L 2 U 4/16

Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
-
Aktenzeichen
S 36 U 153/15
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 2 U 4/16
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Die Berufung wird zurückgewiesen. 2. Die Beklagte hat dem Kläger auch seine notwendigen außergerichtlichen Kosten im Berufungsverfahren zu erstatten. 3. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Feststellung eines Arbeitsunfalls.

Mit Schreiben vom 7. Februar 2015 stellte der Kläger bei der Beklagten einen Leistungsantrag. Er teilte mit, dass er sich am 19. Januar 2015 in einem Regionalzug von H. nach L. befunden habe. Im Großraumwagen habe er einen Mann (im Folgenden: T.) bemerkt, der nacheinander mehrere Frauen mit einem brennenden Feuerzeug bedroht habe. Die Frauen hätten daraufhin nach und nach den Großraumwagen verlassen. Als der Mann dann ein Blatt Papier angezündet und die Gefahr bestanden habe, dass er es auf eine Frau werfen könne, die mit dem Rücken zu ihm gesessen habe, habe er ihn aufgefordert, dies zu unterlassen. Der Mann habe ihm dann als Reaktion mehrere Faustschläge in das Gesicht und an den Hinterkopf versetzt. Er habe unter anderem auf der rechten Gesichtshälfte einen Jochbeinbruch erlitten. Ein Hauptnerv, der sich unter dem rechten Auge befinde und die rechte Gesichtshälfte kontrolliere, sei beschädigt worden und er leide unter weiteren Verletzungen.

Die Beklagte zog die Ermittlungsakte der Bundespolizeiinspektion K. und des Bundespolizeireviers L. bei. Die Zeugin S. führte gegenüber der Polizei aus, dass ihr der Täter durch das laute Aufsagen von kurzen Versen aufgefallen sei. Der Kläger habe auf Englisch zu ihm gesagt, dass er das Feuerzeug ausmachen solle. Sie habe gesehen, dass T. sich die Feuerzeugflamme an seine Hand und an den Sitz gehalten habe. Ein Mann vom Reinigungspersonal des Zuges sei von dem Kläger dann auf die Zündelei des T. mit der Bitte aufmerksam gemacht worden, etwas zu unternehmen. Als dieser gegangen sei, ohne etwas zu unternehmen, sei T. aufgesprungen und habe brutal auf den Kläger eingeschlagen.

Die Zeugin J. erklärte, dass T. moralisierend vor sich hin geredet habe. Es seien mehrere Fahrgäste aufgestanden und hätten das Abteil gewechselt. Nachdem niemand mehr T. gegenüber gesessen habe, habe das Reden aufgehört. Das nächste, was sie wahrgenommen habe, sei gewesen, dass der ältere Herr dem T. laut und fordernd zugerufen habe, er könne hier nicht zündeln. Sie habe sich dann umgeschaut und gesehen, wie T. ein Feuerzeug in der Hand gehalten, entzündet und mit der anderen Hand durch die Flamme gestrichen habe. Geraume Zeit später, es dürften etwa 5 Minuten gewesen sein, sei ein Reinigungsmitarbeiter der D. Bahn erschienen. Das spätere Opfer habe diesen Herrn angesprochen und ihn aufgefordert, T. das Feuerzeug abzunehmen. T. habe danach nicht mehr mit dem Feuerzeug gespielt und es auf die Fensterbank gelegt. Als der Reinigungsmitarbeiter sich ohne weiteren Handlungsplan entfernt habe, sei T. unmittelbar danach aufgestanden, auf den älteren Herrn zugegangen und habe ihn angesprochen, warum denn der Mitarbeiter sein Feuerzeug habe wegnehmen sollen. Dann habe T. unvermittelt mit der Faust auf den älteren Herrn eingeschlagen.

Die Zeugin M. gab an, dass T. ihr zuerst durch das "Herumtexten" aufgefallen sei. Eine Frau, die offenbar von dem Mann genervt gewesen sei, habe sich von diesem weg- und zu ihr hingesetzt. Zudem habe sie mitbekommen, dass ein vorbeikommender Mitarbeiter von den Fahrgästen gebeten worden sei, gegen diesen Mann, welcher mittlerweile mit einem Feuerzeug herumgespielt habe, etwas zu unternehmen. Mehrere Fahrgäste hätten den Mann dann gebeten, das Feuerzeug wegzulegen. Dann sei alles sehr schnell gegangen. T. habe sich einem Mann genähert und auf diesen ohne Kontrolle eingeschlagen.

Der Kläger sagte gegenüber der Polizei am 6. Februar 2015 aus, dass T. vier Personen belästigt habe und er ihn daraufhin angesprochen habe, dieses zu unterlassen. T. habe die anderen Personen mit seinem Feuerzeug belästigt, indem er dieses ständig angezündet habe. Er sei dann ohne Vorwarnung von T. angegriffen worden. In der Ermittlungsakte befindet sich zudem ein früheres Schreiben des Klägers vom 29. Januar 2015, in dem er den Tathergang wie folgt schilderte: Er habe im Zug einen jungen Mann bemerkt, der sein Feuerzeug an- und ausgemacht habe. Bald darauf habe dieser angefangen, einige junge Frauen zu belästigen, die ihm gegenüber gesessen hätten. Diese seien aufgestanden und weggegangen. Der Mann habe sich dann nach vorne bewegt und habe hinter einer Frau, die auf der anderen Seite des Ganges gesessen habe, angefangen, sie mit dem Feuerzeug zu belästigen. Die Frau habe ihm gesagt, dass er aufhören solle, und er habe dies getan. Er habe dann gesehen, dass der Mann versucht habe, ein Papier anzuzünden, und habe sich Sorgen gemacht, dass er dieses auf die Frau werfen und sie verbrennen würde. Er habe ihn angeschaut und gesagt, dass er aufhören solle, Feuer zu entzünden. T. habe sich dann erst hinter dem Sitz vor ihm versteckt, sei dann aufgesprungen und habe ihn attackiert.

Bei der Festnahme des T. soll dieser laut der von P. gefertigten Strafanzeige u.a. zu der Tat im Zug gesagt haben: "Ich habe mich erniedrigen lassen und da habe ich dem Schwein eine reingehauen ja, ich habe ihn geschlagen!" "Na und!".

Der Kläger stellte zudem einen Antrag auf Versorgung nach dem Opferentschädigungsgesetz.

Die Beklagte erließ am 1. Juni 2015 einen Bescheid, mit welchem sie die Gewährung von Leistungen aus Anlass des Ereignisses ablehnte. Nach den in der Akte der Staatsanwaltschaft dokumentierten Zeugenaussagen habe niemand gesehen, wie der Täter versucht habe, ein Papier anzuzünden. Des Weiteren sei geschildert worden, dass der Kläger eine Reinigungskraft gebeten habe, dem Mann das Feuerzeug wegzunehmen. Als die Reinigungskraft das Abteil verlassen habe, ohne etwas unternommen zu haben, sei der Mann dann auf den Kläger losgegangen. Gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 13a des Siebten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VII) setze Hilfeleisten ein aktives Handeln zu Gunsten eines Dritten voraus mit dem Willen des Helfers, die bestehende oder drohende Gefahr zu beseitigen bzw. zu mindern. Das Hantieren mit einem Feuerzeug, wie es von dem Kläger und von den Zeugen geschildert worden sei, stelle keine lebensbedrohliche Gefahr für Dritte dar. Eine gemeine Gefahr durch einen Brand im Zug sei ebenfalls nicht abzusehen gewesen. Somit seien die Anspruchsvoraussetzungen für die Anerkennung als Arbeitsunfall nicht gegeben. Es sei nicht zu beweisen, dass objektive Anhaltspunkte für eine Gefahrenlage vorgelegen hätten.

Gegen diese Entscheidung legte der Kläger Widerspruch ein. In einem Schreiben an die Opferhilfe vom 28. Mai 2015 führte der Kläger aus, dass der junge Mann versucht habe, mehrere junge Frauen anzuzünden. Dann habe er gesehen, wie dieser ein Stück Papier angezündet habe, und er habe geglaubt, dass er es auf die Haare der Frau vor ihm habe werfen wollen. Er habe ihn im normalen Ton gebeten, kein Feuer zu machen. Daraufhin habe der Mann ihn angegriffen.

Zudem hat der Kläger sinngemäß beim Sozialgericht Hamburg am 11. Juni 2015 gegen die Entscheidung der Beklagten Klage per E-Mail erhoben. Das Schreiben des Klägers ist formal an Kommissar P1 von der Bundespolizei gerichtet gewesen und u.a. auch an das Sozialgericht gesandt worden. Ihm sei der Rat gegeben worden, sich an den W. zu wenden. Da er kein Deutsch spreche, habe er um Unterstützung gebeten, die er nicht erhalten habe. Des Weiteren hat der Kläger um Übermittlung des Polizeiberichts, der an die Staatsanwaltschaft weitergegeben worden sei, gebeten. Der W. würde ihn nicht länger unterstützen. In seiner beigefügten E-Mail an Staatsanwalt Dr. B. hat der Kläger auch den Bescheid der Beklagten erwähnt und ausgeführt, dass das Recht falsch angewandt worden sei. Er brauche jemand, der Gesetze verstehe. Den Bescheid der Beklagten vom 1. Juni 2015 hat der Kläger ebenfalls beigefügt.

Mit Widerspruchsbescheid vom 7. Oktober 2015 hat die Beklagte den Widerspruch des Klägers zurückgewiesen. Die nachträgliche Schilderung des Klägers, dass der Beschuldigte versucht habe, ein Papier anzuzünden, um es auf einen Fahrgast zu werfen und diesen zu verbrennen, habe sich in keiner Zeugenaussage bestätigt. Auch der Kläger selbst habe diese Schilderung im Rahmen der Vernehmung am 6. Februar 2015 nicht zu Protokoll gegeben. Das Vorliegen eines drohenden Unglücksfalls oder einer gegenwärtig vorhandenen gemeinen Gefahr sei dem vorliegenden Sachverhalt somit nicht zu entnehmen. Das Spielen mit einem Feuerzeug bzw. das ständige Anzünden eines solchen erfülle nicht den Tatbestand eines drohenden Unglücksfalls oder einer gegenwärtig vorhandenen gemeinen Gefahr bzw. Not für die Allgemeinheit. Auch eine aktive Hilfeleistung bzw. eine konkrete Rettungshandlung zu Gunsten eines Dritten, die darüber hinaus auch noch eine erhebliche gegenwärtige Gefahrensituation für diese Person voraussetze, habe im Hinblick auf den vorliegenden Sachverhalt nicht bestanden. Nach der Rechtsprechung sei die subjektive Meinung des Versicherten nur dann erheblich, wenn sie in den objektiven Umständen eine ausreichende Stütze finde.

Nach Erhalt der Ladung des Sozialgerichts zur mündlichen Verhandlung hat sich der Kläger mit Schreiben vom 25. Oktober 2015 an das Gericht gewandt. Unter anderem hat er in diesem Schreiben gefragt, ob es nicht angemessen sei, sein Verfahren mit der Beklagten zu beschleunigen und herauszufinden, wer der Beklagten die falschen Informationen gegeben habe.

In der mündlichen Verhandlung am 27. Februar 2009 hat der Kläger erklärt: Er habe in dem Zugabteil gesessen und einen jungen Mann beobachtet, der das Zugabteil betreten habe und sich einige Reihen von ihm weggesetzt habe. Er habe ferner beobachtet, dass T. ein Feuerzeug aus seiner Tasche gezogen und mit diesem zunächst versuchte habe, indem er es immer wieder an- und ausgeknipst habe, dieses an die ihm im Gang gegenübersitzende weibliche Person mit gestrecktem Arm heranzuhalten. Diese sei dann aufgestanden und habe sich entfernt. Daraufhin habe T. versucht, die nächste Frau mit dem Feuerzeug in entsprechender Weise zu belästigen. Als diese ebenfalls weggegangen sei, habe er sich eine weitere Frau ausgesucht, die er mit seinem Feuerzeug belästigt habe. Nachdem auch die dritte Frau den Platz verlassen habe, habe sich T. eine Reihe weiter zu ihm hingesetzt. T. habe sich dann etwas hinter dem Sitz versteckt. Der Kläger habe nicht genau gesehen, was passiert sei, habe aber einen Teil von T. gesehen. Dann habe er gesehen, wie T. ein Stück Papier (Zeitungspapier) in seiner Hand gehalten habe, und er habe Feuer gesehen. Er habe geglaubt, dass T. das Stück Papier anzünden werde, um es auf die Frau zu werfen, die vor ihm gesessen habe.

Das Sozialgericht Hamburg hat der Klage mit Urteil vom 10. Dezember 2015 stattgegeben, die angefochtenen Bescheide aufgehoben und festgestellt, dass der Kläger am 19. Januar 2015 einen Versicherungsfall im Sinne der gesetzlichen Unfallversicherung erlitten habe. Unstreitig habe der Kläger einen Unfall erlitten, da er sich durch den Angriff eine Verletzung im Gesichtsbereich zugezogen habe. Der Kläger sei zum Unfallzeitpunkt auch eine im Rahmen der gesetzlichen Unfallversicherung versicherte Person gewesen. Gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 13a SGB VII seien Personen in der gesetzlichen Unfallversicherung versichert, die bei Unglücksfällen oder gemeiner Gefahr oder Not Hilfe leisteten oder einen anderen aus erheblicher gegenwärtiger Gefahr für seine Gesundheit retteten. Gefahr sei dabei ein Zustand, in dem nach den objektiven Umständen der Eintritt eines Schadens als wahrscheinlich gelten könne. Eine gemeine Gefahr sei gegeben, wenn sie der Allgemeinheit (auch wenn nur eine einzelne Person in den Bereich gerate) oder Öffentlichkeit drohe, also beliebige Personen oder Sachen treffen könne, die in den Gefahrenbereich gelangten oder sich in ihm befänden. Hilfe leisten setze ein aktives Handeln zu Gunsten eines Dritten voraus mit dem Willen des Helfers, die drohende oder bestehende Gefahr oder den Schaden zu beseitigen bzw. zu mindern. Ein innerer Zusammenhang zwischen Hilfeleistung und Unglücksfall bestehe, wenn das Handeln auf das Verhüten eines Unglücksfalls gerichtet sei, mithin der Eintritt unmittelbar drohe. Zudem bestehe der Versicherungsschutz zwar nur, solange der Unglücksfall, die Gefahr oder der Angriff andauere und zu dessen bzw. deren Abwehr gehandelt werde. Jedoch sei eine längere Überlegung und sichere Abgrenzung bei der sekundenschnell zu leistenden Hilfe nicht zumutbar und würde dem notwendigen spontanen Helfen entgegenstehen. Ausreichend müsse es daher sein, wenn der Helfer von seinem Standpunkt aus der Auffassung habe sein können, dass seine Hilfeleistung den möglichen Eintritt eines Schadens verhindern könne. Die subjektive Meinung des Versicherten sei nur dann erheblich, wenn sie in den objektiven, von ihm erkennbaren Umständen eine ausreichende Stütze finde, mögen sie auch tatsächlich nicht zutreffen, ferner er sein Handeln nach seinen eigenen subjektiven Vorstellungen als nützlich ansehe. Der Kläger habe im Rahmen der mündlichen Verhandlung ohne inneren Widerspruch und nachvollziehbar noch einmal die gesamte Situation in dem Zugabteil zum Unfallzeitpunkt geschildert. Ernsthafte Zweifel an der Darstellung seien nicht aufgetreten. Danach habe der Kläger im Rahmen seiner Möglichkeiten, durch die Aufforderung an den Täter "stop lighting fire!", aktiv ein weiteres, für die anwesenden Personen im Zugabteil als gefährlich einzustufendes Zündeln bzw. Feuerentfachen des Täters unterbinden wollen, um nach seiner subjektiven Ansicht, welche durch die objektiven Umstände gestützt worden sei, dadurch eine gemeine Gefahr in einem voll besetzten Zugabteil der D. Bahn abzuwenden. Die von dem Kläger insbesondere in der mündlichen Verhandlung noch einmal plausibel zum Ausdruck gebrachte tiefe Sorge einer unmittelbaren Gefährdung der Gesundheit von Menschen (bzw. mindestens einer Person) in einem Zugabteil sei auch durch die äußeren Umstände objektiv nachvollziehbar. Festzuhalten sei nämlich, dass es sich bei dem späteren Täter offenbar um eine Person gehandelt habe, die bereits im Vorwege provokativ andere Fahrgäste mit dem Anzünden eines Feuerzeuges belästigt habe und insbesondere auch nicht aufgehört habe, als die von ihm belästigten Personen sich jeweils entfernt hätten. Anzeichen dafür, dass der Täter mit dem Anzünden bzw. Zündeln aufhören würde, hätten zum Zeitpunkt des verbalen Eingreifens des Klägers nicht bestanden. Im Gegenteil habe sich der Täter nicht nur dem Kläger im Rahmen des "Sitze-Vorrückens" physisch genähert, vielmehr sei die Situation nach den für den Kläger ersichtlichen Umständen im Rahmen des Erkennens eines realen Feuers im Zugabteil derart eskaliert, dass die spontane und aktive Aufforderung an den Täter, das Feuermachen einzustellen, in diesem Augenblick für den Kläger das einzig vertretbare Eingreifen dargestellt habe, insbesondere im Hinblick auf die Gefährdung der direkt vor dem Täter sitzenden Person. Für die Kammer sei es nachvollziehbar, dass der Täter erst durch dieses Eingreifen des Klägers von weiteren Zündeleien Abstand genommen habe, so dass durch die aktive an den Täter gerichtete Aufforderung die Gefährdung für die Allgemeinheit abgewendet worden sei. Die von der Beklagten auf der Grundlage der Zeugenaussagen getroffenen Schlussfolgerungen könnten in Anbetracht der detaillierten und sehr gut nachvollziehbaren Schilderung des Klägers in der mündlichen Verhandlung nicht überzeugen. Insbesondere werde die für die Kammer entscheidungserhebliche Feststellung, dass allein der Kläger das Feuer des Täters gesehen habe und es unmittelbar nach dem Eingreifen des Klägers zu dem Angriff gekommen sei, nicht durch die Zeugenaussagen in Frage gestellt, da der Kläger aufgrund seiner Sitzposition im Zugabteil zum Täter offenbar als einziger die Möglichkeit gehabt habe, das vom Täter entfachte Feuer zu erblicken. Im Hinblick auf den von den Zeuginnen wahrgenommenen Mitarbeiter der D. Bahn, welcher nichts unternommen habe, sei zu konstatieren, dass wenigstens die Zeugin M. auch bezeugt habe, dass dieser nicht vom Kläger, sondern von "den Fahrgästen" gebeten worden sei, etwas gegen den Mann zu unternehmen. Auch sei für die offenbare Unvollständigkeit der Zeugenaussagen und lückenhafte Wahrnehmung der Zeuginnen bezeichnend, dass keine Zeugin die für die Kammer gegebene initiale Belästigung der anderen Frauen durch das Feuerzeug des Täters zu Protokoll der Polizei gegeben habe. Diese Darstellung finde sich aber insbesondere bei dem Kläger durchgehend und stimmig, angefangen bei der unmittelbar erfolgten Vernehmung durch die Bahnpolizei bis zum Tage der mündlichen Verhandlung.

Gegen das ihr am 21. Dezember 2015 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 12. Januar 2016 Berufung eingelegt. Der Kläger habe in der mündlichen Verhandlung die Gefahrensituation anders geschildert als im Verwaltungs- und Widerspruchsverfahren. Die objektiven Umstände hätten eine Gefahrenlage nicht bestätigt. Laut Rechtsprechung hätten die Erstangaben des Klägers im Verwaltungsverfahren bei der Beweiswürdigung besonderes Gewicht, da sie als unbefangener anzusehen seien. Darüber hinaus seien sie zeitnäher und würden auf frischeren Erinnerungen beruhen.

Die Beklagte beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 10. Dezember 2015 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt sinngemäß nach Aktenlage, die Berufung zurückzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Prozessakte und die Verwaltungsakte sowie die Kopien aus der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsakte ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte im Termin vom 27. Februar 2019 auch in Abwesenheit des Klägers entscheiden, da dieser ordnungsgemäß geladen war und in der Ladung auf diese Möglichkeit hingewiesen worden ist (vgl. § 110 Abs. 1 S. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG)).

Die statthafte (§§ 143, 144 SGG) und auch im Übrigen zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte (§ 151 SGG) Berufung ist unbegründet. Das SG hat der zulässigen kombinierten Anfechtungs- und Feststellungsklage (§ 54 Abs. 1 i.V.m. § 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG) zu Recht stattgegeben. Die Klage war auch zulässig. Der Kläger hatte sich zwar zunächst nur entgegen der Formvorschriften der §§ 90, 65a SGG mit einfacher E-Mail vom 11. Juni 2015 und ohne ein konkretes Klageanliegen an das Gericht gewandt. Mit seinem Schreiben vom 25. Oktober 2015, in dem sich der Kläger u. a. auch gegen die Ablehnung seines Antrags bei der Beklagten wendet, hat er dann jedoch den Formvorschriften genügt. Dieses Schreiben ist auch binnen eines Monats nach Erlass des Widerspruchsbescheids vom 7. Oktober 2015 am 26. Oktober 2015 bei Gericht eingegangen.

Die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind rechtswidrig. Der Kläger erlitt durch den Faustschlag des T. einen Arbeitsunfall. Für einen Arbeitsunfall ist nach § 8 Abs. 1 SGB VII in der Regel erforderlich, dass die Verrichtung des Versicherten zur Zeit des Unfalls der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist (innerer bzw. sachlicher Zusammenhang), dass diese Verrichtung zu dem zeitlich begrenzten, von außen auf den Körper einwirkenden Ereignis –dem Unfallereignis – geführt hat (Unfallkausalität) und dass das Unfallereignis einen Gesundheitserstschaden oder den Tod des Versicherten verursacht hat (haftungsbegründende Kausalität); das Entstehen von längerandauernden Unfallfolgen aufgrund des Gesundheitserstschadens (haftungsausfüllende Kausalität) ist hingegen keine Voraussetzung für die Anerkennung eines Arbeitsunfalls, sondern für die Gewährung einer Verletztenrente (BSG, Urteil vom 3. April 2014 – B 2 U 25/12 R, BSGE 115, 256). Der Kläger erlitt einen Unfall, als er durch den Faustschlag des T. verletzt wurde.

Der Kläger war zu diesem Zeitpunkt, als er seine Verletzung erlitten hat, auch als Nothelfer versichert. Nach § 2 Abs. 1 Nr. 13a SGB VII sind Personen, die bei Unglücksfällen oder gemeiner Gefahr oder Not Hilfe leisten oder einen anderen aus erheblicher gegenwärtiger Gefahr für seine Gesundheit retten, kraft Gesetzes versichert. Es steht nach den Angaben der Zeugen und des Klägers zur Überzeugung des Senats fest, dass sich T. vor dem Angriff auf den Kläger auffällig verhalten hat. Er ist unruhig gewesen, hat vor sich hingesprochen, und es haben sich andere Mitreisende von ihm weggesetzt. Zudem ist davon auszugehen, dass T. ein Feuerzeug dabei hatte und dieses auch angezündet hat. Der Kläger gibt als einziger an, dass T. mit dem Feuerzeug ein Stück Papier in Brand setzen und eine mitreisende Frau damit habe bewerfen wollen. Die anderen Zeuginnen haben dagegen nur beobachtet, dass T. das Feuerzeug immer wieder an- und ausgeklickt habe bzw. seine Hand in die Flamme gehalten habe. Eine Zeugin berichtete, dass T. die Flamme an einen Sitz gehalten habe.

Zum einen liegt hier der Tatbestand des Hilfeleistens bei gemeiner Gefahr vor. Gemeine Gefahr ist ein Zustand, in dem nach den objektiven Umständen der Eintritt eines Schadens als wahrscheinlich gelten kann bzw. ein Zustand, bei dem wegen einer ungewöhnlichen Gefahrenlage ohne sofortiges Einschreiten eine erhebliche Schädigung von Personen oder bedeutenden Sachwerten unmittelbar bevorsteht (BSG, Urteil vom 13. September 2005 – B 2 U 6/05 R, SozR 4-2700 § 2 Nr. 7). Eine gemeine Gefahr ist gegeben, wenn sie der Allgemeinheit oder Öffentlichkeit droht, also beliebige Personen oder Sachen treffen kann, die in den Gefahrenbereich gelangen oder sich in ihm befinden; es genügt, wenn nur eine einzige Person in diesen Bereich gerät oder gefährdet erscheint (BSG, Urteil vom 29. September 1992 – 2 RU 44/91, SozR 3-2200 § 539 Nr. 19). Der drohende Schaden muss erheblich sein, Bagatellunfälle genügen nicht. Die Gefahr muss gegenwärtig sein, d.h. zur Zeit der Hilfeleistung muss eine akute Gefahr bestehen. Allein die Tatsache, dass sich T. in dem öffentlichen Zug ungewöhnlich verhalten und an seinem Platz mit einem Feuerzeug herumgespielt hat, würde objektiv noch keine gemeine Gefahr begründen. Sollte T. dagegen, wie vom Kläger vorgetragen, Mitreisende belästigt haben und ein Stück Papier an die Flamme des Feuerzeugs gehalten haben, wird eine gemeine Gefahr vorgelegen haben. Gleiches gilt, wenn T. die Flamme an einen Sitz im Zug gehalten hat. Letztlich kann es dahinstehen, ob T. tatsächlich ein Papier oder einen Sitz in Flammen setzen wollte. Denn ausreichend ist die subjektive Ansicht des Versicherten, wenn sie in den objektiv gegebenen Verhältnissen eine ausreichende Stütze findet (BSG, Urteil vom 30. August 1984 – 2 RU 42/83, BSGE 57, 134). Der Kläger hat durchgehend vorgetragen, dass er der Auffassung gewesen sei, T. könne ein brennendes Stück Papier auf eine Mitreisende werfen. Dies findet sich auch schon in Schreiben des Klägers vor seiner polizeilichen Vernehmung am 6. Februar 2015. Es steht fest, dass T. sich tatsächlich ungewöhnlich verhalten hat und mit einem Feuerzeug hantiert hat. Die Annahme des Klägers, es könne eine Gefahr für andere Mitreisende des Zuges vorgelegen haben, findet daher eine objektive Stütze. Auch die Reaktion des T. auf die Aufforderung, das Feuerzeug auszumachen, bestätigt letztlich die Annahme des Klägers, dass sich T. aggressiv und unberechenbar verhalten könnte. In Betracht kommt ferner die Tatbestandsalternative einen anderen aus einer gegenwärtigen erheblichen Gefahr zu retten. Auch hier ist zu berücksichtigen, dass der Kläger zumindest subjektiv davon ausgehen konnte, dass eine gegenwärtige erhebliche Gefahr aufgrund des Verhaltens des T. bestand.

Hilfeleisten ist ein aktives Handeln zu Gunsten des Dritten mit dem Willen des Helfers, die drohende oder bestehende Gefahr oder den Schaden zu beseitigen oder zu mindern (vgl. BSG, Urteil vom 26. Mai 1977 – 2 RU 80/76, BSGE 44, 22). Das verbale Einwirken durch die Aufforderung an T., das Feuerzeug auszulassen, bzw. die Bitte an den Zugbegleiter, T. hierzu aufzufordern, genügt den Voraussetzungen an ein Hilfeleisten. Ernsthafte Zweifel an den Absichten des Klägers, eine Gefahr abzuwenden und sich nicht nur, weil er sich selbst gestört gefühlt hat bzw. T. maßregeln wollte, an ihn gewandt zu haben, bestehen nicht.

Unerheblich ist auch, dass im Zeitpunkt der Verletzung des Klägers die gemeine Gefahr bzw. die erhebliche Gefahr für eine andere Person nicht mehr bestanden hat. T. hatte bereits aufgehört, mit dem Feuerzeug zu spielen, und seine Aggression hat sich allein gegen den Kläger gewandt. Nach der Rechtsprechung des BSG ist der Angriff eines Täters auf einen Nothelfer jedoch ein Arbeitsunfall, wenn dieser Angriff durch die Hilfeleistung und den persönlichen Einsatz des Helfers zu Gunsten eines Opfers, als dieses von dem Täter körperlich angegriffen worden ist, verursacht wurde und dieser Hilfeleistung zuzurechnen ist (BSG, Urteil vom 18. November 2008 – B 2 U 27/07, juris). Denn ähnlich wie bei einer Vor- oder Nachbereitungshandlung komme Versicherungsschutz in Betracht, wenn der Angriff einen besonders engen sachlichen, örtlichen und zeitlichen Zusammenhang mit der eigentlichen versicherten Tätigkeit – also der Hilfeleistung – aufweise (BSG, a.a.O.). Gegen eine Beschränkung des Versicherungsschutzes allein auf die Zeit der Hilfeleistung unter Ausschluss eines durch die Hilfeleistung verursachten und ihr zuzurechnenden Racheaktes spreche der mit den Versicherungstatbeständen des § 2 Abs. 1 Nr. 13a und 13c SGB VII verfolgte Zweck des Gesetzgebers, das Eintreten für andere in solchen Gefahrensituationen unfallversicherungsrechtlich abzusichern, was auch in dem durch den bei diesen Versicherungstatbeständen ausnahmsweise zugebilligten Sachschadensersatz nach § 13 SGB VII deutlich werde (BSG, a.a.O.). Vorliegend liegt ein enger sachlicher, zeitlicher und auch örtlicher Zusammenhang mit der eigentlichen versicherten Tätigkeit vor. Es können zwischen der Aufforderung des Klägers, das Feuerzeug auszumachen, und dem nachfolgenden Angriff des T. nur wenige Minuten vergangen sein. Auch eine räumliche Entfernung war noch nicht eingetreten. Das Motiv des T. war Rache, wie sich aus seiner späteren Angabe ergibt, dass er sich wegen der Einmischung des Klägers erniedrigt gefühlt habe, so dass auch ein sachlicher Zusammenhang gegeben ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt dem Ausgang des Rechtsstreits.

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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