsvernichtende Antragseinwand des § 99 Abs. 1 SGB VI - wie hier - nicht eingreift oder im Einzelfall - etwa wegen einer sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs - nicht durchgreift, gilt dies für alle so genannten Erstfeststellungsverfahren und dementsprechend auch vorliegend.

Dem geltend gemachten Anspruch steht auch nicht die Einrede der Verjährung entgegen. Nach § 45 Abs. 1 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) verjähren Ansprüche auf Sozialleistungen in vier Jahren nach Ablauf des Kalenderjahrs, in dem sie entstanden sind. Danach unterlagen im Zeitpunkt der Rentenantragstellung, als die Verjährung unterbrochen wurde (§ 45 Abs. 3 Satz 1 SGB I), etwaige Rentenansprüche für die Zeit bis 31. Dezember 1993 grundsätzlich der Verjährung. Die Beklagte hat die Einrede der Verjährung zwar erhoben (Schriftsatz vom 13. März 2003). Jedoch setzt die Erhebung der Verjährungseinrede regelmäßig die Ausübung von Ermessen voraus (ständige Rechtsprechung, BSG SozR 3-1200 § 45 Nr 2 mwN) und sind die Gründe hierfür in dem Bescheid, mit dem die Leistungen für die zurückliegende Zeit versagt werden, zu nennen (vgl. § 35 Abs. 2 SGB X). Eine iSd § 41 Abs. 1 Nr. 2 SGB X erforderliche Ermessensbegründung, die nach dem bis zum 31. Dezember 2000 geltenden Recht nur bis zum Abschluss eines Vorverfahrens oder, falls ein Vorverfahren nicht stattfand, bis zur Erhebung der Klage nachgeholt werden konnte, hat die Beklagte nicht abgegeben. Selbst wenn hier aber bereits § 41 Abs. 2 SGB X i. d. F. des Art. 10 des 4. Euro-Einführungsgesetzes um 31. Dezember 2000 (BGBl. I S 1983) – in Kraft ab 1. Januar 2001 - Anwendung fände, wonach die erforderliche Begründung bis zur letzten Tatsacheninstanz eines sozial- oder verwaltungsgerichtlichen Verfahrens nachgeholt werden kann, so hat doch die Beklagte eine Ermessensbegründung für die Einrede der Verjährung auch nicht bis zum Abschluss der mündlichen Verhandlung vor dem erkennenden Senat abgegeben.

Es kann dahingestellt bleiben, ob der Umstand fehlender Ermessensausübung allein lediglich zur Änderung des Bescheides vom 11. August 1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. Dezember 1999, soweit Rente für die Zeit vom 1. Juli 1987 bis 31. Dezember 1993 versagt worden ist, und zur Verurteilung der Beklagten zur Neubescheidung, nicht aber zu ihrer Verurteilung zur Rentenzahlung für diese Zeit berechtigte. Denn die Beklagte musste hier von der Einrede absehen, weil deren Geltendmachung nach den rechtsstaatlichen Grundsätzen von Treu und Glauben unzulässig ist.

Zwar ist die Verjährungseinrede vorliegend nicht von vornherein wegen unzulässiger Rechtsausübung (Verstoß gegen Treu und Glauben) ausgeschlossen, weil ein solcher Ausschluss sich auf eine Pflichtverletzung nur dann stützen könnte, wenn diese sich aus dem Verhalten der Beklagten selbst ergibt und nicht aus dem Verhalten Dritter. Zudem müsste es sich dann um eine besonders krasse Pflichtverletzung handeln (vgl. BSG 22. 10. 1996 – 13 RJ 17/96, BSGE 79, 177 = SozR 3-1200 § 45 Nr 6). Eine Pflichtverletzung der Beklagten selbst, die zur Verzögerung der Antragstellung der Klägerin geführt haben könnte, ist aber nicht ersichtlich. Denn die Beklagte erfuhr erst auf Grund des Rentenantrages und der Übermittlung der Versichertendaten durch die LVA Schleswig-Holstein von dem Anspruch der Klägerin.

Jedoch gebietet die Gesamtheit der Umstände hier das Absehen von der Verjährungseinrede. Wie sich der Stammsatzauskunft (Bildschirmausdruck) vom 13. Dezember 2000 entnehmen lässt, hatte sich die LVA Schleswig-Holstein am 24. September 1986 mit dem Versicherungskonto der Klägerin befasst, nach Angaben der Beklagten vermutlich ohne Antrag im Rahmen allgemeiner Versicherungskartenaufbereitung. Obwohl die Klägerin seinerzeit bereits 64 Jahre alt war, die Wartezeit erfüllt und bei Vollendung des 65. Lebensjahres ein Stammrecht auf Altersruhegeld hatte, hat ihr die LVA Schleswig-Holstein auf Grund des Ergebnisses dieser Aufbereitung eine Rentenauskunft oder einen Versicherungsverlauf nicht erteilt. Dazu war sie indes nach § 1325 RVO verpflichtet. Nach dessen Abs. 4 erhielt der Versicherte, der das 55. Lebensjahr vollendet hatte, mit dem Bescheid nach Abs. 3 dieser Vorschrift Auskunft über die Höhe der bisher erworbenen Anwartschaft auf Altersruhegeld (Rentenauskunft). Nach § 109 SGB VI bestand ab 1. Januar 1992 eine gleiche Verpflichtung. Es ist kein Grund dafür ersichtlich, weshalb die LVA Schleswig-Holstein 1986 eine endgültige Klärung des Versicherungsverlaufs unterließ, obwohl Kindererziehungszeiten 1986 schon anrechenbar waren und ihr – wie sich aus der Mitteilung vom 2. Dezember 1953 ergibt - bekannt war, dass die Klägerin geheiratet hatte und nach Hamburg verzogen war. Dass einer entsprechenden Information der Klägerin durch die LVA Schleswig-Holstein unüberwindbare Hindernisse entgegenstanden, ist weder vorgetragen noch ersichtlich. Das Versäumnis der LVA Schleswig-Holstein muss sich die Beklagte zurechnen lassen. Sie räumt im Übrigen selbst eine – wenn auch auf § 115 Abs. 6 SGB VI gestützte, einen Herstellungsanspruch begründende - Verletzung der Hinweispflicht ein, weil zwar ein "ungeklärtes" Konto vorgelegen, sich aber aus den gespeicherten Versicherungskarten ergeben habe, dass die Wartezeit für die Altersrente erfüllt sei.

Hätte die Klägerin 1986 einen – der LVA Schleswig-Holstein bei der am 24. September 1986 vorgenommenen Kartenaufbereitung sich aufdrängen müssenden – Hinweis auf einen ab 1. Juli 1987 bestehenden Anspruch auf Altersruhegeld erhalten, so hätte sie ihren Antrag so rechtzeitig gestellt, dass Verjährung nicht eingetreten wäre. Davon ist der Senat überzeugt, zumal der Bezug von Witwenrente und ihr früherer Antrag auf Gewährung einer Grundrente nach dem BVG zeigen, dass die Klägerin Sozialleistungen nach Möglichkeit in Anspruch nimmt.

Es ist überdies nicht erkennbar, dass die Verletzung der Hinweispflicht durch die LVA Schleswig-Holstein nicht die wesentliche, dh zumindest gleichwertige, Bedingung dafür gewesen ist, dass die Klägerin ihren Antrag auf Gewährung von Altersrente nicht schon zu einem Zeitpunkt gestellt hat, zu dem der Anspruch noch nicht verjährt war. Die Verletzung der Hinweispflicht muss zwar die wesentliche Bedingung für die Beeinträchtigung des sozialen Rechts gewesen sein. Dies ist nicht der Fall, wenn der Versicherte wissentlich oder fahrlässig gegen sich selbst einen erforderlichen Antrag nicht gestellt oder Informationen nicht eingeholt hat. Der Senat vermag jedoch nicht festzustellen, dass die Klägerin aus ihr zurechenbaren, von ihr zu vertretenden Gründen den Rentenantrag so spät gestellt hat. Der Akteninhalt lässt solche Gründe nicht erkennen. Insbesondere gibt er keinen Hinweis darauf, dass die Klägerin wusste oder fahrlässig nicht wusste, dass für den Anspruch auf Altersruhegeld ab dem 1. Januar 1984 nicht mehr eine Wartezeit von 180 Kalendermonaten, sondern nur noch von 60 Kalendermonaten notwendig war. Es ist nicht ausgeschlossen, sondern durchaus möglich, dass die Klägerin, nachdem sie 1983 Witwe geworden war, von der für sie insoweit günstigen Änderung des Rentenrechts – trotz durch die Rentenversicherungsträger nach § 13 SGB I erfolgter allgemeiner Aufklärung - keine Kenntnis erhielt. Dass der am 30. November 1998 ausgefüllte, am 21. Dezember 1998 bei der Beklagten eingegangene Antragsvordruck die auf die LVA Schleswig-Holstein als Ursprungsanstalt hinweisende Versicherungsnummer der Klägerin bereits enthielt, berechtigt nicht zur gegensätzlichen Annahme. Daraus kann nicht geschlossen werden, dass der unterlassene Hinweis hier nicht im sozialrechtlichen Sinne kausal für die verspätete Antragstellung war.

Da nach alledem feststeht, dass sich die Beklagte eine Verletzung der – sich im Kern aus §§ 14, 15 SGB I iVm Art. 14 Abs. 1 Grundgesetz ergebenden – Hinweispflicht zurechnen lassen muss und die Klägerin kein Verschulden daran trifft, dass sie ihr soziales Recht so spät beantragt hat, ist die Einrede der Verjährung hier nach Treu und Glauben (§ 242 Bürgerliches Gesetzbuch) unbeachtlich. Daher kann dahinstehen, ob - wenn dies nicht der Fall wäre – das Ermessen der Beklagten bei der Verjährungseinrede wegen der wirtschaftlichen und sozialen Situation der Klägerin (Witwenrente, geringe eigene Altersrente, Pflegebedürftigkeit) zu deren Gunsten auf Null geschrumpft wäre.

Die Berufung hat daher keinen Erfolg und ist zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Der Senat hat die Revision gem. § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG zugelassen.
Rechtskraft
Aus
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