S 43 KR 831/18 ER

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Gelsenkirchen (NRW)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
43
1. Instanz
SG Gelsenkirchen (NRW)
Aktenzeichen
S 43 KR 831/18 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen den Beitragsbescheid der Antragsgegnerin vom 09.01.2018 wird angeordnet, soweit hiermit Beitragsrückstände hinsichtlich der Einkünfte aus dem Gewerbebetrieb für die Zeit nach dem 31.03.2018 geltend gemacht worden sind. Im Übrigen wird der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen den Bescheid vom 09.01.2018 abgelehnt. Kosten werden nicht erstattet.

Gründe:

I. Die Antragstellerin begehrt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs gegen einen Beitragsbescheid der Antragsgegnerin.

Die 1962 geborene und verheiratete Antragstellerin ist bei der Antragsgegnerin gesetzlich krankenversichert und geht einer Tätigkeit bei der S. Warenhaus GmbH nach. Infolgedessen war sie zunächst als gegen Arbeitsentgelt Beschäftigte pflichtversichert.

Ausweislich einer internen Gesprächsnotiz der Antragsgegnerin vom 08.08.2014 stellte sich heraus, dass die Antragstellerin ebenfalls über eine ihr als Arbeitgeberin zuzuordnen-de Betriebsnummer verfügte, über die wiederum ihr Ehemann krankenversichert war.

Die Antragsgegnerin führte daraufhin eine Überprüfung der selbständigen Tätigkeit durch und forderte die Antragstellerin in diesem Zuge mehrfach auf, einen beigefügten Fragebogen zu der Feststellung einer hauptberuflichen oder nebenberuflichen selbständigen Erwerbstätigkeit ausgefüllt und mit entsprechenden Nachweisen versehen zurückzusenden. Mit Anhörungsschreiben vom 11.09.2015 teilte die Antragsgegnerin sodann mit, dass sie beabsichtige, die selbständige Tätigkeit rückwirkend hauptberuflich zu beurteilen. Die Versicherung setze sich als freiwillige Mitgliedschaft fort. Ein etwaiger Austritt könne innerhalb von zwei Wochen erklärt werden. Daraufhin gingen die angeforderten Unterlagen bei der Antragsgegnerin ein. Ausweislich der übersandten Gewerbeanmeldung vom 27.01.2009 führte die Antragstellerin seit dem 02.01.2009 einen Betrieb für Messeservice, Industrieservice und Veranstaltungsdienstleistungen. Auch ihr Ehemann war gemäß den beigefügten Unterlagen in dem Betrieb versicherungspflichtig beschäftigt. Der Einkommensteuer-bescheid für das Jahr 2009 wies Einkünfte aus Gewerbebetrieb der Antragstellerin in Höhe von 48.115,00 EUR aus. Die Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit beliefen sich auf 10.086,00 EUR. Für das Jahr 2010 wies der Einkommensteuerbescheid Einkünfte aus Gewerbebetrieb in Höhe von 93.732,00 EUR und Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit in Höhe von 21.441,00 EUR aus. Für das Jahr 2011 beliefen sich die Einkünfte aus Gewerbebetrieb auf 55.000,00 EUR und der Bruttoarbeitslohn der Antragstellerin auf 22.229,00 EUR. Der Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2012 wies Einkünfte aus Gewerbebetrieb in Höhe von 62.118,00 EUR und Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit in Höhe von 22.400,00 EUR aus. Für das Jahr 2013 beliefen sich die Einkünfte aus Gewerbebetrieb wiederum auf 52.845,00 EUR und der Bruttoarbeitslohn der Antragstellerin auf 22.878,00 EUR.

Mit Schreiben vom 19.02.2016 wies die Antragsgegnerin auf das Ergebnis ihrer Überprüfung hin und teilte mit, dass die selbständige Tätigkeit ab dem 02.01.2009 hauptberuflich ausgeübt werde. Der Lebensunterhalt werde überwiegend durch die Einkünfte aus der selbständigen Tätigkeit sichergestellt. Es werde beabsichtigt, die selbständige Tätigkeit ab dem 02.01.2009 als hauptberufliche zu beurteilen. Es bestehe die Möglichkeit der Äußerung. Der Ehemann der Antragstellerin meldete sich daraufhin telefonisch und teilte mit, dass er und seine Ehefrau das Geschäft gemeinsam führten und seine Ehefrau nur ihren Namen hergebe.

Mit Bescheid vom 10.03.2016 stellte die Antragsgegnerin die hauptberufliche Ausübung der selbständigen Tätigkeit ab dem 02.01.2009 fest. Dagegen erhob die Antragstellerin Widerspruch und führte zur Begründung aus, sie sei an fünf Tagen in der Woche für jeweils sechs Stunden angestellte Verkäuferin bei Real. Ihre Tätigkeit in der Firma beschränke sich auf ca. vier Stunden Büroarbeit in der Woche. Im Übrigen sei sie nur Namensgeberin und der restliche Anteil der Arbeit entfalle auf ihren Ehemann. Die Konstellation sei u.a. auf ein privates Insolvenzverfahren gegen ihren Ehemann im Jahr 2009 zu-rückzuführen.

Mit Widerspruchsbescheid vom 15.07.2016 wurde der Widerspruch gegen den Bescheid vom 10.03.2016 zurückgewiesen. Dagegen erhob die Antragstellerin am 16.08.2016 Klage zum hiesigen Gericht (Az. S 11 KR 1128/16). Mit gerichtlicher Betreibensaufforderung vom 19.12.2016 wurde die Antragstellerin unter Hinweis auf § 102 Abs. 2 Sätze 1 und 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) i.V.m. § 102 Abs. 1 Satz 2 SGG aufgefordert, das Verfahren innerhalb von drei Monaten zu betreiben. Eine Reaktion der Antragstellerin erfolgte nicht.

Die Antragstellerin wandte sich sodann mit Schriftsatz vom 12.06.2017 an die Antragsgegnerin und teilte mit, dass sie infolge der Bestandskraft des statusfeststellenden Bescheides vom 10.03.2016 ab dem 02.01.2009 nicht mehr als Arbeitnehmerin zum kraft Gesetzes versicherungspflichtigen Personenkreis in der gesetzlichen Krankenversicherung gehöre. Die Mitgliedschaft sei jedoch ab dem 02.01.2009 kraft Gesetzes aufgrund der Auffangversicherung (§ 5 Abs. 1 Nr. 13 lit. a) Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V), § 20 Abs. 1 Nr. 12 Sozialgesetzbuch Elftes Buch (SGB XI)) fortgeführt worden. Es werde daher beantragt festzustellen, dass die Mitgliedschaft über den 02.01.2009 hinaus fortbestehe.

Die Antragstellerin reichte zudem einen ausgefüllten Fragebogen hinsichtlich einer Anzeige zur Pflichtversicherung nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V und § 20 Abs. 1 Satz 2 Nr. 12 SGB XI ein. Aus dem ebenfalls übersandten Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2014 ergaben sich Einkünfte aus Gewerbebetrieb in Höhe von 40.916,00 EUR sowie ein Bruttoar-beitslohn in Höhe von 21.204,00 EUR. Der Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2015 wies Einkünfte aus Gewerbebetrieb in Höhe von 4.916,00 EUR und Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit in Höhe von 26.468,00 EUR aus.

Mit Beitragsbescheid vom 09.01.2018 setzte die Antragsgegnerin für die Zeit vom 02.01.2009 bis zum 31.12.2017 sowie die laufenden monatlichen Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung fest. Für die Beitragsberechnung wurde die Beitragsbemessungs-grenze in Höhe von 3.675,00 EUR monatlich für das Jahr 2009, in Höhe von 3.750,00 EUR monatlich für das Jahr 2010, in Höhe von 3.712,50 EUR monatlich für das Jahr 2011, in Höhe von 3.825,00 EUR monatlich für das Jahr 2012, in Höhe von 3.937,50 EUR monatlich für das Jahr 2013 und in Höhe von 4.050,00 EUR monatlich für das Jahr 2014 zugrunde gelegt. Für die Beitragsberechnung ab dem 01.01.2015 wurden die tatsächlichen beitragspflichtigen Einnahmen in Höhe von 2.615,34 EUR monatlich, ab dem 01.01.2016 die tatsächlichen beitragspflichtigen Einnahmen in Höhe von 2.338,54 EUR und ab dem 01.01.2017 die tatsächlichen beitragspflichtigen Einnahmen in Höhe von 2.384,35 EUR monatlich zugrunde gelegt. Daraus resultierte eine Nachzahlung in Höhe von 62.340,96 EUR. Die Nachzahlung sei bei der nächsten Beitragszahlung zum 15.02.2018 zu berücksichtigen. Zum 15.02.2018 ergebe sich daher ein Gesamtbetrag in Höhe von 62.770,14 EUR.

Dagegen erhob die Antragstellerin mit Schreiben vom 28.03.2018 Widerspruch. Sie habe von dem Inhalt des Bescheides erstmalig durch eine E-Mail vom 26.03.2018 Kenntnis er-langt. Postalisch sei ihr der Bescheid dann am 27.03.2018 zugegangen. Vorsorglich werde auch ein Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand gestellt. Auch von den nunmehr übermittelten Mahnungen vom 21.02.2018 und 21.03.2018 habe sie erst jetzt Kenntnis erlangt.

Mit Schreiben vom 13.06.2018 erläuterte die Antragsgegnerin ergänzend zu ihrem Beitragsbescheid die herangezogenen Beitragsbemessungsgrundlagen.

Mit Schriftsatz vom 18.07.2018 wies die Antragstellerin darauf hin, dass der Beitragsbescheid infolge eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs teilweise zurückzunehmen sei. Die Antragstellerin habe ihre aus dem Sozialleistungsverhältnis resultierende Pflicht nach § 14 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I) zur Beratung über die rechtliche Möglichkeit durch eine Verzichtserklärung auf die Kostenübernahme für in Anspruch genommene Leistungen zu einer Beitragsermäßigung für den Nacherhebungszeitraum nach § 256a Abs. 4 SGB V i.V.m. § 1 Abs. 1 der Einheitlichen Grundsätze zur Beseitigung finanzieller Überforderung bei Beitragsschulden des GKV- Spitzenverbandes in der damals gültigen Fassung zu kommen, verletzt. Die Antragsgegnerin habe jeden Hinweis darauf versäumt, dass nach der Feststellung der Versicherungspflicht nach den vom GKV-Spitzenverband erlassenen einheitlichen Grundsätzen für die Ermäßigung von Beiträgen in der damals gültigen Fassung die Möglichkeit bestanden habe, auf eine angemessene Ermäßigung der nachzuentrichtenden Beiträge hinzuwirken.

Ausweislich einer sodann eingereichten Gewerbeabmeldung wurde der Betrieb Messeservice, Industrieservice und Veranstaltungsdienstleistungen zum 31.03.2018 aufgegeben.

Die Antragsgegnerin erteilte am 12.06.2018 eine vollstreckbare Ausfertigung aus dem Beitragsbescheid und beauftragte den Gerichtsvollzieher beim Amtsgericht Gelsenkirchen mit der Zwangsvollstreckung (Abgabe einer Vermögensauskunft) wegen einer Hauptforderung in Höhe von 64.057,68 EUR.

Die Antragstellerin hat am 01.08.2018 einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz gestellt und trägt vor, sie erkläre hiermit den Verzicht auf eine Kostenübernahme oder Kostener-stattung für die während des gesamten Nacherhebungszeitraums in Anspruch genommenen Leistungen der Antragsgegnerin. Ihr sei im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs zu gestatten, die vorstehende Verzichtserklärung als eigentlich nicht mehr zu-lässige Handlung nachzuholen und noch abzugeben, wie es ihr ohne Beratungspflichtverletzung zugestanden hätte. Die Antragsgegnerin hätte sie spätestens unmittelbar nach abgeschlossener Prüfung über die Versicherungspflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V beraten und belehren müssen.

Die Antragstellerin beantragt schriftsätzlich,

die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs vom 28.03.2018 gegen den Bescheid vom 09.01.2018 anzuordnen.

Die Antragsgegnerin beantragt schriftsätzlich,

den Antrag abzulehnen.

Sie ist der Ansicht, die geltend gemachte versäumte Beratung liege nicht vor. Es habe der Antragstellerin oblegen, zeitnah die Aufnahme eines Gewerbebetriebes mitzuteilen. Dann hätte eine zeitnahe Prüfung einer haupt-/nebenberuflich selbständigen Tätigkeit und auch eine Beratung bezüglich der weiteren Versicherung stattfinden können. Dann wäre es nicht zu einem derart hohen nachzuzahlenden Betrag gekommen. Eine Stundung der Bei-träge könne selbstverständlich beantragt werden.

Die Antragsgegnerin hat sich auf Anfrage des erkennenden Gerichts bereit erklärt, die Zwangsvollstreckungsmaßnahmen vorläufig bis zum Abschluss des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens einzustellen.

Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts und des übrigen Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, der beigezogenen Akte zu dem Verfahren S 11 KR 1128/16 und der beigezogenen Verwaltungsakte der Antragsgegnerin Bezug genommen, die Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen sind.

II. Der Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes ist zulässig und in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet.

Nach § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage - wie hier gemäß § 86a Abs. 2 Nr. 1 SGG - keine aufschiebende Wirkung haben, auf Antrag die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Das Gericht entscheidet nach summarischer Prüfung unter Abwägung der widerstreitenden Interessen sowie Berücksichtigung der in § 86a Abs. 3 Satz 2 SGG niedergelegten Grundsätze. Danach soll die Aussetzung der Vollziehung erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen oder wenn die Vollziehung für den Abgaben- oder Kostenpflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Da der Gesetzgeber in § 86a Abs. 2 SGG insoweit ein Regel-Ausnahme-Verhältnis statuiert hat, wird im Zweifel grundsätzlich das öffentliche Interesse an der Vollziehung Vorrang haben. Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit bestehen daher nur, wenn ein Erfolg im Hauptsacheverfahren wahrscheinlicher ist als ein Misserfolg, da eine gerichtliche Entscheidung das genannte Regel-Ausnahme-Verhältnis und die darin liegende gesetzliche Risikoverteilung zu Lasten des Betroffenen unterliefe, setzte sie die Vollziehung bereits dann aus, wenn der Erfolg des Rechtsbehelfs ebenso wahrscheinlich wie der Misserfolg, der Aus-gang des Hauptsacheverfahrens also offen ist (vgl. Bayerisches Landessozialgericht, Beschluss vom 23.08.2016 – L 5 KR 409/16 ER –, juris; Sächsisches Landessozialgericht, Beschluss vom 22.02.2016 - L 1 KR 217/15 B ER -, juris; Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt - Keller, SGG, 12. Aufl., § 86a Rn. 27a). Eine unbillige Härte liegt vor, wenn dem Betroffenen durch die Vollziehung Nachteile entstehen, die über die eigentliche Zahlung hinausgehen und nicht oder nur schwer wieder gutgemacht wer-den können (Keller, a.a.O., § 86a Rn. 27b).

Unter Anwendung dieser Maßstäbe ist der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen den Bescheid vom 09.01.2018 nur in geringfügigem Maße begründet. Da ausweislich der vorliegenden Gewerbeabmeldung vom 29.03.2018 eine Betriebsaufgabe zum 31.03.2018 erfolgt ist, ist nach summarischer Prüfung davon auszugehen, dass aus dem Gewerbebetrieb seit April 2018 keine Einkünfte mehr erwirtschaftet werden. Diese können auch insoweit ab diesem Zeitpunkt der Beitragsberechnung nicht mehr zugrunde gelegt werden. Soweit aus der vollstreckbaren Ausfertigung vom 12.06.2018 ersichtlich, wurden auch ab diesem Zeitpunkt für die Beitragsberechnung weiterhin ebenfalls Einnahmen aus selbständiger Tätigkeit zugrunde gelegt. Insoweit ist die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen den Bescheid vom 09.01.2018 anzuordnen. Denn der Bescheid vom 09.01.2018 regelt nicht nur die für die Vergangenheit nachzuentrichtenden Beiträge, sondern setzt auch die laufenden Beitragszahlungen fest.

Im Übrigen hat der Antrag hinsichtlich des weit überwiegenden Umfangs der Beitragsfestsetzung keinen Erfolg. Ungeachtet der Dringlichkeit, welche aus der stattfindenden bzw. unmittelbar bevorstehenden Zwangsvollstreckung folgt, ist dem Antrag weit überwiegend nicht stattzugeben, denn an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Beitragsentscheidung der Antragsgegnerin bestehen insoweit keine ernstlichen Zweifel.

Nach Abwägung aller Umstände und nach der im Eilverfahren gebotenen summarischen Prüfung erweisen sich die festgesetzten Beiträge für die Zeit bis zum 31.03.2018 als zu-treffend. Die Festsetzung des Beitragsrückstands basiert auf dem bestandskräftigen Bescheid der Antragsgegnerin vom 10.03.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.07.2016, wonach die gewerbliche Erwerbstätigkeit ab dem 02.01.2009 als haupt-berufliche selbständige Tätigkeit eingestuft worden ist. Die Bemessung der Beiträge Versicherungspflichtiger nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V erfolgt wie bei freiwillig Versicherten. Das bedeutet, dass beide Gruppen Versicherter nach ihrer gesamten wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit Beiträge bis zur Beitragsbemessungsgrenze tragen müssen (§ 250 Abs. 3 SGB V, § 240 SGB V). Rechnerische Fehler sind der Antragsgegnerin bei der Festsetzung der Beiträge nach summarischer Prüfung nicht unterlaufen. Insoweit erhebt die Antragstellerin auch keine Einwände. Die Zuständigkeit zur Festsetzung der Pflegeversicherungsbeiträge folgt aus §§ 48 SGB XI, 46 Abs. 2 Satz 5 SGB XI.

Soweit die Antragstellerin geltend macht, dass der Beitragsbescheid teilweise rechtswidrig sei, da über das Rechtsinstitut des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs eine Beitragsermäßigung für den Nacherhebungszeitraum nach § 256a Abs. 4 SGB V i.V.m. § 1 Abs. 1 der Einheitlichen Grundsätze zur Beseitigung finanzieller Überforderung bei Beitragsschulden vom 04.09.2013 durch die Antragsgegnerin vorzunehmen sei, vermag auch dies an den vorstehenden Ausführungen nichts zu ändern.

Nach summarischer Prüfung liegen bereits die Anwendungsvoraussetzungen des § 256a Abs. 1 SGB V unter Berücksichtigung des Sinn und Zwecks der Regelung nicht vor. Eine Reduzierung der Beitragsforderung kommt unter diesem Gesichtspunkt vorliegend nicht in Betracht.

§ 256a SGB V regelt nach seiner Gesetzesüberschrift "Ermäßigung und Erlass von Beitragsschulden und Säumniszuschlägen". In den ersten beiden Absätzen sind "Soll-Vorschriften" bezüglich der Ermäßigung bzw. des Erlasses von Beiträgen für den Fall vor-gesehen, dass ein Versicherter das Vorliegen der Voraussetzungen der Versicherungspflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V erst nach Eintritt der Versicherungspflicht angezeigt hat. Nach § 256a Abs. 1 HS. 1 SGB V sollen die Krankenkassen nachzuzahlende Beiträge angemessen ermäßigen. Absatz 2 bestimmt, dass die Krankenkasse nachzuzahlende Bei-träge erlassen soll, wenn die Anzeige des Versicherten bis zum 31.12.2013 erfolgt. Nach § 256a Abs. 2 Satz 2 SGB V gilt dies für bis zum 31.07.2013 erfolgte Anzeigen der Versicherungspflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V für noch ausstehende Beiträge entsprechend (vgl. dazu Felix in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V, 3. Aufl. 2016, § 256a SGB, Rn 7).

Vorliegend ist bereits keine Anzeige bis zum 31.12.2013 erfolgt, so dass allein der Ermäßigungstatbestand nach § 256a Abs. 1 SGB V in Betracht kommt. Voraussetzung einer Beitragsschuldenermäßigung ist dem Wortlaut nach die Anzeige der Voraussetzungen für die Auffang-Versicherungspflicht durch die Versicherten. Bei einer Anzeige im Sinne dieser Vorschrift handelt es sich um die zielgerichtete Information einer gesetzlichen Krankenkasse (Hornig in: Krauskopf, Kommentar Soziale Krankenversicherung und Pflegeversicherung, § 256a SGB V, Rn 7). Vorliegend hat die Antragstellerin zwar mit Schreiben vom 12.06.2017 ausdrücklich der Antragsgegnerin mitgeteilt, dass ihre Mitgliedschaft in der gesetzlichen Krankenversicherung und der sozialen Pflegeversicherung ab dem 02.01.2009 kraft Gesetzes aufgrund der Auffang-Versicherungspflicht fortgeführt wurde. Die Auffang-Versicherungspflicht habe sie erfasst, weil die vorhergehende Versicherungspflicht ab dem 02.01.2009 kraft Gesetzes geendet habe. Jedoch hat die Antragsgegnerin nicht erst durch den Schriftsatz vom 12.06.2017 von dem Sachverhalt Kenntnis erlangt. Vielmehr hat die Antragsgegnerin bereits ohne aktives Zutun der Antragstellerin im August 2014 durch eigene Recherchen von der Arbeitgeberstellung der Antragstellerin erfahren. Daraufhin hat die Antragstellerin ihrerseits Sachverhaltsermittlungen eingeleitet und auf diese Weise die bereits zum 02.01.2009 erfolgte Gewerbeanmeldung aufgedeckt. Der Anwendungsbereich des § 156a Abs. 1 SGB V ist nur dann eröffnet, wenn die Anzeige zielgerichtet durch aktives Tun erfolgt und die Krankenkasse erst auf diese Weise Kenntnis von der Auffang-Versicherungspflicht erlangt. Wenn jedoch die Krankenkasse auf andere Weise vorab hiervon Kenntnis erhält, genügt dies nicht (vgl. Mecke in: Becker/Kingreen, Kommentar SGB V, 5. Auflage, § 256a, Rn 5). Für diese Auslegung spricht der Normzweck der Regelung, einen Anreiz zur ordnungsgemäßen Anmeldung bei der zu-ständigen Krankenkasse für alle diejenigen zu schaffen, die nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V pflichtversichert sind und sich bislang nicht bei der zuständigen Krankenkasse gemeldet haben. Es wird damit ein Anreiz für noch nicht erfolgte Anzeigen gesetzt. Wer befürchten muss, Monate oder gar Jahre nach Eintritt der Versicherungspflicht erhebliche Beitragsnachzahlungen leisten zu müssen, wird sich im Zweifel nicht bei der Krankenkasse melden. Es besteht in diesem Fall zwar eine gesetzliche Pflichtversicherung, aber die Krankenkasse weiß davon schlicht nichts, so dass die Umsetzung des Sozialleistungsverhältnisses faktisch nicht erfolgt (vgl. Felix in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V, 3. Aufl. 2016, § 256a SGB, Rn 9). Für diese Auslegung spricht insbesondere der Hinweis auf Personen, die bislang darauf verzichtet haben, sich zwecks Durchführung der Versicherungspflicht zu melden und der Zusammenhang mit § 256a Abs. 2 SGB V, der in noch deutlicherem Maße darauf ausgerichtet ist, Versicherungspflichtige dazu zu bewegen, die Versicherungspflicht trotz der bestehenden Beitragsschulden bei der Krankenkasse anzuzeigen ( vgl. Mecke in: Becker/Kingreen, a.a.O.).

Davon ausgehend kommt auch ein von der Antragstellerin geltend gemachter sozialrechtlicher Herstellungsanspruch nicht in Betracht. Ungeachtet eines in der hiesigen Konstellation nicht erkennbaren Beratungsversäumnisses muss ein durch ein pflichtwidriges Verwaltungshandeln eingetretener Nachteil durch eine zulässige Amtshandlung beseitigt wer-den können. Die Korrektur durch den Herstellungsanspruch darf dem jeweiligen Gesetzeszweck nicht widersprechen. Vorliegend kommt jedoch eine Beitragsermäßigung nach § 256a Abs. 1 SGB V mangels Vorliegen der entsprechenden Anwendungsvoraussetzungen bereits nicht in Betracht.

Darüber hinaus ist nicht ersichtlich, dass die Vollziehung des Beitragsbescheides für die Antragstellerin eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge haben könnte. Die Antragstellerin hat keine Umstände geltend gemacht, die eine unbillige Härte, die mit den guten Sitten nicht vereinbar wäre, begründen würde. Allein die mit der Zahlung auf eine rechtmäßige Beitragsforderung für die Antragstellerin verbundenen wirtschaftlichen Konsequenzen führen nicht zu einer solchen Härte, da sie lediglich Ausfluss der Erfüllung gesetzlich auferlegter Pflichten sind. Aus diesem Grund begründet auch die Höhe einer Beitragsforderung allein keine unbillige Härte (vgl. Landessozialgericht Baden-Württemberg, Beschluss vom 30.07.2015, L 11 KR 3149/15 ER -, juris). Im Übrigen besteht die Möglichkeit einer Ratenzahlungsvereinbarung mit der Antragsgegnerin. Diese hat ihrerseits ausgeführt, dass die Stundung der Beiträge selbstverständlich beantragt werden könne.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus der entsprechenden Anwendung der §§ 183, 193 SGG. Das Obsiegen der Antragstellerin in einem im Verhältnis sehr geringfügigen Maße rechtfertigt vorliegend nicht den Ansatz einer Kostenquote zu Lasten der Antragsgegnerin (Rechtsgedanke des § 92 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO)).
Rechtskraft
Aus
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