S 46 KR 1039/17

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Gelsenkirchen (NRW)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
46
1. Instanz
SG Gelsenkirchen (NRW)
Aktenzeichen
S 46 KR 1039/17
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Der Bescheid der Beklagten vom 09.05.2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.08.2017 wird aufgehoben. 2. Es wird festgestellt, dass der Kläger wegen Überschreitung der Jahresarbeitsentgeltgrenze seit dem 01.01.2017 versicherungsfrei im Sinne des § 6 Abs. 1 Nr. 1 SGB V in der Krankenversicherung sowie nach § 20 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 SGB XI in der Pflegeversicherung ist. 3. Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers.

Tatbestand:

Der1968 geborene Kläger wendet sich gegen einen Bescheid der Beklagten, mit dem diese die Versicherungspflicht des Klägers in der Kranken-und Pflegeversicherung fest-stellte.

Der Kläger ist seit dem 01.10.2001 bei der Arbeitgeberin U. GmbH beschäftigt. Zuletzt war er als Business Sales Manager in der Vergütungsgruppe 8 beschäftigt. Der Arbeitsvertrag des Klägers sieht die Anwendung des Entgeltrahmentarifvertrages für die U. GmbH vor (ERTV). Nach dem einschlägigen § 4 Abs. 1 ERTV erhält der Arbeitnehmer ein Jahres-zielgehalt. Dieses wird nach der Vergütungsgruppe in die der Arbeitnehmer eingruppiert ist, bemessen. Nach § 4 Abs. 5 ERTV beträgt der Fixanteil des Jahreszielgehaltes für Ver-triebsfunktionen unabhängig von der Vergütungsgruppe 70 % und der variable Anteil 30 % des Jahreszielgehaltes bei 100 % Zielerreichung. Nach § 14 ERTV kommen die Regelungen der Anl. 3 für das Ergebnis bezogene Entgelt bei Vertriebsfunktionen zur Anwendung. Nach § 2 Abs. 1 der Anl. 3 zum ERTV richtet sich der variable Anteil des Jahreszielgehalts nach der individuellen Zielerreichung und nach der Erreichung der Ziele der übergeordneten Wirtschaftseinheit. Nach Abs. 3 steigt die Höhe des variablen Anteils bei übergeordneten Zielen linear mit dem Zielerreichungsgrad zwischen 0 % und 150 %. Bei individual- bzw. Teamzielen wird ab 50 % Zielerreichung 50 % variabler Anteil und bei 150 % Zielerreichung 150 % variabler Anteil gezahlt wobei der Verlauf der Zahlkurve ebenfalls linear ist. Nach § 2 Abs. 5 erfolgt die Auszahlung des auf die Individualziele entfallenden Anteils spätestens mit der Entgeltabrechnung für den Monat Mai des auf das Geschäftsjahr folgenden Jahres. Die Auszahlung des auf die übergeordneten Ziele entfallenden Anteils spätestens im übernächsten Monat nach Feststellung des Unternehmensergebnisses durch den Aufsichtsrat vorgenommen. Nach § 2 Abs. 6 erhält der Arbeitnehmer quartalsweise eine Abschlagszahlung. In Abstimmung mit dem Arbeitgeber betrage die Abschläge bis zu 20 % des variablen Anteils am Jahreszielgehalt. Der jeweilige Zielerreichungsgrad (Soll-/ist-Betrachtung) wird berücksichtigt. Die Zahlung erfolgt jeweils mit dem Monatsgehalt des letzten Monats des entsprechenden Quartals.

Nach § 6 der Anl. 3 zum ERTV findet während der Zielvereinbarungsperiode ein Monito-ring der jeweiligen Zielerreichung des Arbeitnehmers bzw. Teams statt. Sofern absehbar wird, dass der Gesamtzielerreichungsgrad 100 % unterschreiten wird, werden Maßnah-men ergriffen. Nach § 7 der Anl. 3ERTV erfolgt die Feststellung des individuellen bzw. teambezogenen Zielerreichungsgrades spätestens bis zum 31 März des auf die Zielver-einbarungsperiode folgenden Geschäftsjahres.

Das tatsächliche Jahresentgelt des Klägers belief sich im Jahr 2008 auf 74.103,05 EUR, im Jahr 2009 auf 73.327,38 EUR, im Jahr 2010 auf 75.719,97 EUR, im Jahr 2011 auf 75.668,97 EUR, im Jahr 2012 auf 73.964,86 EUR, im Jahr 2013 auf 79.215,54 EUR, im Jahr 2014 auf 84.770,21 EUR, im Jahr 2015 auf 84.160,63 EUR, im Jahr 2016 auf 80.503,72 EUR, und im Jahr 2017 auf 87.767,38 EUR.

Die jeweiligen Jahresziele wurden in all diesen Jahren zu 100 % und erreicht und über-troffen. Dementsprechend fiel das tatsächliche Jahresgehalt höher aus als das Jahres-zielentgelt.

Zum 01.01.2017 meldete die Arbeitgeberin den Kläger bei der Beklagten als versiche-rungspflichtiges Mitglied in der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung.

Bereits am 16.11.2016 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Feststellung der Ver-sicherungsfreiheit wegen Überschreitung der Jahresarbeitsentgeltgrenze sowohl in den vergangenen Jahren als auch für die Zukunft über den 01.01.2017 hinaus. Er übersen-dete die Gehaltsabrechnungen der Monate Dezember 2012, 2013, 2014 und 2015 sowie die Gehaltsabrechnungen für das Jahr 2016 bis einschließlich November. Aus diesen ergaben sich Jahresentgelte, die über den Jahresarbeitsentgeltgrenzen lagen.

Mit Bescheid vom 09.05.2017 stellte die Beklagte fest, dass der Kläger ab dem 01.01.2017 mit seinem zu berücksichtigen Jahresarbeitsentgelt die maßgebliche Jahresarbeitsentgeltgrenze von 57.600,00 EUR im Jahr 2017 unterschreite. Zur Begründung führte die Beklagte aus, dass das regelmäßige Bruttoarbeitsentgelt des Klägers im Monat Januar 2017 als auch in den Folgemonaten 4.780,03 EUR betrage. Daraus errechne sich ein Jahresarbeitsentgelt von 57.360,36 EUR. Variable leistungsbezogene Gehaltsbestandteile seien nicht zum regelmäßigen Arbeitsentgelt hinzuzuzählen. Dabei handele es sich um unregelmäßiges Arbeitsentgelt, welches nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu erwar-ten sei. Die variablen Gehaltsbestandteile des Jahreszielgehalts, welches der Kläger beziehe, seien daher bei der Berechnung nicht zu berücksichtigen.

Hiergegen erhob der Kläger am 16.05.2017 Widerspruch. Zur Begründung führte er aus, dass für das Jahr 2017 unabhängig von der Berücksichtigung des variablen Gehaltsan-teils zu berücksichtigen sei, dass das monatliche Grundgehalt von 4.420,75 EUR ab dem 01.04.2017 auf 4.487,08 EUR und damit auf ein Jahresgrundgehalt von insgesamt 53.845,00 EUR ansteige. Bis März 2017 habe sich das zu berücksichtigende Entgelt zu-sammengesetzt aus dem monatlichen Grundgehalt von 4.420,68 EUR, einem Arbeitgeberan-teil zur Vermögensbildung i.H.v. 8,95 EUR und dem vermögenswerten Vorteil für die Nut-zung eines Kfz i.H.v. 350,40 EUR, insgesamt also 4.780,03 EUR monatlich. Ab dem 01.04.2017 steige das monatliche Grundgehalt auf 4.487,08 EUR. Mithin sei ein fixer Gehaltsanteil von 4.847,43 EUR pro Monat zu berücksichtigen. Insgesamt ergäbe sich für das Jahr 2017 ein festes Gehalt in Höhe von insgesamt 57.957,96 EUR. Dieses überschreite die Jahresarbeitsentgeltgrenze für das Jahr 2017.

Darüber hinaus sei auch der variable Gehaltsanteil des Klägers bei der Berechnung des regelmäßigen Jahresarbeitsentgelts im vorliegenden Fall zu berücksichtigen. Entschei-dend sei, ob zum Jahreswechsel davon ausgegangen werden musste, dass das vom Ar-beitnehmer für das Folgejahr zu erwartende regelmäßige Arbeitsentgelt die jeweilige Jah-resarbeitsentgeltgrenze überschreiten werde. Der Bezug des Entgelts müsse hinrei-chend wahrscheinlich sein. Stehe hingegen die Höhe der zu erwartenden Arbeitsentgel-te nicht mit hinreichender Sicherheit fest oder fehlen für eine Berechnung die notwendi-gen Anhaltspunkte, habe eine Prognoseentscheidung für das Folgejahr auf Grundlage einer Schätzung zu erfolgen. Hierbei seien die Gesamtumstände des Einzelfalles unter Heranziehung der in den Vorjahren erzielten Einkünfte zu berücksichtigen. Dement-sprechend sei davon auszugehen, dass der Kläger - wie auch in den Jahren zuvor - in der Folgezeit jeweils ein Jahresgehalt erwirtschaften werde, welches jedenfalls das Jah-reszielgehalt inklusive variablen Anteil erreichen und die Jahresarbeitsentgeltgrenze überschreiten werde.

Mit Widerspruchsbescheid vom achten 28.08.2017 hat die Beklagte den Widerspruch des Klägers zurückgewiesen. Zur Begründung führte sie ergänzend aus, maßgeblich sei ei-ne vorausschauende Betrachtungsweise auf der Grundlage der gegenwärtigen und bei normalem Verlauf für eine Zeit der zu erwartenden Einkommensverhältnisse. Der Grad der Gesamtzielerreichung werde jeweils erst nach Abschluss des Geschäftsjahres be-stimmt, spätestens zum Ende des Monats März. Eine Endabrechnung und Ermittlung ei-ner Differenz zwischen der Höhe des variablen Anteils des Gehalts aufgrund der tat-sächlichen Gesamtzielerreichung und der bereits im laufenden Jahr gezahlter Abschlä-ge erfolge sodann immer im Mai des Folgejahres. Im laufenden Jahr würden zwar 6 % des Jahres Zielentgeltes als Abschlag quartalsweise ausgeschüttet. Eine Nebenabrede, dass ein Teil der Abschlagszahlung als nicht rückforderbar garantiert sei, bestehe nicht. Weder der Zufluss der Abschlagszahlungen auf Dauer ohne Rückzahlungsverpflich-tung noch die Höhe des variablen Anteils des Jahreszielgehalts seien damit zum maß-geblichen Zeitpunkt der Bewertung hinreichend wahrscheinlich, um sie als regelmäßi-ges Jahres Arbeitsentgelt im Sinne des § 14 Abs. 1 SGB IV berücksichtigen zu können. Erhöhungen des Arbeitsentgeltes dürften erst von dem Zeitpunkt an berücksichtigt wer-den von dem an der Anspruch auf das erhöhte Arbeitsentgelt bestehe. Das bedeute, dass eine im Laufe des Jahres bereits absehbare Entgelterhöhung aus Anlass einer be-reits feststehenden Tariferhöhung bei der prognostischen Feststellung des anzuneh-menden Jahresarbeitsentgelt zu Beginn des Jahres außer Betracht bleiben müsse, so-dass die Anhebung des Grundgehalts im April 2017 außer Acht bleiben müsse. Für das Jahr 2017 sei daher durchgehend von einem Grundgehalt von monatlich 4420,68 EUR (53.048,16 EUR jährlich), vermögenswirksamen Leistungen in Höhe von monatlich 8,95 EUR (107,40 EUR jährlich) und geldwerten Vorteilen für die Fahrzeugüberlassung i.H.v. monat-lich 350,40 EUR (4.204,80 EUR jährlich) auszugehen. Hiervon abzuziehen sei allerdings die Zahlungen, welche dem U. Pensionsfonds direkt zugewendet werden i.H.v. 248,00 EUR pro Monat (2.976,00 EUR jährlich). Daraus errechne sich ein regelmäßiges Jahresarbeitsentgelt von 54.384,36 EUR. Dieses erreiche die Jahresarbeitsentgeltgrenze für das Jahr 2017 von 57.600,00 EUR nicht.

Der Kläger hat am 14.09.2017 Klage vor dem Sozialgericht Gelsenkirchen erhoben. Er verfolgt sein Begehren der Feststellung der Kranken-und Pflegeversicherungsfreiheit ab dem 01.01.2017 weiter. Zur Begründung hat er ergänzend und vertiefend ausgeführt, das Zielgehalt für das Kalenderjahr 2017 betrage 75.783 EUR. Insgesamt habe der Kläger im zwischenzeitlich abgelaufenen Jahr 2017 ein Gesamtgehalt von 87.767,38 EUR erhalten, was wiederum bestätigt, dass erneut eine Zielerreichung von deutlich mehr als 100 % realisiert wurde, wie bereits in den Vorjahren. Die Beklagte habe den Begriff des regel-mäßigen Jahresarbeitsentgelts verkannt bzw. diese falsch bewertet. Es bestehe eine hin-reichende Sicherheit, dass auch die variablen Gehaltsanteile zufließen würden. Unter Berücksichtigung nur des Betrages bestehend aus Grundgehalt, vermögenswirksamen Leistungen und des Gebrauchsvorteils für das Fahrzeug i.H.v. 57.360,36 EUR im Jahr 2017 sei zu berücksichtigen, dass es völlig unwahrscheinlich sei, dass der variable Gehaltsan-teil, welcher in den hoher Vorjahren jeweils ca. 20.000 EUR oder mehr betragen habe, im Jahr 2017 nun plötzlich auf unter 240,00 EUR sinken würde.

Der Kläger beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 09.05.2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.08.2017 aufzuheben.

Es wird festgestellt, dass der Kläger wegen Überschreitung der Jahresar-beitsentgeltgrenze seit dem 01.01.2017 versicherungsfrei im Sinne des § 6 Abs. 1 Nr. 1 SGB V in der Krankenversicherung sowie nach § 20 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 SGB XI in der Pflegeversicherung ist.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Ergänzend und vertiefend führt sie zur Begründung aus, dass die Zahlung der variable Gehaltsanteile vom jeweiligen Gewalt der jährlichen Gesamt zielerreichungsabhängig sei. Diese stehe jeweils erst im März des Folgejahres fest. Dies liege weit hinter dem je-weiligen Prognosezeitpunkt.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Inhalte der Gerichtsakte sowie der beige-zogenen Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen. Diese waren Gegenstand der Entscheidung.

Entscheidungsgründe:

Streitgegenständlich ist der Bescheid vom 09.05.2017 in Gestalt des Widerspruchsbe-scheides vom 28.08.2017. Mit diesen Bescheiden hat die Beklagte die Versicherungs-pflicht des Klägers seit dem 01.01.2017 festgestellt.

Die Anträge des Klägers, betreffend die Aufhebung des Bescheides in der Gestalt des Widerspruchsbescheides einerseits sowie die Feststellung, dass er auch ab dem 01.01.2017 weiterhin versicherungsfrei ist, sind zulässig. Statthafte Klageart hinsichtlich des Aufhebungsbegehren der Bescheide ist die Anfechtungsklage gemäß § 54 Abs. 1 SGG. Hinsichtlich des Feststellungsbegehrens handelte sich um eine Feststellungskla-ge gemäß § 55 SGG. Die Frage, ob Versicherungspflicht oder Versicherungsfreiheit be-steht, ist ein Feststellung fähiges Rechtsverhältnis. Insbesondere besteht auch ein hin-reichendes Rechtsschutzinteresse an der Verfolgung des Feststellungsbegehrens der mit der Feststellung der Versicherungsfreiheit ab dem Jahr 2017, wie es der Kläger be-gehrt, würde gegenüber der bloßen Aufhebung der Entscheidung der Beklagten das Rechtsverhältnis der Beteiligten bereits im Tenor des Urteils geklärt, ohne dass es dazu noch eines Rückgriffs auf die Entscheidungsgründe bedürfte (vgl. Bundessozialgericht (BSGE), Urteil vom 7. Dezember 1989,12 RK 19/87).

Die zulässige Klage ist hinsichtlich des Antrags, den Bescheid der Beklagten vom 09.05.2017 Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.08.2017 aufzuheben, ist auch begründet. Der Bescheid in Gestalt des Widerspruchsbescheides ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten; er ist hierdurch beschwert (vgl. § 54 Abs. 2 S. 1 SGG). Denn der Kläger ist nicht versicherungspflichtig in der Kranken- und Pflegeversi-cherung, da sein zu berücksichtigendes regelmäßiges Jahresarbeitsentgelt im Jahr 2017 die Jahresarbeitsentgeltgrenze überschreitet. Die anderweitige Feststellung der Beklag-ten ist rechtswidrig.

Die Beklagte war für die Entscheidung über die Versicherungspflicht des Klägers als Einzugsstelle zuständig. Die Krankenkasse als Einzugsstelle entscheidet über die Versi-cherungspflicht (§ 28b i.V.m. § 28h SGB IV). Dementsprechend hat die Beklagte vorlie-gend zuständiger Weise entschieden.

Unstreitig war der Kläger bei seiner Arbeitgeberin seit dem Jahr 2001 abhängig beschäf-tigt. Abhängig Beschäftigte, die mehr als nur geringfügig beschäftigt sind, unterliegen gemäß § 5 Abs. 1 SGB Fünftes Buch - gesetzliche Krankenversicherung- (SGB V) der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Krankenversicherung und in der Folge gemäß § 20 SGB IX auch in der gesetzliche Pflegeversicherung. Die Versicherungspflicht in der Pflegeversicherung erstreckt sich auf alle Personen, die Mitglied in der gesetzlichen KV sind Versicherungsfreiheit besteht gem. § 6 Abs. 1 SGB V allerdings dann, wenn ihr re-gelmäßiges Jahresarbeitsentgelt die jährliche Jahresarbeitsentgeltgrenze übersteigt.

Zu berücksichtigen ist das regelmäßige Jahresarbeitsentgelt gem § 14 Abs. 1 SGB IV aus der jeweiligen Beschäftigung, deren Versicherungspflicht bzw. Versicherungsfreiheit zu beurteilen ist. Das sind alle Einnahmen, die nach § 14 Abs. 1 SGB IV Arbeitsentgelt dar-stellen und mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit mindestens einmal jährlich gezahlt werden. Regelmäßiges Jahresarbeitsentgelt ist das Entgelt, auf das jemand im Laufe des auf den Beurteilungszeitpunkt folgenden Jahres einen Anspruch hat oder dass ihm sonst mit hinreichender Sicherheit zufließen wird (vgl. BSG, Großer Senat, Be-schluss vom 30.06.1965, - GS 2/64; vgl. auch LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 13.08.2010, L 4 R 3332/08; LSG NRW, Urteil vom 20.02.2013, L 8 R 920/10). Abgegrenzt werden muss zwischen hinreichend sicher zu erwartendem Arbeitsentgelt und nicht zu erwartendem Arbeitsentgelt. Entscheidend ist, ob zum Bewertungszeitpunkt (hier: Jahreswechsel) davon ausgegangen werden musste, dass das von dem Arbeitnehmer für das Folgejahr zu erwartende regelmäßige Arbeitsentgelt die jeweils gültige Jahresar-beitsentgeltgrenze überschreiten wird (vgl. LSG NRW, Urteil vom 20.02.2013, L 8 R 920/10 m.w.N.). Bei schwankenden Bezügen ist zu schätzen (BSG, großer Senat, Be-schluss vom 30.06.1965, GS 2/64).

Das hinreichend wahrscheinlich zufließende und daher als regelmäßig zu berücksichti-gende Jahresarbeitsentgelt des Klägers für das Jahr 2017 hat die Jahresarbeitsentgelt-grenze überschritten. Denn zur Überzeugung der Kammer ist die jeweils im Mai des Folgejahres zufließende Restzahlung auf den variablen Gehaltsanteil des Vorjahres (2016) als hinreichend wahrscheinlich zufließendes Entgelt im Jahr 2017 zusätzlich zu berücksichtigen. Abzustellen ist auf den Zeitraum des Endes des Kalenderjahres als vor-liegend vereinbarte Periode, also auf den 31.12.2016. Zu diesem Zeitpunkt war nicht nur ein Zufluss des Grundgehaltes, der vermögenswirksamen Leistungen sowie des geld-werten Vorteils der Fahrzeugüberlassung für das Jahr 2017 als hinreichend wahrschein-lich zu berücksichtigen, sondern darüber hinaus ein weiterer Anteil von 6 % des Jahres-zielgehaltes aus dem Jahr 2016. Denn nach den vertraglichen Regelungen zwischen dem Kläger und der Arbeitgeberin wurden im Jahr 2016 jeweils zum Quartalsende Abschläge i.H.v. 4 × 6 % des Jahreszielgehaltes (4 × 20 % des variablen Anteils des Jahres-zielentgelts) an den Kläger ausgezahlt. Der verbleibende Anteil von 6 % des Jahreszie-lentgelts wurde jedoch bis zur Endabrechnung im März des Folgejahres (2017) bzw. Auszahlung eines möglichen Restbetrages im Mai des Folgejahres (2017) noch nicht ausgezahlt. Nicht erheblich ist insoweit, dass zu den restlichen 6 % im vorliegenden Fall in der Gesamten Zeit seit 2002 noch weitere Beträge in unterschiedlicher Höhe hinzuge-kommen sind, weil die Zielerreichung regelmäßig über 100 % lag. Für die Annahme ei-ner hinreichenden Wahrscheinlichkeit des Zuflusses genügt es zur Überzeugung der Kammer, dass der zufließende Betrag zwar noch nicht feststehen muss, aber zumindest zu diesem Zeitpunkt errechenbar sein muss. Dies findet auch u.a. eine Stütze in der von der Beklagten herangezogenen Stellungnahme des GKV-Spitzenverbandes vom 27.08.2013, wie aus der Verwaltungsakte ersichtlich. In dieser kommt der Spitzenverband zu der Feststellung, dass Sonderzuwendungen, die nur dem Grunde nach zugesichert bzw. vertraglich vereinbart sind, der Höhe nach aber (zum maßgeblichen Zeitpunkt) noch nicht feststehen oder errechenbar sind, in der Berechnung des zu berücksichtigenden Jahresarbeitsentgelts nicht zu berücksichtigen seien.

Dementsprechend sind zur Überzeugung der Kammer zum Ende des Jahres 2016 sämt-liche Faktoren hinreichend bekannt, aufgrund derer der Zielerreichungsgrad bestimmt und aus diesem die Höhe des variablen Gehaltsanteils für das Jahr 2016 abgeleitet wer-den kann. Aus diesem ergibt sich wiederum unter Berücksichtigung der bereits erfolgten Abschlagszahlungen die Höhe der zu erwartenden Restzahlung im Monat Mai des Folgejahres (2017) sodass zum 31.12.2016 diese Restzahlung zum einen errechenbar ist und zum anderen festgestanden hat, dass die Zielerreichung erneut über 100% gelegen hat, sodass mindestens die restlichen 6% des Jahreszielgehalts zu zahlen gewesen sind. Die Frist bis 31.03. des Folgejahres bildet in diesem Zusammenhang eine Bearbei-tungsfrist des Arbeitgebers. Dies ändert nichts daran, dass die Restzahlung betreffend das Variable Gehalt für das Jahr 2016 am 31.12.2016 errechenbar ist. In Anbetracht des Umstandes, dass in den vergangenen Jahren seit 2002 jedes Jahr eine Zielerreichung von über 100% eingetreten ist und dass im gesamten laufenden Jahr ein Monitoring der Zielerreichung durchgeführt wird, ist die Kammer davon überzeugt, dass zum 31.12.2016 sicher festzustellen war, dass dem Kläger eine Restzahlung zum Ende Mai 2017 zuflie-ßen wird. Diese Zahlung fließt dem Kläger auch jedes Jahr aufgrund der vertraglichen Vereinbarung in § 2 Abs. 5 der Anl. 3 zum ERTV zu.

Auch die vertraglich vereinbarte Frist bis zum 31. März des auf die Zielvereinbarungspe-riode folgenden Geschäftsjahres, bis zu deren Ablauf der Zielerreichungsgrad (durch den Arbeitgeber) festzustellen ist, ändert nichts an der Errechenbarkeit des tatsächlichen Betrages zum 31.12.2016, der dem Kläger zum 31.05.2017 noch zu zahlen war bzw. jähr-lich noch zu zahlen ist.

Damit war zum 31.12.2016 klar erkennbar und errechenbar, dass der Kläger im Monat Mai 2017 jedenfalls noch eine Zahlung in Höhe von 6 % des Jahreszielgehalts aus dem Jahr 2016 zu erwarten hatte. Dieser Anteil ist hinsichtlich der Jahresarbeitsentgeltgrenze 2017 zu berücksichtigen.

Das Jahreszielgehalt im Jahr 2016 hat 75.783,00EUR betragen. 6 % von dieser Summe sind 4546,98 EUR.

Es kann daher dahinstehen, ob für das Jahr 2017 prognostisch von einem monatlichen Grundgehalt von 4.420,68 EUR x 12 = 53.048,16 EURauszugehen war, oder ob die Anhebung des Grundgehaltes ab dem Monat April 2017 auf 4.487,08EUR bis zum Ende des Jahres zu berücksichtigen war. Ebenso kann dahinstehen, ob die monatlichen Leistungen in Höhe von 248,00EUR in den U. Pensiondfond (2.976,00EUR pro Jahr) von dem zu berücksichtigen regelmäßigen Jahresgehalt abzuziehen sind. Denn unter für den Kläger negativer Be-rücksichtigung beider Positionen errechnet sich trotzdem ein als regelmäßiges Jahresar-beitsentgelt zu berücksichtigender Betrag, der die Jahresarbeitentgeltgrenze für 2017 übersteigt. Wie von der Beklagten im Widerspruchsbescheid auch aufgeführt, errechnet sich bei für den Kläger negativer Berücksichtigung der vorgenannten Positionen ein regelmäßiges Jahresarbeitsentgelt von zunächst 54.384,36 EUR. Dieses berücksichtigt aber noch nicht die weiteren 6% des Jahreszielgehaltes aus dem Jahr 2016 in Höhe von 4.546,98EUR. Unter Berücksichtigung dieses Betrages ergibt sich bereits ein zu berücksich-tigendes regelmäßiges Jahresarbeitsentgelt von (54.384,36EUR + 4.546,98EUR =) 58.931,34 EUR. Dieses Entgelt übersteigt die Jahresarbeitentgeltgrenze von 57.600,00EUR um 1.331,34 EUR.

Gleiches gilt auch für das Jahr 2018. Unter gleichbleibender – für den Kläger negativer- Berechnung unter Abzug der Leistungen in den U.-Pensionsfonds ist zunächst von ei-nem zu erwartenden Grundgehalt in Höhe von 53.844,00 EUR(70% des Jahreszielgehalts 2017 von 87.767,38 EUR) auszugehen. Hinzu kommen wiederum die Beträge für den Ver-mögenswerten Vorteil der Dienstwagennutzung (4.204,80 EUR) sowie die Leistungen zum Vermögensaufbau (107,40 EUR). Unter Berücksichtigung eines Abzugs der Zahlungen in den U.-Pensionsfonds (-2.976,00 EUR) und Berücksichtigung der im Mai 2018 zu erwartenden Restzahlung in Höhe von 6% des Jahreszielgehalts aus 2017 (4.615,20EUR) ergib sich ein zu berücksichtigendes regelmäßiges Jahresarbeitsentgelt für das Jahr 2018 in Höhe von 59.795,40EUR, welches die Jahresarbeitsentgeltgrenze von 59.400,00EUR überschreitet.

Aus den vorstehenden Gründen ist auch der Feststellungsantrag des Klägers erfolgreich, da er ab dem 01.01.2017 versicherungsfrei ist bzw. geblieben ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG
Rechtskraft
Aus
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