S 39 R 185/11

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Gelsenkirchen (NRW)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
39
1. Instanz
SG Gelsenkirchen (NRW)
Aktenzeichen
S 39 R 185/11
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Die Beteiligten haben einander keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt von der Beklagten die Übernahme von Kosten für eine zahnärztliche Behandlung.

Der Kläger ist Gymnasiallehrer an einem Weiterbildungskolleg für die Fächer Deutsch, Philosophie und Musik.

Er beantragte am 03.11.2010 Leistungen zur medizinischen Rehabilitation bei der Beklagten. Es bestehe eine Artikulationsstörung aufgrund eines defekten Gebisses, welches seine Tätigkeit als Gymnasiallehrer zunehmend stärker beeinträchtige. Aus dem eingereichten Heil- und Kostenplan vom 04.10.2010 ergeben sich Kosten von insgesamt 5903,58 EUR, wobei die Krankenkasse des Klägers (Betriebskrankenkasse HMR) im Wege des Festzuschusses zu der Regelversorgung höchstens 1338,78 EUR zahle. Mit Anschreiben vom 07.10.2010 des Zahnarztes des Klägers Dr. S werden die Behandlungskosten mit voraussichtlich 6269,67 EUR veranschlagt.

Mit Bescheid vom 18.11.2010 bzw. 11.11.2010 wurde der Antrag auf Zuschuss zur zahnärztlichen Behandlung einschließlich Zahnersatz als Leistung zur medizinischen Rehabilitation abgelehnt. Zuschüsse könnten nur erbracht werden, wenn die Leistungen zur Ausübung des bisherigen Berufes erforderlich seien. Die Leistungsverpflichtung beziehe sich dabei nicht auf Tätigkeiten, für deren Ausübung der Kopfraum (Mund und Zähne) nicht unmittelbar besonderen Belastungen ausgesetzt sei oder bei denen auch optischen Anforderungen bereits mit Zahnersatzlösungen des üblichen Standards Rechnung getragen werde. Sofern der Zahnersatz lediglich der Besserung des allgemeinen Gesundheitszustandes und im Hinblick auf die konkrete Berufsausübung nicht unmittelbar oder gezielt der Abwendung einer erheblich gefährdeten oder geminderten Erwerbsfähigkeit diene, könne die Beklagte keine Kosten übernehmen.

Gegen den Bescheid vom 18.11.2010 bzw. 11.11.2010 erhob der Kläger unter dem 13.11.2010 bzw. 21.11.2010 Widerspruch. Der vorgesehene festsitzende Zahnersatz der beschädigten Brücke aus dem Jahr 1995 diene unmittelbar und gezielt der Abwendung einer erheblichen gefährdeten ungeminderten Erwerbsfähigkeit. Andernfalls sei er nicht mehr in der Lage, seinen Beruf mit hohem Sprechanteil ausüben zu können. Der beantragte Zahnersatz sei erforderlich, um eine für Schüler, Eltern und Kollegen zumutbare sprachliche Artikulation zu gewährleisten.

Der Widerspruch gegen den Bescheid vom 18.11.2010 wurde durch den Widerspruchsausschuss der Beklagten mit Widerspruchsbescheid vom 15.03.2011 als unbegründet zurückgewiesen. Der Zahnersatz sei lediglich zur Besserung des allgemeinen Gesundheitszustandes des Klägers erforderlich, ohne dass damit auch der Zahnersatz speziell, unmittelbar und gezielt zur wesentlichen Besserung der Erwerbsfähigkeit und zur Ausführung des bisherigen Berufs erforderlich sei. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts sei die Leistungsverpflichtung der Beklagten auf ganz spezielle Berufe beschränkt, wie z.B. den des Berufsmusikers, der vornehmlich Blasinstrumente spiele und demgemäß unmittelbar zur Ausübung seines Berufes auf einen besonders guten Zahnersatz angewiesen sei. Der Kläger gehöre jedoch nicht zu dem anspruchsberechtigten Personenkreis.

Der Kläger hat am 17.03.2011 Klage erhoben. Dabei begehrt er weiter die Kosten für die medizinische Rehabilitationsmaßnahme in Höhe von 6.291,62 EUR, abzüglich des letzendlich gewährten Festzuschusses durch seine Krankenkasse in Höhe von 1.442,90 EUR und der gewährten Beihilfe in Höhe von 1.355,81 EUR. Der beantragte Zahnersatz sei zwingend erforderlich.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 18.11.2010 bzw. 11.11.2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15.03.2011 zu verpflichten, ihn unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu bescheiden.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Ergänzend zu der Argumentation im Vorverfahren trägt die Beklagte vor, dass die zahnärztliche Behandlung nicht ausschließlich aus berufsbedingten Gründen, sondern aus medizinischen Gründen erforderlich geworden sei.

Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einholung des Befundberichtes von dem den Kläger behandelnden Zahnarzt Dr. S sowie eines schriftlichen zahnmedizinischen Sachverständigengutachtens von Dr. Q (Zahnarzt). Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf den Befundbericht und das schriftliche Sachverständigengutachten verwiesen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist unbegründet.

Der Kläger ist nicht gemäß § 54 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) in seinen Rechten beschwert, da der Bescheid vom 18.11.2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.03.2011 rechtmäßig ist.

Der Kläger hat keinen Anspruch auf Leistungen zur medizinischen Rehabilitation gemäß § 15. Abs. 1 Satz 2 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch - Gesetzliche Rentenversicherung - (SGB VI) gegenüber der Beklagten.

Nach der Norm wird zahnärztliche Behandlung einschließlich der Versorgung mit Zahnersatz nur erbracht, wenn sie unmittelbar und gezielt zur wesentlichen Besserung oder Wiederherstellung der Erwerbsfähigkeit, insbesondere zur Ausübung des bisherigen Berufs, erforderlich und soweit sie nicht als Leistung der Krankenversicherung oder als Hilfe nach dem Fünften Kapitel des Zwölften Buches zu erbringen ist. Diese Voraussetzungen sind nicht gegeben, wenn dieses Ziel nicht den wesentlichen Zweck der Leistung darstellt, sondern berufliche Belange des Versicherten nur mitberührt werden (Kater, in: Kassler-Kommentar, § 15, Rdnr. 26). Dabei ist insbesondere eine Abgrenzung der Zuständigkeit zwischen den Trägern der gesetzlichen Krankenversicherung und denjenigen der gesetzlichen Rentenversicherung vorzunehmen. Die dem Rentenversicherungsträger eingeräumte Möglichkeit, die Leistungen der Krankenkasse bei der Versorgung mit Kronen und Brücken bis auf 100 % der dort möglichen Sätze aufzustocken, ist nicht dazu geschaffen, die vom Gesetzgeber in der gesetzlichen Krankenversicherung bewusst vollzogene Leistungsbeschränkung zu unterlaufen. Die Aufstockung hat dann auszuscheiden, wenn die beruflichen Belange - wie fast immer - mehr oder weniger mitberührt werden, aber nicht mehr als bei den Angehörigen anderer bedeutsamer Berufsgruppen auch, die schon der Zahl nach breite Kreise der Bevölkerung erfassen. Dabei ist grundsätzlich die Versorgung eines Versicherten mit Zahnersatz dem Aufgabenbereich der gesetzlichen Krankenversicherung zuzurechnen. Weil und wenn die Krankenkasse dem Grunde nach - Beschränkungen aus Gründen der Kostendämpfung hinweggedacht - verpflichtet ist, eine Leistung im Rahmen der Krankenhilfe zum Zweck allein schon der Heilung, Besserung, Linderung oder Verhütung einer Verschlimmerung des regelwidrigen Körperzustandes zu gewähren, dann ist für den Eintritt der Rentenversicherung im Rahmen der Rehabilitation kein Raum. Etwas anderes kann nur dann gelten, wenn wegen einer besonderen beruflichen Betroffenheit und zu deren Behebung Leistungen erforderlich sind, wie sie die Krankenkasse nicht zu erbringen braucht. Erst was über die der Krankenkasse obliegende Leistung - Beschränkungen aus Kostendämpfungsgründen wiederum hinweggedacht - hinausgeht, kann bei der Erfüllung der Voraussetzungen des Tatbestandes medizinischen Rehabilitation durch den Rentenversicherungsträger sein. Lediglich soweit aus besonderen beruflichen Gründen auch eine besondere, aufwendigere Ausfertigung des Zahnersatzes erforderlich ist, kann der daraus resultierende Mehraufwand als Rehabilitationsleistung in Betracht kommen (Bundessozialgericht, Urteil vom 28.02.1991; Az.: 411 RA 93188). Würde anders verfahren, so läge es auf der Hand, dass dies im Ergebnis auf eine Korrektur der vom Gesetzgeber angeordneten Beteiligung des Versicherten an den Kosten von Zahnersatz und Zahnkronen hinausliefe. Große, schon der Zahl nach umfangreiche Gruppen von Versicherten wären dann nämlich berechtigt, die in der gesetzlichen Krankenversicherung zurückgenommene Leistungspflicht durch Inanspruchnahme des Rentenversicherungsträgers auszugleichen (Bundessozialgericht, Urteil vom 15.11.1983, Az.: 1 RA 13183).

Eine solche besondere berufliche Betroffenheit ist bei dem ausgeübten Beruf des Klägers nicht gegeben. Die Kammer stützt sich dabei auf das zahnärztliche Gutachten von Dr. Q. Der Gutachter führt aus, dass unmittelbar und gezielt zur Erhaltung der Fähigkeit zur Ausübung des Berufs des Klägers lediglich Leistungen erforderlich sind, die durch die Regelversorgung der Krankenkasse abgedeckt sind. Soweit darüber hinaus funktionsdiagnostische Maßnahmen nach den GOZ-Nummern 800, 801, 802, 804 und 805 aufgeführt werden, führt der gerichtliche Sachverständige aus, dass diese Leistungen medizinisch indiziert gewesen seien. Sie dienen nicht dem Ziel der aktiven und gezielten Verbesserung der bestehenden funktionellen Erkrankung des Klägers. Vielmehr dienen diese lediglich zur Anfertigung von präzisem Zahnersatz in der unveränderten, bisherigen Kieferrelation. Aus Sicht der Kammer ist auch nicht ersichtlich, dass bei dem ausgeübten Beruf des Klägers eine Betroffenheit vorliegt, die sich von weiten Bevölkerungskreisen unterscheidet. Eine gute Artikulationsfähigkeit ist ebenfalls in Berufsgruppen verbreitet, die umfangreichen Publikumsverkehr haben. Zwar führt der Gutachter aus, dass für den Beruf des Musikers höhere Anforderungen aus zahnmedizinischer Sicht als für andere Berufe gegeben sein könnte. Jedoch liegt ein solches bei dem Kläger als Musiklehrer nicht vor. Etwas anderes folgt auch nicht aus dem Befundbericht des den Kläger behandelnden Zahnarztes Dr. S. Aus dessen Sicht sei eine gesundheitliche Beeinträchtigung der Erwerbstätigkeit gegeben, da aufgrund der fraktuierten Brücke mit multipler Ablösung der Keramik die Funktionsfähigkeit in Bezug auf "Essen" und Phonetik nicht ausreichend gewesen sei. Nach Auffassung der Kammer trifft dies jedoch für weite Bevölkerungsgruppen zu. Die Möglichkeit der Nahrungsaufnahme und der Aussprache ist nicht spezifisch für die Berufsausübung, sondern dient allein schon der Behebung bzw. der Besserung eines regelwidrigen Körperzustandes.

Die Kostenentscheidung folgt aus den§§ 183,193 SGG.

Rechtsmittelbelehrung:

Dieses Urteil kann mit der Berufung angefochten werden. Die Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils beim

Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Zweigertstraße 54, 45130 Essen,

schriftlich oder mündlich zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen.

Die Berufungsfrist ist auch gewahrt, wenn die Berufung innerhalb der Frist bei dem

Sozialgericht Gelsenkirchen, Ahstraße 22, 45879 Gelsenkirchen,

schriftlich oder mündlich zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eingelegt wird.

Die Berufungsschrift muss bis zum Ablauf der Frist bei einem der vorgenannten Gerichte eingegangen sein. Sie soll das angefochtene Urteil bezeichnen, einen bestimmten Antrag enthalten und die zur Begründung dienenden Tatsachen und Beweismittel angeben.

Die Einreichung in elektronischer Form erfolgt durch die Übertragung des elektronischen Dokuments in die elektronische Poststelle. Diese ist über die Internetseite www.sg gelserikirchen.nrw.de erreichbar. Die elektronische Form wird nur gewahrt durch eine qualifiziert signierte Datei, die den Maßgaben der Verordnung über den elektronischen Rechtsverkehr bei den Sozialgerichten im Lande Nordrhein-Westfalen (ERWO SG) vom 07.11.2012 (GV.NRW, 551) entspricht. Hierzu sind die elektronischen Dokumente mit einer qualifizierten Signatur nach§ 2 Nummer 3 des Signaturgesetzes vom 16.05.2001 (BGBI. 1, 876) in der jeweils geltenden Fassung zu versehen. Die qualifizierte elektronische Signatur und das ihr zugrunde liegende Zertifikat müssen durch das Gericht überprüfbar sein. Auf der Internetseite www.justiz.nrw.de sind die Bearbeitungsvoraussetzungen bekanntgegeben.

Zusätzlich wird darauf hingewiesen, dass einem Beteiligten auf seinen Antrag für das Verfahren vor dem Landessozialgericht unter bestimmten Voraussetzungen Prozesskostenhilfe bewilligt werden kann.

Gegen das Urteil steht den Beteiligten die Revision zum Bundessozialgericht unter Übergehung der Berufungsinstanz zu, wenn der Gegner schriftlich zustimmt und wenn sie

von dem Sozialgericht auf Antrag durch Beschluss zugelassen wird. Der Antrag auf Zulassung der Revision ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils bei dem Sozialgericht Gelsenkirchen schriftlich zu stellen. Die Zustimmung des Gegners ist dem Antrag beizufügen.

Lehnt das Sozialgericht den Antrag auf Zulassung der Revision durch Beschluss ab, so beginnt mit der Zustellung dieser Entscheidung der Lauf der Berufungsfrist von neuem, sofern der Antrag auf Zulassung der Revision in der gesetzlichen Form und Frist gestellt und die Zustimmungserklärung des Gegners beigefügt war.

Die Einlegung der Revision und die Zustimmung des Gegners gelten als Verzicht auf die Berufung, wenn das Sozialgericht die Revision zugelassen hat.
Rechtskraft
Aus
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