L 3 R 96/17

Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 4 R 1090/14
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 3 R 96/17
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 1. Juni 2017 wird zurückgewiesen. 2. Die Beteiligten haben einander auch für das Berufungsverfahren keine Kosten zu erstatten. 3. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die am 12. Februar 1959 geborene Klägerin begehrt die Gewährung einer Erwerbsminderungsrente.

Sie ist ohne Berufsausbildung und war von 1982 an mit Unterbrechungen als Raumpflegerin tätig. Zuletzt war sie bis zum 31. Mai 2011 beschäftigt. Ab dem 7. November 2011 war sie arbeitsunfähig erkrankt und bezog vom 7. Februar 2012 bis zum 31. Oktober 2012 Krankengeld und anschließend Arbeitslosengeld aus der Arbeitslosenversicherung. Sie hat nie Arbeitslosengeld II bezogen und sich jedenfalls nach dem Ende des Arbeitslosengeldbezugs nie arbeitsuchend gemeldet. Die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für eine Erwerbsminderungsrente würden zuletzt am 31. Januar 2017 vorliegen.

Im September 2007 erkrankte die Klägerin an dem Folgen einer Lyme-Borreliose. Sie wurde vom 26. August bis zum 25. September 2007 stationär im Universitären behandelt. Dort kam es in der Notaufnahme zu einem Herzstillstand mit Reanimation. Vom 5. bis zum 26. Februar 2008 erhielt die Klägerin stationäre Leistungen der medizinischen Rehabilitation zu Lasten der Beklagten im Med- Klinikum in Bad Salzuflen. Dort wurden eine ausgeprägte Körperschwäche bei Lyme-Borreliose, Zustand nach Perikarderguss unklarer Genese; AV-Block III. Grades mit Reanimation nach kurzfristiger Asystolie; protrahierte Erholung bei schwerer Infektion und eine posttraumatische Belastungsstörung diagnostiziert. Die Klägerin wurde bis zum Vorliegen des Befunds aus einer empfohlenen MRT-Untersuchung vorsorglich arbeitsunfähig entlassen. Sie könne jedoch sowohl die Tätigkeit als Reinigungskraft als auch leichte bis mittelschwere körperliche Arbeiten überwiegend im Stehen, Gehen und zeitweise im Sitzen ohne qualitative Einschränkungen mindestens sechs Stunden arbeitstäglich verrichten (undatierter Entlassungsbericht). Die anschließende MRT-Untersuchung des Schädels blieb ohne Befund. Am 27. Januar 2009 beantragte die Klägerin unter Hinweis auf die Folgen der Borreliose erstmals erfolglos eine Erwerbsminderungsrente bei der Beklagten. Grundlage der Entscheidung der Beklagten waren Gutachten der Internistin Dr. P. M. vom 6. April 2009 und der Neurologin und Psychiaterin Dr. M. vom 12. Juli 2009. Die dagegen erhobene Klage (S 4 R 227/11) nahm die Klägerin zurück. In der Folgezeit war die Klägerin vom 16. Februar bis zum 31. März 2011 im Umfang von 20 Wochenstunden wieder beschäftigt. Vom 26. September 2011 bis zum 5. Oktober 2011 wurde die Klägerin stationär im Universitätsklinikum behandelt. Es wurde unter anderem eine chronische myeloische Leukämie festgestellt. Am 16. Juli 2012 stellte die Klägerin unter Hinweis hierauf erneut einen Antrag auf eine Erwerbsminderungsrente bei der Beklagten. Ein Befundbericht des Psychiaters Prof. Dr. H. und weiterer Unterlagen lagen vor. Die Beklagte ließ die Klägerin zunächst durch den Internisten Dr. H. G. begutachten, der für sein Fachgebiet eine chronische myeloische Leukämie diagnostizierte und eine nervenärztliche Begutachtung empfahl. Aus somatischer Sicht könne die Klägerin leichte bis mittelschwere körperliche Tätigkeiten zeitweise im Stehen, zeitweise im Gehen und überwiegend im Sitzen in Tagesschicht sechs Stunden und mehr pro Arbeitstag mit qualitativen Einschränkungen verrichten (Gutachten vom 9. November 2012). Die Beklagte ließ die Klägerin sodann durch den Nervenarzt J. A. begutachten, der ein ängstlich-depressives Erschöpfungssyndrom, akzentuiert nach Diagnosestellung einer Leukämie, feststellte und sich dem von Herrn Dr. G. beschriebenen Leistungsbild anschloss. Zusätzlich zu vermeiden sei ein besonderes Stressaufkommen (Gutachten vom 13. Mai 2013). Auf dieser Grundlage lehnte die Beklagte den Rentenantrag der Klägerin ab (Bescheid vom 17. Juni 2013). Bereits vom 2. Januar bis zum 6. Februar 2013 war die Klägerin stationär im Universitätsklinikum, Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie, unter der Diagnose rezidivierende depressive Störung behandelt worden (Entlassungsbericht vom 28. Februar 2013). Ab dem 16. April 2013 wurde bei ihr ein Grad der Behinderung (GdB) von 70 anerkannt, wobei die psychische Krankheit mit einem Teil-GdB von 50 berücksichtigt wurde (Neufeststellungsbescheid der Freien und Hansestadt Hamburg – Versorgungsamt – vom 4. September 2013). Mit ihrem Widerspruch gegen den Rentenbescheid trat die Klägerin dem Gutachten von Herrn J. A. entgegen. Die Beklagte wies den Widerspruch nach Einschaltung ihres sozialmedizinischen Dienstes zurück. Die Klägerin sei weder voll noch teilweise erwerbsgemindert. Nach sozialmedizinischer Würdigung könne sie noch mindestens sechs Stunden täglich leichte bis mittelschwere Arbeiten mit qualitativen Einschränkungen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt verrichten. Da die Klägerin auf sämtliche Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt verweisbar sei, liege auch keine teilweise Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit vor (Widerspruchsbescheid vom 11. September 2014).

Mit ihrer am 16. Oktober 2014 vor dem Sozialgericht Hamburg erhobenen Klage verfolgt die Klägerin ihr Anliegen weiter. Die Beklagte hat an ihren Bescheiden festgehalten. Das Sozialgericht hat die Verwaltungsakten der Beklagten und des Versorgungsamts Hamburg sowie Befundberichte vom Allgemeinarzt W.A.; von Herrn Prof. H. und vom Internisten Dr. S. beigezogen. Unterlagen aus der Universitätsklinik haben vorgelegen.

Auf Veranlassung des Sozialgerichts hat der Internist Dr. W. die Klägerin begutachtet und nach ambulanter Untersuchung am 16. November 2015 folgende Diagnosen gestellt: Chronische Blutererkrankung (chronisch myeloische Leukämie) in stabiler Remission unter Therapie; Diabetes mellitus; rezidivierende schwere depressive Episoden mit psychotischen Symptomen, bisher therapeutisch nicht ausreichend beeinflussbar. Die Klägerin könne noch leichte und gelegentlich mittelschwere körperliche Arbeiten einfacher geistiger Art mit geringer Verantwortung mit qualitativen Einschränkungen (Ausschluss von Arbeiten in Bereichen mit besonderer Belastung durch Schmutz, Verunreinigung und auch Infektionserregern) täglich sechs Stunden und mehr verrichten und sie sei wegefähig (Gutachten vom 5. Dezember 2015).

Auf Veranlassung des Sozialgerichts hat sodann der Psychiater und Neurologe Dr. Ni ein Gutachten nach Aktenlage erstellt, nachdem die Klägerin zu zwei Untersuchungsterminen nicht erschienen war. Bei der Klägerin liege eine psychische Störung von Krankheitswert vor, über deren Schwere unterschiedliche Auffassungen vertreten worden seien. Eine länger anhaltende schwere Depression lasse sich aber nicht nachweisen (Gutachten vom 30. September 2016). In der mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht am 13. Oktober 2016 hat sich herausgestellt, dass die Einladungen zum Begutachtungstermin die Klägerin nicht erreicht hatten. Der Rechtsstreit ist deswegen vertagt und die Klägerin am 23. November 2016 in Anwesenheit eines Dolmetschers für Türkisch vom Sachverständigen Dr. Ni befragt und untersucht worden. Dieser diagnostizierte für sein Fachgebiet eine rezidivierende depressive Störung, am ehesten mittelschwere depressive Episode mit demonstrierter Pseudodemenz vor dem Hintergrund einer histrionisch akzentuierten Persönlichkeitsstruktur. Nach seiner Einschätzung könne die Klägerin noch leichte körperliche Arbeiten einfacher geistiger Art mit geringer Verantwortung überwiegend aus wechselnder oder sitzender Körperposition heraus mit qualitativen Einschränkungen ausüben (keine Tätigkeiten unter Akkord-, Schicht- und Nachtarbeitsbedingungen; mit besonderen Anforderungen an die Konfliktfähigkeit und wegen der internistischen Erkrankungen keine Tätigkeiten mit besonderer Infektgefährdung durch Schmutz, Verunreinigungen oder anderen Belastungen). Wegefähigkeit bestehe. Die Klägerin sei auch in der Lage, etwaige Hemmungen gegenüber einer Arbeitsleistung zu überwinden (Gutachten vom 27. November 2016). Die Klägerin, die bereits vor der Begutachtung einen weiteren Befundbericht von Herrn Prof. Dr. H. vorgelegt hatte, ist dem Gutachten entgegengetreten. Die erneute mündliche Verhandlung vor dem Sozialgericht hat am 10. August 2017 in Anwesenheit der Klägerin und eines Dolmetschers stattgefunden. Mit Urteil vom selben Tag hat das Sozialgericht die Klage als unbegründet abgewiesen. Es ist den Einschätzungen der Sachverständigen Dr. W. und Dr. Ni gefolgt und hat ausgeführt, die Klägerin sei danach weder voll noch teilweise erwerbsgemindert, sondern könne mit qualitativen Einschränkungen mindestens sechs Stunden täglich auch ungelernte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt verrichten. Da bei ihr weder eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen noch eine schwere spezifische Leistungseinschränkung vorliege, brauche keine konkrete Verweisungstätigkeit benannt werden.

Das erstinstanzliche Urteil ist der Klägerin am 21. August 2017 zugestellt worden. Mit ihrer am 11. September 2017 erhobenen Berufung hebt sie hervor, den Haushalt nicht mehr führen zu können und sich tagsüber mehrfach hinlegen zu müssen. Angesichts des phasenweisen Verlaufs der depressiven Erkrankung erscheine eine erneute Begutachtung angezeigt.

Die Klägerin beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 1. Juni 2017 und den Bescheid der Beklagten vom 17. Juni 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 11. September 2014 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr eine Rente wegen voller, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung nach einem Leistungsfall vom 16. Juli 2012 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Neue sozialmedizinische Erkenntnisse würden sich nicht ergeben.

Der Senat hat (Folge-) Befundberichte von der Allgemeinärztin E.K. als Praxisnachfolgerin von Herrn Dr. W.A., von Herrn Prof. Dr. H. und Herrn Dr. S. eingeholt. Mit Schreiben vom 18. Juli 2019 hat er die Beteiligten auf die Absicht hingewiesen, die Berufung als unbegründet zurückzuweisen. Nach vorläufiger Auffassung lasse sich nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit feststellen, dass die Klägerin bei Antragstellung oder spätestens am 31. Januar 2017 erwerbsgemindert gewesen sei. Einen qualifizierten Berufsschutz könne die Klägerin angesichts ihrer Erwerbsbiografie nicht in Anspruch nehmen. Auf Antrag der Klägerin ist daraufhin gem. § 109 SGG der Psychiater Dr. Lo. mit einer Begutachtung beauftragt worden. Dieser hat nach Untersuchung und Befragung der Klägerin am 20. und 27. Februar 2019, bei der ein Dolmetscher für Türkisch zugegen gewesen ist, eine komplexe posttraumatische Belastungsstörung bzw. eine andauernde Persönlichkeitsänderung nach anhaltenden lebensbedrohlichen Situationen diagnostiziert. Krankheitsbedingt sei die Klägerin allenfalls in der Lage, unregelmäßig weniger als eine Stunde am Tag Arbeiten zu verrichten. Zudem sei sie bei der Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel auf eine Begleitung angewiesen. Hemmungen gegenüber einer Arbeitsleistung könne sie wegen ihrer schweren neurotischen Störung mit Krankheitswert nicht überwinden. Diese Einschränkungen hätten sich nach der Untersuchung durch Herrn J. A. verfestigt und würden seit mindestens einem Jahr vor der Untersuchung durch den Sachverständigen Dr. Ni vorliegen (Gutachten vom 28. Februar 2019). Auf Nachfrage des Senats zum Leistungsfall hat der Sachverständige Dr. Lo. ergänzt, die hochgradigen Einschränkungen der Klägerin würden sogar seit 2013 bestehen (ergänzende Stellungnahme vom 13. März 2019).

Die Klägerin sieht sich durch die Ausführungen des Sachverständigen Dr. Lo. bestätigt. Die Beklagte ist dem Gutachten entgegengetreten. Die Biografie der Klägerin sei fraglos belastend. Die Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung bzw. einer andauernden Persönlichkeitsstörung sei aber nicht nachzuvollziehen, nachdem ein derartiges Krankheitsbild weder von den ambulant und stationär behandelnden Ärzten und Therapeuten noch im Verwaltungsverfahren noch von den gerichtlich bestellten Sachverständigen festgestellt werden konnte. Es falle auf, dass die Klägerin gegenüber dem Sachverständigen Dr. Ni angegeben habe, sich selbst an basale Ereignisse und Umstände wie die Geburt der Kinder oder den Familienstand nicht erinnern zu können, sie aber nunmehr von sich aus sehr detaillierte biografische Angaben gemacht habe. Die "dramatische Besserung" gerade des Erinnerungsvermögens spreche dafür, dass die Klägerin ihr Verhalten weiterhin zielgerichtet steuern könne. Der Sachverständige Dr. Lo. habe diese Widersprüchlichkeiten und Inkonsistenzen nicht hinterfragt.

Die mündliche Verhandlung vor dem Senat hat am 30. Juli 2019 in Anwesenheit der Klägerin und eines Dolmetschers für Türkisch stattgefunden. Die Klägerin hat im Termin beantragt, den Sachverständigen Dr. Ni ergänzend zu seinem schriftlichen Gutachten zu vernehmen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird Bezug genommen auf die Sitzungsprotokolle, den übrigen Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Unterlagen, die bei der Entscheidung vorgelegen haben und Gegenstand der Beratung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

I. Die zulässige Berufung ist weder mit dem Haupt- noch mit dem Hilfsantrag begründet. Zu Recht und mit zutreffender Begründung hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 17. Juni 2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. September 2014 ist rechtmäßig und beschwert die Klägerin daher nicht im Sinne des § 54 Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Auch nach Überzeugung des Senat kann die Klägerin selbst auf Grundlage der weiteren Ermittlungen im Berufungsverfahren weder eine Rente wegen voller noch wegen teilweiser Erwerbsminderung beanspruchen.

1. Der geltend gemachte Anspruch auf eine Rente wegen voller Erwerbsminderung könnte sich allein aus § 43 Abs. 2 Sozialgesetzbuch – Sechstes Buch – Gesetzliche Rentenversicherung (SGB VI) ergeben, der hier in der aktuellen, seit dem 1. Januar 2008 geltenden Fassung vom 20. April 2007 (BGBl. I S. 554) zur Anwendung kommt. Danach haben Versicherte bis zum Erreichen der Altersgrenze Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn sie 1. voll erwerbsgemindert sind, 2. in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und 3. vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben (Satz 1). Voll erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein (Satz 2). Diese Voraussetzungen sind in der Person der Klägerin nicht erfüllt. Bei der Klägerin bestehen unstreitig internistische und psychische Erkrankungen. Ihr Leistungsvermögen ist deswegen beschränkt auf leichte körperliche Arbeiten einfacher geistiger Art mit geringer Verantwortung überwiegend in wechselnder oder sitzender Körperposition. Ausgeschlossen sind Arbeiten unter Akkord-, Schicht- und Nacharbeitsbedingungen; mit besonderen Anforderungen an die Konfliktfähigkeit; sowie in Bereichen mit besonderer Belastung durch Schmutz, Verunreinigung und Infektionserregern. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme bedingen die Erkrankungen aber weder einzeln noch in ihrem Zusammenwirken quantitative Leistungseinschränkungen. Vielmehr verbleibt der Klägerin auch nach Überzeugung des Senats ein Leistungsvermögen von mindestens sechs Stunden arbeitstäglich, das ihr Tätigkeiten unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes erlaubt.

a. Der Senat entnimmt das Leistungsbild hinsichtlich der internistischen Erkrankungen dem Gutachten des Sachverständigen Dr. W ... Dieser hat der Klägerin nachvollziehbar und schlüssig sowie unter sorgfältiger Auswertung der vorliegenden umfassenden medizinischen Unterlagen ein lediglich qualitativ eingeschränktes Restleistungsvermögen bescheinigt. Insbesondere erscheint es dem Senat angesichts der Vorbefunde schlüssig, wenn der Sachverständige die Borreliose als folgenlos ausgeheilt bezeichnet und daraus keine Einschränkungen ableitet. Bei der Erstbehandlung im Universitären ordnete man die seinerzeit akuten Herzerkrankungen als kardinale Manifestation einer Lyme-Borreliose ein, deren Entzündungsparameter unter medikamentöser Behandlung sanken. Die Klägerin wurde beschwerdefrei entlassen (Entlassungsbericht vom 25. September 2007). Bereits in der anschließenden stationären Reha-Behandlung ergab sich bei den kardiologischen Untersuchungen ein regelgerechter Befund und die Klägerin wurde voll leistungsfähig für leichte bis mittelschwere Tätigkeiten entlassen (undatierter Entlassungsbericht des Med- Klinikums). Die vorsorglich durchgeführte MRT-Untersuchung des Schädels ergab keine Auffälligkeiten (Arztbrief des Röntgenzentrums Hamburg vom 14. April 2008). Die Verlaufskontrollen am 25. Januar 2008, 11. März 2008 und 6. März 2009 bestätigten den stabilen Zustand (Ambulanzberichte des Universitären vom 17. April 2008 und 17. März 2009). Frau Dr. P. M., der gegenüber die Klägerin unspezifische thorakale Beschwerden angab, konnte keine wesentlichen Leistungseinschränkungen auf internistischem Fachgebiet feststellen (Gutachten vom 6. April 2009). Herr Dr. S. als langjährig behandelnder Internist erwähnt die Borreliose in seinen Befundberichten an das Gericht nicht einmal (Befundbericht vom 5. Mai 2015).

Dem Senat erscheint es angemessen, aber auch ausreichend, die Auswirkungen der chronischen myeloischen Leukämie durch den Ausschluss von Arbeiten in Bereichen mit besonderer Belastung durch Schmutz, Verunreinigungen und Infektionserregern zu berücksichtigen. Der Sachverständige Dr. W. hat auch für den Senat nachvollziehbar eine stabile Remission unter Therapie festgestellt. Zur Behandlung der chronischen Bluterkrankung wurde unmittelbar nach erstmaliger Diagnose im September/Oktober 2011 eine Behandlung mit dem Zytostatikum Litalir durchgeführt, worunter sich der Allgemeinzustand der Klägerin stetig besserte (Entlassungsbericht des Universitätsklinikums, Onkologisches Zentrum, vom 26. Oktober 2011). In der ambulanten Nachsorge wurde die medikamentöse Dauerbehandlung auf Imatinib (Handelsname: Gliveb) umgestellt (Entlassungsbericht – ambulant – des Universitätsklinikums, Onkologische Ambulanz, vom 2. November 2011). Herr Dr. G. konnte keine körperlichen Auffälligkeiten hinsichtlich der Bluterkrankung feststellen, die Klägerin hatte dort auch keine internistischen Beschwerden beklagt (Gutachten vom 9. November 2012). Herr Dr. S. hat bestätigt, dass die Leukämie unter der Medikation seit 2013 in Rückbildung ist (Befundbericht vom 5. Mai 2015). Entsprechend hat die vom Sachverständigen Dr. W. am 26. November 2015 veranlassten Laboruntersuchungen eine normale Konzentration des Blutfarbstoffs wie der Leukozyten ergeben. Es spricht nichts dafür, dass sich das vom Sachverständigen Dr. W. bescheinigte Leistungsvermögen durch ein Fortschreiten oder Hinzutreten internistischer Erkrankungen weiter verschlechtert hat. Das wird von der Klägerin auch nicht behauptet.

b. Nach Überzeugung des Senats bedingt die seelische Erkrankung der Klägerin selbst im Zusammenspiel mit den organischen Erkrankungen lediglich weitere quantitative Leistungseinschränkungen.

aa. Der Senat entnimmt dies dem Gutachten des Sachverständigen Dr. Ni, der nachvollziehbar und schlüssig sowie unter sorgfältiger Auswertung der vorliegenden umfassenden medizinischen Unterlagen bei der Klägerin keine schwere Depression und erst recht keine psychotische Symptomatik diagnostiziert hat. Die von ihm festgestellten depressiven Symptome erscheinen auch dem Senat nicht so zahlreich und quälend, als dass sie als "schwer" eingeordnet werden könnten. Der Sachverständige hat die Klägerin zwar als in der emotionalen Schwingungsfähigkeit eingeengt und im Affekt nivelliert erlebt; sie hat auf ihn ernst und depressiv gedrückt gewirkt; habe einen Interesseverlust und eine Anhedonie geschildert und es habe sich ein sozialer Rückzug angedeutet. Er hat bei ihr aber weder Schuldgefühle noch Gefühle von Hoffnungslosigkeit erkennen können, wie sie typischerweise sogar bei einer leichten depressiven Episode vorkommen.

Vor allem hat er der Klägerin Willenskräfte attestiert, mit denen sie ihr Verhalten zielgerichtet beeinflussen könne. Das spricht für eine ausreichend erhaltene Steuerungsfähigkeit. Wie der Sachverständige Dr. Ni auch für den Senat nachvollziehbar herausgearbeitet hat, hat die Klägerin ihr Verhalten in der Begutachtungssituation willensnah ausgestaltet und zielgerichtet mit dem Wunsch nach Entpflichtung aggraviert. Sie hat zwar gegenüber dem Sachverständigen Dr. Ni angegeben, zu Zeit, Ort, Person und Situation nicht vollständig orientiert zu sein. Beispielsweise hat sie widersprüchliche und inkonsistente Angaben dazu gemacht, wer sie zur Untersuchung begleitet habe (sie wisse es nicht – vielleicht ein Nachbar – der Sohn – der Ehemann – der geschiedene frühere Ehemann; tatsächlich ist es der Ehemann gewesen). Dabei haben die Angaben auf den Sachverständigen aber demonstriert und bewusstseinsnah ausgestaltet gewirkt. Die von der Klägerin präsentierte Störung wäre nach seiner für den Senat schlüssigen Einschätzung auch kaum mit einem Leben außerhalb einer geschlossenen Pflegeeinrichtung vereinbar. Ferner hat die Klägerin gegenüber dem Sachverständigen Dr. Ni massive Gedächtnisstörungen behauptet. So hat sie angeben, sich weder an den Namen ihres Hausarztes noch des behandelnden Psychiaters noch an den seinerzeit erst zehn Tage zurückliegenden Gerichtstermin oder den bereits dort anwesenden Dolmetscher erinnern zu können; nicht zu wissen, ob sie einmal gearbeitet habe, verheiratet sei und Kinder habe (die Klägerin hat vier erwachsene Kinder, von denen zwei im Untersuchungszeitpunkt in ihrem Haushalt lebten). Auch dies hat der Sachverständige Dr. Ni als widersprüchlich und nicht konsistent erlebt. Er hat zu Recht darauf aufmerksam gemacht, dass sich das Gesamtverhalten der Klägerin auffällig von dem psychopathologischen Befund unterschieden hat, den der Sachverständige Dr. W. etwa ein Jahr zuvor erhoben hatte. Dort hatte die Klägerin im Rahmen der Sozial- und Berufsanamnese unproblematisch zutreffende Angaben gemacht. Eine medizinische oder sonstige Erklärung dieser deutlichen Verhaltensänderung drängt sich nicht auf. Auch die Klägerin hat hierfür keine Erklärung angeboten, sondern hat vorgegeben, als der Sachverständige Dr. Ni sie auf die wahrgenommenen Widersprüche und Inkonsistenzen angesprochen hat, sich nicht an die frühere Begutachtung erinnern zu können.

Ebenso wenig haben sich psychotische Symptome objektivieren lassen. Die Klägerin hat auf den Sachverständigen Dr. Ni übermüdet gewirkt, was durch die geröteten Bindehäute unterstrichen worden sei. Dahinter sei die Klägerin aber bewusstseinsklar erschienen. Formalgedanklich hat der Sachverständige sie als zäh, viskös, teilweise depressiv gehemmt, aber nicht gesperrt erlebt. Störungen des Ich-Bewusstseins haben sich nicht gefunden. Es haben sich keine wahnhaft aufeinander bezogenen Denkinhalte gezeigt, kein Wahnsystem und keine Wahnwahrnehmungen. Soweit die Klägerin auch ihm gegenüber angegeben hat, ständig die Stimme des verstorbenen Großvaters, den sie erkenne, zu hören, hat der Sachverständige Dr. Ni dies auch für den Senat nachvollziehbar als Pseudohalluzinationen auf histrionischer Grundlage eingeordnet. Dazu passt seine Mitteilung, die Klägerin habe auf die Nachfrage, ob es die Stimme des Großvaters väterlicherseits oder mütterlicherseits sei, mit Ausflüchten reagiert. Bei den demnach noch erhaltenen inneren Ressourcen bleiben aber jedenfalls leichte körperliche Arbeiten einfacher geistiger Art mit geringer Verantwortung vollschichtig zumutbar. Die unstreitig bestehenden Funktionseinschränkungen erscheinen ausreichend berücksichtigt durch den Ausschluss von Tätigkeiten unter Akkord-, Schicht- und Nachtarbeitsbedingungen sowie von Tätigkeiten mit besonderen Anforderungen an die Konfliktfähigkeit, zusätzlich zu der vom Sachverständigen Dr. W. formulierten Einschränkung.

Die Einwände, die die Klägerin im erstinstanzlichen Verfahren vorgebracht hat, lassen den Senat nicht an der Überzeugungskraft des Gutachtens des Sachverständigen Dr. Ni zweifeln. Dieser hat insbesondere die anderslautende Einschätzung von Herrn Prof. Dr. H. gewürdigt, der eine schwere Depression mit psychotischen Symptomen diagnostiziert hatte. Ebenso wenig hat er verkannt, dass die Klägerin im Januar/Februar 2013 wegen einer schweren depressiven Episode mit psychotischen Symptomen stationär behandelt worden war. Wie er herausgearbeitet hat, beschrieb aber schon Herr J. A., der die Klägerin wenige Wochen später am 13. Mai 2013 untersuchte, ein affektiv aufgelockertes Zustandsbild.

bb. Der Senat vermag hingegen nicht der Einschätzung des Sachverständige Dr. Lo. zu folgen, der ausgehend von einer komplexen posttraumatischen Belastungsstörung (komplexe PTBS) iSd zukünftigen ICD-11, die unter dem aktuell anwendbaren ICD-10 GM 2019 als andauernde Persönlichkeitsänderung nach anhaltenden lebensbedrohlichen Situationen (F62.0) zu klassifizieren wäre, ein aufgehobenes Leistungsvermögen annimmt.

(1) Der Sachverständige Dr. Lo. hat seine Einschätzung darauf gestützt, dass bei der Klägerin klinisch depressive Symptome vorliegen würden; ausgeprägte Stimmungsschwankungen, die wiederholt mit Reizbarkeit und Erregung sowie mit fremd-aggressiven Tendenzen einhergehen würden; eine ausgeprägte Antriebsminderung und Kraftlosigkeit; das Unvermögen, den Tag konstruktiv zu gestalten und zu strukturieren und die alltäglichen Aufgaben selbständig zu verrichten; die Klägerin sei auf die Unterstützung insbesondere ihrer beiden erwachsenen Kinder aus der zweiten Ehe angewiesen und nicht mehr in der Lage, für sich selbst und den Haushalt zu sorgen, einzukaufen, die Rolle als Mutter und Hausfrau sowie den Beruf wahrzunehmen; sie leide unter Schlafstörungen, anhaltender Reizbarkeit, ständiger innere Unruhe, Stimmungsschwankungen, hochgradiger Antriebshemmung und einer generellen Kraftlosigkeit mit der Unfähigkeit, einfachste Aufgaben selbständig zu bewältigen. Die vom Sachverständige Dr. Lo. beschriebenen Symptome lassen sich nach dem Dafürhalten des Senats schon nicht vollständig mit den erhobenen Befunden in Einklang bringen.

Zwar ist die Klägerin nach der Mitteilung des Sachverständigen im Denken eingeengt auf ihre Beschwerden gewesen. Die Grundstimmung sei niedergeschlagen und tief gedrückt gewesen, im Antriebsvermögen erheblich reduziert, gleichbleibend ernst, angestrengt und kontrolliert, tiefergehende Emotionen seien unterdrückt worden. Die emotionale Schwingungsfähigkeit sei eingeengt gewesen, die Klägerin habe wie verdüstert und freudlos, unlebendig, nahezu erstarrt gewirkt. Die Körperhaltung sei verhalten gewesen. In der Testung (Beck-Depressions-Inventar in autorisierter türkischer Übersetzung) hat die Klägerin zudem, obwohl zwei Fragen nicht beantwortet worden sind, einen Summenwert von 39 erreicht. Bereits ab einem Wert von 29 liegt nach der für sich genommen plausiblen Erläuterung des Sachverständigen eine schwere Depression vor. Gleichzeit hat der Sachverständige Dr. Lo. jedoch mitgeteilt, bei der Klägerin sei eine stark kontrollierte unterschwellige Aggressivität deutlich geworden, die sich vorwiegend mimisch mitgeteilt habe. Dass die Klägerin auch ihm gegenüber Wut und Selbstbehauptungswillen gezeigt hat, spricht eher gegen eine schwerwiegende depressive Symptomatik. Außerdem habe die Klägerin im Gespräch darauf bestanden, gehört zu werden; von sich aus frei berichtet und einzelne Punkte auf Nachfrage nachvollziehbar und stimmig vertiefen können, wobei sie zunehmend sicherer geworden sei. Sie habe nach Verständnis, Anerkennung und Würdigung gesucht, so dass sich die Kontaktaufnahme problemlos gestaltet habe. Wiewohl die Klägerin auf den Sachverständigen gealtert und erschöpft gewirkt habe, habe sie einen gepflegten Eindruck gemacht. Hinweise auf ein psychotisch verändertes Denken und Erleben hat auch der Sachverständige Dr. Lo. nicht finden können. Dass die Klägerin nach eigenen Angaben im Traum die Stimme ihres Großvaters höre – den sie nunmehr als Großvater mütterlicherseits charakterisiert hat – hat der Sachverständige nachvollziehbar als Pseudohalluzination und illusionäre Wahrnehmung eingeordnet. Er hat hierzu erläutert, das so gennannte Stimmenhören werde bei volkstümlich geprägten Migranten oft als Zeichen einer schizophrenen Psychose fehlinterpretiert. Tatsächlich handle es sich in vielen Fällen um eine Fehlwahrnehmung von dämonenhaften Gestalten im Schlaf oder Dämmerzustand, vergleichbar mit dem Glauben an einen Nachtmahr oder Nachtalb, wie er beispielsweise aus der Alpenregion überliefert ist.

(2) Selbst ausgehend von der zusammenfassenden Symptombeschreibung im Gutachten des Sachverständige Dr. Lo. vermag der Senat nicht nachzuvollziehen, dass bei der Klägerin die Grundkriterien einer komplexen PTBS bzw. einer andauernder Persönlichkeitsänderung nach anhaltenden lebensbedrohlichen Situationen erfüllt seien. Der Sachverständige hat eine belastende psychosoziale Entwicklung der Klägerin geschildert, die in der türkischen Provinz Usak auf dem Land aufgewachsen sei; beide Eltern als auch körperlich strafend und sehr reizbar erlebt habe; es habe keine tragende, fürsorgliche, bindende, annehmende und unterstützende Bindung bestanden; die Klägerin sei nach ihrem Eindruck als Last empfunden worden und habe sich "wie ein Tier" behandelt gefühlt; mit 18 Jahren sei sie an ihren ersten – türkischstämmigen – Ehemann nach Deutschland verkauft worden, der drogenabhängig gewesen sei und sie körperlich misshandelt und betrogen habe; alleine habe sie die Wohnung nur zum Arbeiten verlassen dürfen; die beiden gemeinsamen Kinder hätten aus finanziellen Gründen bei Verwandten des Mannes in der Türkei aufwachsen müssen, was die Klägerin sehr geschmerzt habe und was die Kinder ihr später vorgeworfen hätten; nach der Trennung sei der erste Ehemann umgebracht worden. Der Sachverständige hat weiter dargelegt, die Klägerin habe über Jahre versucht, ihr Leben selbständig zu führen. Nach dem Auftreten der Leukämie habe sie einen psychischen Zusammenbruch erlitten, wahrscheinlich eine Retraumatisierung mit dem Wiedererleben der früheren Misshandlungen, von dem sie sich bis heute nicht erholt habe. Die beschriebenen Umstände sind sicherlich belastend. Gleichwohl ergeben sie für den Senat nicht das Bild einer Situation, wie sie unter Punkt 6B41 des zukünftigen ICD-11 oder unter F.62.0 ICD-10 GM 2019 umschrieben ist. Erfasst werden unter ersterem "an event or series of events of an extremely threatening or horrific nature, most commonly prolonged or repetitive events from which escape is difficult or impossible”, was sich wörtlich übersetzen lässt als "eine oder mehrere extrem bedrohliche oder entsetzliche Situationen, in aller Regel andauernder oder sich wiederholender Situationen, aus denen ein Entkommen schwierig oder unmöglich ist". Als Beispiele werden Folter, Sklaverei, Völkermordkampagnen, anhaltende häusliche Gewalt und wiederholter sexueller oder körperlicher Missbrauch in der Kindheit genannt. Die Diagnosestellung nach F.62.0 ICD-10 GM 2019 knüpft an eine Belastung katastrophalen Ausmaßes an, die so extrem sein muss, dass die Vulnerabilität der betreffenden Person als Erklärung für die tief greifende Auswirkung auf die Persönlichkeit nicht in Erwägung gezogen werden muss. Erfasst werden Persönlichkeitsänderungen nach andauerndem Ausgesetztsein lebensbedrohlicher Situationen, etwa als Opfer von Terrorismus; nach andauernder Gefangenschaft mit unmittelbarer Todesgefahr; nach Folter; nach Katastrophen und nach Konzentrationslagererfahrungen. Da die Diagnosekriterien gerade bei der PTBS eng gefasst sind und zukünftig unter der ICD-11 sogar noch enger geführt werden (so ist das unspezifische Kriterium " das nahezu bei jedem tiefgreifende Verzweiflung auslösen würde" gestrichen worden), verbietet sich an dieser Stelle eine großzügige Betrachtungsweise.

Bei der Klägerin finden sich zudem keine Hinweise auf Nachhallerinnerungen und Flashbacks, die bei der vom Sachverständigen Dr. Lo. angenommen Störung typischerweise auftreten würden. Selbst von den Behandlern im Med- Klinikum, die bei der Klägerin eine (einfache) PTBS diagnostizierten – allerdings mit Blick auf den kurz zuvor erlittenen Herzstillstand –, wurden derartige Symptome nicht mitgeteilt. Ebenso wenig hat der Sachverständige Dr. Lo. bei seiner Diagnosestellung erörtert, dass die Klägerin ihm und dem Sachverständigen Dr. W. gegenüber deutlich anders aufgetreten ist als gegenüber dem Sachverständigen Dr. Ni, und diese Verhaltensänderung erst recht nicht für den Senat nachvollziehbar eingeordnet.

cc. Im Übrigen würde sich für die Klägerin nichts Günstigeres ergeben, wenn man mit dem Sachverständigen Dr. Lo. von einem jedenfalls derzeit aufgehobenen Leistungsvermögen ausgehen wollte, so dass auch weitere Ermittlungen zum aktuell verbliebenen Restleistungsvermögen entbehrlich sind. Denn bezogen auf den ersten Tag der Untersuchung bei ihm (20. Februar 2019) und seitdem wären die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nicht erfüllt. Die Klägerin hätte dann nicht drei Jahre Pflichtbeiträge in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung vorzuweisen, wie es § 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB VI verlangt. Dass ein Leistungsfall bereits am 31. Januar 2017 eingetreten war oder sogar, wie vom Sachverständigen Dr. Lo. angenommen, mindestens ein Jahr vor der Untersuchung durch den Sachverständigen Dr. Ni (das wäre am 23. November 2015 gewesen) oder gar im Jahr 2013, hat sich nicht feststellen lassen.

(1) Dabei verkennt der Senat nicht, dass die psychischen Einschränkungen der Klägerin in der Vergangenheit schwankten und sich jedenfalls langfristig verstärkt haben dürften. Die Klägerin berichtete bereits im Februar 2008 im Med- Klinikum von Angstzuständen und Albträumen nach der Borreliose-bedingten akuten Herzerkrankung mit Reanimation (undatierter Entlassungsbericht des Med- Klinikums). Die dortigen Behandler empfahlen eine ambulante Psychotherapie, die von der Klägerin aber nie aufgenommen wurde. Anfang 2009 wurde im Rahmen der Erstbegutachtung im Schwerbehindertenverfahren nach ambulanter Untersuchung festgestellt, dass die Klägerin seit dem 2007 erlittenen Herzstillstand unter einer Anpassungsstörung mit einer Herzphobie und einer wechselnd leicht- bis mittelgradigen depressiven Symptomatik als Reaktion auf einen lebensbedrohlichen Herzstillstand leide. Sie sei überzeugt, schwer herzkrank zu sein, obwohl keine weiteren Herzrhythmusstörungen aufgetretenen seien und der kardiologische Befund regelgerecht sei. Diese reaktive neurotische Störung zeige mangels adäquater Behandlung bereits eine Chronifizierungstendenz und wurde vom versorgungsärztlichen Dienst mit einem Teil-GdB von 30 bewertet (Gutachten der Psychiaterin und Psychotherapeutin Priv.-Doz. Dr. E.Ma. vom 7. Januar 2009). Frau Dr. Mt. konnte in ihrem Gutachten vom 12. Juli 2009 nach ambulanter Untersuchung der Klägerin gleichwohl keine wesentlichen Einschränkungen auf nervenärztlichem Fachgebiet objektivieren; im Vordergrund stünden regressive Tendenzen mit dem Wunsch nach Entlastung und Entpflichtung. Für die Richtigkeit dieser damaligen Einschätzung spricht, dass die Klägerin in der Folgezeit wieder als Reinigungskraft beschäftigt war. Im Februar 2012 nahm die Klägerin dann die bis heute andauernde Behandlung bei Herrn Prof. Dr. H. auf, der eine Behandlung mit Psychopharmaka begann und im September 2012 gegenüber der Beklagten mitteilte, die Klägerin sei seit der akuten Herzerkrankung zunehmend ängstlich und depressiv (Ärztlicher Befundbericht zum Rehabilitationsantrag vom 26. September 2012). Herr Dr. G. erlebte die Klägerin während der Untersuchung am 2. November 2012 als sehr wortkarg, verschlossen und in stark gedrückter Stimmung. Im Rahmen der – letztlich frustranen und von der Klägerin gegen ärztlichen Rat abgebrochenen – stationären psychiatrischen Behandlung Anfang 2013 präsentierte die Klägerin sich mit massiven Antriebsstörungen, einer ausgeprägten Anhedonie und einer depressiven Grundstimmung, ohne auf die vielfältigen medikamentösen Behandlungsversuche anzusprechen (Entlassungsbericht des Universitätsklinikums vom 28. Februar 2013). Auch auf Herrn J. A. wirkte die Klägerin am 13. Mai 2013 matt, erschöpft und mäßig niedergestimmt, ohne dass er eine schwerwiegende depressive Symptomatik feststellen oder eindeutige Hinweise für eine Psychose hätte finden können. Im Rahmen eines im April 2013 angestrengten Neufeststellungsverfahrens beim Versorgungsamt bewertete der versorgungsärztliche Dienst die psychischen Einschränkungen erstmals mit einem Teil-GdB von 50 und stützte sich dabei auf die von Herrn Prof. Dr. H. inzwischen diagnostizierte psychotische Depression (Gutachtliche Stellungnahme vom 24. Juli 2013). Herr Prof. Dr. H. hat die Klägerin gegenüber dem Gericht zunächst als mäßig depressiv eingeengt und wenig schwingungsfähig beschrieben (Befundbericht vom 2. Juni 2015). Der Sachverständige Dr. W. hat zur Untersuchung vom 26. November 2015 mitgeteilt, in psychischer Hinsicht sei eine ausgesprochene Schwunglosigkeit und Teilnahmslosigkeit der Klägerin bei der Erhebung der Beschwerden und der Untersuchungen aufgefallen, andererseits habe sie alle Maßnahmen bereitwillig durchgeführt. Unter dem 25. Oktober 2016 attestierte Herr Prof. Dr. H. der Klägerin dann, im Affekt schwer (statt: mäßig) depressiv eingeengt und nicht (statt: wenig) schwingungsfähig zu sein. Auf den Sachverständigen Dr. Ni hat die Klägerin bei der Untersuchung am 23. November 2016 wie erwähnt reduziert gewirkt. Die Klägerin erlebe sich als vollständig invalidisiert und demonstriere mit ihrem Verhalten dieses Gefühl von Invalidisierung. Der zuletzt begutachtende Sachverständige Dr. Lo. hat die Grundstimmung der Klägerin wie erwähnt als niedergeschlagen und tief gedrückt beschrieben.

(2) Gerade angesichts der vorliegenden Befunde, die bis ins Jahr 2008 zurückreichen, hat sich aber nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit feststellen lassen, dass der Leistungsfall spätestens am 31. Januar 2017 eingetreten ist. Dagegen spricht vor allem der vom Sachverständigen Dr. Ni am 23. November 2016 erhobene Befund, an dessen Richtigkeit zu zweifeln keinerlei Anlass besteht. Wie dargelegt hat er insbesondere keine schwere depressive Symptomatik vorgefunden und daraus nachvollziehbar lediglich ein qualitativ eingeschränktes Leistungsvermögen abgeleitet. Es gibt keinerlei Anzeichen dafür, dass das Leistungsvermögen der Klägerin in den gut zwei Monaten zwischen der Untersuchung durch den Sachverständigen Dr. Ni und dem 31. Januar 2017 dramatisch abgesunken ist. Im Gegenteil hat Herr Prof. Dr. H. noch im Folge-Befundbericht vom 20. Dezember 2017 im Wesentlichen diejenigen Befunden mitgeteilt, die er zuletzt im erstinstanzlichen Verfahren bescheinigt hatte und die im Rahmen der Begutachtung durch den Sachverständigen Dr. Ni gewürdigt worden sind.

c. Der Senat hat nicht die Überzeugung gewinnen können, dass die Klägerin spätestens am 31. Januar 2017 krankheitsbedingt daran gehindert gewesen wäre, den zu einer Erwerbstätigkeit erforderlichen Willen aufzubringen (s. dazu, dass eine Erwerbsminderung bedingende Krankheit auch dann vorliegt, wenn Versicherte an einer psychischen Gesundheitsstörung leiden, die sie selbst bei zumutbarer Willensanspannung nicht aus eigener Kraft überwinden können und aufgrund derer sie nicht mehr die Kraft besitzen, den Willen zur Erwerbsarbeit aufzubringen, BSG, Urt. v. 16. März 1962, 12/3 RJ 108/57 juris-Rn. 30; Urt. v. 7. April 1964, 4 RJ 283/60, juris-Rn. 17; Urt. v. 1. Juli 1964, 11/1 RA 158/61, juris-Rn. 15). Insbesondere vermag er sich nicht der anderslautenden Einschätzung des Sachverständigen Dr. Lo. anzuschließen. Es kann dahin stehen, ob ihre seelische Störung die Klägerin inzwischen daran hindert, selbst bei gebotener Willensanspannung etwaige Hemmungen gegenüber einer Arbeitsleistung zu überwinden. Jedenfalls lässt sich nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit feststellen, dass eine derartige Einschränkung spätestens Ende Januar 2017 bestanden hat. Dagegen sprechen die vom Sachverständigen Dr. Ni erst zwei Monate zuvor erhobenen Befunde, aus denen er wie dargelegt für den Senat nachvollziehbar hergeleitet hat, dass die Klägerin jedenfalls seinerzeit zur willentlichen Ausgestaltung ihres Verhaltens in der Lage gewesen ist und ein ausreichender Antrieb bestanden hat. Auch insoweit gibt es nach Überzeugung des Senats keine ausreichenden Anhaltspunkte für eine kurz darauf eingetretene massive Verschlechterung.

d. Das Ermittlungsergebnis gibt dem Senat ebenso wenig Anlass daran zu zweifeln, dass die Klägerin jedenfalls bis zum 31. Januar 2017 unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts tätig sein konnte. Insbesondere bestehen keine ernstlichen Zweifel daran, dass die Klägerin trotz voraussichtlicher Arbeitsunfähigkeitszeiten während schwerer depressiver Episoden eine Arbeitsleistung hätte erbringen können, die noch den Mindestanforderungen entsprochen hätte, die ein "vernünftig und billig denkender Arbeitgeber" zu stellen berechtigt ist (s. dazu, dass und unter welchen Umständen das Risiko einer häufigen Arbeitsunfähigkeit zu einer Erwerbsminderung führen kann, wenn dadurch eine Einstellung oder Weiterbeschäftigung eines des Betroffenen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt praktisch ausgeschlossen ist, zuletzt BSG, Beschl. v. 31. Okt. 2012, B 13 R 107/12 B, juris-Rn. 15 ff. mwN). Dass die Mindestanforderungen während eines Arbeitsjahres nicht erfüllt worden wären, erscheint dem Senat schon angesichts der über den Zeitraum vom 16. Juli 2012 (Antragstellung) bis zum 31. Januar 2017 verteilten Begutachtungen durch Herrn J. A., den Sachverständigen Dr. W. und den Sachverständigen Dr. Ni fernliegend, in deren Rahmen jeweils keine schwere depressive Symptomatik festgestellt werden konnte. Auch Herr Prof. Dr. H. hat die Klägerin im erstinstanzlichen Verfahren zunächst als mäßig depressiv eingeengt beschrieben.

e. Nach Überzeugung des Senats ist schließlich die Wegefähigkeit der Klägerin jedenfalls bis zum 31. Januar 2017 erhalten gewesen in dem Sinne, dass sie vier Mal am Tag Wegstrecken von über 500 m mit zumutbarem Zeitaufwand von jeweils bis zu 20 Minuten zu Fuß bewältigen und ferner zwei Mal täglich während der Hauptverkehrszeit mit öffentlichen Verkehrsmitteln fahren konnte (zu diesem generalisierenden Maßstab BSG, Urt. v. 12. Dez. 2011, B 13 R 79/11 R, juris-Rn. 20). Den Senat überzeugt auch insoweit die Einschätzung des Sachverständigen Dr. Ni, demzufolge die Klägerin zwar wegen der kognitiven Einschränkungen kein Kraftfahrzeug lenken solle, sie aber öffentliche Verkehrsmittel nutzen und die dafür geforderte Wegestrecke zumutbar bewältigen könne. Das deckt sich mit der Einschätzung des Sachverständigen Dr. W., demzufolge die Klägerin die geforderte Wegstrecke "ohne Schwierigkeiten" bewältigen könne. Der Sachverständige Dr. Ni hat das Gangbild der Klägerin als kleinschrittig und schlurfend beschrieben und mitgeteilt, die Klägerin habe die Füße kaum gehoben und sich auf dem Weg in den 1. Stock demonstrativ am Treppengeländer hochgezogen. Beim Test zur Überprüfung des Gleichgesichtssinns habe die Klägerin ein Schwanken demonstriert, die Stand- und Gangtests habe die Klägerin entweder nicht durchgeführt oder sie seien wegen mangelnder Kooperation nicht gewertet worden. Relevante organische Einschränkungen des Gehvermögens haben sich dabei nicht feststellen lassen und sind im Übrigen von der Klägerin nie behauptet worden. Ebenso wenig hat sich im Rahmen der Beweisaufnahme mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit feststellen lassen, dass sich ihre psychische Beeinträchtigung auf das Gehvermögen oder die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel auswirke und dies bereits am 31. Januar 2017 der Fall gewesen sei. Der anderslautenden Einschätzung des Sachverständigen Dr. Lo., die Klägerin habe auch in der Vergangenheit öffentliche Verkehrsmittel nur in Begleitung nutzen und die erforderlichen Wegstrecken je nach psychischer Verfassung nicht oder nur in Begleitung und voraussichtlich nicht mit zumutbarem Zeitaufwand zurücklegen können, begegnen durchgreifende Zweifel jedenfalls in Bezug auf den relevanten Zeitraum bis zum 31. Januar 2017. Denn die die Klägerin hat bei der nur zwei Monate zuvor stattgefundenen Untersuchung durch den Sachverständigen Dr. Ni eine Hilflosigkeit demonstriert, die nach seiner für den Senat nachvollziehbaren Einschätzung zweifelsohne willentlich akzentuiert gewesen sei.

2. Da das Leistungsvermögen der Klägerin demnach lediglich qualitativ eingeschränkt ist, kann sie ebenso wenig Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung aus § 43 Abs. 1 Satz 1 SGB VI beanspruchen.

3. Die Klägerin kann schließlich keine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit aus § 240 SGB VI beanspruchen. Zwar gehört sie, weil sie vor dem 2. Januar 1961 geboren ist, zum grundsätzlich geschützten Personenkreis (§ 240 Abs. 1 Nr. 2 SGB VI). Doch spricht nichts dafür, dass sie berufsunfähig iSd § 240 Abs. 1 Nr. 1 iVm Abs. 2 SGB VI ist. Sie verfügt über keinen qualifizierten rentenrechtlichen Berufsschutz, was sie auch selbst nie behauptet hat. Im Mehrstufenschema (dazu zusammenfassend BSG, Urt. v. 29. Juli 2004, B 4 RA 5/04 R, juris-Rn. 33) ist der maßgebliche Beruf als Reinigungskraft der Stufe 1 der ungelernten Tätigkeiten zuzuordnen. Damit muss sich die Klägerin auf alle gesundheitlich noch möglichen (ungelernten) Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes verweisen lassen.

4. Weitere Ermittlungen sind nicht veranlasst. Insbesondere hält der Senat es nicht für erforderlich, dass der Sachverständige Dr. Ni gem. § 118 Abs. 1 Satz 1 SGG iVm § 411 Zivilprozessordnung (ZPO) sein Gutachten mündlich erläutert. Dieses weist nach dem Dafürhalten des Senats keine Lücken oder erläuterungsbedürftigen Unklarheiten auf, sondern hat alle relevanten Beweisfragen für den Senat nachvollziehbar beantwortet. Das gilt auch angesichts der Ausführungen des Sachverständigen Dr. Lo ... Anders als die Klägerin zu meinen scheint, hat der Sachverständige Dr. Ni bei Beurteilung der Wegefähigkeit die fremdanamnestischen Angaben ihres Ehemannes berücksichtigt. Er hat insbesondere zur Kenntnis genommen und gewürdigt, dass die Klägerin nach den Angaben des Ehemannes von der Familie nicht allein gelassen werde, da man befürchte, sie werde orientierungslos durch die Straßen irren. Allein der Umstand, dass die Klägerin die gutachtliche Einschätzung nicht teilt, macht keine Erläuterung durch den Sachverständigen erforderlich. Da der Sachverständige Dr. Ni sein Gutachten nach dem Dafürhalten des Senats unter sorgfältiger Auswertung aller ihm vorliegenden Unterlagen erstellt hat, erscheint es ebenso wenig angezeigt, ihn zu den voraussichtlichen Arbeitsunfähigkeitszeiten der Kläger zu hören. Das gilt umso mehr, als der Senat wie dargelegt keine Zweifel daran hegt, dass die Klägerin jedenfalls im relevanten Zeitraum unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts tätig sein konnte.

5. Der von der Klägerin in der mündlichen Verhandlung vom 30. Juli 2019 gestellte Antrag hat dem Senat zu keinem anderen Vorgehen Anlass gegeben.

a. Als Antrag nach § 116 S. 2, § 118 Abs. 1 Satz 1 iVm 402, 397, 411 Abs. 4 Satz 1 ZPO ist er jedenfalls verspätet, so dass der Senat dahin stehen lässt, ob damit objektiv sachdienliche Fragen vorliegen würden (s. zu den Anforderungen an die Sachdienlichkeit zuletzt BSG, Beschl. v. 16. Juni 2016, B 13 R 119/14 B, juris-Rn. 12 mwN). Das Fragerecht der Beteiligten ist grundsätzlich auf die in derselben Instanz eingeholten Gutachten beschränkt (vgl. etwa Keller, in: Meyer-Ladewig/ ders./Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl. 2017, § 118 Rn. 12d, 12g). Etwas anderes gilt, wenn das erstinstanzliche Gericht verfahrensfehlerhaft einem bereits seinerzeit rechtzeitig gestellten Antrag auf Befragung eines Sachverständigen nicht nachgekommen ist und dieser Antrag im Berufungsverfahren aufrechterhalten bleibt (s. dazu BSG, Beschl. v. 22. April 2013, B 13 R 21/13 B, juris-Rn. 16 mwN). Das ist hier aber nicht der Fall gewesen. Die Klägerin hat gegenüber dem Sozialgericht schon keinen entsprechenden Antrag gestellt. Ihr ist das Gutachten des Sachverständigen Dr. Ni mit Schreiben vom 30. November 2016 zur Kenntnis gegeben worden. Sie ist dem unter Vorlage eines weiteren Attests von Herrn Prof. Dr. H. entgegengetreten, ohne dabei aus ihrer Sicht erläuterungsbedürftige Punkte des Gutachtens zu bezeichnen. Spätestens mit der Ladung zum Termin am 1. Juni 2017, die ihre damaligen Bevollmächtigten am 23. Februar 2017 erhalten haben, musste der Klägerin klar gewesen sein, dass das Sozialgericht von sich aus keine Anhörung des Sachverständigen Dr. Ni beabsichtige. Gleichwohl hat sie auf keine Weise zu erkennen gegeben, dass sie dem Sachverständigen Dr. Ni Fragen vorlegen lassen wolle, die sie zur Aufklärung der Sache für dienlich erachte. Das hat sie auch im Berufungsverfahren nicht behauptet. Für die Klägerin ergibt sich nichts Günstigeres, wenn man ihr weiterhin ein Fragerecht in Bezug auf das Gutachten des Sachverständigen Dr. Ni einräumen wollte. Auch dann wäre ihr Antrag verspätet. Den Beteiligten obliegt es alles zu tun, um die Anhörung des Sachverständigen zu erreichen, indem sie unter anderem einen darauf gerichteten Antrag rechtzeitig stellen (s. zu dieser Obliegenheit zuletzt BSG, Beschl. v. 26. Mai 2015, B 13 R 13/15 B, juris-Rn. 9 mwN). Für die Klägerin ist jedoch spätestens am 27. Juni 2019, als ihre Bevollmächtigten die Ladung zur mündlichen Verhandlung vor dem Senat erhalten haben, ersichtlich gewesen, dass der Senat keine Sachverständigenanhörung plane. Zu diesem Zeitpunkt sind ihr sowohl die Ausführungen aller Sachverständigen als auch der Hinweis der Beklagten bekannt gewesen, die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen hätten letztmals am 31. Januar 2017 vorgelegen. Hierauf hatte die Beklagte bereits in der mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht und erneut mit Schriftsatz vom 11. Mai 2018 hingewiesen. Gleichwohl hat die Klägerin ihren Antrag erst in der mündlichen Verhandlung vom 30. Juli 2019 gestellt, ohne dass die dortige Erörterung neue Aspekte ergeben hätte.

b. Als Antrag nach § 109 Abs. 1 Satz 1 SGG ist der Antrag ersichtlich nicht gemeint gewesen. Im Übrigen wäre das Antragsrecht der Klägerin aus § 109 SGG mit Einholung des Gutachtens des Sachverständigen Dr. Lo. verbraucht.

c. Sollte die Klägerin mit ihrem Antrag allgemein darauf gedrungen haben, über die Häufigkeit ihrer voraussichtlichen Arbeitsunfähigkeitszeiten und über ihre Wegefähigkeit weiter Beweis zu erheben, wäre dem schon deswegen nicht zu folgen, weil hierzu wie ausgeführt bereits gutachtliche Einschätzungen vorliegen, die nach dem Dafürhalten des Senats verwertbar und ausreichend sind.

II. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 Satz 1 SGG. III. Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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