L 4 AS 358/16

Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
4
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 23 AS 2562/11
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 4 AS 358/16
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Die Berufung wird zurückgewiesen. 2. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. 3. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger wendet sich gegen die Aufhebung und Rückforderung von Leistungen für den Zeitraum von Oktober 2010 bis März 2011.

Der 1951 geborene, im streitgegenständlichen Zeitraum erwerbsfähige Kläger bezog bis einschließlich Januar 2011 Arbeitslosengeld I (Alg I) nach dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch (SGB III). Daneben und danach erhielt er (aufstockend) Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) vom Beklagten. Mit Bescheid vom 1. Juni 2010 waren ihm für die Monate Oktober bis Dezember 2010 Leistungen in Höhe von monatlich 183,45 Euro bewilligt worden. Dabei hatte der Beklagte einen Bedarf in Höhe von 1.202,25 Euro (359,- Euro Regelsatz und 843,25 Euro Kosten der Unterkunft und Heizung) sowie Einkommen aus Alg I in Höhe von 1.048,80 Euro abzüglich eines Freibetrags von 30,- Euro berücksichtigt. Mit Bescheid vom 1. Dezember 2010 bewilligte der Beklagte für den Monat Januar 2011 Leistungen in Höhe von 182,45 Euro, für die Monate Februar und März 2011 in Höhe von monatlich 1.207,25 Euro. Infolge der Erhöhung des Regelsatzes wurden mit Änderungsbescheid vom 26. März 2011 für den Monat Januar 2011 Leistungen in Höhe von 187,45 Euro (Bedarf: 364,- Euro Regelsatz und 843,25 Euro Unterkunftskosten; Einkommen aus Arbeitslosengeld I: 1019,80 Euro) bewilligt, für die Monate Februar und März 2011 in Höhe von monatlich 1.207,25 Euro (Bedarf wie im Januar 2011, kein Einkommen).

Der Kläger hatte ein arbeitsgerichtliches Verfahren gegen seinen ehemaligen Arbeitgeber, die Firma A. GmbH geführt. Dieses war im August 2010 durch Abschluss eines Vergleichs beendet worden, mit dem sich die A. GmbH verpflichtet hatte, an den Kläger restliche Abfindung gem. § 1a Kündigungsschutzgesetz in Höhe von 5.838,- Euro brutto zu zahlen. Am 6. Oktober 2010 erhielt der Kläger den sich daraus ergebenden Nettobetrag in Höhe von 4.904,83 Euro von Herrn Rechtsanwalt F., der ihn vor dem Arbeitsgericht vertreten hatte, in bar ausgezahlt.

Der Beklagte erhielt im Dezember 2010 im Rahmen eines Datenabgleichs nach § 52 SGB II die Mitteilung, der Kläger sei im September 2010 bei der A. GmbH beschäftigt gewesen. Auf Nachfrage des Beklagten teilte die A. GmbH mit, der Kläger sei im September nicht beschäftigt gewesen und übersandte eine Verdienstabrechnung, in der für den Monat September 2010 die oben genannte Abfindungszahlung aufgeführt war.

Mit Schreiben vom 19. Januar 2011 teilte der Beklagte dem Kläger mit, dieser habe nach seinen Erkenntnissen in der Zeit vom 1. September 2010 bis zum 31. Dezember 2010 Arbeitslosengeld II zu Unrecht bezogen. Aufgrund der Abfindung errechne sich kein Leistungsanspruch mehr. Der Kläger habe die Überzahlung verursacht, da er eine für den Leistungsanspruch erhebliche Änderung in seinen Verhältnissen nicht angezeigt habe. Der Kläger erhalte Gelegenheit, hierzu Stellung zu nehmen. Der Kläger antwortete hierauf, er habe nicht zu viel erhalten. Er habe Schulden bei seinem Kreditinstitut und bei Freunden in Höhe von ca. 6.000,- Euro.

Am 4. Mai 2011 erließ der Beklagte einen Aufhebungs- und Erstattungsbescheid, mit dem er die Bewilligungsentscheidungen vom 1. Juni 2010 und vom 1. Dezember 2010 für den Zeitraum vom 1. Oktober 2010 bis zum 31. Januar 2011 ganz und für den Zeitraum vom 1. Februar 2011 bis zum 31. März 2011 teilweise aufhob und insgesamt einen Betrag in Höhe von 2.312,74 Euro erstattet verlangte. Zur Begründung führte er aus, der Kläger habe während des genannten Zeitraums Einkommen aus einer Abfindung erzielt. Infolgedessen sei er nicht in bisher festgestellter und bewilligter Höhe hilfebedürftig. Als Rechtsgrundlage wurde § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) angegeben. Ebenfalls am 4. Mai 2011 erging ein Änderungsbescheid, mit dem für den Zeitraum vom 1. Februar 2011 bis zum 31. März 2011 Leistungen in Höhe von monatlich 419,78 Euro bewilligt wurden. Dabei wurde ein Bedarf von 1.207,25 Euro berücksichtigt und ein Einkommen in Höhe von 787,47 Euro (817,47 Euro abzüglich 30,- Euro Freibetrag) angerechnet. Zur Begründung hieß es, die Zahlung der Abfindung zähle als Einkommen. Sie sei als einmalige Einnahme in Teilbeträgen für den Zeitraum vom 1. Oktober 2010 bis zum 31. März 2011 anzurechnen gewesen.

Mit Schreiben vom 16. Mai 2011 erhob der Kläger Widerspruch. Er führte aus, er könne nicht etwas zurückzahlen, was er nicht erhalten habe. Seit ca. zwei Jahren habe er als regelmäßige Einkünfte nur die Zahlungen des Beklagten. Die Abfindung sei keine Abfindung im eigentlichen Sinne gewesen, sondern eine Nachzahlung für nicht gezahlte vertraglich zustehende Gehaltszahlungen aus den Jahren bis einschließlich 2008. Sie habe ihm auch nicht zur Verfügung gestanden, sondern sei gegen ausstehende Verpflichtungen aus der Zeit vor 2009 gegengerechnet worden. Diese Schulden seien auch durch die Nichtzahlung von Lohn entstanden.

Der Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 27. Juni 2011 zurück und führte zur Begründung aus: Die ursprüngliche Bewilligungsentscheidung sei aufgrund einer Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen, die der Kläger entgegen seiner gesetzlichen Pflichten nicht mitgeteilt habe, gem. § 48 Abs. 1 Satz 1 und 2 Nr. 2 SGB X aufzuheben gewesen. Der Kläger habe die Auszahlung der Abfindungssumme zumindest grob fahrlässig gegenüber dem Beklagten nicht angegeben. Die Abfindung sei als Einkommen zu berücksichtigen gewesen. Als einmalige Einnahme sei sie auf einen Zeitraum von sechs Monaten aufzuteilen, d.h. mit monatlich 817,47 Euro anzusetzen. Als Freibetrag sei die Versicherungspauschale in Höhe von 30,- Euro zu berücksichtigen, sodass 787,47 Euro monatlich anzurechnen seien. In den Monaten Oktober 2010 bis Januar 2011 seien unter Berücksichtigung dieses Einkommens die Leistungen ganz zurückzufordern gewesen. In den Monaten Februar und März 2011 in Höhe von je 787,47 Euro.

Am 29. Juli 2011 hat der Kläger Klage zum Sozialgericht Hamburg erhoben. Zur Begründung hat er sich auf seinen Vortrag im Widerspruchsverfahren berufen. Ergänzend hat er ausgeführt, er habe im Oktober 2010 den angegebenen Betrag von 4.904,83 Euro zwar erhalten, diesen aber sofort zur Tilgung von Schulden eingesetzt.

Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 29. August 2016 abgewiesen. Es hat ausgeführt, der Aufhebungs- und Erstattungsbescheid finde seine Rechtsgrundlage in § 48 Abs. 1 Satz 1 und 2 Nr. 2 i.V.m. § 50 SGB X. Zur Begründung hat es weitgehend Bezug genommen auf die angefochtenen Bescheide und ergänzend aufgeführt, es stehe fest, dass der Kläger die Abfindungssumme von 4.904,83 Euro tatsächlich erhalten habe. Damit habe ihm das Geld zur Verfügung gestanden. Er hätte es für seinen Lebensunterhalt einsetzen müssen und könne sich nicht darauf berufen, damit Schulden getilgt zu haben.

Das Urteil ist dem Kläger am 16. September 2016 zugestellt worden. Am 4. Oktober 2016 hat er Berufung eingelegt. Zur Begründung hat er ausgeführt, mit dem Urteil werde faktisch verlangt, dass er Unterschlagung und Diebstahl begehe an Geldern, die er nur treuhänderisch erlangt habe. Außerdem habe er kein Geld. Er habe jahrelang vom Beklagten zu wenig zum Leben erhalten und deshalb Schulden machen müssen.

Der Kläger beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 29. August 2016 sowie den Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 4. Mai 2011 und den Änderungsbescheid vom 4. Mai 2011, jeweils in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. Juni 2011, aufzuheben.

Der Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen. Er bezieht sich auf die Ausführungen im Widerspruchsbescheid und im erstinstanzlichen Urteil.

Am 10. bzw. 18. November 2016 haben sich die Beteiligten mit einer Entscheidung des Rechtsstreits allein durch den Berichterstatter als Einzelrichter einverstanden erklärt.

Am 13. Juni 2019 hat der Senat den Rechtsstreit mündlich verhandelt. Der Kläger ist informatorisch befragt worden und hat folgendes mitgeteilt: Er habe die 4.904,83 Euro in der Kanzlei von Rechtsanwalt F. erhalten. Er sei dann direkt in eine andere Kanzlei gegangen und habe den Großteil des Geldes – bis auf 900,- Euro – dort zum Zweck der Schuldentilgung abgegeben. Die Kanzlei sei in einer Seitenstraße des Jungfernstiegs gelegen, an den Namen könne er sich nicht erinnern. Er habe Quittungen erhalten, besäße diese aber nicht mehr. Die Schulden hätten folgenden Hintergrund gehabt: Er sei zunächst bis 1992 Geschäftsführer eines Reiseveranstalters gewesen. In dieser Position habe er eine sog. Platinum-Karte erhalten, die es ihm ermöglicht habe, für sich selbst und seine Familie kostenlos Dienstleistungen von Fluggesellschaften und weiteren Vertragspartnern der Firma, z.B. Hotels, in Anspruch zu nehmen. 1992 sei die Firma an die A. GmbH verkauft worden. Vor dem Verkauf habe er noch eine Reise für sich und seine Familie gebucht, die erst nach dem Verkauf durchgeführt worden sei. In der A. GmbH sei er nicht mehr Geschäftsführer gewesen, zudem habe die A. GmbH keine Platinum-Karten erhalten. Infolgedessen seien die Kosten für die genannte Reise z.T. der A. GmbH in Rechnung gestellt worden, die diese Forderung an seinen alten Arbeitgeber weitergegeben habe. Insgesamt habe es sich um drei Forderung von Fluggesellschaften bzw. Hotels gehandelt, deren Gesamthöhe ca. 4.000,- Euro betragen habe. Sein alter Arbeitgeber habe keinen Titel diesbezüglich gegen ihn erwirkt; für ihn, den Kläger, sei es aber immer klar gewesen, dass er diese Kosten zu erstatten habe. Er habe dies zunächst nicht gekonnt, da er kein Geld gehabt habe. Mit Erhalt der Abfindung sei er dann in der Lage gewesen, die Forderung zu begleichen.

Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten und des Sachverhalts im Übrigen wird auf das Sitzungsprotokoll und den weiteren Inhalt der Prozessakte sowie der beigezogenen Akte verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.

Entscheidungsgründe:

I. Der Senat entscheidet mit Einverständnis der Beteiligten durch die Berichterstatterin als Einzelrichterin (§ 155 Abs. 3 und 4 Sozialgerichtsgesetz – SGG).

II. Die Berufung ist statthaft (§§ 143, 144 SGG) und auch im Übrigen zulässig, insbesondere form- und fristgerecht (§ 151 SGG) erhoben.

Sie ist jedoch nicht begründet. Die Klage, bei der es sich um eine reine Anfechtungsklage handelt, ist zulässig, aber nicht begründet. Streitgegenstand der Klage ist neben dem Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 4. Mai 2011 auch der am gleichen Tag ergangene Änderungsbescheid betreffend die Monate Februar und März 2011. Dieser setzt die teilweise Aufhebung der Leistungsbewilligung für die genannten Monate um und bildet insoweit eine Einheit mit dem Aufhebungs- und Erstattungsbescheid. Die Bescheide vom 4. Mai 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27. Juni 2011 sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten.

1. Die angefochtenen Bescheide sind zunächst formell rechtmäßig. Dabei kann dahin gestellt bleiben, ob bereits mit dem Schreiben vom 19. Januar 2011 eine ordnungsgemäße Anhörung gem. § 24 SGB X erfolgte, was insbesondere deshalb zweifelhaft erscheint, weil dieses nur den Zeitraum vom 1. Oktober 2010 bis zum 31. Dezember 2010 nennt. Denn jedenfalls mit Erlass der Bescheide vom 4. Mai 2011 war dem Kläger klar, dass es um die Aufhebung für den gesamten Zeitraum von Oktober 2010 bis März 2011 ging. Auch die maßgeblichen Tatsachen, auf die der Beklagte seine Entscheidung zuletzt – d.h. bei Erlass des Widerspruchsbescheids – stützte, nämlich die wesentliche Änderung in den Verhältnissen durch Zufluss der Abfindung sowie die Nichtmitteilung dieser Tatsache, waren dem Kläger durch das Schreiben vom 19. Januar 2011 bekannt. Er hatte somit spätestens im Rahmen des Widerspruchsverfahrens ausreichend Gelegenheit, sich hierzu zu äußern (zur Möglichkeit der Heilung eines Anhörungsfehlers im Widerspruchsverfahren vgl. BSG, Urteil vom 9.11.2010 – B 4 AS 37/09 R).

Dass § 48 SGB X nur hinsichtlich der Aufhebung der Bewilligung für den Zeitraum vom 1. Oktober 2010 bis zum 31. Dezember 2010 die richtige Rechtsgrundlage ist, nicht aber für den Zeitraum vom 1. Januar 2011 bis zum 31. März 2011 (dazu unten unter 4.), ist dabei unerheblich. Denn bezüglich der Frage, ob ein Anhörungsfehler vorliegt, ist von der materiell-rechtlichen Rechtsansicht der handelnden Verwaltungsbehörde auszugehen, mag sie auch falsch sein (vgl. BSG, Urteil vom 29.11.2012 – B 14 AS 6/12 R).

Auch die Anforderungen des Bestimmtheitsgebots (§ 33 Abs. 1 SGB X) sind erfüllt. Das Bestimmtheitserfordernis verlangt, dass der Verfügungssatz eines Verwaltungsakts nach seinem Regelungsgehalt in sich widerspruchsfrei ist. Der Betroffene muss bei Zugrundelegung der Erkenntnismöglichkeiten eines verständigen Empfängers und unter Berücksichtigung der jeweiligen Umstände des Einzelfalls in die Lage versetzt werden, die in ihm getroffene Rechtsfolge vollständig, klar und unzweideutig zu erkennen und sein Verhalten daran auszurichten. Ausreichende Klarheit kann auch dann bestehen, wenn zur Auslegung des Verfügungssatzes auf die Begründung des Verwaltungsakts, auf früher zwischen den Beteiligten ergangene Verwaltungsakte oder auf allgemein zugängliche Unterlagen zurückgegriffen werden muss (vgl. BSG, Urteil vom 25.10.2017 – B 14 AS 9/17 R, Rn. 17). Hinsichtlich der Monate Oktober 2010 bis Januar 2011 hebt der Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 4. Mail 2011 die Leistungsbewilligung vollständig auf, sodass sein Regelungsgehalt eindeutig ist. Für die Monate Januar und Februar 2011 ergibt sich zwar nicht aus dem Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 4. Mai 2011 allein, in welcher Höhe die dort verfügte teilweise Aufhebung der Bewilligung greifen soll. Dies lässt sich jedoch aus dem am gleichen Tag ergangenen Änderungsbescheid, auf den der Aufhebungs- und Erstattungsbescheid Bezug nimmt ("Näheres entnehmen Sie bitte dem Änderungsbescheid zum Bezug von Arbeitslosengeld II), eindeutig und unschwer erkennen.

2. Mit den Bescheiden vom 4. Mai 2011 sind auch alle vorherigen Bewilligungsentscheidungen für den Zeitraum vom 1. Oktober 2010 bis zum 31. März 2011 aufgehoben worden. Zwar wird der Änderungsbescheid vom 26. März 2011, der die Monate Januar bis März 2011 betrifft, weder im Aufhebungs- und Erstattungsbescheid noch im Änderungsbescheid vom 4. Mai 2011 konkret genannt. Eine Auslegung der Bescheide ergibt jedoch, dass auch der Änderungsbescheid vom 26. März 2011 von der Aufhebung mit umfasst sein sollte (zur Ermittlung der Reichweite einer Aufhebung durch Auslegung vgl. BSG, Urteil vom 25.10.2017 – B 14 AS 9/17 R, Rn. 25 ff.). Insbesondere dem Änderungsbescheid vom 4. Mai 2011 war zu entnehmen, dass hiermit eine vollständige Neuregelung der dem Kläger für die Monate Februar und März 2011 zustehenden Leistungen erfolgen sollte. Damit war auch erkennbar, dass die hiervon abweichende Bewilligung im Bescheid vom 26. März 2011 nicht bestehen bleiben sollte. Der Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 4. Mai 2011 brachte deutlich zum Ausdruck, dass die Bewilligung für den Monat Januar 2011 ganz aufgehoben werden sollte, dem Kläger für diesen Monat also keine Leistungen mehr verbleiben sollten.

3. Die vollständige Aufhebung der Bewilligungsentscheidung vom 1. Juni 2010 hinsichtlich der Monate Oktober bis Dezember 2010 findet ihre Rechtsgrundlage in § 40 Abs. 2 Nr. 3 SGB II i. V. m. § 330 Abs. 3 Satz 1 SGB III und § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X. Danach ist ein Verwaltungsakt mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufzuheben, wenn nach Antragstellung oder Erlass des Verwaltungsakts Einkommen oder Vermögen erzielt worden ist, das zum Wegfall oder zur Minderung des Anspruchs geführt haben würde. Daneben sind auch die Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB X erfüllt, wonach die rückwirkende Aufhebung erfolgt, wenn der Betroffene einer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger Änderungen der Verhältnisse vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen ist.

a. Unstreitig hat der Kläger am 6. Oktober 2010 einen Betrag in Höhe von 4.904,83 Euro in bar erhalten. Damit hat er nach Erlass des Bewilligungsbescheids vom 1. Juni 2010 Einkommen im Sinne des § 11 SGB II erzielt. Als Einkommen zu berücksichtigen sind grundsätzlich alle Einnahmen in Geld, § 11 Abs. 1 Satz 1 SGB II. Unerheblich ist dabei zunächst, aus welchem Grund (Abfindung, Nachzahlung von vorenthaltenem Lohn) bzw. für welchen Zeitraum die Einnahme erfolgt. Entscheidend ist allein der Zeitpunkt des tatsächlichen Zuflusses (vgl. dazu BSG, Urteil vom 28.10.2009 – B 14 AS 64/08 R, Rn. 15 ff. und Urteil vom 3.3.2009 – B 4 AS 47/08 R). Unerheblich ist ferner, ob der Kläger den erhaltenen Betrag ganz oder teilweise zeitnah zur Tilgung von Schulden wieder ausgegeben hat. Für eine Aufhebung nach § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 oder 3 SGB X kommt es allein darauf an, dass das Einkommen während des laufenden Bewilligungszeitraums zugeflossen ist und dem Kläger zur Bedarfsdeckung zur Verfügung stand. Bereits hierin liegt die wesentliche Änderung der Verhältnisse, ein späterer Verbrauch des Einkommens ist in diesem Zusammenhang ohne Bedeutung (vgl. BSG, Urteil vom 10.9.2013 – B 4 AS 89/12 R).

Infolge der Einkommenserzielung hatte der Kläger in den Monaten Oktober bis Dezember 2010 keinen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II. Bei der Abfindung handelte es sich um einmaliges Einkommen, dessen Berücksichtigung sich nach § 2 Abs. 4 der Arbeitslosengeld II/Sozialgeld-Verordnung (Alg II-V) in der im streitgegenständlichen Zeitraum maßgebenden, bis 31. März 2011 geltenden Fassung vom 18. Dezember 2008 (a.F.) richtet. Nach § 2 Abs. 4 Satz 1 und 3 Alg II-V a.F. ist die einmalige Einnahme vom Zuflussmonat an zu berücksichtigen, auf einen angemessenen Zeitraum aufzuteilen und monatlich mit einem entsprechenden Teilbetrag zu berücksichtigen. Die vom Beklagten vorgenommene Aufteilung auf sechs Monate erscheint angemessen, sodass zu Recht ein monatlicher Teilbetrag von 817,47 Euro berücksichtigt wurde. Dessen Anrechnung führt dazu, dass in den Monaten Oktober bis Dezember 2010 kein Leistungsanspruch mehr besteht. Denn dem Gesamtbedarf von 1.202,25 Euro steht ein anzurechnendes Einkommen in Höhe von insgesamt 1.836,27 Euro gegenüber (1.048,80 Euro Alg I zuzüglich 817,47 Euro aus Abfindung abzüglich 30,- Euro Versicherungspauschale nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 Alg II-V).

b. Der Kläger war verpflichtet, dem Beklagten Änderungen in den Verhältnissen, die für die Leistung erheblich sind oder über die im Zusammenhang mit der Leistung Erklärungen abgegeben worden sind, unverzüglich mitzuteilen, § 60 Abs. 1 Nr. 2 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I). Er war über diese Pflicht auch unterrichtet worden, so enthielten die Bewilligungsbescheide u.a. den Hinweis auf die Verpflichtung, jede Änderung in den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen, die für den Leistungsanspruch erheblich ist, mitzuteilen. Als mögliche leistungsrelevante Änderung war die "Änderung der Einkommens-/Vermögensverhältnisse" genannt. Dennoch hat er die Änderung in seinen Einkommensverhältnissen nicht angezeigt. Der Senat hat keinen Zweifel daran, dass auch das Tatbestandsmerkmal der groben Fahrlässigkeit im Sinne einer besonders schweren Verletzung der erforderlichen Sorgfalt (§ 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 Halbsatz 2) vorlag. Aufgrund der Antragsformulare und Merkblätter sowie der oben genannten Hinweise in den Bewilligungsbescheiden wusste der Kläger bzw. hätte er wissen müssen, dass die Zahlung für den Leistungsanspruch von Bedeutung war und er sie hätte mitteilen müssen.

c. Die Aufhebung erfolgte innerhalb der Frist von einem Jahr nach Bekanntwerden der die Aufhebung der Bewilligung rechtfertigenden Tatsachen, § 48 Abs. 4 Satz 1 SGB X i.V.m. § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X.

4. Soweit die Leistungsbewilligung (Bescheid vom 1. Dezember 2010, Änderungsbescheid vom 26. März 2011) für den Monat Januar 2011 vollständig und für die Monate Februar und März 2011 teilweise aufgehoben wird, finden der Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 4. Mai 2011 und der Änderungsbescheid vom gleichen Tag ihre Rechtsgrundlage in § 40 Abs. 2 Nr. 3 SGB II i. V. m. § 330 Abs. 2 SGB III und § 45 Abs. 1, 2 Nr. 2 SGB X. Danach ist ein bereits bei seinem Erlass rechtswidriger Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit aufzuheben, soweit dieser auf Angaben beruht, die der Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat.

a. Die Bewilligungsentscheidungen waren bei ihrem Erlass rechtswidrig. Dem Kläger war im Oktober 2010 das Einkommen aus der Abfindung zugeflossen, das entsprechend den obigen Ausführungen als einmaliges Einkommen auf einen Zeitraum von sechs Monaten zu verteilen war. Zur Überzeugung des Senats stand dem Kläger das Einkommen auch im neuen Bewilligungszeitraum noch als bereites Mittel zur Bedarfsdeckung zur Verfügung (dazu, dass eine rückwirkende Aufhebung nach § 45 SGB X voraussetzt, dass das Einkommen noch als bereites Mittel zur Verfügung stand BSG, Beschluss vom 1.4.2016 – B 14 AS 286/15 B; siehe auch BSG, Urteil vom 10.9.2013 – B 4 AS 89/12 R). Der Kläger hat zwar vorgetragen, den Großteil der erhaltenen Barmittel sogleich nach Erhalt zur Tilgung von Schulden eingesetzt zu haben. Der Senat hat jedoch durchgreifende Zweifel an diesem Vortrag. Der Kläger ist insoweit beweisbelastet. Zwar hat im Falle einer rückwirkenden Aufhebung grundsätzlich der Beklagte die tatsächlichen Umstände zu beweisen, die eine Rücknahme der ursprünglichen Leistungsbewilligung rechtfertigen. Ergibt sich jedoch nach Ausschöpfung der zur Verfügung stehenden Ermittlungsmöglichkeiten, dass in der persönlichen Sphäre oder in der Verantwortungssphäre des Leistungsempfängers wurzelnde Vorgänge nicht aufklärbar sind, ist eine Umkehr dieser grundsätzlichen Beweislastverteilung gerechtfertigt (vgl. BSG, Urteile vom 24.5.2006 – B 11a AL 7/05 R, vom 21.3.2007 – B 11a AL 21/06 R und vom 28.8.2007 – B 7/7a AL 10/06 R).

Hier lässt sich der Verbrauch der unstreitig bar ausgezahlten 4.904,83 Euro noch vor Beginn des neuen Bewilligungszeitraums nicht zur Überzeugung des Senats feststellen. Der Kläger hat z.T. widersprüchliche Angaben diesbezüglich gemacht: Im Widerspruchsschreiben vom 16. Mai 2011 hatte er noch mitgeteilt, die sog. Abfindung habe ihm nie zur Verfügung gestanden, sondern sei direkt mit Gegenforderungen verrechnet worden. Auch in dem mit der Klagschrift beim Sozialgericht eingereichten Schreiben an den Beklagten vom 9. Juli 2011 hat er ausgeführt, von der angeblichen Abfindung sei nichts zu seiner Verfügung gelangt, da diese gegen ausstehende Forderungen aufgerechnet worden sei. Auch nachdem die Firma A. GmbH auf Nachfrage des Sozialgerichts mitgeteilt hatte, das Geld auf das Konto von Rechtsanwalt F. überwiesen zu haben, hat der Kläger in seiner Stellungnahme dazu (Schreiben vom 12. November 2013) mitgeteilt, die vom Sozialgericht genannte Summe (4.904,83 Euro) sei ihm bis zum gerichtlichen Schreiben unbekannt gewesen, er habe sie auch nie erhalten. In der gleichen Stellungnahme teilte er dann erstmals mit, es hätten Gegenforderungen bestanden, die in den Jahren zwischen 2006 und 2008 u.a. durch eine private Reise verursacht worden seien. Diese Reise sei gebucht und angetreten worden, als Linienflugtickets an Mitarbeiter und deren Familien zum Nulltarif gewährt worden seien. Während der Reise hätten sich dann leider rückwirkend die gesetzlichen Voraussetzungen für solche Tickets geändert, weshalb ihm die Flugtickets nach Rückkehr berechnet worden seien. Nachdem Herr Rechtsanwalt F. im Januar 2014 auf Nachfrage des Sozialgerichts unter Vorlage einer Quittung mitgeteilt hatte, die 4.904,83 Euro seien vollständig und in bar an den Kläger weitergeleitet worden, hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht am 21. Februar 2014 eingeräumt, diesen Betrag tatsächlich auch erhalten zu haben. Er habe ihn aber teilweise direkt wieder zurückgegeben, um andere Forderungen – eine von der Fluglinie E., eine weitere von der Krankenversicherung H. – zu begleichen. Die Rückzahlung sei direkt in der Kanzlei mit der Sekretärin seines alten Anwalts abgewickelt worden. In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat am 13. Juni 2019 hat er wiederum angegeben, er habe die 4.904,83 Euro in der Kanzlei von Rechtsanwalt F. bar erhalten und sei damit in eine andere Anwaltskanzlei gegangen, wo er einen Großteil des Geldes zur Tilgung mehrerer Forderungen abgegeben habe. Diese Verbindlichkeiten stammten bereits aus dem Jahr 1992.

Nicht zuletzt wegen der Widersprüchlichkeiten im klägerischen Vortrag bzw. aufgrund dessen, dass der Kläger den tatsächlichen Erhalt des Geldes und dessen weitere Verwendung nicht von Anfang an schlüssig vorgetragen, sondern lediglich "häppchenweise" eingeräumt hat, nachdem das Sozialgericht die Barauszahlung belegt hatte, vermag der Senat allein aufgrund des Vorbringens des Klägers nicht zu der Überzeugung gelangen, dass diesem das Geld nicht über den gesamten Verteilzeitraum von sechs Monaten hinweg zur Verfügung stand. Unterlagen, die seinen Vortrag unterstützen könnten, hat der Kläger nicht beigebracht. Er hat weder Nachweise darüber vorgelegt, dass es tatsächlich Forderungen von Reiseveranstaltern gegenüber seinem alten Arbeitgeber gab und dieser insoweit auch von ihm, dem Kläger, Erstattung gefordert hat, noch hat er die Schuldentilgung selbst – z.B. durch Vorlage von Quittungen – belegt.

Weitere Ermittlungen seitens des Gerichts waren nicht möglich. Der Kläger konnte sich weder an den Namen oder die genaue Anschrift der Kanzlei, in der er das Bargeld wieder abgegeben haben will, noch an die Namen von Anwälten oder Angestellten erinnern. Weitere Nachfragen bei Rechtsanwalt F. waren nicht angezeigt, da der Kläger selbst bereits im Dezember 2013 (Bl. 103 der Prozessakte) und erneut in der mündlichen Verhandlung am 13. Juni 2019 mitgeteilt hat, dass dieser zur Verwendung des Geldes zur Schuldentilgung keine Auskünfte geben könne.

In der Gesamtschau verbleiben durchgreifende Zweifel an dem Vortrag des Klägers, er habe das Geld zum größten Teil sofort wieder ausgegeben. Diese gehen nach den oben dargelegten Grundsätzen der Beweislastumkehr zu seinen Lasten. Bei dem Verbrauch des Geldes handelt es sich um Vorgänge, die in der Verantwortungssphäre des Klägers wurzeln.

Ist somit davon auszugehen, dass das Geld zu Beginn des neuen Bewilligungszeitraums noch nicht verbraucht war, so ist es auch auf den Bedarf des Klägers in den Monaten Januar bis März 2011 anzurechnen. Für den Monat Januar 2011 ergibt sich daraus, dass kein Leistungsanspruch bestand. Dem Gesamtbedarf von 1.207,25 Euro (364,- Euro Regelsatz, 843,25 Euro Kosten der Unterkunft und Heizung) stand ein anzurechnendes Einkommen in Höhe von insgesamt 1.836,27 Euro gegenüber (1.048,80 Euro Alg I zuzüglich 817,47 Euro aus Abfindung abzüglich 30,- Euro Versicherungspauschale). In den Monaten Februar und März 2011 bestand ein Leistungsanspruch, der allerdings deutlich niedriger war als zunächst bewilligt. Für diese Monate war kein Einkommen aus Alg I mehr zu berücksichtigen. Dem Bedarf in Höhe von 1.207,25 Euro stand daher anzurechnendes Einkommen nur in Höhe von 787,47 Euro (817,47 Euro aus Abfindung abzüglich 30,- Euro Versicherungspauschale) gegenüber. Der Leistungsanspruch betrug somit 419,78 Euro monatlich, das sind 787,47 Euro weniger als bewilligt worden waren.

b. Neben der Rechtswidrigkeit der Bewilligungsbescheide liegen auch die übrigen Voraussetzungen für eine rückwirkende Aufhebung vor. Insbesondere kann der Kläger sich nicht auf Vertrauensschutz berufen. Vertrauensschutz ist nämlich gem. § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X ausgeschlossen, wenn der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat. Hier basierten die fehlerhaften Bewilligungen darauf, dass der Kläger dem Beklagten gegenüber die Einkünfte aus der Zahlung seines Arbeitgebers nicht mitgeteilt hat. Der Kläger hatte eine entsprechende Mitteilungspflicht, diese hat er zumindest grob fahrlässig verletzt, siehe dazu bereits oben unter 3. b.

Die Aufhebung erfolgte innerhalb der Frist von einem Jahr nach Bekanntwerden der Aufhebung der Bewilligung rechtfertigenden Tatsachen, § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X.

5. Das Erstattungsverlangen findet seine Grundlage in § 40 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 SGB II in der ab 1. April 2011 geltenden Fassung vom 13. Mai 2015 (a.F.) i.V.m. § 50 Abs. 1 Satz 1 SGB X. Ist ein Verwaltungsakt aufgehoben worden, so sind danach bereits erbrachte Leistungen zu erstatten. Die Erstattungsforderung entspricht der Höhe nach den aufgehobenen Leistungen: Monatlich 183,45 Euro für Oktober bis Dezember 2010, 187,45 Euro für Januar 2011, und monatlich 787,47 Euro für Februar und März 2011, d.h. insgesamt 2.312,74 Euro.

III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Ein Grund, gemäß § 160 Abs. 2 SGG die Revision zuzulassen, ist nicht ersichtlich.
Rechtskraft
Aus
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