S 51 R 481/16

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Gelsenkirchen (NRW)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
51
1. Instanz
SG Gelsenkirchen (NRW)
Aktenzeichen
S 51 R 481/16
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen.

Eine Kostenerstattung findet nicht statt.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Gewährung einer großen Witwenrente aus der Versicherung des am 05.08.2015 verstorbenen Horst Walter Ruf (nachfolgend: Ehemann).

Die am 11.12.1939 geborene Klägerin lebte nach ihren eigenen Angaben 30 Jahre mit dem verstorbenen Ehemann in einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft.

Aus einer vorherigen Ehe bezog die Klägerin bereits eine Witwenrente.

Am 30.03.2015 wurde der Ehemann wegen Gewichtsverlusts, Ikterus und Verdacht auf Gallengangsverschluss durch Gallensteine stationär aufgenommen. Im Rahmen der Diagnostik wurde Anfang April 2015 ein Gallengangskarzinom diagnostiziert.

Am 01.07.2015 heirateten der Verstorbene und die Klägerin. Der Ehemann verstarb am 05.08.2015 an den Folgen seiner Krebserkrankung.

Am 11.09.2015 beantragte die Klägerin die Gewährung einer Hinterbliebenenrente aus der Versicherung des Ehemannes. Zur Begründung des Antrages gab die Klägerin an, dass sie seit 25 Jahren in einem Haushalt lebten.

Im Rahmen der Ermittlungen holte die Beklagte einen Befundbericht des behandelnden Arztes des Ehemannes ein. Dr. Knapp gab zunächst in einem Ärztlichen Attest vom 28.09.2015 an, dass die Eheschließung erfolgt sei, weil der Verstorbene eine ggf. eintretenden Pflegesituation sicherstellen wollte. In dem eingereichten Befundbericht vom 08.10.2015 gab Dr. Knapp als Diagnosen des Ehemannes insbesondere Hepaticus Gabelkarzinom mit Peritonealkarzinose an. Der Patient sei im April 2015 akut an einer Krebserkrankung erkrankt. In der Folge sei er einer palliativen Chemotherapie unterzogen worden. Es sei jedoch zu einer konsekutiven Verschlechterung des Krebsleidens gekommen.

Die Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 06.11.2015 mit der Begründung ab, dass der Ehemann innerhalb eines Jahres nach Eheschließung verstorben sei und deshalb nach § 46 Abs. 2a i.V.m. § 242a Abs. 3 des Sechsten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB VI) eine sog. Versorgungsehe vorgelegen habe. Zwar habe die Klägerin angegeben, dass sie seit 30 Jahren zusammen gewohnt hätten und die Ehe aus rein emotionalen Gründen geschlossen worden sei. Die Dauer einer gemeinsamen Lebensführung sei aber nicht zwangsläufig ein Indiz gegen die Versorgungsehe. Auch der Umstand, dass die Klägerin bereits seit Jahren eine Witwenrente beziehe sei unerheblich. Die Tatsache, dass Hinterbliebene in der Lage seien, ihren Lebensunterhalt allein zu bestreiten, sei für die Frage der Versorgungsehe nicht von Bedeutung. In diesem Zusammenhang sei allein entscheidend, dass die Eheschließung den Anspruch auf Witwenrente zum Ziel habe. Andernfalls würden gut situierte Hinterbliebene bevorzugt. Des Weiteren wäre die neue Witwenrente bedeutend höher als die mit der Heirat weggefallene Witwenrente. Zudem habe der Verstorbene zum Zeitpunkt der Eheschließung bereits an einer unheilbaren Krebserkrankung gelitten, sodass mit dem Versterben in Kürze zu rechnen gewesen sei.

Mit Schreiben vom 30.11.2015 erhob die Klägerin Widerspruch. Richtig sei zwar, dass sowohl der Klägerin als auch dem Ehemann zum Zeitpunkt der Eheschließung der Befund einer schweren Krebserkrankung vorlag. Auch sei bekannt gewesen, dass die Krebserkrankung unheilbar gewesen sei. Nicht bekannt gewesen sei jedoch, welchen Verlauf die Krebserkrankung in Bezug auf konkrete Zeiträume nehmen würde oder wie lange der Ehemann noch zu leben habe. Aus diesem Grunde hätten sich die Eheleute noch zu einem gemeinsamen Urlaub im Juli 2015 entschieden. Der Ehemann sei zu diesem Zeitpunkt wenig beeinträchtigt gewesen. Der Todeszeitpunkt sei für die Eheleute unvorhersehbar und zum Zeitpunkt der Eheschließlich nicht absehbar gewesen. Am 04.08.2015 habe der Ehemann noch einen Termin zur Vorbesprechung einer ärztlichen Operation gehabt.

Mit Widerspruchsbescheid vom 29.06.2016 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Zum Zeitpunkt der Eheschließung sei der Gesundheitszustand mit ungünstiger Prognose bei palliativer Behandlung bekannt gewesen. Außerdem sei nicht plausibel, weshalb nach 25 Jahren Lebensgemeinschaft eine Eheschließung nach Bekanntwerden der potentiell tödlich verlaufenden Erkrankung erfolge. Eine mögliche Pflegebedürftigkeit begründe an sich keinen Entschluss zur Eingehung einer Ehe und sei unabhängig davon erbringbar.

Die Klägerin hat am 27.07.2016 Klage erhoben und verfolgt ihr Begehren fort. Sie reichte Atteste der Ärzte Dr. Knapp und Dr. Szymanski ein. Dr. Knapp gab an, dass es im Verlaufe der Erkrankung im Juli 2015 zu einer Verschlimmerung der Beschwerden gekommen sei. Da der Tumor in den Gallengängen und in der Leber den Hauptgallengang abgedrückt habe, habe er am 21.07.2015 mit dem Chefarzt des St. Rochus Hospital, Dr. Szymanski, besprochen, dem Ehemann einen Stunt im Rahmen einer Endoskopie zu implantieren. Diese Maßnahme sei für Anfang August geplant gewesen. In der Zwischenzeit sei es jedoch zu einer erheblichen Verschlechterung gekommen, sodass die Maßnahme nicht mehr ausgeführt worden sei.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 06.11.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.06.2016 zu verurteilen, ihr eine Hinterbliebenenrente nach ihrem Ehemann Horst Walter Ruf nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie nimmt Bezug auf ihre Ausführungen im streitgegenständlichen Bescheid sowie im Widerspruchsbescheid. Ergänzend führt sie aus, dass zum Zeitpunkt der Diagnoseaufstellung Anfang April 2015 ein weit fortgeschrittener Karzinombefall mit Verschluss des linken Lebergallenganges, hochgradiger Stenose des rechten Lebergallenganges sowie des gemeinsamen Ganges vorlag, was einem Gallengangsgabelkarzinom entspreche. Somit habe es sich um eine fortgeschrittene Karzinomfiltration der wichtigsten Gallenausgangswege aus der Leber gehandelt, die sich sehr rasch weiter ausbreite und weitere Organe befalle. Bei dem Verstorbenen habe bereits bei Erstdiagnose ein weit fortgeschrittenes Stadium mit Befall des gesamten Bauchfelles (Pertionealkarzinose) vorgelegen. Die Einlage eines Plastikstents in den Lebergallenausführungsgang zur Verbesserung des Abflusses sei eine palliative Maßnahme gewesen. Bereits im April 2015, spätestens im Juni 2015, als keine lebensverlängernde Therapie, sondern nur noch Symptombehandlung möglich gewesen sei und der Einschluss in das Palliativärztliche Netzwerk erfolgt sei, müssten sich die Klägerin und der Verstorbene bewusst gewesen sein, dass die Erkrankung innerhalb eines Jahres zum Tode führen werde.

Das Gericht hat über den Gesundheitszustand des Ehemannes Beweis erhoben durch Einholung von Befundberichten der den Ehemann behandelnden Ärzte.

Im Termin zur Erörterung des Sachverhalts und zur Beweisaufnahme am 06.12.2018 hat das Gericht durch Vernehmung der Zeugen Lisa Gröne, Karsten Henscke und Jutta Böhmer Beweis erhoben. Des Weiteren wurde die Klägerin angehört. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf die Sitzungsschrift Bezug genommen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf die Gerichtsakte sowie die beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig, jedoch nicht begründet.

Die Klägerin wird durch den angefochtenen Bescheid vom 06.11.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 29.06.2016 nicht im Sinne des § 54 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beschwert, da dieser nicht rechtswidrig ist. Sie hat keinen Anspruch auf eine große Witwenrente aus der Versicherung ihres verstorbenen Ehemannes.

Nach § 46 Abs. 2 Satz 1 SGB VI haben Witwen, die nicht wieder geheiratet haben, nach dem Tode des versicherten Ehegatten, der die allgemeine Wartezeit erfüllt hat, u.a. dann Anspruch auf große Witwenrente, wenn sie das 45. Lebensjahr vollendet haben.

Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt. Die Klägerin ist die Witwe des am 05.08.2015 verstorbenen Ehemannes, der die allgemeine Wartezeit von fünf Jahren gemäß § 50 Abs. 1 SGB VI erfüllt hatte. Sie hatte im Zeitpunkt des Todes auch das 45. Lebensjahr vollendet.

Gemäß § 46 Abs. 2a SGB VI, der mit Wirkung vom 1.1.2002 durch das Altersvermögensergänzungsgesetz vom 21.3.2001 (BGBl I 403) eingeführt worden ist und für alle seit dem 1.1.2002 geschlossenen Ehen gilt (vgl. § 242a Abs. 3 SGB VI) , ist der Anspruch auf Witwenrente ausgeschlossen, wenn die Ehe nicht mindestens ein Jahr gedauert hat, es sei denn, dass nach den besonderen Umständen des Falles die Annahme nicht gerechtfertigt ist, dass es der alleinige oder überwiegende Zweck der Heirat war, einen Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung zu begründen.

Die Ehe zwischen der Klägerin und dem Verstorbenen hat weniger als ein Jahr gedauert, nämlich vom 01.07.2015 bis 05.08.2015. Damit ist der Tatbestand des § 46 Abs. 2a Halbsatz 1 SGB VI erfüllt.

Die entsprechende Rechtsfolge (Ausschluss des Anspruchs auf Witwenrente) tritt jedoch dann nicht ein, wenn "besondere Umstände" vorliegen, aufgrund derer trotz der kurzen Ehedauer die Annahme nicht gerechtfertigt ist, dass es der alleinige oder überwiegende Zweck der Heirat war, einen Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung zu begründen (§ 46 Abs. 2a Halbsatz 2 SGB VI).

Der Begriff der "besonderen Umstände" in § 46 Abs. 2a Halbsatz 2 SGB VI ist ein unbestimmter Rechtsbegriff, der von den Rentenversicherungsträgern und den Sozialgerichten mit einem bestimmten Inhalt ausgefüllt werden muss und dessen Beurteilungsspielraum der vollen richterlichen Kontrolle unterliegt (vgl. Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 03.09.1986 – 9a RV 8/84, BSGE 60, 204, 207). Aus § 46 Abs.2a SGB VI ergibt sich nicht ohne weiteres, was unter "den besonderen Umständen des Falles" zu verstehen ist, die geeignet sind, die Annahme einer Versorgungsehe (definiert in Anlehnung an Abs. 2a Halbsatz 2 aaO als "Ehe, die allein oder überwiegend zu dem Zweck geschlossen wird, einen Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung zu begründen") zu entkräften bzw. eine Ausnahme vom gesetzlichen Ausschluss einer Witwen-/Witwerrente bei einer Ehedauer von weniger als einem Jahr zuzulassen. Da § 46 Abs. 2a SGB VI jedoch vom Gesetzgeber bewusst den entsprechenden Vorschriften in der gesetzlichen Unfallversicherung (§ 65 Abs. 6 des Siebten Buchs Sozialgesetzbuch, vormals § 594 RVO) und der Kriegsopferversorgung (§ 38 Abs. 2 des Bundesversorgungsgesetzes) nachgebildet ist (vgl. BT-Drucks 14/4595 S 44; s auch die inhaltsgleiche Norm des § 19 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 des Beamtenversorgungsgesetzes), kann an die bisherige Rechtsprechung des BSG zum Begriff der "besonderen Umstände" in diesen Bestimmungen angeknüpft werden. Als besondere Umstände iS des § 46 Abs. 2a SGB VI sind daher alle äußeren und inneren Umstände des Einzelfalls anzusehen, die auf einen von der Versorgungsabsicht verschiedenen Beweggrund für die Heirat schließen lassen (vgl. BSG, Urteil vom 28.03.1973 – 5 RKnU 11/71, BSGE 35, 272, 274). Dabei kommt es auf die (gegebenenfalls auch voneinander abweichenden) Beweggründe (Motive, Zielvorstellungen) beider Ehegatten an. Die "Annahme" des anspruchsausschließenden Vorliegens einer Versorgungsehe bei einer Ehedauer von nicht mindestens einem Jahr ist nach dem Ausnahmetatbestand des § 46 Abs. 2a Halbsatz 2 SGB VI (vgl. BSG, Urteil vom 03.09.1986 – 9a RV 8/84, BSGE 60, 204, 206) nur dann nicht gerechtfertigt, wenn die Gesamtbetrachtung und Abwägung der Beweggründe beider Ehegatten für die Heirat ergibt, dass die von der Versorgungsabsicht verschiedenen Beweggründe insgesamt gesehen den Versorgungszweck überwiegen (vgl. BSG, Urteil vom 28.03.1973 – 5 RKnU 11/71, BSGE 35, 272, 276) oder - da der Wortlaut auf den "alleinigen oder überwiegenden Zweck der Heirat" abhebt - zumindest gleichwertig sind. Es ist daher auch nicht zwingend, dass bei beiden Ehegatten andere Beweggründe als Versorgungsgesichtspunkte für die Eheschließung ausschlaggebend waren. Vielmehr sind die von der Versorgungsabsicht verschiedenen Beweggründe in ihrer Gesamtbetrachtung auch dann noch als zumindest gleichwertig anzusehen, wenn nachweislich für einen der Ehegatten der Versorgungsgedanke bei der Eheschließung keine Rolle gespielt hat (vgl. BSG, Urteil vom 28.03.1973 – 5 RKnU 11/71, BSGE 35, 272, 276; BSG, Urteil vom 05. Mai 2009 – B 13 R 55/08 R, BSGE 103, 99-106).

Eine gewichtige Bedeutung kommt hierbei stets dem Gesundheits- bzw Krankheitszustand des Versicherten zum Zeitpunkt der Eheschließung zu. Ein gegen die gesetzliche Annahme einer Versorgungsehe sprechender besonderer (äußerer) Umstand iS des § 46 Abs. 2a Halbsatz 2 SGB VI ist insbesondere dann anzunehmen, wenn der Tod des Versicherten, hinsichtlich dessen bisher kein gesundheitliches Risiko eines bevorstehenden Ablebens bekannt war, unvermittelt ("plötzlich" und "unerwartet") eingetreten ist. Denn in diesem Fall kann nicht davon ausgegangen werden, dass es alleiniger oder überwiegender Zweck der Heirat war, dem Ehegatten eine Hinterbliebenenversorgung zu verschaffen. In der Gesetzesbegründung wird als ein Beispiel hierfür der "Unfalltod" genannt (BT-Drucks 14/4595 S 44).

Hingegen ist bei Heirat eines zum Zeitpunkt der Eheschließung offenkundig bereits an einer lebensbedrohlichen Krankheit leidenden Versicherten in der Regel der Ausnahmetatbestand des § 46 Abs. 2a Halbsatz 2 SGB VI nicht erfüllt. Jedoch ist auch bei einer nach objektiven Maßstäben schweren Erkrankung mit einer ungünstigen Verlaufsprognose und entsprechender Kenntnis der Ehegatten der Nachweis nicht ausgeschlossen, dass dessen ungeachtet (überwiegend oder zumindest gleichwertig) aus anderen als aus Versorgungsgründen geheiratet wurde. Allerdings müssen dann bei der abschließenden Gesamtbewertung diejenigen besonderen (inneren und äußeren) Umstände, die gegen eine Versorgungsehe sprechen, umso gewichtiger sein, je offenkundiger und je lebensbedrohlicher die Krankheit eines Versicherten zum Zeitpunkt der Eheschließung gewesen war. Dementsprechend steigt mit dem Grad der Lebensbedrohlichkeit einer Krankheit und dem Grad der Offenkundigkeit zugleich der Grad des Zweifels an dem Vorliegen solcher vom hinterbliebenen Ehegatten zu beweisenden besonderen Umstände, die von diesem für die Widerlegung der gesetzlichen Annahme ("Vermutung") einer Versorgungsehe bei einem Versterben des versicherten Ehegatten innerhalb eines Jahres nach Eheschließung angeführt werden (BSG, Urteil vom 05. Mai 2009 – B 13 R 55/08 R, BSGE 103, 99-106; Bayerisches LSG v. 15.11.2017 - L 19 R 119/15, juris Rn. 38; Hessisches LSG v. 15.12.2017 - L 5 R 51/17, juris Rn. 66).

Ausweislich der im Verwaltungsverfahren vorliegenden und im Klageverfahren eingeholten Befundberichte wurde bei dem Ehemann nach einer stationären Aufnahme am 30.03.2015 Anfang April 2015 ein Gallengangskarzinom diagnostiziert. Zu diesem Zeitpunkt lag nach Auswertung der medizinischen Befunde bereits ein fortgeschrittener Karzinombefall vor mit Verschluss des linken Lebergallenganges, hochgradiger Stenose des rechten Lebergallenganges sowie des gemeinsamen Ganges. Laut dem Bericht der Gemeinschaftspraxis für Hämatologie und Onkologie vom 20.04.2015 besteht bei pertioneal metastasiertem Klatskin-Tumor keine Möglichkeit einer operativen Intervention. Es bestehe lediglich die Indikation für eine palliativ Therapie. Im Befundbericht vom 17.06.2015 wird weiter ausgeführt, dass es bei nur mäßiger Therapieverträglichkeit bei insgesamt schlechter Beurteilbarkeit des Krankheitsbildes am ehesten zu einer geringen Remission komme. Aktuell bestehe der hochgradige Verdacht auf eine Cholangitis, eine Therapie mit Ciprofloxacin werde eingestellt. Der Patient werde in das Palliativärztliche Netz eingeschlossen.

Bereits bei Erstdiagnose wurden die Klägerin und der Ehemann über die Ernsthaftigkeit und Prognose der Karzinomerkrankung mit ungünstiger Histologie, Lage und fortgeschrittenem Stadium (Stadium 4) aufgeklärt. Auch die Durchführung rein palliativer Maßnahmen verdeutlicht dies. Dies wird von der Klägerin auch bestätigt. Nach ihren eigenen Angaben in ihrer Klagebegründung vom 25.07.2016 sowie im Termin zur Erörterung des Sachverhalts und zur Beweisaufnahme am 06.12.2018 war den Eheleuten bekannt, dass der Ehemann zum Zeitpunkt der Eheschließung an einer erheblichen Krebserkrankung litt und dass diese Erkrankung potentiell einen tödlichen Verlauf nehmen könnte. Lediglich der konkrete Verlauf der Krankheit sei für die Eheleute unvorhersehbar. Es ist jedoch für die Versorgungsehe unerheblich, ob die Eheleute beim Wissen einer tödlichen Erkrankung davon ausgingen, dass der Erkrankte noch einige Zeit zu leben hat. Sie wussten nämlich jedenfalls von der Lebensbedrohlichkeit der Erkrankung.

Die von der Klägerin vorgetragenen weiteren (äußeren und inneren) Umstände, die ausschlaggebend für die Hochzeit gewesen sein sollen, können die Kammer nicht mit der dafür erforderlichen, an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit davon überzeugen, dass die von der Versorgungsabsicht verschiedenen Beweggründe beider Ehegatten insgesamt gesehen zumindest gleichwertig sind.

Allein der Umstand, dass die Klägerin und der Versicherte aus emotionalen Gründen geheiratet haben, ist unter Beachtung des Prüfungsmaßstabes kein besonderes Motiv, sondern ein Umstand, der im allgemeinen Grund für eine Eheschließung ist (Hessisches Landessozialgericht, Urteil vom 15.12.2017 – L 5 R 51/17, juris).

Ein besonderer, gegen eine Versorgungsehe sprechender Umstand liegt auch nicht darin, dass die Klägerin und der Versicherte schon seit 30 Jahren ununterbrochen in eheähnlicher Gemeinschaft gelebt haben. Dieser Umstand spricht nach Auffassung der Kammer vielmehr eher umgekehrt dafür, dass alleiniger oder überwiegender Zweck der Ehe war, der Klägerin eine Versorgung zu verschaffen. Denn einem langjährigen Zusammenleben ohne Eheschließung liegt die langjährige bewusste Entscheidung zu Grunde, eben nicht zu heiraten und damit nicht den vielfältigen gesetzlichen Regelungen, die für Eheleute gelten, zu unterliegen (Bayerisches Landessozialgericht, Urteil vom 20. Februar 2013 – L 1 R 304/11 –, Rn. 39 - 40, juris; Hessisches Landessozialgericht, Urteil vom 16.11.2011 – L 5 R 320/10, Rn. 44, juris; Hessisches Landessozialgericht, Urteil vom 15.12.2017 – L 5 R 51/17, juris; Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 31.08.2007 – L 13 R 3/07, Rn. 37, juris; Bohlken in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VI, 2. Aufl. 2013, § 46 SGB VI, Rn. 119). Hierfür spricht auch die Angabe der Klägerin im Termin zur Erörterung des Sachverhalts und zur Beweisaufnahme, der Entschluss zur Eheschließung sei nach dem letzten Krankenhausaufenthalt im April 2015 entstanden. Der Wunsch sei vom Ehemann der Klägerin ausgegangen. Dieser habe für sie sorgen wollen. So gab die Klägerin auch an, dass die Ehe den Eheleuten zuvor nicht wichtig war.

Zwar kann die Tatsache, dass sich der Versicherte von der Ehe Pflege und Betreuung durch die Klägerin versprach gegen eine Versorgungsehe sprechen. Diesem Umstand kommt zur Überzeugung der Kammer jedoch kein solches Gewicht zu, dass er allein vor dem Hintergrund der weiteren objektiv vorliegenden Umstände die gesetzliche Vermutung der Versorgungsehe wiederlegen kann (vgl. Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 31.08.2007 – L 13 R 3/07, Rn. 39, juris). Die Klägerin hat nicht angegeben, den Ehemann andernfalls nicht pflegen zu wollen. Es kann dahinstehen, ob und inwiefern dies nur oder hauptsächlich durch eine Eheschließung bewirkt werden kann. Denn der Versicherte war ausweislich der medizinischen Unterlagen (außerhalb der bei stationären Aufenthalten erforderlichen Krankenpflege) nicht ständig auf Pflege seitens der Klägerin angewiesen (Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 25.08.2015 – L 18 KN 104/14, Rn. 30, juris). Bei der objektiv ungünstigen Prognose zur Lebenserwartung war eine Sicherstellung der Pflege für einen langen, mehrere Jahre umfassenden Zeitraum auch nicht erforderlich und der Absicherung der zukünftigen Pflege auch für möglicherweise zukünftig geänderte Rahmenbedingungen kam somit weniger Bedeutung zu (Bayerisches Landessozialgericht, Urteil vom 03.02.2015 – L 20 R 50/13, Rn. 39, juris). Das Vorliegen einer "Pflegeehe" (vgl. BSG, Urteil vom 03.09.1986 – 9a RV 8/84 –, BSGE 60, 204-208) kann zudem allein aus dem Wunsch des Ehemannes, von der Klägerin gepflegt zu werden nicht geschlossen werden.

Der Wunsch der Klägerin durch eine Ehe eine besondere rechtliche Stellung inne zu haben und insoweit insbesondere in Bezug auf Arztgespräche gewisse Ansprüche zu haben, ist für die Kammer zwar nachvollziehbar. Ihm kann aber unter Abwägung der lebensbedrohlichen Krankheit des Ehemannes jedoch kein großes Gewicht beigemessen werden.

In Abwägung aller Umstände bei seiner Gesamtbetrachtung ist die Kammer mithin nicht zur Überzeugung gelangt, dass die dargestellten besonderen Umstände dem Motiv einer Versorgung zumindest gleichwertig gegenüber stehen.
Rechtskraft
Aus
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