L 4 AS 26/18

Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
4
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 29 AS 255/16
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 4 AS 26/18
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung wird zurückgewiesen. Der Beklagte hat ein Zehntel der notwendigen außergerichtlichen Kosten der Kläger zu erstatten. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Kläger wenden sich gegen die teilweise Aufhebung und Rückforderung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II), die ihnen der Beklagte für den Zeitraum vom 1. Februar 2014 bis zum 31. Mai 2014 gewährt hatte.

Die 1978 bzw. 2002 geborenen Kläger sind Mutter und Sohn. Die im streitgegenständlichen Zeitraum erwerbsfähige Klägerin war seit dem 7. Februar 2011 als Abrufarbeitnehmerin bei der Firma mit einer Arbeitszeit von mindestens drei Stunden pro Woche beschäftigt. Aus dieser Tätigkeit erhielt sie ein monatlich schwankendes Einkommen, wobei das Gehalt jeweils im Folgemonat ausgezahlt wurde. Für die Monate August bis Oktober 2013 wurde den Klägern Wohngeld in Höhe von monatlich 123,- Euro gezahlt. Vom 16. Oktober 2013 bis zum 15. Dezember 2013 erhielt die Klägerin Krankengeld in Höhe von täglich 26,70 Euro netto.

Nach der Trennung von ihrem Lebensgefährten beantragte die Klägerin für sich und den Kläger zum 1. September 2013 aufstockende Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II beim Beklagten. Dieser bewilligte mit Bescheid vom 20. September 2013 für die Monate September bis November 2013 Leistungen unter Anrechnung von Erwerbseinkommen in Höhe von 1500,- brutto bzw. 1150,- netto, Kindergeld in Höhe von 184,- Euro sowie Wohngeld in Höhe von 123,- Euro. Nachdem die Klägerin am 30. September 2013 ihre Verdienstabrechnung für August 2013 eingereicht hatte, erließ der Beklagte am 4. Oktober 2013 einen Änderungsbescheid und bewilligte für September 2013 höhere Leistungen (292,18 Euro). In der Begründung heißt es "Korrektur der Einkommensanrechnung im September gem. der Verdienstabrechnung 08.13. ***Einkommensanrechnung im Folgemonat". Anfang Oktober reichte die Klägerin beim Beklagten einen Nachweis über die Einstellung des Wohngelds ein. Daraufhin erließ der Beklagte am 5. November 2013 einen weiteren Änderungsbescheid, mit dem für den Monat November 2013 höhere Leistungen – nämlich ohne Anrechnung eines Einkommens aus Wohngeld – bewilligt wurden. Ende November reichte die Klägerin beim Beklagten ein Schreiben ihrer Krankenkasse vom 18. November 2013 ein, in dem diese mitteilt, dass sie ab dem 16. Oktober 2013 Krankengeld zahle. Mit Schreiben vom 17. November 2013 hörte der Beklagte die Klägerin zu einer beabsichtigen Aufhebung und Erstattungsforderung an und führte aus, die Klägerin habe mit dem Krankengeld und ihrem Erwerbseinkommen im Oktober und November höhere Einkünfte gehabt als angenommen und sei deshalb in geringerem Umfang hilfebedürftig gewesen. Am 12. Dezember 2013 erließ der Beklagte einen Aufhebungs- und Erstattungsbescheid, mit dem die Leistungsbewilligung für Oktober und November 2013 für beide Kläger teilweise aufgehoben und Leistungen zurückgefordert wurden; am 13. Dezember 2013 erging ein Änderungsbescheid für den Monat Oktober 2013.

Mit Bescheid vom 27. November 2013 bewilligte der Beklagte den Klägern Leistungen für den Monat Dezember 2013 in Höhe von 404,84 Euro und für den Zeitraum vom 1. Januar 2014 bis zum 31. Mai 2014 in Höhe von monatlich 420,92 Euro (davon 272,62 Euro an die Klägerin und 148,30 Euro an den Kläger). Dabei wurde ein Einkommen aus Krankengeld in Höhe von monatlich 801,- Euro angerechnet. Mit Änderungsbescheid vom 3. Februar 2014 bewilligte der Beklagte den Klägern für Dezember 2013 Leistungen in Höhe von 433,63 Euro und für den Zeitraum vom 1. Januar 2014 bis zum 31. Mai 2014 in Höhe von monatlich 666,72 Euro (davon 431,44 Euro an die Klägerin und 235,28 Euro an den Kläger). Zur Begründung gab der Beklagte an, die Anrechnung des Krankengeldes sei bis zum 15. Dezember 2013 begrenzt worden. Ab Januar 2014 wurde nunmehr wieder ein Einkommen aus Erwerbstätigkeit der Klägerin berücksichtigt und zwar in Höhe von 1.100,- Euro brutto (850,- Euro netto). Nachdem die Klägerin am 14. März 2014 Verdienstbescheinigungen für die Monate Januar und Februar 2014 vorgelegt hatte, erließ der Beklagte am 17. März 2014 einen weiteren Änderungsbescheid, mit dem für Februar 2014 Leistungen in Höhe von 514,78 Euro (davon 333,12 Euro an die Klägerin und 181,66 Euro an den Kläger) bewilligt wurden. Der Bewilligung lag eine Berücksichtigung von Erwerbseinkommen der Klägerin in Höhe von 1.058,82 brutto bzw. 997,82 Euro netto zugrunde. Gegen den Bescheid vom 17. März 2014 erhob die Klägerin Widerspruch, ohne diesen näher zu begründen. Keiner der genannten Bescheide enthielt einen Vorläufigkeitsvorbehalt. Tatsächlich wurden den Klägern für die Monate Januar bis Mai 2014 jeweils 666,72 Euro ausgezahlt.

Ausweislich der vorgelegten Gehaltsabrechnungen erhielt die Klägerin für Januar 2014 brutto 1.474,36 Euro bzw. netto 1.115,05 Euro, für Februar 2014 brutto 1.378,67 Euro bzw. netto 1.058,82 Euro, für März 2014 brutto 1.434,37 Euro bzw. netto 1.091,79 Euro und für April 2014 brutto 1.512,75 Euro bzw. netto 1.137,11 Euro. Im Bruttogehalt enthalten war ein Arbeitgeberanteil für vermögenswirksame Leistungen in Höhe von 25,55 Euro monatlich enthalten. Ausgezahlt wurden die genannten Nettobeträge abzüglich der vermögenswirksamen Leistungen in Höhe von insgesamt (d.h. Arbeitgeber- und Arbeitnehmeranteil) 61,- Euro monatlich. Abrechnung und Auszahlung erfolgten jeweils im Folgemonat.

Mit Schreiben vom 17. März 2014 hörte der Beklagte die Klägerin hinsichtlich einer Überzahlung für den Monat Februar 2014 an. Das Schreiben enthielt einen Hinweis auf die Regelung des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch – SGB X. Die Klägerin habe Einkommen oder Vermögen erzielt, das zum Wegfall oder zur Minderung ihres Anspruchs geführt habe. Mit Schreiben vom 23. April 2014 hörte der Beklagte die Kläger hinsichtlich einer Überzahlung für den Monat März 2014 an; auch dieses Schreiben verwies auf § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X und die Erzielung von Einkommen. Ferner erging am 28. Mai 2014 ein weiteres Anhörungsschreiben: Die Kläger hätten für die Zeit vom 1. Februar 2014 bis zum 31. Mai 2104 Leistungen in Höhe von insgesamt 864,02 Euro zu Unrecht bezogen. Die Klägerin habe im genannten Zeitraum ein höheres Einkommen aus ihrer Erwerbstätigkeit bezogen. Sie sei ihrer Pflicht zur Mitteilung von Änderungen zumindest grob fahrlässig i.S.v. § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB X nicht nachgekommen. Die überzahlten Leistungen seien zu erstatten.

Mit Bescheid vom 12. Juni 2014 hob der Beklagte die Bewilligungsbescheide vom 27. November 2013, 3. Februar 2014 und 17. März 2014 für den Zeitraum vom 1. Februar 2014 bis zum 31. Mai 2014 teilweise auf und forderte eine Erstattung von Leistungen für den genannten Zeitraum in Höhe von insgesamt 864,02 Euro (aufgeschlüsselt nach Klägern und Monaten). Zur Begründung hieß es, die Klägerin habe während des genannten Zeitraums ein höheres Einkommen aus ihrer Beschäftigung erzielt. Mit dem nachgewiesenen Einkommen seien die Kläger nicht in bisher bewilligter Höhe hilfebedürftig. Die Klägerin sei ihrer Pflicht zur Mitteilung von Veränderungen zumindest grob fahrlässig nicht nachgekommen (§ 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB X).

Hiergegen erhoben die Kläger am 20. Juni 2014 Widerspruch. Bei den aufgehobenen Bescheiden habe es sich weder um vorläufige Bescheide gehandelt noch sei der Klägerin ein Fehlverhalten oder gar grobe Fahrlässigkeit vorzuwerfen. Es sei Vertrauensschutz zu prüfen gewesen. Die Kläger hätten die Leistungen verbraucht. Es sei der Klägerin auch nicht möglich, die Höhe ihres Einkommens im Vorhinein mitzuteilen. Die Lohnabrechnungen seien stets zeitnah zur Verfügung gestellt worden. Zudem sei der Arbeitgeberanteil der vermögenswirksamen Leistungen zu Unrecht als Einkommen berücksichtigt worden.

Mit Widerspruchsbescheid vom 30. Dezember 2015 gab der Beklagte dem Widerspruch teilweise statt. Er änderte den Aufhebungs- und Erstattungsbescheides vom 12. Juni 2014 dahingehend ab, dass von den Klägern insgesamt nur noch ein Betrag von 761,81 Euro erstattet verlangt wurde, davon 492,97 von der Klägerin und 268,85 vom Kläger. Diese Beträge setzten sich wie folgt zusammen: Februar 2014: Klägerin 130,75 Euro, Kläger 71,31 Euro März 2014: Klägerin 100,56 Euro, Kläger 54,84 Euro April 2014: Klägerin 118,29 Euro, Kläger 64,51 Euro Mai 2014: Klägerin 143,37 Euro, Kläger 78,19 Euro. Zur Begründung führte der Beklagte aus, der Widerspruch sei insofern begründet, als dass der monatlich gezahlte Arbeitgeberanteil für vermögenswirksame Leistungen in Höhe von 25,55 Euro nicht als Einkommen zu berücksichtigen sei. Diesbezüglich sei der angefochtene Bescheid zu korrigieren. Im Übrigen sei der Widerspruch aber unbegründet und der Bescheid rechtmäßig. Die Aufhebung und Erstattung beruhe auf §§ 40 Abs. 1 Satz 1, Satz 2, Abs. 2 Nr. 3 SGB II i.V.m. § 45 Abs. 2 Satz 1 – 3 SGB X i.V.m. § 330 Abs. 2 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III). Die Bewilligungsentscheidungen seien bereits bei ihrem Erlass rechtswidrig gewesen, weil den Klägern Leistungen ohne Berücksichtigung des tatsächlich erzielten Einkommens bewilligt worden seien. Diese Rechtswidrigkeit habe die Klägerin erkennen können bzw. habe sie infolge grober Fahrlässigkeit nicht erkannt. Der Klägerin, die seit 2008 im Leistungsbezug stehe, sei bekannt, dass sich die Erzielung von Einkommen bedarfsmindernd auswirke. Auch habe sie aus den Bescheiden erkennen können, dass ein niedrigeres als das tatsächlich erzielte Einkommen angesetzt worden sei. Der Aufhebungs- und Erstattungsbescheid sei auch nicht deshalb rechtswidrig, weil er fehlerhaft auf §§ 48 Abs. 1 Satz 2, 50 Abs. 1 SGB X gestützt worden sei. Insofern sei eine Umdeutung gem. § 43 SGB X möglich. Auch die Berechnung sei, mit Ausnahme der Berücksichtigung des Arbeitgeberanteils der vermögenswirksamen Leistungen, richtig. Der Widerspruchsbescheid enthielt für jeden Monat detaillierte Berechnungen des anzurechnenden Einkommens, der tatsächlichen Leistungsansprüche sowie der Überzahlungsbeträge. Für die Einzelheiten wird auf den Widerspruchsbescheid vom 30. Dezember 2015 verwiesen.

Am 21. Januar 2016 haben die Kläger Klage zum Sozialgericht Hamburg erhoben. Der Bescheid sei als gebundene Entscheidung bewusst ohne die Ausübung von Ermessen erlassen und darauf gestützt worden, dass die Bewilligungsbescheide bei Erlass rechtswidrig gewesen seien, weil Leistungen ohne Berücksichtigung des tatsächlich erzielten Einkommens bewilligt worden seien. Dieser Ansatz sei aber falsch, da bei Erlass der Bescheide nicht habe bekannt sein können, welches Einkommen die Klägerin erzielen würde. Die Bescheide seien vielmehr deshalb rechtswidrig, weil trotz eines schwankenden Einkommens der Klägerin keine vorläufigen Bewilligungsbescheide erlassen worden seien. Der Klägerin sei diesbezüglich keine grobe Fahrlässigkeit vorzuwerfen gewesen, sodass die Aufhebung nicht als gebundene Entscheidung habe ergehen dürfen. Ihr seien spätere Anpassungen durch Änderungsbescheide aufgrund der Vorlage von Verdienstbescheinigungen bekannt gewesen Sie habe aber nicht gewusst und auch nicht wissen müssen, dass Bescheide bei schwankendem Einkommen nur als vorläufige Bescheide ergehen dürften. Selbst wenn sie diese Erkenntnis gehabt habe, hätte dies nicht zu einem Ausfall des Ermessens führen dürfen. Der Ermessens-ausfall mache den Aufhebungs- und Erstattungsbescheid rechtswidrig.

Mit Urteil vom 8. September 2017 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Der angefochtene Bescheid sei rechtmäßig. Rechtsgrundlage der Aufhebung seien die §§ 40 Abs. 1 Satz 1, Satz 2, Abs. 2 Nr. 3 SGB II i. V. m. § 45 Abs. 2 Satz 1 – 3 SGB X i. V. m. § 330 Abs. 2 SGB III. Erlasse die Behörde – wie hier geschehen – auf der Grundlage eines nicht endgültig aufgeklärten Sachverhalts einen endgültigen Bescheid und stelle sich später heraus, dass dieser Bescheid bereits im Zeitpunkt seines Erlasses objektiv rechtswidrig war, so sei ein Fall des § 45 SGB X gegeben. Dass der Beklagte erst im Widerspruchsbescheid diese Rechtsgrundlage genannt habe, sei unbedenklich. Die Voraussetzungen einer Aufhebung nach § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X lägen auch vor, insbesondere könne die Klägerin sich nicht auf Vertrauensschutz berufen, da sie die Rechtswidrigkeit der Überzahlung habe erkennen können bzw. müssen. Es komme dabei nicht darauf an, ob die Kläger hätten erkennen können, dass die Bewilligungsbescheide wegen der Endgültigkeit der Bewilligung rechtswidrig waren, sondern ob sie die Überzahlung hätten erkennen können. Dies ergebe sich aus dem Urteil des Bundessozialgerichts vom 29. November 2012 (B 14 AS 6/12 R). Der Klägerin sei bekannt gewesen, dass die Höhe der ihr zustehenden Leistungen entscheidend von der Höhe des erzielten Einkommens abhing. Ihr sei ebenfalls bekannt gewesen, dass ihr Einkommen schwankte. Sie habe deshalb wissen müssen, dass dann, wenn ihr Einkommen höher gewesen sei als vom Beklagten zugrunde gelegt, ein geringerer Leistungsanspruch bestanden habe und der Bewilligungsbescheid rechtswidrig gewesen sei. Da sie um ihr schwankendes Einkommen und dessen Folgen gewusst habe, sei es unerheblich, dass sie die Höhe ihres Einkommens im Vorhinein nicht genau gekannt habe. Ebenso wenig komme es darauf an, dass die Klägerin keine falschen Angaben gemacht habe. Wegen des fehlenden Vertrauensschutzes seien die Bewilligungsbescheide gem. § 40 Abs. 2 Nr. 3 Alt. 1 SGB II i.V.m. § 330 Abs. 2 SGB III aufzuheben und die überzahlten Leistungen zurückzufordern gewesen. Ermessen sei vom Beklagten nicht auszuüben gewesen.

Das Urteil wurde dem Bevollmächtigten der Kläger am 4. Januar 2018 zugestellt. Am 2. Februar 2018 haben die Kläger Berufung eingelegt. Zur Begründung führen sie aus, es fehle an der Kenntnis bzw. grob fahrlässigen Unkenntnis der Klägerin von der Rechtswidrigkeit der Bewilligungen. Die Klägerin habe nicht erkennen müssen, dass die Leistungsbescheide rechtswidrig waren, weil sie keinen Vorläufigkeitsvorbehalt enthielten. Es komme nach dem Gesetzeswortlaut auch eindeutig auf die Kenntnis der Rechtswidrigkeit an und nicht auf eine spätere Kenntniserlangung von einer Überzahlung. Auch gutgläubige Leistungsbezieher würden irgendwann einmal erfahren, dass zu viel gezahlt wurde. Aus der vom Sozialgericht zitierten Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 29. November 2012 ergebe sich nicht, dass es auf die mögliche Kenntnis einer Überzahlung ankomme. Habe die Klägerin aber keine Kenntnis bzw. grob fahrlässige Unkenntnis von der Rechtswidrigkeit gehabt, so komme allein § 45 Abs. 2 Satz 2 SGB X als Grundlage einer Aufhebung in Betracht. Nach dieser Vorschrift sei aber Ermessen auszuüben, was der Beklagte nicht getan habe.

In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat am 30. September 2019 hat der Vertreter des Beklagten ein Teilanerkenntnis abgegeben und den Bescheid vom 12. Juni 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. Dezember 2015 insoweit aufgehoben, als damit der Änderungsbescheid vom 17. März 2014 aufgehoben und von der Klägerin mehr als 460,54 Euro sowie von dem Kläger mehr als 251,16 Euro erstattet verlangt werden. Die Kläger haben das Teilanerkenntnis angenommen.

Die Kläger beantragen nunmehr, das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 8. September 2017 und den Bescheid vom 12. Juni 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. Dezember 2015 und des Teilanerkenntnisses vom 30. September 2019 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Er verweist auf die Ausführungen im erstinstanzlichen Urteil.

Mit Schreiben vom 26. März 2019 hat der Beklagte die Klägerin – auch in ihrer Eigenschaft als gesetzliche Vertreterin des Klägers – zum Vorwurf der Kenntnis von der Rechtswidrigkeit der ursprünglichen Bescheide angehört und nach fruchtlosem Ablauf der Stellungnahmefrist mitgeteilt, dass an dem Aufhebungsbescheid festgehalten werde.

Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten und des Sachverhalts im Übrigen wird auf das Sitzungsprotokoll und den weiteren Inhalt der Prozessakte sowie der beigezogenen Akte verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.

Entscheidungsgründe:

I. Der Senat konnte in der Sache entscheiden, obwohl die Kläger zu dem Verhandlungstermin am 30. September 2019 nicht erschienen waren. Die Kläger waren zu dem Termin mit Schreiben vom 5. September 2019, zugestellt am 13. September 2019, geladen und darauf hingewiesen worden, dass auch im Falle ihres Ausbleibens Beweis erhoben, verhandelt und entschieden werden könne. Die Kläger waren in dem Termin durch ihren Prozessbevollmächtigten vertreten.

II. Gegenstand des Verfahrens ist der Bescheid vom 12. Juni 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. Dezember 2015 und des Teilanerkenntnisses vom 30. September 2019.

III. Die Berufung ist statthaft (§§ 143, 144 Sozialgerichtsgesetz – SGG) und auch im Übrigen zulässig, insbesondere form- und fristgerecht (§ 151 SGG) erhoben. Der Beschwerdewert war bei Berufungseinlegung erreicht. Zwar ging es für jeden einzelnen der Kläger nur um einen Betrag von weniger als 750,- Euro, bei Streitgenossen sind die geltend gemachten Ansprüche jedoch zusammenzurechnen, § 202 SGG i.V.m. § 5 Zivilprozessordnung (vgl. hierzu LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 17.3.2006 – L 8 AS 4314/05; auch Leitherer, in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Auflage 2017, § 144 Rn. 16). Unschädlich ist, dass der Beschwerdewert durch das Teilanerkenntnis des Beklagten auf unter 750,- Euro gesunken ist, denn maßgeblich ist insoweit allein der Beschwerdewert bei Einlegung der Berufung (vgl. Leitherer, a.a.O. Rn. 19 m.w.N.).

IV. Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Die Klage, bei der es sich um eine reine Anfechtungsklage handelt, ist zulässig, aber nicht begründet. Der Bescheid vom 12. Juni 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. Dezember 2015 und des Teilanerkenntnisses vom 30. September 2019 ist rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten.

1. Rechtsgrundlage für die Aufhebung der zuvor getroffenen Bewilligungsentscheidungen ist § 40 Abs. 2 Nr. 3 SGB II i. V. m. § 330 Abs. 2 SGB III und § 45 Abs. 1 und 2 SGB X. Zutreffend hat das Sozialgericht dargelegt, dass das Auswechseln der Rechtsgrundlage (§ 48 SGB X im Bescheid vom 12. Juni 2014, § 45 SGB X im Widerspruchsbescheid vom 30. Dezember 2015) als solches nicht zur Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheids führt. Insoweit wird auf die Gründe des erstinstanzlichen Urteils Bezug genommen.

2. Der angefochtene Bescheid ist jedenfalls inzwischen formell rechtmäßig. Die Kläger sind spätestens im Laufe des Berufungsverfahrens ordnungsgemäß angehört worden, § 24 SGB X. Mit dem Schreiben vom 26. März 2019 hat der Beklagte der Klägerin – auch in ihrer Eigenschaft als gesetzliche Vertreterin des Klägers – den nunmehr für seine Entscheidung relevanten Vorwurf der Kenntnis von der Rechtswidrigkeit der ursprünglichen Bewilligungsbescheide mitgeteilt und ihr Gelegenheit gegeben, hierzu Stellung zu nehmen.

3. Die rückwirkende Aufhebung des lediglich den Monat Februar 2014 betreffenden Änderungsbescheides vom 17. März 2014 ist durch das in der mündlichen Verhandlung abgegebene Teilanerkenntnis des Beklagten beseitigt worden, sodass dieser Änderungsbescheid weiterhin Bestand hat.

Die Voraussetzungen für eine rückwirkende Aufhebung der ursprünglichen Bewilligungsentscheidungen lagen für die Bescheide vom 27. November 2013 und 3. Februar 2014 vor. Nach §§ 40 Abs. 1 Satz 1, Satz 2, Abs. 2 Nr. 3 SGB II in der vom 1. April 2011 bis zum 31. Dezember 2015 geltenden Fassung vom 13. Mai 2011 (a.F.) i.V.m. § 45 Abs. 2 Sätze 1 – 3, Abs. 4 SGB X und § 330 Abs. 2 SGB III ist ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, wenn der Begünstigte sich aus den in § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 – 3 genannten Gründen nicht auf schutzwürdiges Vertrauen berufen kann.

a. Der Bewilligungsbescheid vom 27. November 2013 und der Änderungsbescheid vom 3. Februar 2014 waren bereits bei ihrem Erlass rechtswidrig, weil sie Leistungen endgültig bewilligten, obwohl aufgrund des schwankenden Einkommens der Klägerin nur eine vorläufige Bewilligung hätte erfolgen dürfen (vgl. BSG, Urteil vom 29.11.2012 – B 14 AS 6/12 R).

b. Die Kläger können sich nicht auf schutzwürdiges Vertrauen berufen. Die Klägerin kannte die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts bzw. kannte sie infolge grober Fahrlässigkeit nicht (§ 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X). Der Kläger muss sich die Kenntnis bzw. grob fahrlässige Unkenntnis der Klägerin als seiner gesetzlichen Vertreterin zurechnen lassen.

Den Klägern ist darin zuzustimmen, dass Bezugspunkt der Kenntnis bzw. der grob fahrlässigen Unkenntnis nicht die Überzahlung als solche ist. Denn maßgeblicher Zeitpunkt für die Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis der Rechtswidrigkeit ist die Bekanntgabe des begünstigenden Bescheids. Eine nach diesem Zeitpunkt eintretende Bösgläubigkeit reicht hierfür nicht aus (vgl. Merten, in Hauck/Noftz, SGB X, § 45 Rn. 77 unter Bezugnahme auf BSG, Urteil vom 22.3.1995 – 10 RKg 10/89 und Urteil vom 4.2.1998 – B 9 V 24/96 R; auch Padé, jurisPK-SGB X, § 45 Rn. 96). In diesen Fällen kommt vielmehr nur ein Ende des Vertrauens nach § 45 Abs. 2 Sätze 1 und 2 SGB X und die Aufhebbarkeit für die Zukunft in Betracht (vgl. Padé, a.a.O.). Es genügt also nicht, dass die Klägerin zum Zeitpunkt des Zuflusses des Einkommens bzw. mit Zugang der Gehaltsabrechnungen erkennen konnte, dass sie mehr erhalten hatte als den Bewilligungen zugrunde lag. Vielmehr kommt es auf ihre Kenntnisse bzw. grob fahrlässigen Unkenntnisse im Zeitpunkt des Erlasses der jetzt aufgehobenen Bescheide an.

Die Kenntnis bzw. die grob fahrlässige Unkenntnis muss sich auf die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts, also das Ergebnis der Tatsachenfeststellung und Rechtsanwendung durch die Behörde beziehen. Allerdings können Fehler im Bereich der Tatsachenermittlung oder im Bereich der Rechtsanwendung, auch wenn sie nicht Bezugspunkt des grobfahrlässigen Nichtwissens sind, Anhaltspunkt für den Begünstigten sein, die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes selbst zu erkennen. Voraussetzung dafür ist, dass sich die tatsächlichen oder rechtlichen Mängel aus dem Bewilligungsbescheid oder anderen Umständen ergeben und für das Einsichtsvermögen des Betroffenen ohne weiteres erkennbar sind (vgl. BSG, Urteil vom 8.2.2011 – B 11 AL 21/00 R). Unerheblich ist dabei, ob der Begünstigte die genaue rechtliche Begründung der Rechtswidrigkeit kennt bzw. grob fahrlässig nicht kennt. Hier kommt es daher nicht darauf an, ob die Klägerin wusste bzw. erkennen konnte, dass der Beklagte hier keine endgültige, sondern lediglich eine vorläufige Entscheidung hätte erlassen dürfen (so aber SG Chemnitz, Urteil vom 16.8.2011 – S 37 AS 1853/10 und dieses bestätigend Sächsisches LSG, Urteil vom 5.3.2015 – L 7 AS 888/11). Eine rechtliche Subsumtion ist nicht erforderlich, vielmehr genügt es, wenn der Begünstigte im Sinne einer "Parallelwertung in der Laiensphäre" (vgl. Merten, in Hauck/Noftz, § 45 SGB X Rn. 68) weiß bzw. wissen muss, dass ihm die zuerkannten Leistungen so nicht zusteht (vgl. Schütze, in von Wulffen/Schütze, SGB X, 8. Auflage 2014, § 45 Rn. 55). Das war hier der Fall: Die Klägerin wusste nicht zuletzt aufgrund der Bewilligungsentscheidungen und deren Änderungen im vorangegangenen Bewilligungszeitraum, dass die Leistungen an die tatsächlichen Einkommensverhältnisse angepasst werden würden. Sie hat in der Klagebegründung ausdrücklich vorgetragen, dass ihr spätere Anpassungen durch Änderungsbescheide aufgrund der Vorlage von Verdienstbescheinigungen bekannt waren. Auch wenn sie die Unterscheidung zwischen vorläufiger und endgültiger Bewilligung nicht kennen musste, so war ihr infolgedessen doch klar bzw. hätte ihr klar sein müssen, dass die dauerhaft angelegte Zugrundlegung eines festen, jeden Monat gleichen Einkommens in den ursprünglichen Bewilligungsbescheiden nicht richtig war bzw. nicht auf Dauer Bestand haben konnte. Bei dieser Sachlage musste die Klägerin mit einer Änderung der Leistungsbewilligung rechnen, ein schutzwürdiges Vertrauen auf den Bestand der Bescheide ist nicht erkennbar. Letztlich steht die Klägerin damit nicht anders als jeder Hilfeempfänger, der nach Bewilligung von Leistungen höheres Einkommen als erwartet erzielt. Hier würde nach § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X ohne weiteres die Bewilligung (teilweise) aufgehoben werden können. Es kann aber keinen Unterschied machen, ob unerwartete höheres Einkommen erzielt wird (§ 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X) oder erkennbar im Bewilligungsbescheid keine Vorsorge für schwankendes Einkommen getroffen wird (§ 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X).

c. Da die Voraussetzungen des § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X vorliegen, waren die Bewilligungsbescheide gem. § 40 Abs. 2 Nr. 3 SGB II a.F., § 330 Abs. 2 SGB III aufzuheben. Es handelt sich um eine gebundene Entscheidung, Ermessen war vom Beklagten nicht auszuüben.

d. Der Umfang der Aufhebung der für die Monate März, April und Mai 2014 bewilligten Leistungen begegnet keinen Bedenken. Der Beklagte hat die Berechnung der Leistungsansprüche unter Berücksichtigung des tatsächlich im jeweiligen Monat zugeflossenen Einkommens im Widerspruchsbescheid detailliert dargelegt; diese Berechnungen sind zutreffend. Auch die Gegenüberstellung der Ansprüche mit den ursprünglichen Bewilligungen und tatsächlich erfolgten Zahlungen weist keine Fehler auf.

e. Die Jahresfrist des § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X ist gewahrt. Danach muss eine rückwirkende Aufhebung binnen eines Jahres seit Kenntnis der Tatsachen erfolgen, welche die Rücknahme für die Vergangenheit rechtfertigen. Der Aufhebungsbescheid erging am 12. Juni 2014 und damit innerhalb dieser Frist. Unschädlich ist, dass der Widerspruchsbescheid, mit dem die Aufhebung teilweise abgeändert und erstmals auf die Rechtsgrundlage des § 45 SGB X und die Kenntnis bzw. grob fahrlässige Unkenntnis von der Rechtswidrigkeit der Bewilligungen gestützt wurde, erst am 30. Dezember 2015 und damit erst nach Ablauf der Jahresfrist erlassen wurde. Für einen Widerspruchsbescheid gilt nämlich nicht erneut die Jahresfrist (so auch LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 26.2.2013 – L 11 AS 1394/09, juris Rn. 34). Ausgangs- und Widerspruchsbescheid stellen sich vielmehr als Einheit dar (vgl. B. Schmidt in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Auflage 2017, § 95 Rn. 2 m.w.N.). Streitgegenstand im gerichtlichen Verfahren ist gem. § 95 SGG der mit der Klage angefochtene ursprüngliche Verwaltungsakt in der Gestalt, die er durch den Widerspruchsbescheid gefunden hat. Nur wenn der Ausgangsbescheid im weiteren Zeitablauf ausdrücklich aufgehoben oder vollständig ersetzt wird, kann für die Frist nach § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X nicht mehr an den dann nicht mehr existenten Erstbescheid angeknüpft werden (vgl. hierzu: BSG, Urteile vom 15.2.1990 – 7 RAr 28/88).

4. Das Erstattungsverlangen findet seine Grundlage in § 40 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 SGB II i.V.m. § 50 Abs. 1 Satz 1 SGB X. Ist ein Verwaltungsakt aufgehoben worden, so sind danach bereits erbrachte Leistungen zu erstatten. Die Berechnung der Rückforderungssumme hinsichtlich der Monate März, April und Mai 2014 ergibt sich aus dem Widerspruchsbescheid, der insoweit keine Fehler aufweist. Hinsichtlich des Monats Februar 2014 folgt ein Erstattungsanspruch – nachdem die Aufhebung des Änderungsbescheids vom 17. März 2014 im Wege des Teilanerkenntnisses aufgehoben wurde – aus der Teilaufhebung der vorangegangenen Bewilligungsentscheidung durch den Änderungsbescheid vom 17. März 2014. Mit diesem Änderungsbescheid wurde die Bewilligung von Leistungen für den Monat Februar 2014 für die Klägerin in Höhe von 98,32 Euro und für den Kläger in Höhe von 53,62 Euro aufgehoben. Insgesamt errechnet sich daher folgende Erstattungssumme: Klägerin Kläger Februar 98,32 Euro 53,62 Euro März 100,56 Euro 54,84 Euro April 118,29 Euro 64,51 Euro Mai 143,37 Euro 78,19 Euro gesamt 460,54 Euro 251,16 Euro

V. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Sie berücksichtigt, dass der Beklagte ein Teilanerkenntnis abgegeben hat und die Kläger mit ihrem Begehren somit teilweise obsiegt haben.

Der Senat hat die Revision zugelassen. Die Frage, worauf sich die Kenntnis bzw. grob fahrlässig Unkenntnis der Rechtswidrigkeit gem. § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 beziehen muss, ist von grundsätzlicher Bedeutung.
Rechtskraft
Aus
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