Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 25 KR 251/14
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 1 KR 83/18
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Klägerin werden das Urteil des Sozialgerichts vom 20. Juni 2018 und der Bescheid der Beklagten vom 21. November 2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. Februar 2014 abgeändert und die Beklagte verurteilt, der Klägerin weitere 777,- Euro als Zuschuss zu den Zahnersatzkosten zu gewähren. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen. Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu ¾. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um einen weiteren Zuschuss zu Zahnersatzkosten. Im Streit steht dabei die Anrechnung der vom Jugendamt für die Vollpflege der Urenkelin der Klägerin gezahlten Leistungen.
Mit Heil-und Kostenplan vom 18. Oktober 2013 genehmigte die Beklagte für den Zahnersatz der Klägerin einen Festzuschuss von 1110,06 EUR.
Mit Antrag vom 21. Oktober 2013 beantragte die Klägerin die Übernahme der Zahnersatzkosten über den Festzuschuss hinaus und reichte hierzu Einkommensunterlagen bei der Beklagten ein, nämlich die Versorgungsmitteilung der Hansestadt Hamburg, den Rentenbescheid der Deutschen Rentenversicherung sowie den Bescheid des Bezirksamtes H. über die Hilfe zur Erziehung ihrer sechsjährigen Urenkelin, die bei der Klägerin als Pflegekind lebt.
Mit Bescheid vom 21. November 2013 bewilligte die Beklagte der Klägerin einen weiteren Zuschuss in Höhe von 107,22 EUR. Die Berechnung fügte sie als Anlage bei.
Gegen den Bescheid legte die Klägerin Widerspruch ein. Zur Begründung führte sie aus, dass die Pflegeleistungen gem. §§ 33, 39 Sozialgesetzbuch Achtes Buch (SGB VIII) für ihr Urenkelkind C. eine Einkommensart sei, die bei der Ermittlung der Härtefallgrenze für Zahnersatz keine Berücksichtigung finden dürfe.
Mit Widerspruchsbescheid vom 24 Februar 2014 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin zurück. Zur Begründung führte sie aus, Versicherte hätten gem. § 55 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) Anspruch auf befundbezogene Festzuschüsse bei einer medizinisch notwendigen Versorgung mit Zahnersatz einschließlich Zahnkronen und Suprakonstruktionen (zahnärztliche und zahntechnische Leistungen) in den Fällen, in denen eine zahnprothetische Versorgung notwendig ist und die geplante Versorgung einer Methode entspricht, die gemäß § 135 Abs. 1 SGB V anerkannt ist. Die Festzuschüsse umfassten 50% der nach § 57 Abs. 1 Satz 6 und Absatz 2 Satz 5 und 6 SGB V festgesetzten Beträge für die jeweilige Regelversorgung. Gem. § 55 Abs. 2 SGB V hätten Versicherte bei der Versorgung mit Zahnersatz zusätzlich zu den Festzuschüssen nach § 55 Absatz 1 Satz 2 SGB V Anspruch auf einen Betrag in jeweils gleicher Höhe, angepasst an die Höhe der für die Regelversorgungsleistungen tatsächlich anfallenden Kosten, höchstens jedoch in Höhe der tatsächlich entstandenen Kosten, wenn sie ansonsten unzumutbar belastet würden. Eine unzumutbare Belastung liege vor, wenn 1. die monatlichen Bruttoeinnahmen zum Lebensunterhalt des Versicherten 40 vom Hundert der monatlichen Bezugsgröße nach § 18 des Vierten Buches nicht überschritten, 2. der Versicherte Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem SGB XII oder im Rahmen der Kriegsopferfürsorge nach dem Bundesversorgungsgesetz, Leistungen nach dem Recht der bedarfsorientierten Grundsicherung, Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II, Ausbildungsförderung nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz oder SGB III erhalte oder 3. die Kosten der Unterbringung in einem Heim oder einer ähnlichen Einrichtung von einem Träger der Sozialhilfe oder der Kriegsopferfürsorge getragen würden. Als Einnahmen zum Lebensunterhalt der Versicherten gelten auch die Einnahmen anderer in dem gemeinsamen Haushalt lebender Angehöriger und Angehöriger des Lebenspartners. Der in Satz 2 Nr. 1 genannte Vomhundertsatz erhöhe sich für den ersten in dem gemeinsamen Haushalt lebenden Angehörigen des Versicherten um 15 % der monatlichen Bezugsgröße nach § 18 SGB IV (im Jahr 2013: 404,25 EUR). Die Klägerin lebe mit ihrem Pflegekind C. in einem gemeinsamen Haushalt zusammen. Die monatlichen Bruttoeinnahmen würden unter Berücksichtigung des Gemeinsamen Rundschreibens zu Einnahmen zum Lebensunterhalt der Krankenkassen vom 6. Juni 2013 festgelegt. Im Falle des Bezuges von Pflegegeld nach § 33/39 SGB VIII gelte folgendes: "Personen, die ein fremdes Kind versorgen und erziehen, erhalten in bestimmten Fällen wegen der dadurch entstehenden Kosten, finanzielle Leistungen aus öffentlichen Mitteln. Obwohl diese Leistungen dem Kind zustehen, dienen sie doch der Stärkung der Unterhaltsfähigkeit der Pflegeeltern in vollem Umfang und sind demnach bei der Beurteilung der Einkommensverhältnisse den Pflegeeltern als Einnahmen zum Lebensunterhalt zuzuordnen.". Zur Ermittlung der monatlichen Bruttoeinnahmen zum Lebensunterhalt sei daher auch das Pflegegeld nach § 33/39 SGB VIII für C. heranzuziehen. Die Bruttoeinnahmen betrügen: 1. gesetzliche Rente 957,14 EUR 2. laufender Versorgungsbezug +123,39 EUR 3. Pflegegeld nach §§ 33/39 SGB VIII für C. +736,00 EUR 1816,53 EUR Die Grenze für eine unzumutbare Belastung betrage für das Jahr 2013: 40% der monatlichen Bezugsgröße nach § 18 SGB IV 1078,00 EUR 15% der monatlichen Bezugsgröße nach § 18 SGB VI +404,25 EUR 1482,25 EUR Da die Bruttoeinnahmen zum Lebensunterhalt den Höchstbetrag für das Jahr 2013 überschritten, könne ein doppelter Festzuschuss nicht gezahlt werden. Es liege keine unzumutbare Belastung vor. Es käme die gleitende Härtefallregelung zur Anwendung (Zuschuss des bereits bewilligten Betrages in Höhe von 107,22 EUR).
Die Klägerin hat daraufhin am 3. März 2014 Klage erhoben mit dem Ziel, einen Härtefall für die Zahnersatzversorgung festzustellen.
Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 20. Juni 2018 zurückgewiesen und dabei im Wesentlichen auf die Ausführungen des Widerspruchsbescheides Bezug genommen. Insbesondere sei das Pflegegeld nach §§ 33/39 SGB VIII zu berücksichtigen. Der Unterhaltsbeitrag für das Pflegekind diene der Bestreitung des allgemeinen Lebensunterhaltes. Der Unterhalt, den die Klägerin für ihr sechsjähriges Pflegekind erhalte, fließe in den gemeinsamen Haushalt ein und gehe in der gemeinsamen Haushalts- und Lebensführung auf. Er sei deshalb nicht trennbar von der Lebens- und Haushaltsführung der Klägerin. Das Existenzminimum des Kindes werde durch die Erhöhung der Belastungsgrenze gem. § 55 Abs. 2 Satz 5 SGB V gewahrt.
Die Klägerin hat gegen das ihr am 11. Juli 2018 zugestellte Urteil am 10. August 2018 Berufung eingelegt, die sie nicht weiter begründet hat.
Sie beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts vom 20. Juni 2018 aufzuheben und den Bescheid der Beklagten vom 21. November 2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. Februar 2014 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin 1.084,34 Euro zu den Zahnersatzkosten als Härtefall zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Prozessakte sowie der Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist statthaft, form- und fristgerecht gem. §§ 143, 151 Abs. 1 und 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) und daher zulässig. Sie ist auch teilweise begründet.
Das Sozialgericht hat die rechtlichen Grundlagen zutreffend dargestellt. Hierauf wird Bezug genommen.
Auf dieser Grundlage ist es zutreffend zu dem Ergebnis gekommen, dass die Klägerin nicht unter die starre Härtefallregelung des § 55 Abs. 2 SGB V fällt (dazu unter 1.). Jedoch hat die Beklagte in dem streitigen Bescheid den Zuschuss nach § 55 Abs. 3 SGB V (sog. gleitende Härtefallregelung) nicht zutreffend berechnet. Hier steht der Klägerin ein höherer Zuschuss zu (dazu unter 2.).
1. Das Sozialgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass es sich bei dem Pflegekind um einen Angehörigen iSd § 55 Abs. 2 Satz 3 SGB V handelt. Dafür ist allerdings nicht maßgeblich, dass es sich bei dem Kind um ein Pflegekind iSd SGB VIII handelt. Vielmehr ist entscheidend, dass es sich um die Urenkelin der Klägerin handelt. Der Begriff "Angehöriger" ist grundsätzlich so auszulegen, dass darunter der Ehegatte, der (gleichgeschlechtliche) Lebenspartner (§ 11 Abs. 1 LPartG), die Verwandten (§ 1589 BGB) und die Verschwägerten (§ 1590 BGB) des Versicherten fallen. Deren Einnahmen sind bei der Feststellung der monatlichen Bruttoeinnahmen des Versicherten zu berücksichtigen (vgl. Altmiks, in: jurisPK-SGB V, 3. Aufl. 2016, § 55 Rn. 117; Nolte, in: Kassler Kommentar, 2018, § 55 Rn. 38). Als Urenkelin ist das Pflegekind mit der Klägerin verwandt iSd § 1589 BGB.
Das Sozialgericht ist damit zutreffend davon ausgegangen, dass die Zumutbarkeitsgrenze sich nach § 55 Abs. 2 Satz 5 SGB V um 15% auf 1482,25 Euro erhöht.
Die Klägerin selber verfügt zunächst über Einnahmen zum Lebensunterhalt iSd § 55 Abs. 2 SGB V iHv 1.080,53 Euro aus gesetzlicher Rente und Versorgungsbezug. Als Einnahme ist aber zusätzlich die Unterhaltsleistung des Jugendamtes iHv 541,- Euro anzusehen. Dabei kann es dahin stehen, ob diese Einnahme der Klägerin oder ihrer Urenkelin zuzurechnen ist, da – wie dargestellt – auch die Einnahmen der Urenkelin anzurechnen sind. Damit ergeben sich insgesamt berücksichtigungsfähige Einnahmen iHv 1.621,53 Euro. Diese liegen über der Zumutbarkeitsgrenze. Es kann daher dahinstehen, ob auch der im Bescheid des Jugendamtes als "Erstattung der Erziehungskosten" bezeichnete Betrag von 259,- Euro anrechnungsfähig ist, was man im Hinblick auf den mit der Leistung verfolgten Leistungsanreiz anzweifeln könnte.
Die Berücksichtigungsfähigkeit der Unterhaltsleistung des Jugendamtes ergibt sich aus Folgendem:
Nach der Rechtsprechung des BSG gehören zu den "Einnahmen zum Lebensunterhalt" nur diejenigen persönlichen Einnahmen, die der typischen Funktion des Arbeitsentgelts bei Pflichtversicherten entsprechen; zweckgebundene Zuwendungen wie z.B. Kindergeld sollten keine berücksichtigungsfähigen Einnahmen sein (vgl. BSG, Urt. v. 16.12.2003 – B 1 KR 26/01 R, Rn. 30; Urt. v. 22.04.2008 – B 1 KR 5/07 R, Rn. 15 mwN). Darunter fallen also die dem tatsächlichen Lebensunterhalt dienenden persönlichen Einnahmen (vgl. Nolte, in: Kasseler Kommentar, 2018, § 55 Rn. 34).
Bei diesem Verständnis sind die Unterhaltsleistungen iSd § 39 SGB VIII als Einnahmen zum Lebensunterhalt anzusehen. So umfasst der Sachaufwand iSv § 39 Abs. 1 Satz 2 SGB VIII die Kosten für Unterkunft, Ernährung, Bekleidung und Dinge des persönlichen Bedarfs und ist damit an den notwendigen Lebensunterhalt der § 20 SGB II bzw. § 27a SGB XII angelehnt (vgl. BT-Drs. 16/9299, S. 16; von Koppenfels-Spies, in: jurisPK-SGB VIII, 2018, § 39 Rn. 17). Es sind damit die klassischen Bedarfe des alltäglichen Lebens benannt. Selbst wenn man also diesen Leistungen eine Zweckbestimmung entnehmen wollte, so liegt dieser Zweck in der Deckung der Bedürfnisse des alltäglichen Lebens.
2. Allerdings ist die im Bescheid vom 23. November 2013 dargestellte Prüfung und Berechnung des gleitenden Härtefalles gem. § 55 Abs. 3 SGB V nicht zutreffend erfolgt.
Dabei ist zunächst die Differenz zwischen den monatlichen Bruttoeinnahmen zum Lebensunterhalt und der unter 1. genannten Zumutbarkeitsgrenze zu ermitteln. Hier hat die Beklagte den vollständigen, im Bescheid des Jugendamtes genannten Betrag von 736,- Euro berücksichtigt und ist daher von Einnahmen iHv 1816,53 Euro ausgegangen. Nach Ansicht des Senates sind jedoch die 259,- Euro, die als sog. Erziehungsgeld erbracht werden (im Bescheid des Jugendamtes bezeichnet als "Erst. d. Erziehungskosten"), nicht berücksichtigungsfähig.
Denn nach der Konzeption des Gesetzes ist Leistungsberechtigter dieser Leistung das Kind bzw. dessen Personensorgeberechtigter, nicht aber die Pflegeperson. Das spricht dagegen, dass diese Leistungen den Zweck haben, das Einkommen der Pflegeperson zu mehren (so auch BSG v. 29. März 2007 – B 7b AS 12/06 R; LSG Berlin-Brandenburg v. 7. September 2007 – L 24 KR 173/09 B ER). Nach den Gesetzesmaterialien soll mit diesen Leistungen ein Anreiz gesetzt werden, um die Bereitschaft zur Betreuung von Pflegekindern zu stärken (BR-Drucks 503/89, S. 73). Danach ist die Anreizfunktion der eigentliche Zweck der Leistung und nicht die Sicherung des Lebensunterhaltes. Ein dadurch bewirkter finanzieller Vorteil bei der Pflegeperson ist bloße Nebenfolge (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 11.03.2016 - L 1 KR 140/14). Im Übrigen ist das Erziehungsgeld auch im Rahmen des SGB II und des SGB XII von der Berücksichtigung als Einnahmen zum Lebensunterhalt ausgeschlossen (v. Koppenfels-Spiess, in: jurisPK SGB VIII, 2. Aufl. 2018, § 39 Rn. 49f). Ersteres gilt jedenfalls dann, wenn – wie hier – nicht mehr als zwei Pflegekinder betreut werden. Deswegen spricht der Gedanke der Einheit der Rechtsordnung dafür, von einer Anrechnung auch im Rahmen der Einnahmen zum Lebensunterhalt bei Sachverhalten nach dem SGB V abzusehen.
Damit verringern sich die berücksichtigungsfähigen Einnahmen auf 1557,53 Euro und die Differenz zur Belastungsgrenze des § 55 Abs. 2 SGB V auf 75,28 Euro. Zieht man das 3fache dieser Differenz (225,84 Euro) von dem Festzuschuss iHv 1110,06 Euro ab, verbleibt ein Zuschuss iHv 884,22 Euro. Damit ergibt sich eine noch zu zahlende Differenz zu dem ausgezahlten Zuschuss von 107,22 Euro iHv 777,- Euro.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG. Die Revision wurde zugelassen, da es bisher keine höchstrichterliche Rechtsprechung zu der hier konkret streitigen Frage gibt.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um einen weiteren Zuschuss zu Zahnersatzkosten. Im Streit steht dabei die Anrechnung der vom Jugendamt für die Vollpflege der Urenkelin der Klägerin gezahlten Leistungen.
Mit Heil-und Kostenplan vom 18. Oktober 2013 genehmigte die Beklagte für den Zahnersatz der Klägerin einen Festzuschuss von 1110,06 EUR.
Mit Antrag vom 21. Oktober 2013 beantragte die Klägerin die Übernahme der Zahnersatzkosten über den Festzuschuss hinaus und reichte hierzu Einkommensunterlagen bei der Beklagten ein, nämlich die Versorgungsmitteilung der Hansestadt Hamburg, den Rentenbescheid der Deutschen Rentenversicherung sowie den Bescheid des Bezirksamtes H. über die Hilfe zur Erziehung ihrer sechsjährigen Urenkelin, die bei der Klägerin als Pflegekind lebt.
Mit Bescheid vom 21. November 2013 bewilligte die Beklagte der Klägerin einen weiteren Zuschuss in Höhe von 107,22 EUR. Die Berechnung fügte sie als Anlage bei.
Gegen den Bescheid legte die Klägerin Widerspruch ein. Zur Begründung führte sie aus, dass die Pflegeleistungen gem. §§ 33, 39 Sozialgesetzbuch Achtes Buch (SGB VIII) für ihr Urenkelkind C. eine Einkommensart sei, die bei der Ermittlung der Härtefallgrenze für Zahnersatz keine Berücksichtigung finden dürfe.
Mit Widerspruchsbescheid vom 24 Februar 2014 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin zurück. Zur Begründung führte sie aus, Versicherte hätten gem. § 55 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) Anspruch auf befundbezogene Festzuschüsse bei einer medizinisch notwendigen Versorgung mit Zahnersatz einschließlich Zahnkronen und Suprakonstruktionen (zahnärztliche und zahntechnische Leistungen) in den Fällen, in denen eine zahnprothetische Versorgung notwendig ist und die geplante Versorgung einer Methode entspricht, die gemäß § 135 Abs. 1 SGB V anerkannt ist. Die Festzuschüsse umfassten 50% der nach § 57 Abs. 1 Satz 6 und Absatz 2 Satz 5 und 6 SGB V festgesetzten Beträge für die jeweilige Regelversorgung. Gem. § 55 Abs. 2 SGB V hätten Versicherte bei der Versorgung mit Zahnersatz zusätzlich zu den Festzuschüssen nach § 55 Absatz 1 Satz 2 SGB V Anspruch auf einen Betrag in jeweils gleicher Höhe, angepasst an die Höhe der für die Regelversorgungsleistungen tatsächlich anfallenden Kosten, höchstens jedoch in Höhe der tatsächlich entstandenen Kosten, wenn sie ansonsten unzumutbar belastet würden. Eine unzumutbare Belastung liege vor, wenn 1. die monatlichen Bruttoeinnahmen zum Lebensunterhalt des Versicherten 40 vom Hundert der monatlichen Bezugsgröße nach § 18 des Vierten Buches nicht überschritten, 2. der Versicherte Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem SGB XII oder im Rahmen der Kriegsopferfürsorge nach dem Bundesversorgungsgesetz, Leistungen nach dem Recht der bedarfsorientierten Grundsicherung, Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II, Ausbildungsförderung nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz oder SGB III erhalte oder 3. die Kosten der Unterbringung in einem Heim oder einer ähnlichen Einrichtung von einem Träger der Sozialhilfe oder der Kriegsopferfürsorge getragen würden. Als Einnahmen zum Lebensunterhalt der Versicherten gelten auch die Einnahmen anderer in dem gemeinsamen Haushalt lebender Angehöriger und Angehöriger des Lebenspartners. Der in Satz 2 Nr. 1 genannte Vomhundertsatz erhöhe sich für den ersten in dem gemeinsamen Haushalt lebenden Angehörigen des Versicherten um 15 % der monatlichen Bezugsgröße nach § 18 SGB IV (im Jahr 2013: 404,25 EUR). Die Klägerin lebe mit ihrem Pflegekind C. in einem gemeinsamen Haushalt zusammen. Die monatlichen Bruttoeinnahmen würden unter Berücksichtigung des Gemeinsamen Rundschreibens zu Einnahmen zum Lebensunterhalt der Krankenkassen vom 6. Juni 2013 festgelegt. Im Falle des Bezuges von Pflegegeld nach § 33/39 SGB VIII gelte folgendes: "Personen, die ein fremdes Kind versorgen und erziehen, erhalten in bestimmten Fällen wegen der dadurch entstehenden Kosten, finanzielle Leistungen aus öffentlichen Mitteln. Obwohl diese Leistungen dem Kind zustehen, dienen sie doch der Stärkung der Unterhaltsfähigkeit der Pflegeeltern in vollem Umfang und sind demnach bei der Beurteilung der Einkommensverhältnisse den Pflegeeltern als Einnahmen zum Lebensunterhalt zuzuordnen.". Zur Ermittlung der monatlichen Bruttoeinnahmen zum Lebensunterhalt sei daher auch das Pflegegeld nach § 33/39 SGB VIII für C. heranzuziehen. Die Bruttoeinnahmen betrügen: 1. gesetzliche Rente 957,14 EUR 2. laufender Versorgungsbezug +123,39 EUR 3. Pflegegeld nach §§ 33/39 SGB VIII für C. +736,00 EUR 1816,53 EUR Die Grenze für eine unzumutbare Belastung betrage für das Jahr 2013: 40% der monatlichen Bezugsgröße nach § 18 SGB IV 1078,00 EUR 15% der monatlichen Bezugsgröße nach § 18 SGB VI +404,25 EUR 1482,25 EUR Da die Bruttoeinnahmen zum Lebensunterhalt den Höchstbetrag für das Jahr 2013 überschritten, könne ein doppelter Festzuschuss nicht gezahlt werden. Es liege keine unzumutbare Belastung vor. Es käme die gleitende Härtefallregelung zur Anwendung (Zuschuss des bereits bewilligten Betrages in Höhe von 107,22 EUR).
Die Klägerin hat daraufhin am 3. März 2014 Klage erhoben mit dem Ziel, einen Härtefall für die Zahnersatzversorgung festzustellen.
Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 20. Juni 2018 zurückgewiesen und dabei im Wesentlichen auf die Ausführungen des Widerspruchsbescheides Bezug genommen. Insbesondere sei das Pflegegeld nach §§ 33/39 SGB VIII zu berücksichtigen. Der Unterhaltsbeitrag für das Pflegekind diene der Bestreitung des allgemeinen Lebensunterhaltes. Der Unterhalt, den die Klägerin für ihr sechsjähriges Pflegekind erhalte, fließe in den gemeinsamen Haushalt ein und gehe in der gemeinsamen Haushalts- und Lebensführung auf. Er sei deshalb nicht trennbar von der Lebens- und Haushaltsführung der Klägerin. Das Existenzminimum des Kindes werde durch die Erhöhung der Belastungsgrenze gem. § 55 Abs. 2 Satz 5 SGB V gewahrt.
Die Klägerin hat gegen das ihr am 11. Juli 2018 zugestellte Urteil am 10. August 2018 Berufung eingelegt, die sie nicht weiter begründet hat.
Sie beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts vom 20. Juni 2018 aufzuheben und den Bescheid der Beklagten vom 21. November 2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. Februar 2014 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin 1.084,34 Euro zu den Zahnersatzkosten als Härtefall zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Prozessakte sowie der Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist statthaft, form- und fristgerecht gem. §§ 143, 151 Abs. 1 und 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) und daher zulässig. Sie ist auch teilweise begründet.
Das Sozialgericht hat die rechtlichen Grundlagen zutreffend dargestellt. Hierauf wird Bezug genommen.
Auf dieser Grundlage ist es zutreffend zu dem Ergebnis gekommen, dass die Klägerin nicht unter die starre Härtefallregelung des § 55 Abs. 2 SGB V fällt (dazu unter 1.). Jedoch hat die Beklagte in dem streitigen Bescheid den Zuschuss nach § 55 Abs. 3 SGB V (sog. gleitende Härtefallregelung) nicht zutreffend berechnet. Hier steht der Klägerin ein höherer Zuschuss zu (dazu unter 2.).
1. Das Sozialgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass es sich bei dem Pflegekind um einen Angehörigen iSd § 55 Abs. 2 Satz 3 SGB V handelt. Dafür ist allerdings nicht maßgeblich, dass es sich bei dem Kind um ein Pflegekind iSd SGB VIII handelt. Vielmehr ist entscheidend, dass es sich um die Urenkelin der Klägerin handelt. Der Begriff "Angehöriger" ist grundsätzlich so auszulegen, dass darunter der Ehegatte, der (gleichgeschlechtliche) Lebenspartner (§ 11 Abs. 1 LPartG), die Verwandten (§ 1589 BGB) und die Verschwägerten (§ 1590 BGB) des Versicherten fallen. Deren Einnahmen sind bei der Feststellung der monatlichen Bruttoeinnahmen des Versicherten zu berücksichtigen (vgl. Altmiks, in: jurisPK-SGB V, 3. Aufl. 2016, § 55 Rn. 117; Nolte, in: Kassler Kommentar, 2018, § 55 Rn. 38). Als Urenkelin ist das Pflegekind mit der Klägerin verwandt iSd § 1589 BGB.
Das Sozialgericht ist damit zutreffend davon ausgegangen, dass die Zumutbarkeitsgrenze sich nach § 55 Abs. 2 Satz 5 SGB V um 15% auf 1482,25 Euro erhöht.
Die Klägerin selber verfügt zunächst über Einnahmen zum Lebensunterhalt iSd § 55 Abs. 2 SGB V iHv 1.080,53 Euro aus gesetzlicher Rente und Versorgungsbezug. Als Einnahme ist aber zusätzlich die Unterhaltsleistung des Jugendamtes iHv 541,- Euro anzusehen. Dabei kann es dahin stehen, ob diese Einnahme der Klägerin oder ihrer Urenkelin zuzurechnen ist, da – wie dargestellt – auch die Einnahmen der Urenkelin anzurechnen sind. Damit ergeben sich insgesamt berücksichtigungsfähige Einnahmen iHv 1.621,53 Euro. Diese liegen über der Zumutbarkeitsgrenze. Es kann daher dahinstehen, ob auch der im Bescheid des Jugendamtes als "Erstattung der Erziehungskosten" bezeichnete Betrag von 259,- Euro anrechnungsfähig ist, was man im Hinblick auf den mit der Leistung verfolgten Leistungsanreiz anzweifeln könnte.
Die Berücksichtigungsfähigkeit der Unterhaltsleistung des Jugendamtes ergibt sich aus Folgendem:
Nach der Rechtsprechung des BSG gehören zu den "Einnahmen zum Lebensunterhalt" nur diejenigen persönlichen Einnahmen, die der typischen Funktion des Arbeitsentgelts bei Pflichtversicherten entsprechen; zweckgebundene Zuwendungen wie z.B. Kindergeld sollten keine berücksichtigungsfähigen Einnahmen sein (vgl. BSG, Urt. v. 16.12.2003 – B 1 KR 26/01 R, Rn. 30; Urt. v. 22.04.2008 – B 1 KR 5/07 R, Rn. 15 mwN). Darunter fallen also die dem tatsächlichen Lebensunterhalt dienenden persönlichen Einnahmen (vgl. Nolte, in: Kasseler Kommentar, 2018, § 55 Rn. 34).
Bei diesem Verständnis sind die Unterhaltsleistungen iSd § 39 SGB VIII als Einnahmen zum Lebensunterhalt anzusehen. So umfasst der Sachaufwand iSv § 39 Abs. 1 Satz 2 SGB VIII die Kosten für Unterkunft, Ernährung, Bekleidung und Dinge des persönlichen Bedarfs und ist damit an den notwendigen Lebensunterhalt der § 20 SGB II bzw. § 27a SGB XII angelehnt (vgl. BT-Drs. 16/9299, S. 16; von Koppenfels-Spies, in: jurisPK-SGB VIII, 2018, § 39 Rn. 17). Es sind damit die klassischen Bedarfe des alltäglichen Lebens benannt. Selbst wenn man also diesen Leistungen eine Zweckbestimmung entnehmen wollte, so liegt dieser Zweck in der Deckung der Bedürfnisse des alltäglichen Lebens.
2. Allerdings ist die im Bescheid vom 23. November 2013 dargestellte Prüfung und Berechnung des gleitenden Härtefalles gem. § 55 Abs. 3 SGB V nicht zutreffend erfolgt.
Dabei ist zunächst die Differenz zwischen den monatlichen Bruttoeinnahmen zum Lebensunterhalt und der unter 1. genannten Zumutbarkeitsgrenze zu ermitteln. Hier hat die Beklagte den vollständigen, im Bescheid des Jugendamtes genannten Betrag von 736,- Euro berücksichtigt und ist daher von Einnahmen iHv 1816,53 Euro ausgegangen. Nach Ansicht des Senates sind jedoch die 259,- Euro, die als sog. Erziehungsgeld erbracht werden (im Bescheid des Jugendamtes bezeichnet als "Erst. d. Erziehungskosten"), nicht berücksichtigungsfähig.
Denn nach der Konzeption des Gesetzes ist Leistungsberechtigter dieser Leistung das Kind bzw. dessen Personensorgeberechtigter, nicht aber die Pflegeperson. Das spricht dagegen, dass diese Leistungen den Zweck haben, das Einkommen der Pflegeperson zu mehren (so auch BSG v. 29. März 2007 – B 7b AS 12/06 R; LSG Berlin-Brandenburg v. 7. September 2007 – L 24 KR 173/09 B ER). Nach den Gesetzesmaterialien soll mit diesen Leistungen ein Anreiz gesetzt werden, um die Bereitschaft zur Betreuung von Pflegekindern zu stärken (BR-Drucks 503/89, S. 73). Danach ist die Anreizfunktion der eigentliche Zweck der Leistung und nicht die Sicherung des Lebensunterhaltes. Ein dadurch bewirkter finanzieller Vorteil bei der Pflegeperson ist bloße Nebenfolge (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 11.03.2016 - L 1 KR 140/14). Im Übrigen ist das Erziehungsgeld auch im Rahmen des SGB II und des SGB XII von der Berücksichtigung als Einnahmen zum Lebensunterhalt ausgeschlossen (v. Koppenfels-Spiess, in: jurisPK SGB VIII, 2. Aufl. 2018, § 39 Rn. 49f). Ersteres gilt jedenfalls dann, wenn – wie hier – nicht mehr als zwei Pflegekinder betreut werden. Deswegen spricht der Gedanke der Einheit der Rechtsordnung dafür, von einer Anrechnung auch im Rahmen der Einnahmen zum Lebensunterhalt bei Sachverhalten nach dem SGB V abzusehen.
Damit verringern sich die berücksichtigungsfähigen Einnahmen auf 1557,53 Euro und die Differenz zur Belastungsgrenze des § 55 Abs. 2 SGB V auf 75,28 Euro. Zieht man das 3fache dieser Differenz (225,84 Euro) von dem Festzuschuss iHv 1110,06 Euro ab, verbleibt ein Zuschuss iHv 884,22 Euro. Damit ergibt sich eine noch zu zahlende Differenz zu dem ausgezahlten Zuschuss von 107,22 Euro iHv 777,- Euro.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG. Die Revision wurde zugelassen, da es bisher keine höchstrichterliche Rechtsprechung zu der hier konkret streitigen Frage gibt.
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