S 26 RA 46/03

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Gelsenkirchen (NRW)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
26
1. Instanz
SG Gelsenkirchen (NRW)
Aktenzeichen
S 26 RA 46/03
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten im Rahmen eines Kontenklärungsverfahrens über den Anspruch auf Anrechnung der in Polen zurückgelegten Versicherungszeiten.

Der am 23.05.1946 in Niederschlesien/Polen geborene Kläger lebt seit dem 19.02.1989 in der Bundesrepublik Deutschland. Er beantragte nach seiner Einreise die Anerkennung als Vertriebener lm Sinne des Bundesvertriebenengesetzes (BVG). Die Anerkennung erfolgte nicht. Aufgrund eines Beschlusses des Verwaltungsgerichtes H vom (Az.: ) wurde die deutsche Abstammung des Klägers festgestellt mit dem Hinweis, dass er darüber hinaus jedoch nicht Vertriebener im Sinne des Bundesvertriebenengesetzes sei. In der Zeit vom 12.04.1989 bis 1994 war der Kläger laut Bescheinigung der Stadt N vom 17.08.1993 "auslandsrechtlich erfasst". Mit Wirkung vom 18.01,1996 gab der Kläger die polnische Staatsangehörigkeit auf. Mit Wirkung vom 19.03.1996 wurde er als deutscher Staatsangehöriger eingebürgert.

Am 23.05.2002 beantragte der Kläger bei der Beklagten Kontenklärung.

Mit Bescheid vom 03.04.2003 stellte die Beklagte fest, dass Beiträge erst ab dem 08.02.1993 anerkannt werden können. Für die Zeit vom 01.09.1966 bis zum 03.06.1970 wird zudem eine Schulausbildung berücksichtigt. Die polnischen Versicherungszeiten könnten nicht anerkannt werden, da nach dem deutsch-polnischen Sozialversicherungsabkommen (DPSVA) vom 08.12.1990 nach Art. 27 Abs. 1 Satz 2 des Abkommens dieses nur für Personen gelte, die nach dem 31.12.1990 ihren gewöhnlichen Aufenthalt in den anderen Vertragsstaat verlegt, neu begründet oder in einem Drittstaat hatten. An dieser Voraussetzung würde es bei dem Kläger fehlen. Darüber hinaus sei das Fremdrentengesetz (FRG) nicht anwendbar, da der Kläger kein Vertriebener im Sinne des BVG sei. Hiergegen legte der Kläger Widerspruch ein, der mit Widerspruchsbescheid vom 06.08.2003 zurückgewiesen wurde.

Hiergegen hat der Kläger am 12.09.2003 Klage erhoben.

Er trägt vor, dass das Verwaltungsgericht H seine deutsche Abstammung festgestellt habe. Seit seiner Einreise im Frühjahr 1989 in Hamburg habe er sich um die Anerkennung als Vertriebener im Sinne des BVG bemüht. Deshalb habe nicht erst mit seiner Einbürgerung, sondern bereits seit seiner Einreise ein gewöhnlicher Aufenthalt auf Dauer in der Bundesrepublik Deutschland bestanden. Durch die Feststellung des Verwaltungsgerichtes H ergebe sich zudem rückwirkend, dass keine Pflicht zur Ausreise bestanden und er sich rechtmäßig in der Bundesrepublik Deutschland aufgehalten habe.

Der Kläger beantragt schriftsätzlich,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 03.04.2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.08.2003 zu verurteilen, festzustellen, dass sämtliche polnische Versicherungszeiten in seiner deutschen Rentenversicherung Berücksichtigung finden.

Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,

die Klage abzuweisen.

Sie hält die getroffene Verwaltungsentscheidung für rechtmäßig und verweist darauf, dass der Kläger im Zeitpunkt des Stichtages (31.12.1990) seinen gewöhnlichen Aufenthalt nicht in der Bundesrepublik hatte, da er in dieser Zeit auslandsrechtlich erfasst gewesen sei. Damit konnte er keinen Daueraufenthalt begründen, sondern war lediglich geduldet. Daher seien die von ihr getroffenen Feststellungen korrekt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und den der von der Beklagten beigezogenen Verwaltungsakte verwiesen, die Gegenstand der Beratung und Entscheidung gewesen sind.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Entscheidungsgründe:

Die Kammer konnte die Streitsache gemäß § 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da sich die Beteiligten hiermit einverstanden erklärt haben.

Die zulässige Klage ist nicht begründet.

Der Kläger wird durch den Bescheid der Beklagten vom 03.04.2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.08.2003 nicht im Sinne des § 54 Abs. 2 SGG beschwert, da sich der angefochtene Bescheid als rechtmäßig erweist.

Der Kläger kann einen Anspruch auf Anrechnung der in Polen zurückgelegten Versicherungszeiten weder nach dem Fremdrentengesetz (FRG) noch aus dem OPSVA herleiten.

Ein Anspruch nach dem FRG besteht nicht, da der Kläger weder Inhaber des Vertriebenenausweises "A ist, noch sonst zu dem danach begünstigten Personenkreis gehört (vgl. § § 1, 17 a FRG).

Es sind auch keine Zeiten nach dem DPSVA zu berücksichtigen.

Nach dem Abkommen vom 08.12.1990 (BGBI. II 1991, 741, 743, 1072), das am 01.10.1991 wirksam geworden ist, werden gemäß Art. 17 Abs. 1 Satz 1, wenn in beiden Vertragsstaaten Versicherungszeiten vorhanden sind, für den Erwerb des Leistungsanspruchs nach den Rechtsvorschriften eines Vertragsstaates auch die Versicherungszeiten berücksichtigt, die nach den Rechtsvorschriften des anderen Vertragsstaates anrechnungsfähig sind und nicht auf dieselbe Zeit entfallen sind. Nach Art. 27 Abs. 1 DPSVÄ gilt dieses Abkommen unter anderem im Bereich der Rentenversicherung für alle Ansprüche aus Versicherungszeiten, die nach dem 31.12.1990 im Hoheitsgebiet eines Vertragsstaates zurückgelegt werden. Nach Abs. 2 Satz 1 dieser Vorschrift werden die vor dem 01.01.1991 aufgrund des Abkommens Polen - Rentenversicherung/Unfallversicherung RV/UV - (von 1975) von Personen in einem Vertragsstaat erworbenen Ansprüche durch das neue Abkommen nicht berührt, solange diese Personen auch nach dem 31.12.1990 ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet dieses Vertragsstaates beibehalten. Ansprüche und Anwartschaften nach dem Abkommen Polen RV/UV erwerben auch Personen, die vor dem 01.01.1991 in den anderen Vertragsstaat eingereist sind, bis zu diesem Zeitpunkt die Verlegung des Wohnortes in den anderen Vertragsstaat beantragt haben und sich dort seitdem ununterbrochen aufhalten, sofern sie im Zeitpunkt des Versicherungsfalles, spätestens vor dem 30.06.1991 an, in diesem Vertragsstaat wohnen.

Entscheidend ist daher, ob der Kläger zum maßgeblichen Stichtag seinen gewöhnlichen Aufenthalt in das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland verlegt hatte.

Nach Art. 1 Nr. 2 DPSVA 1975 bedeuten für die Anwendung dieses Abkommens die Begriffe "Wohnort" und "wohnen" für die Bundesrepublik Deutschland den Ort des gewöhnlichen Aufenthaltes oder, "sich gewöhnlich aufhalten". Im gesamten Vertragswert wurde keine Bestimmung darüber getroffen, dass der Ausdruck gewöhnlicher Aufenthalt" oder "sich gewöhnlich aufhalten" anders als in § 30 Abs. 3 Sozialgesetzbuch - Allgemeiner Teil - (SGB 1) zu verstehen ist. Nach ständiger und einheitlicher Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG), wollten die Vertragsschließenden zur Vermeidung einer Rechtsanwendungskollision erkennbar an den innerstaatlichen Begriff des gewöhnlichen Aufenthaltes anknüpfen, der in § 30 Abs. 3 Satz 2 SGB I umschrieben ist (BSG, Urteil vom 14.09.1994, Az.: 5 RJ 10/94).

Nach der in dieser Vorschrift enthaltenen Definition ist der Begriff des gewöhnlichen Aufenthaltes in erster Linie nach den objektiv gegebenen tatsächlichen Verhältnissen zu beurteilen. Entscheidend ist, ob der Kläger den örtlichen Schwerpunkt seiner Lebensverhältnisse faktisch dauerhaft im Inland hatte. Dauerhaft ist ein Aufenthalt, wenn und solange er nicht auf Beendigung angelegt, also zukunftsoffen ist. Hierbei ist ein Domizilwille, der mit den tatsächlichen Umständen nicht übereinstimmt, rechtlich unerheblich (vgl. BSG SozR 3 - 5850 § 3 c Nr. 2). Es kommt auf die Tatsachen an, die während des streitigen Zeitraums objektiv vorlagen, eine spekulative Abwägung bzw. Prognose zukünftiger Geschehnisse ist nicht zulässig (BSG, Urteil vom 14.09.1994 - Az.: 5 RJ 10/94). Es ist eine Gesamtwürdigung aller entscheidungserheblichen Tatsachen bezogen auf den maßgeblichen Stichtag vorzunehmen. Die Aufenthaltsposition eines Ausländers wird dabei wesentlich durch den Inhalt der von der Ausländerbehörde erteilten Bescheinigungen bestimmt, wie er sich nach der behördlichen Praxis und der gegebenen Rechtslage darstellt. Entscheidend ist, ob aufenthaltsbeendende Maßnahmen getroffen oder zu erwarten sind. Der ausländerrechtliche Titel ist daher nicht entscheidend.

Der Kläger besaß entgegen seines Vorbringens am maßgebenden Stichtag keine befristete oder unbefristete Duldung, welche allerdings zur Begründung eines gewöhnlichen Aufenthaltes allein ebenfalls nicht ausgereicht hätte. Außerdem war er zu diesem Zeitpunkt noch nicht als Deutschstämmiger anerkannt. Eine Rückwirkung des Beschlusses des Verwaltungsgerichtes H ist hierbei nicht vorzunehmen. Allein maßgeblich ist die Sicht am Stichtag. Nach Auskunft des Ausländeramtes der Stadt N war der Kläger vom 12.04.1989 bis 1994 auslandsrechtlich erfasst. Weitere Unterlagen sind nicht vorhanden. Aus den vom Kläger selbst vorgelegten Unterlagen ergeben sich ebenfalls nur kurzzeitige Duldungsverfügungen der zuständigen Ausländerbehörde. Damit lag zu dem maßgeblichen Stichtag, dem 31.12.1990, nicht einmal eine befristete Duldung durch die Ausländerbehörde vor; der Kläger war lediglich ausländerbehördlich erfasst. Seine Aufenthaltsposition war aus Behördensicht auf Beendigung des Aufenthalts im Inland angelegt. Dies steht nach der Rechtsprechung des BSG der Annahme eines gewöhnlichen Aufenthaltes trotz faktisch andauern dem Verbleib und einem entsprechenden Bleibewillen entgegen (u. a. Urteil des BSG vom 25.03.1998, Az.: B 5 RJ 22/96 R).

Unerheblich ist, wie sich der Aufenthaltsstatus des Klägers nach dem Beschluss des Verwaltungsgerichts H vom darstellte, denn dieser Zeitpunkt liegt weit nach dem maßgebenden Stichtag.

Damit können lediglich die Beiträge ab dem 08.02.1993 als Versicherungszeiten sowie eine Schulausbildung festgestellt werden.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 183, 193 SGG.

Rechtsmittelbelehrung:

Dieses Urteil kann mit der Berufung angefochten werden. Die Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils beim Landessozialgericht

Nordrhein-Westfalen, Zweigertstraße 54, 451 30 Essen,

schriftlich oder mündlich zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen. Die Berufungsfrist ist auch gewahrt, wenn die Berufung innerhalb der Monatsfrist bei dem

Sozialgericht Gelsenkirchen, Ahstraße 22, 45879 Gelsenkirchen,

schriftlich oder mündlich zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eingelegt wird.

Die Berufungsschrift muss innerhalb der Monatsfrist bei einem der vorgenannten Gerichte eingehen, Sie soll das angefochtene Urteil bezeichnen, einen bestimmte Antrag enthalten und die zur Begründung der Berufung dienenden Tatsachen und Beweismittel angeben.

Auf Antrag kann vom Sozialgericht durch Beschluss die Revision zum Bundessozialgericht zugelassen werden, wenn der Gegner schriftlich zustimmt. Der Antrag auf Zulassung der Revision ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils bei dem Sozialgericht Gelsenkirchen schriftlich zu stellen. Die Zustimmung des Gegners ist dem Antrag beizufügen.

Lehnt das Sozialgericht den Antrag auf Zulassung der Revision durch Beschluss ab, so beginnt mit der Zustellung dieser Entscheidung der Lauf der Berufungsfrist Von neuem, sofern der Antrag auf Zulassung der Revision in der gesetzlichen Form und Frist gestellt und die Zustimmungserklärung des Gegners beigefügt war.
Rechtskraft
Aus
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