L 4 AS 75/19

Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
4
1. Instanz
-
Aktenzeichen
S 26 AS 550/15
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 4 AS 75/19
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung wird zurückgewiesen. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Der endgültige Streitwert wird auf 3.395,67 festgesetzt. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger wendet sich gegen ein Auskunftsbegehren des Beklagten hinsichtlich seiner finanziellen Verhältnisse.

Der Kläger war mit Frau R.L. verheiratet, welche ausweislich des Leistungsbescheides vom 22. Oktober 2014 zum Zeitpunkt der Klageerhebung Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) bezogen hat und nach Auskunft des Beklagten seitdem fortlaufend bezieht. Mit Beschluss des Amtsgerichts Hamburg-Harburg – Familiengericht vom 28. Februar 2014 wurde die Ehe geschieden.

Mit Schreiben vom 21. Oktober 2014 forderte der Beklagte den Kläger auf, Auskunft über seine Einkommens- und Vermögensverhältnisse zu erteilen. Dies stützte er auf § 33 und § 60 SGB II. Die Auskunft diene der Überprüfung eines Unterhaltsanspruchs.

Dagegen legte der Kläger mit Schreiben vom 19. November 2014 Widerspruch ein. Diesen begründete er damit, dass Unterhaltsverpflichtungen gegenüber der geschiedenen Ehefrau zu keiner Zeit bestanden hätten.

Mit Widerspruchsbescheid vom 12. Januar 2015 wies der Beklagte den Widerspruch zurück. Das Auskunftsverlangen werde auf § 60 Abs. 2 Satz 1 SGB II gestützt. Es sei nicht auszuschließen, dass Unterhaltsansprüche gegen den Kläger bestünden; daher sei der Beklagte zur Prüfung verpflichtet.

Am 16. Februar 2015 hat der Kläger Klage erhoben und geltend gemacht, er sei vor Erlass des Bescheides nicht angehört worden und der Bescheid sei nicht bestimmt genug. Der Beklagte sei auch nicht der in § 60 SGB II benannte Leistungsträger. Im Widerspruchsbescheid werde eine andere Rechtsgrundlage für das Auskunftsersuchen angegeben als im ursprünglichen Auskunftsersuchen. Dies stelle ein unzulässiges Nachschieben von Gründen dar. Zudem ergebe sich ein Auskunftsanspruch weder aus § 33 SGB II noch aus § 60 SGB II. § 60 SGB II regele nur Auskunftspflichten im Vorfeld einer Leistungsgewährung und sei hier nicht mehr anwendbar. Zudem verweise die Norm auf § 1605 BGB. Diese Vorschrift sei aber nur auf Verwandte, nicht auf geschiedene Ehegatten bezogen. Eine Auskunft sei auch nicht erforderlich, da ein Anspruch der geschiedenen Ehefrau gegenüber dem Kläger offensichtlich nicht bestehe. Überdies sei Verwirkung nach § 242 BGB eingetreten. Der Beklagte ist dem entgegengetreten. Der Kläger sei mit der möglicherweise Unterhaltsberechtigten über 30 Jahre verheiratet gewesen. Während der Ehe sei überwiegend durch den Kläger das Familieneinkommen bestritten worden, während die geschiedene Ehefrau nur zeitweise mit Helfertätigkeiten erwerbstätig gewesen sei. Nach der Ehe sei sie krank bzw. arbeitssuchend gewesen, sodass sich nach § 1573 BGB ein Unterhaltsanspruch ergeben könne.

Mit Schreiben vom 1. Juli 2015 hat der Beklagte den Kläger gemahnt, das Auskunftsersuchen zu beantworten. Eine Rechtsbehelfsbelehrung enthielt das Schreiben nicht. Den Widerspruch des Klägers hat der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 3. August 2015 als unzulässig verworfen; der Bescheid sei Gegenstand des laufenden Klageverfahrens. Kosten des Widerspruchsverfahrens würden nicht erstattet. Gleichwohl hat der Kläger Kostenerstattung für das Widerspruchsverfahren beantragt, was der Beklagte mit Schreiben vom 14. August 2015 unter Hinweis auf die Kostenentscheidung im Widerspruchsbescheid beantwortet hat. Den Widerspruch des Klägers hat der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 12. November 2015 als unzulässig verworfen. Das Schreiben vom 14. August 2015 sei kein Verwaltungsakt. Ohnehin sei die einheitliche Kostenentscheidung des Klageverfahrens abzuwarten.

Mit Gerichtsbescheid vom 14. Februar 2019 – nach entsprechender Anhörung – hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Das Auskunftsersuchen sei rechtmäßig. Zwar habe der Beklagte den Kläger nicht gemäß § 24 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) angehört, die Anhörung sei aber im Widerspruchsverfahren gemäß § 41 Abs. 1 Nr. 3 SGB X nachgeholt worden. Der Bescheid entspreche auch ohne weiteres dem Bestimmtheitsgebot nach § 33 SGB X. Materiell sei die Aufforderung zur Auskunftserteilung nach § 60 Abs. 2 SGB II gerechtfertigt. Aufgrund des § 44b Abs. 1 Satz 2 SGB II sei der Beklagte an die Stelle der in § 60 SGB II genannten Agentur für Arbeit getreten, er dürfe den Auskunftsanspruch durch Verwaltungsakt geltend machen. Es komme eine Unterhaltspflicht des Klägers nach § 1573 Abs. 1 BGB in Betracht. Seine geschiedene Ehefrau sei zum Zeitpunkt der Geltendmachung des Auskunftsverlangens keiner Erwerbstätigkeit nachgegangen. Es sei auch weder ersichtlich noch vorgetragen, dass ihre Erwerbslosigkeit auf unzureichenden Erwerbsbemühungen beruht. Ebenso bestünden im Hinblick auf ihren Leistungsbezug keine Anhaltspunkte dafür, dass sie in der Lage wäre, sich aus ihrem Einkommen oder Vermögen selbst zu unterhalten (§ 1577 Abs. 1 BGB). Eine etwaige Unterhaltspflicht des Klägers gegenüber seiner ehemaligen Ehefrau wäre auch geeignet, Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II, die an die ehemalige Ehefrau erbracht würden, auszuschließen oder zu mindern. Denn tatsächlich geleistete Unterhaltszahlungen seien zu berücksichtigendes Einkommen im Sinne von § 11 Abs. 1 Satz 1 SGB II. der Verweis in § 60 Abs. 2 Satz 3 SGB II auf § 1605 Abs. 1 BGB sei nicht dahin zu verstehen, dass der Auskunftsanspruch des § 60 Abs. 2 SGB II lediglich gegenüber Verwandten in gerader Linie bestehen solle. Vielmehr umfasse er alle aufgrund familienrechtlicher Rechtsgrundlage Verpflichteten. Die vom Beklagten geforderte Auskunft sei auch im Sinne von § 60 Abs. 2 Satz 1 SGB II erforderlich. Das Merkmal der Erforderlichkeit konkretisiere den verfassungsrechtlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Erforderlich sei dabei eine Güterabwägung zwischen dem Auskunftsinteresse des Leistungsträgers einerseits und den schutzwürdigen Persönlichkeitsinteressen des Auskunftsverpflichteten andererseits. Das Auskunftsbegehren des Beklagten halte diesen Anforderungen stand. Der Beklagte verfüge nicht über die verlangten Informationen betreffend die Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Klägers. Es sei auch nicht ersichtlich, dass der Beklagte an diese Informationen einfacher als durch das Auskunftsersuchen gelangen könne. Weiter stehe auch nicht fest, dass ein potentieller Unterhaltsanspruch der geschiedenen Ehefrau gegen den Kläger unabhängig von dessen Einkommen oder Vermögen offensichtlich nicht bestehe. Ein Unterhaltsverzicht sei weder vorgetragen noch ersichtlich. Es sei auch keine Verwirkung eingetreten; das Auskunftsersuchen sei vielmehr kurz nach der Scheidung erfolgt. Das Sozialgericht hat hinsichtlich der Schreiben des Beklagten vom 1. Juli und 14. August 2015 ergänzt, dass dies keine dem Widerspruch zugänglichen Bescheide seien.

Gegen den am 22. Februar 2019 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 18. März 2019 Berufung eingelegt. Er bestreitet, dass seine ehemalige Ehefrau Leistungen nach dem SGB II erhalten habe, und macht geltend, dass Unterhaltsansprüche verjährt seien. Überdies hätten sich die Eheleute bereits im Jahr 2000 getrennt, indem die ehemalige Ehefrau zu ihrem Freund gezogen sei. Sie sei danach nicht mehr an den Kläger wegen Unterhaltsansprüchen herangetreten. Das Auskunftsverlangen sei ermessensfehlerhaft.

Der Kläger beantragt,

unter Aufhebung des Gerichtsbescheides vom 14. Februar 2019 den Bescheid vom 21. Oktober 2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. Januar 2015 aufzuheben sowie den Bescheid vom 1. Juli 2015 nebst Kostenentscheidung in Gestalt des Bescheides vom 3. August 2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. November 2015 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, die Kosten des Widerspruchsverfahrens zu tragen.

Der Beklagte ist dem entgegengetreten und beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung durch den Berichterstatter als Einzelrichter ohne mündliche Verhandlung erklärt. Hinsichtlich des Sachverhalts im Übrigen wird auf die Prozessakte und die Sachakten des Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

I. Das Gericht konnte nach § 155 Abs. 3, 4 und § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) durch den Berichterstatter ohne mündliche Verhandlung entscheiden.

II. Die Berufung ist zulässig, hat aber in der Sache keinen Erfolg. Das Auskunftsverlangen des Beklagten durch Bescheid vom 21. Oktober 2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. Januar 2015 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Auch können die Kosten des Widerspruchsverfahrens gegen das Schreiben vom 1. Juli 2015 nicht erstattet verlangt werden. Der Senat verweist insoweit nach § 153 Abs. 2 SGG auf die Begründung des Gerichtsbescheids des Sozialgerichts, der er folgt.

Das Berufungsvorbringen gibt lediglich Anlass zu folgenden Ergänzungen:

Dass ein Unterhaltsanspruch in der Sache bestehe, ist nicht Voraussetzung eines Auskunftsverlangens nach § 60 Abs. 2 Satz 1 SGB II. Vielmehr soll die Vorschrift den Beklagten in die Lage versetzen, eine Prüfung in Betracht kommender Ansprüche gegen Dritte vorzunehmen. Dass der Unterhaltsanspruch offensichtlich nicht bestehe oder verjährt sei, ergibt sich indes auch aus dem ergänzten Vorbringen des Klägers nicht.

Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (Urteil vom 23.6.2016 – B 14 AS 4/15 R), die allerdings zu der dort relevanten Frage nach dem maßgeblichen Zeitpunkt der Sach- und Rechtslage ergangen ist, ist das Auskunftsverlangen neben § 60 Abs. 2 SGB II auch auf § 21 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 1 SGB X zu stützen und liegt daher insgesamt eine Ermessensentscheidung vor. Dies zugrunde gelegt, erweist sich das Auskunftsverlangen gleichwohl nicht als ermessensfehlerhaft. Angesichts des Nachrangs der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts und der strikten Bindung an die Hilfebedürftigkeit des Leistungsberechtigten sowie angesichts der begrenzten Mittel zur Finanzierung der SGB II-Leistungen wird der SGB II-Träger nur bei Vorliegen von Besonderheiten des Einzelfalles abzuwägen haben, ob von einem Auskunftsverlangen Abstand zu nehmen ist, und anderenfalls die Möglichkeiten des § 21 SGB X auszunutzen haben. Dass hier solche Besonderheiten vorlagen, war indes zum maßgeblichen Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung nicht ersichtlich. Auch aus dem nunmehr erfolgten Vorbringen zur Trennung der Eheleute ergibt sich eine grobe Unbilligkeit der Heranziehung des Klägers zur Auskunftserteilung im Übrigen nicht.

III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a3 SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) und entspricht dem Ausgang des Verfahrens. Nichts anderes gilt in Bezug auf den Widerspruch des Klägers gegen das Schreiben vom 1. Juli 2015. Der Widerspruch war bereits unstatthaft mangels Vorliegens eines Verwaltungsakts und der Kostenantrag des Klägers konnte daher insoweit keinen Erfolg haben.

Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf den Überlegungen, die bereits das Sozialgericht angestellt hat (Beschluss vom 17.10.2016).

Die Revision ist nicht nach § 160 Abs. 2 SGG zuzulassen, da kein Zulassungsgrund nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder Nr. 2 SGG vorliegt.
Rechtskraft
Aus
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