L 4 SO 77/18

Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
4
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 7 SO 586/14
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 4 SO 77/18
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 15. August 2018 aufgehoben und die Klage abgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin wendet sich gegen die Erhebung eines Kostenbeitrags für Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt und der Grundsicherung im Rahmen ihrer stationären Betreuung in einer Wohneinrichtung im Zeitraum von Mai 2011 bis April 2013.

Die 1988 geborene Klägerin ist geistig (leichte Intelligenzminderung) und seelisch (emotional instabile Persönlichkeitsstörung) behindert. Infolgedessen gehört sie unstreitig zum Personenkreis der wesentlich behinderten Menschen im Sinne von § 53 Abs. 1 Satz 1 Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) und erhält seit langem vom Beklagten Leistungen der Eingliederungshilfe.

Die Klägerin lebte zunächst bei ihren Eltern in Stade im örtlichen Zuständigkeitsbereich des Beklagten. Ab August 2001 war sie in stationären Einrichtungen untergebracht, zunächst bis Ende Juli 2006 in einer stationären Wohngruppe für Kinder und Jugendliche mit Behinderungen. Zum August 2006 begann sie in Hamburg eine vierjährige Qualifizierungsmaßnahme zur Kita-Helferin. Von August 2006 bis April 2010 wohnte sie im Wohnhaus A. in Hamburg, einer stationären Wohnbetreuungseinrichtung der AS. Die Kosten hierfür übernahm der Beklagte, die Hilfeart wurde als Eingliederungshilfe in Form der Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft nach § 54 Abs. 1 Satz 1 SGB XII i.V.m. § 55 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) angegeben.

Nachdem die Klägerin ihre Ausbildung zur Kita-Helferin vorzeitig beendet hatte, begann sie zum 1. September 2008 eine berufliche Bildungsmaßnahme in denWerkstätten in Hamburg. Zum 1. Mai 2010 zog die Klägerin innerhalb der AS um in eine andere stationäre Einrichtung der Eingliederungshilfe, nämlich das Wohnheim B. in Hamburg. Mit Bescheid vom 4. Oktober 2010 teilte der Beklagte der Klägerin mit, er übernehme die Kosten der stationären Betreuung im Wohnheim B. ab 1. Mai 2010 längstens bis zum 31. Juli 2013. Im Einzelnen würden Eingliederungshilfe in Form der Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft (§ 54 Abs. 1 Satz 1 SGB XII i.V.m. § 55 SGB IX) gewährt sowie Hilfe zum Lebensunterhalt (§§ 19 Abs. 1, 35 SGB XII), die neben den Betreuungskosten einen Barbetrag zur persönlichen Verfügung in Höhe von monatlich 96,93 Euro umfasse. Der Bescheid erhielt ferner den Hinweis, dass über einen eventuell zu leistenden Kosten- bzw. Unterhaltsbeitrag ein gesonderter Bescheid ergehe. Die Einkünfte seien zur teilweisen Deckung der Betreuungskosten einzusetzen.

Mit Bescheid vom 15. April 2011 wurde der der Klägerin gewährte Barbetrag zur persönlichen Verfügung rückwirkend ab dem 1. Januar 2011 auf 98,28 Euro festgesetzt.

Ab dem 4. Mai 2011 war die Klägerin im Arbeitsbereich derWerkstätten tätig. Die Betreuungskosten hierfür übernahm der Beklagte mit Bescheid vom 31. Mai 2011, wobei die Hilfeart angegeben war als Eingliederungshilfe in Form von Leistungen in anerkannten Werkstätten für behinderte Menschen nach § 41 SGB IX oder in vergleichbaren sonstigen Beschäftigungsstätten gem. §§ 54 Abs. 1 Satz 1 SGB XII i.V.m. § 56 SGB IX. Aus der Tätigkeit im Arbeitsbereich der Werkstätten erzielte die Klägerin ein Einkommen in wechselnder Höhe, dass aus einem Grundlohn, einem Leistungslohn, einem Zuschuss für die HVV-Proficard und Arbeitsförderungsgeld bestand.

Am 12. Mai 2011 zog die Klägerin erneut innerhalb Hamburgs in eine andere stationäre Eingliederungshilfeeinrichtung der AS um, und zwar in das Wohnhaus C ... Die Kosten für die dortige Unterbringung und Betreuung übernahm wiederum der Beklagte.

Im Juni 2011 verstarb der Vater der Klägerin. Die Klägerin erhielt ab dem 1. Juli 2011 eine Halbwaisenrente in Höhe von monatlich 274,62 Euro. Die Rente wurde an den Beklagten ausgezahlt. Am 19. Oktober 2011 erließ der Beklagte einen "Leistungsbescheid über die Erhebung eines Kostenbeitrags" für die stationäre Betreuung der Klägerin durch die AS. Die Klägerin erhalte seit Juli 2011 eine laufende Halbwaisenrente in Höhe von monatlich 274,62 Euro. Gemäß §§ 87 und 88 i.V.m. § 92a SGB XII sei das Einkommen in voller Höhe als Eigenleistung einzusetzen. Es werde daher ab dem 1. Juli 2011 ein Kostenbeitrag von monatlich 274,62 Euro festgesetzt.

Mit Bescheid vom 16. Dezember 2011 erhöhte der Beklagten den der Klägerin bewilligten Barbetrag zur persönlichen Verfügung ab dem 1. Januar 2012 auf monatlich 100,98 Euro.

Die Freie und Hansestadt Hamburg gewährte der Klägerin mit Bescheid vom 28. Dezember 2011 ab dem 1. Oktober 2011 Waisengeld nach dem Hamburgischen Zusatzversorgungsgesetz in Höhe von monatlich 84,15 Euro. Auch das Waisengeld wurde direkt an den Beklagten gezahlt. Am 13. Juni 2012 erließ der Beklagte einen weiteren Leistungsbescheid über die Erhebung eines Kostenbeitrags für die stationäre Betreuung der Klägerin durch die AS. In dem Bescheid heißt es, die Klägerin erhalte ab dem 1. Oktober 2011 laufend Waisengeld in Höhe von monatlich 78,43 Euro netto. Das Einkommen sei gem. §§ 87 und 88 i.V.m. § 92a SGB XII in voller Höhe als Eigenleistung einzusetzen. Der Kostenbeitrag werde ab dem 1. Oktober 2011 auf monatlich 78,43 Euro festgesetzt.

Im Februar 2012 gingen beim Beklagten Verdienstabrechnungen über das von der Klägerin in denWerkstätten erzielte Einkommen ein.

Mit Bescheid vom 14. Juni 2012 erklärte der Beklagte, er werde die entstehenden und nicht gedeckten Kosten für die stationäre Betreuung der Klägerin in der Einrichtung C. für die Zeit des Aufenthalts in der Einrichtung weiterhin ab 1. Juni 2012 längstens bis zum 31. Juli 2013 übernehmen. Im Einzelnen würden folgende Hilfearten geleistet: Eingliederungshilfe in Form von Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft gem. § 54 Abs. 1 Satz 1 SGB XII i. V. m. § 55 SGB IX, Hilfe zum Lebensunterhalt in Form des monatlichen Barbeitrags zur persönlichen Verfügung in Höhe von monatlich 100,98 Euro sowie Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung als Teil des Gesamtpflegesatzes in der gesetzlich zustehenden Höhe. Unter "2. Einsatz eigenen Einkommens" hieß es, über einen eventuell zu leistenden Kosten- bzw. Unterhaltsbeitrag ergehe ein gesonderter Bescheid. Es werde ein Kostenbeitrag aus dem Werkstatteinkommen gemäß § 88 Abs. 2 SGB XII erhoben.

Am 16. Juli 2012 erließ der Beklagte einen an die Mutter der Klägerin gerichteten Bescheid über die Erhebung eines Kostenbeitrags aus dem Werkstatteinkommen für die stationäre Betreuung der Klägerin in der Einrichtung "C.". Gemäß § 92a Abs. 2 SGB XII sei aus dem Werkstatteinkommen ein Kostenbeitrag zu leisten, sofern das Einkommen den Freibetrag (1/8 der Regelbedarfsstufe 1 zuzüglich 25 % des diesen Betrag übersteigenden Einkommens) übersteige. Aufgrund des erzielten Jahreseinkommens werde der zu leistende Kostenbeitrag für die Zeit vom 4. Mai 2011 bis zum 31. Dezember 2011 auf insgesamt 588,09 Euro festgesetzt. Beigefügt war ein Berechnungsbogen. Ebenfalls am 16. Juli 2012 erging ein weiter Bescheid an die Mutter der Klägerin, mit dem für die Zeit ab dem 1. Januar 2012 vorläufig ein zu leistender Kostenbeitrag von monatlich 73,51 Euro festgesetzt wurde. Gegen diese Bescheide erhob die Mutter mit Schreiben vom 23. Juli 2012 Widerspruch und führte aus, sie sei nicht gerichtlich bestellte Betreuerin der Klägerin und bitte daher um Aufhebung und Neuerlass an den richtigen Adressaten. Ergänzend teilte sie mit Schreiben vom 10. August 2012 mit, sie widerspreche den Forderungen auch in der Sache. Der Beklagte behalte bereits die der Klägerin gezahlte Waisenrente und das Waisengeld ein. Das Einkommen aus der Tätigkeit in der Werkstatt sei einem normalen arbeitsrechtlichen Verdienst nicht gleichzustellen, es liege deutlich unter dem gesetzlichen Mindestlohn.

Mit Schreiben vom 23. August 2012 hörte der Beklagte die Mutter der Klägerin als deren Bevollmächtigte gem. § 24 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) zur Erhebung des Kostenbeitrags an. Er führte aus, die Erhebung des Kostenbeitrags erfolge aufgrund von § 92a SGB XII i.V.m. § 88 SGB XII. Das von der Klägerin bezogene Entgelt aus der Tätigkeit in denWerkstätten zähle zum Einkommen nach § 82 Abs. 1 SGB XII und sei grundsätzlich anzurechnen. Von dem Einkommen seien die mit der Einkommenserzielung verbundenen Ausgaben abzusetzen, hier eine Pauschale von 5,20 Euro für Arbeitsmittel. Weiterhin sei das Arbeitsförderungsgeld in Höhe von maximal 26,- Euro nicht anzurechnen. Nach § 92a Abs. 2 SGB XII i.V.m. § 88 Abs. 1 Satz 2 SGB XII solle die Aufbringung der Mittel in angemessenem Umfang verlangt werden, wenn eine Person auf voraussichtlich längere Zeit Leistungen in einer stationären Einrichtung bedürfe. Diese Voraussetzung sei bei der Klägerin gegeben, sie befinde sich seit mehreren Jahren in stationärer Betreuung. Das Entgelt aus der Beschäftigung in einer Werkstatt für behinderte Menschen sei als Einkommen aus entgeltlicher Beschäftigung im Sinne des § 88 Abs. 2 Satz 1 SGB XII anzusehen.

Die Mutter der Klägerin teilte mit Schreiben vom 4. September 2012 mit, da dem Beklagten bekannt gewesen sei, dass die Klägerin ein Werkstatteinkommen beziehe, sei sie mit einer rückwirkenden Festsetzung eines Kostenbeitrags nicht einverstanden.

Unter dem 29. November 2012 teilte der Beklagte der Klägerin mit, der Barbetrag zur persönlichen Verfügung werde ab dem 1. Januar 2013 auf monatlich 103,14 Euro erhöht.

Mit zwei Widerspruchsbescheiden vom 4. Dezember 2012 wies der Beklagte den Widerspruch der Klägerin gegen die Bescheide vom 16. Juli 2012 zurück. Zur Begründung wiederholte er die Ausführungen im Anhörungsschreiben vom 23. August 2012 und führte ergänzend aus, die Berechnung des Kostenbeitrags sei rechtlich nicht zu beanstanden. Dies gelte auch für die Tatsache, dass die Festsetzung rückwirkend erfolgt sei. Im Rahmen des Kostenübernahmebescheids vom 4. Oktober 2010 sei ausdrücklich darauf hingewiesen worden, dass über einen eventuell zu leistenden Kostenbeitrag ein gesonderter Bescheid ergehe und dass die Klägerin Änderungen in ihren Einkommensverhältnissen unverzüglich anzuzeigen habe. Angaben zur Höhe des Werkstatteinkommens seien dem Beklagten erstmalig per Fax vom 2. Februar 2012 vorgelegt worden. Eine nachträgliche Heranziehung zu einem Kostenbeitrag sei möglich. Der Klägerin sei außerdem angeboten worden, eine Ratenzahlungsvereinbarung abzuschließen.

Am 7. Januar 2013 erhob die Klägerin Klage zum Sozialgericht Hamburg gegen die beiden Bescheide vom 16. Juli 2012 in Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 4. Dezember 2012 (Az: S 52 SO 8/13). Am 30. September 2013 führte das Sozialgericht eine mündliche Verhandlung durch, in der der zuständige Kammervorsitzende darauf hinwies, dass die angegriffenen Bescheide fehlerhaft seien. Gemäß § 92a Abs. 4 SGB XII bleibe § 92 Abs. 2 SGB XII unberührt, weshalb die dortigen Bestimmungen auch im Rahmen des § 92a SGB XII anzuwenden seien. Das gelte auch für die Zumutbarkeitsgrenzen des § 92 Abs. 2 Satz 4 SGB XII. Aus den angegriffenen Bescheiden sei nicht erkennbar, dass der Beklagte diese Regelung gesehen oder angewendet hätte. Daraufhin hob der Beklagte die angefochtenen Bescheide auf und kündigte eine Neuprüfung unter Berücksichtigung der vom Vorsitzenden genannten Vorschriften an. Die Klägerin nahm das Anerkenntnis an.

Am 15. Januar 2013 zog die Klägerin wiederum innerhalb der AS um, diesmal in das Wohnhaus D. in Hamburg, ebenfalls eine stationäre Einrichtung der Eingliederungshilfe. Mit dem 3. April 2013 endete die Beschäftigung der Klägerin im Arbeitsbereich derwerkstätten.

Die Klägerin beantragte am 1. Oktober 2013 die Überprüfung der Bescheide vom 19. Oktober 2011 und 13. Juni 2012 betreffend die Erhebung eines Kostenbeitrags aus der Waisenrente und dem Waisengeld nach § 44 SGB X. Zur Begründung führte sie aus, auch hier hätte über § 92a Abs. 4 SGB XII der Grenzbetrag gem. § 92 Abs. 2 Satz 4 SGB XII berücksichtigt werden müssen. Der Beklagte lehnte den Überprüfungsantrag ab und wies den hiergegen gerichteten Widerspruch zurück. Nachdem die Klägerin ihre hiergegen gerichtete Klage zum Sozialgericht Stade (Az.: S 33 SO 130/15) zurückgenommen hatte, wurde die Ablehnung des Überprüfungsantrags bestandskräftig.

Mit Bescheid vom 9. Oktober 2013 erklärte der Beklagte die Übernahme der Kosten der stationären Betreuung der Klägerin in der Einrichtung D. für die Zeit ab dem 15. Januar 2013 bis längstens zum 31. Juli 2014. Im Einzelnen würden folgende Hilfearten geleistet: Eingliederungshilfe für behinderte Menschen in Form von Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft gem. § 54 Abs. 1 Satz 1 SGB XII i.V.m. § 55 SGB IX, Hilfe zum Lebensunterhalt in Form des monatlichen Barbeitrags zur persönlichen Verfügung in Höhe von monatlich 103,14 Euro sowie Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung als Teil des Gesamtpflegesatzes in der gesetzlich zustehenden Höhe. Unter "2. Einsatz eigenen Einkommens" hieß es, über einen eventuell zu leistenden Kosten- bzw. Unterhaltsbeitrag ergehe ein gesonderter Bescheid.

Am 4. März 2014 erließ der Beklagte drei Bescheide über die Erhebung eines Kostenbeitrags aus dem Werkstatteinkommen für die stationäre Betreuung der Klägerin in der Einrichtung der AS für die Zeiträume Mai – Dezember 2011, Januar bis Dezember 2012 und Januar bis April 2013. Der Kostenbeitrag wurde auf 577,73 Euro für 2011, 992,61 Euro für 2012 und 339,40 Euro für 2013 festgesetzt. Zur Begründung hieß es in den Bescheiden, § 92a Abs. 4 SGB XII, wonach § 92 Abs. 2 SGB XII unberührt bleibe, sei hier nicht relevant. Die Vorschrift stelle sicher, dass in den Fällen des § 92 Abs. 2 SGB XII kein höherer als der dort geregelte Kostenbeitrag gefordert werde. In § 92 Abs. 2 SGB XII sei u.a. die teilstationäre Werkstattbetreuung aufgeführt; für das von der Werkstatt bereitgestellt Mittagessen dürfe ein Kostenbeitrag nur gefordert werden, wenn das Einkommen die doppelte Regelbedarfsstufe 1 überschreite. Hier gehe es jedoch nicht um einen Kostenbeitrag für das Mittagessen in der teilstationären Werkstattbetreuung, sondern um einen Kostenbeitrag für die stationäre Wohnheimbetreuung. Diese erfolge im Rahmen der Hilfe zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft, welche in § 92 Abs. 2 SGB XII nicht genannt sei. Der Einkommenseinsatz für den nach Kapitel 3 und 4 SGB XII erbrachten Lebensunterhalt in der stationären Einrichtung sei somit allein nach § 92a SGB XII zu ermitteln. Die stationäre Leistung setze sich zusammen aus Grundsicherung gem. § 42 SGB XII (maßgeblicher Regelsatz, Unterkunftskosten), Hilfe zum Lebensunterhalt (§ 27b Abs. 2 Barbetrag und Bekleidung) sowie fachlicher Hilfe (Eingliederungshilfe, mit der Einrichtung vereinbartes Entgelt abzüglich des in der Einrichtung erbrachten Lebensunterhalts). Der Einkommenseinsatz für den Lebensunterhalt richte sich nach § 92a SGB XII, das Werkstatteinkommen sei daher um den Freibetrag nach § 82 Abs. 3 Satz 2 SGB XII zu bereinigen. Der Einkommenseinsatz für die fachliche Hilfe richte sich nach §§ 85 ff. SGB XII, das Einkommen sei zuvor nur nach § 82 Abs. 2 SGB XII zu bereinigen, der Freibetrag aus Werkstatteinkommen nach § 88 Abs. 2 SGB XII zu ermitteln. Im vorliegen Fall sei das Einkommen bereits durch Erhebung des Kostenbeitrags für den in der stationären Einrichtung erbrachten Lebensunterhalt verbraucht. Infolgedessen müsse ein Einkommenseinsatz für die fachliche Hilfe im Wohnheim und für die Werkstattbetreuung nicht mehr geprüft werden. Den Bescheiden waren jeweils Anlagen beigefügt, aus denen sich für jeden einzelnen Monat die Berechnung des Kostenbeitrags aus dem jeweils monatlich erzielten Einkommen ergibt.

Die Klägerin erhob gegen alle drei Bescheide mit Schreiben vom 24. März 2014 Widerspruch, den der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 9. Oktober 2014 zurückwies. Der Widerspruchsbescheid ging beim Bevollmächtigten der Klägerin am 10. Oktober 2014 ein.

Am 10. November 2014 hat die Klägerin Klage zum Sozialgericht Hamburg erhoben. Zur Begründung hat sie auf das Verfahren zum Aktenzeichen S 52 SO 8/13 verwiesen. Der Beklagte habe nun erneut den Kostenbeitrag ohne Berücksichtigung des § 92 Abs. 2 Satz 4 SGB XII festgesetzt.

Das Sozialgericht hat der Klage mit Urteil vom 15. August 2018 ohne mündliche Verhandlung stattgegeben und die angefochtenen Bescheide aufgehoben. Zur Begründung hat es ausgeführt, § 92 Abs. 2 SGB XII finde vorliegend Anwendung. Die Vorschrift enthalte eine gezielte Privilegierung von Menschen mit Behinderung. In den Katalogfällen des § 92 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 bis 8 SGB XII könne ein über die häusliche Ersparnis bzw. über die Kosten des erbrachten Mittagessens hinausgehender Kostenbeitrag nicht verlangt werden. Bei Leistungen in einer anerkannten Werkstatt für behinderte Menschen (Nr. 8 des Katalogs) könne ein Einkommenseinsatz zudem lediglich dann verlangt werden, wenn das Einkommen einen Betrag in Höhe des Zweifachen der Regelbedarfsstufe 1 übersteige. Soweit der Beklagte die Auffassung vertrete, der Katalog des § 92 SGB XII führe die der Klägerin erbrachte stationäre Leistung nicht auf und es könne deshalb ein Kostenbeitrag auf das Einkommen erhoben werden, folge die Kammer dem nicht. Vielmehr komme die Privilegierung bereits dann zur Anwendung, wenn auch eine im dortigen Katalog aufgeführte Leistung in Anspruch genommen werde. Das sei bei der Klägerin mit dem Besuch einer Werkstatt für behinderte Menschen nach Nr. 7 des Katalogs der Fall. Das Einkommen der Klägerin liege unter dem Zweifachen der Regelbedarfsstufe 1, sodass kein Kostenbeitrag verlangt werden könne.

Das Urteil wurde dem Beklagten am 24. August 2018 zugestellt. Am 24. September 2018 hat er Berufung eingelegt. Zur Begründung führt er aus, das Sozialgericht habe eine falsche Rechtsauffassung in Bezug auf die Anwendbarkeit des § 92 Abs. 2 SGB XII. Diese Vorschrift sei nur dann anzuwenden, wenn es um eine in ihr ausdrücklich genannte Leistung gehe. Hier gehe es um einen Kostenbeitrag zur stationären Wohnheimbetreuung, welche nicht zu den in § 92 Abs. 2 SGB XII genannten Leistungen gehöre. Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts sei auf die einzelne Maßnahme abzustellen und reiche es deshalb nicht aus, dass daneben eine Leistung aus dem Privilegierungskatalog (hier: Besuch einer Werkstatt für behinderte Menschen) in Anspruch genommen werde. Die Auffassung des Sozialgerichts entspreche auch nicht der Systematik der Regelungen. Sie würde dazu führen, dass Menschen mit Behinderung, die in einer Werkstatt für behinderte Menschen leben, vom Einkommenseinsatz auch dann befreit wären, wenn sie zu Hause lebten – mit der Folge, dass sie trotz Werkstatteinkommens einen Anspruch auf Gewährung der vollen Grundsicherung nach §§ 41 ff. SGB XII hätten. Das entspräche nicht dem, was der Gesetzgeber mit § 82 Abs. 3 Satz 2 SGB XII zum Einsatz des Werkstatteinkommens geregelt habe.

Auf Nachfrage des Senats hat der Beklagte für jeden Monat des streitgegenständlichen Zeitraums eine ausführliche Übersicht über die der Klägerin in der stationären Einrichtung erbrachten Leistungen, das ggf. angerechnete Einkommen aus Waisenrente und Waisengeld sowie die Einrichtungskosten übersandt. Daraus ergibt sich, dass in die Berechnung jeweils Leistungen für den Regelbedarf nach § 42 i.V.m. § 27a SGB XII, ein Mehrbedarf nach § 42 i.V.m. § 30 Abs. 1 Nr. 2 SGB XII, Bedarfe für Unterkunft und Heizung nach § 42 i.V.m. § 35 SGB XII sowie ein Barbeitrag als weiterer notwendiger Lebensunterhalt nach § 27b Abs. 2 SGB XII eingeflossen sind, in einzelnen Monaten ferner eine Bekleidungspauschale. Für die Einzelheiten wird auf die vom Beklagten übersandten Übersichten verwiesen, die als Beiakte zum Verfahren geführt werden.

Der Beklagte beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 15. August 2018 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten und des Sachverhalts im Übrigen wird auf den weiteren Inhalt der Prozessakte sowie der beigezogenen Akte verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.

Entscheidungsgründe:

I. Gegenstand des vorliegenden Verfahrens sind die drei Bescheide vom 4. März 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 9. Oktober 2014.

II. Die Berufung ist statthaft (§§ 143, 144 Sozialgerichtsgesetz, SGG) und auch im Übrigen zulässig, insbesondere form- und fristgerecht (§ 151 SGG) erhoben. Die Berufung ist auch begründet. Das Sozialgericht hat der Klage zu Unrecht stattgegeben

Die Klage ist als reine Anfechtungsklage statthaft und auch sonst zulässig. Sie ist aber nicht begründet. Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten.

1. Die Bescheide sind formell rechtmäßig. Der Beklagte war für den Erlass der angefochtenen Kostenbeitragsbescheide zuständig. Er ist als örtlicher Träger der Sozialhilfe (§ 1 Abs. 2 Niedersächsisches Gesetz zur Ausführung des SGB XII – Nds. AG SGB XII) zur Durchführung der Aufgaben des an sich gem. § 6 Abs. 2 Nr. 1 a) Nds. AG SGB XII für teilstationäre und stationäre Leistungen der Eingliederungshilfe zuständigen überörtlichen Sozialhilfeträgers herangezogen worden (§ 8 Nds. AG SGB XII i.V.m. § 2 Abs. 1 der Verordnung zur Durchführung des Nds. AG SGB XII). Der Beklagte handelt bei Erfüllung der von der Heranziehung umfassten Aufgaben im eigenen Namen, erlässt den Widerspruchsbescheid (§ 9 Abs. 5 Nds. AG SGB XII) und hat insoweit die Wahrnehmungszuständigkeit (vgl. BSG, Urteil vom 27.2.2019 – B 8 SO 13/17 R). Die örtliche Zuständigkeit des Beklagten beruht auf § 98 Abs. 2 Sätze 1 und 2 SGB XII, weil die Klägerin ihren gewöhnlichen Aufenthalt vor der erstmaligen Aufnahme in eine stationäre Einrichtung in seinem Zuständigkeitsbereich hatte.

Zwar dürfte es an der nach § 24 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) erforderlichen vorherigen Anhörung der Klägerin fehlen. Der Anhörungsfehler ist jedoch im Rahmen des Widerspruchsverfahrens geheilt worden, § 41 Abs. 1 Nr. 3 SGB X (zur Möglichkeit der Heilung eines Verstoßes gegen § 24 SGB X im Widerspruchsverfahren vgl. BSG, Urteil vom 9.11.2010 – B 4 AS 37/09 R). Die entscheidungserheblichen Tatsachen waren der Klägerin durch die Begründung der Bescheide vom 4. März 2014 bekannt gegeben worden. Durch die Einlegung des Widerspruchs hatte sie auch Gelegenheit, sich zu diesen Tatsachen zu äußern.

2. Die Bescheide sind hinreichend bestimmt. Sie lassen erkennen, in welcher Höhe für welche Leistung aus welchem Einkommen ein Kostenbeitrag gefordert wird. In den Bescheiden wird zwar für jedes Jahr ein Gesamtkostenbeitrag genannt, aus den als Anlage beigefügten Berechnungsbögen ergibt sich jedoch eindeutig, in welcher Höhe für welchen einzelnen Monat ein Kostenbeitrag aus dem Werkstatteinkommen gefordert wird.

Da die Klägerin in Teilen des streitgegenständlichen Zeitraums weiteres Einkommen – Waisenrente und Waisengeld – hatte, ist aus den angefochtenen Bescheiden allein nicht erkennbar, in welcher Höhe von ihr insgesamt ein Beitrag zu den ihr erbrachten Leistungen verlangt wird. Hierzu ist eine Zusammenschau mit den übrigen Kostenbeitragsbescheiden nötig, aber auch möglich. Widersprüche zwischen den einzelnen Bescheiden bestehen nicht, sodass bei einer Gesamtschau hinreichend erkennbar ist, was von der Klägerin insgesamt gefordert wird.

3. Rechtsgrundlage für die Festsetzung eines Kostenbeitrags ist § 92 Abs. 1 SGB XII. Diese Vorschrift ordnet das sog. Bruttoprinzip an. Erfordert eine Behinderung Leistungen für eine stationäre Einrichtung, so sind danach die Leistungen hierfür auch dann in vollem Umfang zu erbringen, wenn den in § 19 Abs. 3 SGB XII genannten Personen die Aufbringung der Mittel zu einem Teil zuzumuten ist. In Höhe dieses Teil haben diese Personen zu den Kosten der erbrachten Leistung beizutragen. Damit erlaubt die Vorschrift eine erst nachträgliche Heranziehung der Verpflichteten (BSG, Urteil vom 20.04.2016 – B 8 SO 25/14 R).

Die Voraussetzungen des § 92 Abs. 1 SGB XII sind erfüllt: Die Erbringung stationärer Leistungen an die Klägerin war rechtmäßig. Die Klägerin ist geistig und seelisch behindert und gehört zum Personenkreis der wesentlich behinderten Menschen im Sinne von § 53 Abs. 1 Satz 1 SGB XII. Die stationäre Betreuung, in deren Rahmen Hilfe zum Lebensunterhalt bzw. Grundsicherung geleistet wurde, wurde ihr als Hilfe zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft nach § 54 Abs. 1 Satz 1 SGB XII i.V.m. § 55 SGB IX gewährt. Diese Maßnahme war vor dem Hintergrund der bestehenden Beeinträchtigungen der Klägerin auch geeignet und erforderlich.

Dass der Kostenbeitrag erst im Jahr 2014 rückwirkend erhoben wurde, führt nicht zur Rechtswidrigkeit der Bescheide. § 92 Abs. 1 SGB XII soll gerade ermöglichen, im Interesse einer schnellen Hilfegewährung die Leistung erst in vollem Umfang zu erbringen und die Frage der Kostenbeteiligung des Leistungsberechtigten zu einem späteren Zeitpunkt zu klären. Dabei kann der Kostenbeitrag auch noch nach Abschluss der Hilfe erhoben werden (vgl. Giere, in: Grube/Wahrendorf, SGB XII, 6. Auflage 2018, § 92 Rn. 14). Eine gesetzliche Regelung bezüglich des zeitlichen Rahmens, in dem ein Kostenbeitrag nachträglich gefordert werden kann, findet sich nicht. Eine Beschränkung kann sich daher allenfalls aus den allgemeinen Grund-sätzen der Verjährung oder Verwirkung ergeben. Daraus lässt sich vorliegend aber keine Einschränkung ableiten: Im März 2014 waren die Ansprüche auf Kostenbeiträge für die Jahre 2011, 2012 und 2013 keinesfalls verjährt, da mangels ausdrücklicher Regelung jedenfalls keine kürzere Verjährungsfrist anzunehmen ist als die regelmäßige dreijährige Verjährungsfrist des § 195 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB). Anhaltspunkte für eine Verwirkung gibt es nicht. Zwar hat der Beklagte die Kostenbeitragsbescheide vom 16. Juli 2012, mit denen schon einmal ein Kostenbeitrag für die Jahre 2011 und 2012 festgesetzt wurde, in der mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht am 30. September 2013 aufgehoben. Hieraus konnte jedoch kein Vertrauenstatbestand im Sinne der Verwirkung erwachsen. Laut dem Verhandlungsprotokoll hat der Beklagte neben der Aufhebung der Bescheide dort erklärt, es werde eine Neuprüfung unter Berücksichtigung der vom Vorsitzenden genannten Vorschriften erfolgen. Damit war deutlich, dass der Beklagte sich eine Entscheidung über den Kostenbeitrag noch vorbehalten und gerade nicht auf die Erhebung eines Beitrags verzichten wollte.

4. § 92 Abs. 1 SGB XII ermächtigt zur Einkommensberücksichtigung in Form der Festsetzung eines Kostenbeitrags, regelt selbst aber nicht, ob und in welchem Umfang die eigenen Mittel des Leistungsberechtigten überhaupt berücksichtigt werden dürfen.

Der Kostenbeitrag darf zunächst nicht höher sein als die tatsächlichen Kosten für den Lebensunterhalt, die der Klägerin gewährt wurden. Abzustellen ist hierbei auf den Beitrag der Klägerin insgesamt, d.h. neben dem Kostenbeitrag aus dem Werkstatteinkommen auch auf denjenigen aus der Waisenrente und dem Waisengeld. Aus den vom Beklagten vorgelegten Berechnungsbögen ergibt sich, dass in jedem Monat des streitgegenständlichen Zeitraums die der Klägerin gewährten Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt bzw. der Grundsicherung deutlich über dem geforderten Gesamtkostenbeitrag lagen.

Daneben richtet sich die Einkommensberücksichtigung nach den §§ 82 ff. SGB XII, wobei § 92a SGB XII und § 92 Abs. 2 SGB XII Einschränkungen beinhalten.

a. Gemäß § 82 Abs. 1 SGB XII gehören zum Einkommen grundsätzlich alle Einkünfte in Geld oder Geldeswert und somit auch das von der Klägerin in der Werkstatt für behinderte Menschen erzielte Arbeitsentgelt. Aus den den Kostenbeitragsbescheiden beigefügten Berechnungsbögen ergibt sich, dass der Beklagte den Beitrag aus dem für den jeweiligen Monat gezahlten Arbeitsentgelt berechnet hat. Zu Recht hat der Beklagte dabei jeweils das Arbeitsförderungsgeld nach § 43 SGB IX nicht als Einkommen berücksichtigt und von dem Einkommen eine Pauschale für Arbeitsmittel in Höhe von 5,20 Euro abgezogen (§ 82 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 SGB XII i.V.m. § 3 Abs. 5 der Verordnung zur Durchführung des § 82 SGB XII).

Nach § 82 Abs. 3 Satz 2 SGB XII in der hier anwendbaren, bis 31. Dezember 2016 geltenden Fassung (a.F.) ist bei einer Beschäftigung in einer Werkstatt für behinderte Menschen von dem Entgelt ein Achtel der Regelbedarfsstufe 1 zuzüglich 25 vom Hundert des diesen Betrag übersteigenden Entgelts abzusetzen. Dies hat der Beklagte ausweislich der Berechnungsbögen berücksichtigt. Aus den allgemeinen Vorschriften über die Einkommensanrechnung ergeben sich vorliegend keine weiteren Absetzbeträge. Die besonderen Regelungen über die Einkommensgrenzen für Leistungen nach dem Fünften bis Neunten Kapitel gem. §§ 85 ff. SGB XII (wozu die Eingliederungshilfe gehört, die im Sechsten Kapitel geregelt ist) sind vorliegend nicht einschlägig, da der Kostenbeitrag hier explizit nicht zu den Fachleistungen der Eingliederungshilfe erhoben wird, sondern allein zu dem in der stationären Einrichtung erbrachten Lebensunterhalt.

b. Auch § 92a Abs. 1 SGB XII, der besondere Regelungen über den Einkommenseinsatz bei Leistungen für behinderte Menschen in Einrichtungen enthält, führt hier zu keiner weiteren Einschränkung der Einkommensberücksichtigung.

§ 92a Abs. 1 SGB XII bestimmt, dass dann, wenn eine Person in einer teilstationären oder stationären Einrichtung Leistungen erhält, die Aufbringung der Mittel für die Leistungen in der Einrichtung nach dem Dritten und Vierten Kapitel von dieser Person aus ihrem Einkommen verlangt werden kann, soweit Aufwendungen für den häuslichen Lebensunterhalt erspart werden. Nach § 92a Abs. 2 SGB XII soll darüber hinaus die Aufbringung der Mittel in angemessenem Umfang verlangt werden, wenn eine Person auf voraussichtlich längere Zeit Leistungen in einer stationären Einrichtung bedarf. Danach ist der Kostenbeitrag der Klägerin hier nicht auf die ersparten Aufwendungen beschränkt, da die Voraussetzungen des Abs. 2 erfüllt sind: Es geht um einen Beitrag zu den Leistungen nach dem Dritten und Vierten Kapitel SGB XII (Hilfe zum Lebensunterhalt und Grundsicherung), die die Klägerin in der stationären Wohneinrichtung erhalten hat. Die Klägerin erhielt bereits seit mehreren Jahren Leistungen in einer stationären Einrichtung, es war davon auszugehen, dass sie diese Form der Leistungen auch noch länger bedarf.

Nach § 92a Abs. 2 SGB XII soll die Aufbringung der Mittel verlangt werden, insoweit handelt es sich um sog. gebundenes Ermessen. Die Ausübung von Ermessen ist daher nur in atypischen Einzelfällen erforderlich (vgl. Giere in Grube/Wahrendorf, SGB XII, 6. Auflage 2018, § 92a Rn. 15; Lücking in Hauck/Noftz, SGB XII, § 92a Rn. 20; BSG, Urteil vom 23.8.2013 – B 8 SO 17/12 R Rn. 28 zur Vorgängerregelung in § 84 Abs. 4 SGB XII). Dass hier ein solcher Ausnahmefall vorliegt, ist nicht erkennbar.

c. Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts und der Klägerin greift keine weitere Privilegierung über § 92a Abs. 4 SGB XII und § 92 Abs. 2 Satz 4 SGB XII ein.

§ 92a Abs. 4 SGB XII bestimmt, dass § 92 Abs. 2 SGB XII unberührt bleibt. § 92 Abs. 2 SGB XII wiederum regelt, dass in den in § 92 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 bis 8 SGB XII genannten Fällen der Kostenbeitrag weiteren Beschränkungen unterliegt. Wörtlich lautet § 92 Abs. 2 Satz 1 SGB XII in der bis 31. Dezember 2017 geltenden Fassung: "Den in § 19 Abs. 3 genannten Personen ist die Aufbringung der Mittel nur für die Kosten des Lebensunterhalts zuzumuten 1. bei heilpädagogischen Maßnahmen für Kinder, die noch nicht eingeschult sind, 2. bei der Hilfe zu einer angemessenen Schulbildung einschließlich der Vorbereitung hierzu, 3. bei der Hilfe, die dem behinderten noch nicht eingeschulten Menschen die für ihn erreichbare Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft ermöglichen soll, 4. bei der Hilfe zur schulischen Ausbildung für einen angemessenen Beruf oder zur Ausbildung für eine sonstige angemessene Tätigkeit, wenn die hierzu erforderlichen Leistungen in besonderen Einrichtungen für behinderte Menschen erbracht werden, 5. bei Leistungen zur medizinischen Rehabilitation (§ 26 des Neunten Buches), 6. bei Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben (§ 33 des Neunten Buches), 7. bei Leistungen in anerkannten Werkstätten für behinderte Menschen nach § 41 des Neunten Buches und in vergleichbaren sonstigen Beschäftigungsstätten (§ 56), 8. bei Hilfen zum Erwerb praktischer Kenntnisse und Fähigkeiten, die erforderlich und geeignet sind, behinderten Menschen die für sie erreichbare Teilhabe am Arbeitsleben zu ermöglichen, soweit diese Hilfen in besonderen teilstationären Einrichtungen für behinderte Menschen erbracht werden."

In § 92 Abs. 2 Satz 3 SGB XII wird bestimmt, dass die Kosten des in einer Einrichtung erbrachten Lebensunterhalts in den Fällen Nummern 1 bis 6 nur in Höhe der für den häuslichen Lebensunterhalt ersparten Aufwendungen anzusetzen sind. Die Nr. 1 bis 6 sind hier jedoch eindeutig und unstreitig nicht einschlägig, die Klägerin erhält keine der darin genannten Leistungen.

Gemäß § 92 Abs. 2 Satz 4 SGB XII ist "die Aufbringung der Mittel nach Satz 1 Nr. 7 und 8 [ ...] aus dem Einkommen nicht zumutbar, wenn das Einkommen des behinderten Menschen insgesamt einen Betrag in Höhe des Zweifachen der Regelbedarfsstufe 1 nach der Anlage zu § 28 nicht übersteigt". Damit ist klar geregelt, dass von der Klägerin, deren Gesamteinkommen unter dem Zweifachen der Regelbedarfsstufe 1 liegt, ein Kostenbeitrag zu den ihr gewährten Leistungen in der Werkstatt für behinderte Menschen nicht verlangt werden kann, auch nicht zu dem möglicherweise dort zur Verfügung gestellten Mittagessen. Ein Beitrag hierzu steht vorliegend aber auch nicht im Streit. Es geht nicht um einen Beitrag zu den Kosten der Leistungen, die der Klägerin im Arbeitsbereich derwerkstätten erbracht werden, sondern zu den Kosten der Leistungen für den Lebensunterhalt im Rahmen ihrer stationären Unterbringung. Diese Leistungen sind in dem Katalog des § 92 Abs. 2 Satz 1 SGB XII nicht benannt; Leistungen der Hilfe zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft, wie sie der Klägerin in der stationären Einrichtung gewährt werden und in deren Rahmen sie die Leistungen zum Lebensunterhalt erhält, fallen unter keine der Katalognummern.

Der Senat vermag sich der Ansicht des Sozialgerichts, für eine umfassende Anwendung der Privilegierung des § 92 Abs. 2 Satz 4 SGB II genüge es, wenn auch eine im Katalog aufgeführte Leistung in Anspruch genommen werde, nicht anzuschließen. Eine derartige Ausdehnung der Privilegierung findet zunächst keine Stütze im Gesetzeswortlaut. § 92 Abs. 2 Satz 1 SGB XII formuliert "Den [ ] Personen ist die Aufbringung der Mittel nur für die Kosten des Lebensunterhalts zuzumuten bei [ ]" und benennt sodann die einzelnen Leistungen, bei denen die Privilegierung eingreift. Damit wird die Zumutbarkeit der Mittelaufbringung nur konkret für die Kosten der genannten Leistungen eingeschränkt. Dass Personen, die Katalogleistungen erhalten, umfassend – also nicht nur in Bezug auf diese Leistungen, sondern auch in Bezug auf alle anderen Leistungen, dies sie ggf. beziehen – privilegiert sein sollen, lässt sich dem Wortlaut nicht entnehmen. Privilegiert werden bestimmte Maßnahmen (vgl. auch BSG, Urteil vom 20. April 2016 – B 8 SO 25/14 R, Rn. 22), nicht bestimmte Leistungsberechtigte generell.

Etwas Anderes lässt sich auch nicht dem Wortlaut des § 92a Abs. 4 SGB XII entnehmen. Dieser sieht nämlich gerade nicht die entsprechende Anwendbarkeit des § 92 Abs. 2 vor, sondern bestimmt, dass dieser "unberührt" bleibt. Nach der Gesetzesbegründung zu § 92a SGB XII stellt "Absatz 4 [ ] klar, dass in den in § 92 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 bis 8 genannten Fällen bei teilstationärer oder stationärer Betreuung ein über häusliche Ersparnisse bzw. die Kosten des eingenommenen Mittagessens hinausgehender Kostenbeitrag von den in § 19 Abs. 3 genannten Personen weiterhin nicht eingefordert werden kann." Hieraus lässt sich nicht erkennen, dass der Gesetzgeber Personen, die Katalogleistungen erhalten, umfassend – d.h. über die Katalogleistung hinaus – privilegieren wollte. Der Hinweis in § 92a Abs. 4 SGB XII, dass § 92 Abs. 2 SGB XII unberührt bleibe, stellt daher lediglich klar, dass in Bezug auf Leistungen, die vom Regelungsbereich beider Vorschriften erfasst sind – wie das in einer Werkstatt für behinderte Menschen bereitgestellte Mittagessen – § 92 Abs. 2 SGB XII insoweit vorrangig ist, als dass die dortigen Privilegierungen weiter anwendbar sind (vgl. auch Behrend, jurisPK-SGB XII, § 92a SGB XII, Rn. 34).

Soweit das Sozialgericht argumentiert, nur mit einer weiten Auslegung der Privilegierungsvorschriften könne dem Zweck des § 92 SGB XII entsprochen werden, Menschen mit Behinderung aus ihren eigenen Einkünften ein Mindesteinkommen zu sichern, ist dem nicht zu folgen. Ein Mindesteinkommen bzw. ein Mindestbehalt des Werkstatteinkommens wird bereits durch die Regelung in § 82 Abs. 3 Satz 2 SGB XII sichergestellt. Im Übrigen ist die Sicherung eines Mindesteinkommens für Menschen mit Behinderungen auch nicht das vorrangige Ziel des § 92 Abs. 2 SGB XII. Dieser bezweckt vielmehr in erster Linie die Freistellung des behinderten Menschen bzw. seiner Angehörigen (v.a. der Eltern behinderter Kinder) von den Kosten der Fachleistung der Eingliederungshilfe (ähnlich Behrend, jurisPK-SGB XII, § 92 Rn. 18, 41 f.). Die Möglichkeiten der Eingliederung behinderter Menschen in die Gesellschaft soll nicht aus finanziellen Gründen vernachlässigt oder gar verhindert werden (vgl. Lücking, in Hauck/Noftz SGB XII, § 92 Rn. 3). Systematische Überlegungen sprechen im Gegenteil dafür, die Privilegierung des § 92 Abs. 2 SGB XII auf die in dem Katalog ausdrücklich genannten Maßnahmen bzw. Leistungen zu beschränken. Denn andernfalls könnte von leistungsberechtigten Menschen mit Behinderung, die in einer Werkstatt für behinderte Menschen arbeiten, ein Einkommenseinsatz bzw. ein Kostenbeitrag auch bei Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt bzw. der Grundsicherung immer erst dann verlangt werden, wenn ihr Gesamteinkommen das Zweifache der Regelbedarfsstufe 1 übersteigt. Das stünde aber in Widerspruch zu § 82 Abs. 3 Satz 2 SGB XII, der für die Hilfe zum Lebensunterhalt und die Grundsicherung einen deutlich weitergehenden Einsatz des Werkstatteinkommens vorsieht.

d. § 92a Abs. 2 SGB XII begrenzt die Höhe des Kostenbeitrags auf den "angemessenem Umfang". Dabei handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, der durch die Gerichte voll nachprüfbar ist (vgl. Lücking in Hauck/Noftz, SGB XII, § 92a Rn. 21). Angesichts dessen, dass die Klägerin alleinstehend ist (es also nicht darauf ankommt, was anderen Familienmitgliedern verbleiben muss), ihr Lebensunterhalt in der Einrichtung sichergestellt war und sie auch den weiteren notwendigen Lebensunterhalt in Form eines Barbetrags sowie in regelmäßigen Abständen eine Bekleidungspauschale erhalten hat, sodass ihre individuellen Bedarfe hinreichend berücksichtigt und gedeckt waren, ist die Heranziehung des gesamtem, den Freibetrag nach § 82 Abs. 3 Satz 2 SGB XII übersteigenden Werkstatteinkommens als angemessen anzusehen (vgl. zum Maßstab der Angemessenheit bei Alleinstehenden auch BSG, Urteil vom 23.8.2013 – B 8 SO 17/12 R, Rn. 29 und Lücking, a.a.O., Rn. 22).

III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt dem Ausgang in der Hauptsache.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
Saved