L 2 U 3/19

Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 40 U 137/18
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 2 U 3/19
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Die Berufung wird zurückgewiesen. 2. Die Beklagte trägt die Hälfte der notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers im Vorverfahren. Im Klage- und im Berufungsverfahren sind keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten. 3. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt weitere Entschädigungsleistungen der gesetzlichen Unfallversicherung aufgrund von Folgen eines Arbeitsunfalls vom 12. April 2017.

Der 1951 geborene Kläger erlitt an jenem Tag als bei Altersrentenbezug geringfügig beschäftigter Kraftfahrer einen Verkehrsunfall, als das Führerhaus seines Lkw von einem ihm entgegenkommenden, links abbiegenden Lkw rechtsseitig gestreift wurde, wonach er langsam abbremste. Der Kläger war angeschnallt, der Airbag löste nicht aus. Der über Halswirbelsäulen(HWS)-Schmerzen ohne Übelkeit oder Erbrechen klagende, nicht bewusstlos gewesene Kläger wurde mit dem Rettungstransportwagen ins W. Krankenhaus gebracht, wo nach radiologischem Ausschluss von Frakturen eine HWS-Distorsion und nach einem Anprall am Armaturenbrett eine Knieprellung rechts ohne Erguss bei Zustand nach Knie-TEP rechts diagnostiziert wurden.

Der am Folgetag zur Weiterbehandlung aufgesuchte Durchgangsarzt Dr. R. befundete noch einen starken Druckschmerz über der paravertebralen HWS-Muskulatur ohne wesentliche Verspannung. Am rechten Knie fanden sich weder eine Schwellung noch ein Erguss noch ein Hämatom noch eine offene Verletzung; allerdings war die Bewegung praktisch aufgehoben.

Der in der Folge arbeitsunfähige, bis 24. Mai 2017 Entgeltfortzahlung erhaltende Kläger gab unter Therapie nicht nachlassende, sondern zunehmende Beschwerden an. Bis zu dem Verkehrsunfall sei er von Seiten der Halswirbelsäule beschwerdefrei gewesen.

Im Rahmen einer MRT-Untersuchung der HWS am 28. April 2017 im Kernspinzentrum wurde wiederum kein Nachweis einer traumatischen HWS-Verletzung geführt. Stattdessen hieß es, dass sich bei insgesamt deutlichen degenerativen HWS-Veränderungen unverändert deutliche neuroforaminäre Engen beidseits in den Höhen HWK 3 bis 7 zeigten sowie unverändert mäßige discogene Spinalkanalengen in den Höhen HWK 3 bis 5 ohne nachweisliche Myelopathie.

Dr. R. entließ den Kläger am 31. Mai 2017 aus der ambulanten Behandlung und hielt diesen für ab dem 8. Juni 2017 wieder arbeitsfähig. Die berufsgenossenschaftliche Behandlung habe am 19. Mai 2017 geendet. Durch die manuelle Therapie sei keine Symptomverbesserung erzielt worden. Die Weiterbehandlung mit operativer Intervention der im MRT beschriebenen Engen der HWS werde zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung durchgeführt. Unfallfolgen seien keine festzustellen. Bei den persistierend geklagten Beschwerden handele es sich um eine Verschlimmerung eines vorbestehenden Leidens.

Am 12. Juni 2017 wurde der Kläger im Rahmen einer stationären Behandlung in der Asklepios Klinik unter der Diagnose einer Spinalkanalstenose HWK 3 bis 5 operiert.

Die Beklagte zog eine Fülle medizinischer Unterlagen bei, aus denen sich unter anderem ergab, dass der Kläger bereits im Januar 2014 nach einem Autounfall über starke Schmerzen und Bewegungseinschränkungen im Schulter-Nacken-Bereich geklagt hatte und diese Beschwerden sich nur sehr zögerlich zurückbildeten. Bei weitergehenden Untersuchungen im Februar 2014 waren ausgeprägte degenerative Veränderungen (Osteochondrose HWK 3 bis 7) sowie der Verdacht auf eine ältere Fraktur festgestellt worden.

Nachdem der Chirurg Dr. D. im Rahmen einer beratungsärztlichen Stellungnahme für die Beklagte vom 26. September 2017 ausgeführt hatte, dass bei dem Unfall im April 2017 ein Schleudermechanismus mit Sicherheit nicht vorgelegen habe, dass klinisch keine objektivierbaren Unfallfolgen hätten festgestellt werden können und im MRT nur degenerative Veränderungen beschrieben worden seien, sodass spätestens zum 28. April 2017 das Heilverfahren zulasten der Beklagten abzuschließen sei, erkannte die Beklagte mit Bescheid vom 25. Oktober 2017 das Ereignis vom 12. April 2017 als Arbeitsunfall an und stellte fest, dass aus dessen Anlass ein Anspruch auf Entschädigungsleistungen über den 28. April 2017 hinaus nicht bestehe.

Dem hiergegen mit dem Antrag, ihm Entschädigungsleistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung über den 28. April 2017 hinaus zu gewähren, eingelegten Widerspruch des Klägers half die Beklagte teilweise mit Bescheid vom 27. Februar 2018 ab und erkannte unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit und Behandlungsbedürftigkeit bis zum 9. Mai 2017 an, nachdem die (Unfall-)Chirurgin Dr. H. in einer weiteren beratungsärztlichen Stellungnahme vom 5. Januar 2018 ausgeführt hatte, dass angesichts des radiologischerseits ganz sicher nicht verletzungsspezifischen Befunds zwar keine objektivierbaren knöchernen Schäden oder wesentlichen Weichteilschäden vorlägen, aber eine HWS-Zerrung mit vorübergehenden Beschwerden abgelaufen sei, wodurch sich die erheblichen Vorschädigungen zwar nicht verschlimmert hätten, auch nicht richtungsgebend, wodurch aber vorübergehende Beschwerden etwas akzentuiert worden seien. Dieser Anteil sei mit vier Wochen angemessen eingeschätzt, zwei Wochen halte sie in Anbetracht der Vorschäden für zu knapp.

Im Übrigen wies die Beklagte den Widerspruch unter Anerkennung einer Pflicht zur Erstattung von 50% der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen für das Widerspruchsverfahren mit Widerspruchsbescheid vom 13. April 2018 zurück. In der gesetzlichen Unfallversicherung begründe das Vorliegen eines Arbeitsunfalls nur dann Leistungsansprüche, wenn zwischen dem festgestellten Körperschaden und dem Arbeitsunfall ein rechtlich wesentlicher ursächlicher Zusammenhang bestehe. Nach den von der Rechtsprechung für den Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung entwickelten Beweismaßstäben müsse zunächst der Zusammenhang zwischen dem Unfallereignis und dem Gesundheitsschaden überwiegend wahrscheinlich sein. Diese überwiegende Wahrscheinlichkeit liege nur vor, wenn unter Berücksichtigung der medizinisch-wissenschaftlichen Lehrmeinung mehr für als gegen einen solchen Zusammenhang spreche. Zum anderen müsse dieser Zusammenhang auch ein rechtlich wesentlicher sein, d.h. bei Zusammentreffen mehrerer Ursachen müssten die aus dem versicherten Bereich eingetretenen Umstände wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt haben. Den anderen Ursachen dürfe nicht die Wertigkeit einer überragenden Bedingung zu kommen. Welche Ursache wesentlich sei und welche nicht, müsse aus der Auffassung des praktischen Lebens über die besondere Beziehung der Ursache zum Eintritt des Erfolgs bzw. Gesundheitsschadens abgeleitet werden. Beim Kläger hätten unfallbedingte Verletzungen an Bändern, Weichteilen oder Bandscheiben im Bereich der HWS nicht nachgewiesen werden können. Für die über den 9. Mai 2017 hinaus bestehende Arbeitsunfähigkeit und Behandlungsbedürftigkeit der Beschwerden im Bereich der Halswirbelsäule sei die Ursache in vorbestehenden, bereits im Jahr 2014 nachgewiesenen, verschleißbedingten Veränderungen der Wirbelsäule zu sehen.

Hiergegen hat der Kläger unter Hinweis darauf, dass er unmittelbar vor dem Unfall keine Beschwerden an der Wirbelsäule gehabt habe und der Unfall selbst bei Vorliegen von degenerativen Veränderungen jedenfalls mitursächlich für seine über den 9. Mai 2017 hinaus bestehende Arbeitsunfähigkeit und Behandlungsbedürftigkeit gewesen sei, am 30. April 2018 Klage beim Sozialgericht Lübeck erhoben, das den Rechtsstreit an das örtlich zuständige Sozialgericht Hamburg verwiesen hat (Beschluss vom 23. Mai 2018).

Das Sozialgericht hat den Kläger aufgefordert, zur Ermittlung des Sachverhaltes ausgefüllte Vordrucke zurückzureichen, und ihm wegen der nicht vollständigen Nennung der Adressen behandelnder Ärzte sowie der Behandlungsdaten eine Frist nach § 106a Abs. 3 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) gesetzt, woraufhin keine weitere Reaktion mehr erfolgt ist.

Sodann hat das Sozialgericht die Klage nach diesbezüglicher Anhörung der Beteiligten mit Gerichtsbescheid vom 30. November 2018 unter Bezugnahme auf die Ausführungen der Beklagten in den angefochtenen Bescheiden als unbegründet abgewiesen. Nach den vorliegenden Unterlagen könne nicht festgestellt werden, dass beim Kläger über den 9. Mai 2017 hinaus unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit oder Behandlungsbedürftigkeit aufgrund des Unfallereignisses vom 12. April 2018 vorgelegen habe.

Gegen diesen, seinen Prozessbevollmächtigten am 15. Dezember 2018 zugestellten Gerichtsbescheid richtet sich die am 15. Januar 2019 eingelegte Berufung des Klägers, mit der er unter Wiederholung seines bisherigen Vorbringens beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Hamburg vom 30. November 2018 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung des Bescheids vom 25. Oktober 2017 in der Fassung des Bescheids vom 27. Februar 2018 sowie in der Gestalt des Widerspruchbescheids vom 13. April 2018 zu verurteilen, ihm aus Anlass des Arbeitsunfalls vom 12. April 2017 Entschädigungsleistungen der gesetzlichen Unfallversicherung über den 9. Mai 2017 hinaus zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie nimmt Bezug auf den angefochtenen Gerichtsbescheid.

Das Gericht hat Befundberichte behandelnder Ärzte des Klägers mit umfangreichen Anlagen beigezogen. Aus diesen Unterlagen des Neurochirurgen Dr. S., des Orthopäden Dr. J. sowie insbesondere des Facharztes für Allgemeinmedizin und Hausarztes des Klägers Dr. M. geht hervor, dass der Kläger bereits seit 1989 über rezidivierende Beschwerden der Lendenwirbelsäule (LWS), der HWS, der rechten Schulter, des rechten und später auch linken Knies klagte und sich deswegen durchgehend in Behandlung befand, dass vor allem seit Januar 2014 Schmerzen und Bewegungseinschränkungen im Bereich der Halswirbelsäule zum Teil mit Schluck-, Sprech- und Atemproblemen bei erheblichen degenerativen Veränderungen bestanden, dass sich mögliche psychosomatische Aspekte des Symptomgeschehens vermuten ließen, der Kläger entsprechenden Krankheitsmodellen aber sehr skeptisch gegenüber stehe. Aus dem von der Krankenkasse des Klägers angeforderten Vorerkrankungsverzeichnis geht unter anderem eine Krankenhausbehandlung im September 2014 wegen einer Spondylose im Zervikalbereich hervor. Des Weiteren sind Krankenunterlagen der Asklepios Klinik und Befunde bildgebender Verfahren beigezogen worden.

Schließlich hat das Gericht weiter Beweis erhoben durch Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens von dem (Unfall-)Chirurgen Dr. B., der den Kläger am 26. Juli 2019 ambulant untersucht hat und unter dem 8. August 2019 zu dem Ergebnis gekommen ist, dass Arbeitsunfähigkeit und Behandlungsbedürftigkeit als Folge des Unfalls vom 12. April 2017 lediglich bis zum 9. Mai 2017 bestanden hätten und eine Minderung der Erwerbsfähigkeit wegen Unfallfolgen nicht festzustellen sei. Beim Kläger bestünden eine zervikale Spinalkanalstenose HWK 3 bis 5, ein Zustand nach Dekompressionsoperation und zentraler Spondylodese vom 12. Juni 2017 mit eingeschränkter Beweglichkeit der HWS, ein degeneratives LWS-Leiden, ein Zustand nach Knie-TEP rechts, eine arterielle Hypertonie und eine Hyperlipoproteinämie. Keine dieser Gesundheitsstörungen sei alleine durch das oder im Zusammenwirken mit dem Unfallereignis vom 12. April 2017 hervorgerufen worden. Bezüglich des Zeitpunktes der HWS-Operation bestehe lediglich eine zeitliche Koinzidenz. Diese sei ausschließlich auf die seit Jahren bestehenden und fortschreitenden degenerativen Veränderungen zurückzuführen. Alle übrigen Gesundheitsstörungen hätten bereits zum Zeitpunkt des Unfalls bestanden. Ein darüber hinausgehender Unfallerstschaden habe durch die adäquat eingesetzte Diagnostik nicht festgestellt werden können, sodass als unfallbedingte Schädigung "lediglich" eine sogenannte Zerrung der Halsweichteile angenommen werden könne, sodass von einer unfallbedingten Arbeitsunfähigkeit von Tagen bis wenigen Wochen auszugehen sei.

Der erkennende Senat hat durch Beschluss vom 15. Mai 2019 die Berufung dem Berichterstatter übertragen, der zusammen mit den ehrenamtlichen Richtern entscheidet (§ 153 Abs. 5 SGG). Am 11. Dezember 2019 ist in der Sache mündlich verhandelt worden.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird Bezug genommen auf die Sitzungsniederschrift, die vorbereitenden Schriftsätze der Beteiligten sowie den weiteren Inhalt der Prozessakte und der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten.

Entscheidungsgründe:

Die statthafte (§§ 105 Abs. 2 Satz 1, 143, 144 SGG) und auch im Übrigen zulässige, insbesondere form- und fristgerecht (§§ 105 Abs. 2 Satz 1, 151 SGG) eingelegte Berufung ist unbegründet. Das Sozialgericht hat die zulässige Anfechtungs- und Leistungsklage im Ergebnis zu Recht abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 25. Oktober 2017 in der Fassung des Bescheids vom 27. Februar 2018 sowie in der Gestalt des Widerspruchbescheids vom 13. April 2018 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger daher nicht in dessen Rechten. Der Kläger hat aus Anlass des Arbeitsunfalls vom 12. April 2017 keinen Anspruch gegen die Beklagte auf Gewährung von Entschädigungsleistungen der gesetzlichen Unfallversicherung über den 9. Mai 2017 hinaus.

Der Senat folgt der Begründung des angefochtenen Widerspruchsbescheids der Beklagten vom 13. April 2018 (§ 136 Abs. 3 SGG), der seiner Bewertung die einschlägige gesetzliche Regelung (§ 8 Abs. 1 des Siebten Buches Sozialgesetzbuch) und die hierzu ergangene höchstrichterliche Rechtsprechung (s. nur Bundessozialgericht, Urteil vom 9. Mai 2006 – B 2 U 1/05 R, BSGE 96,196, m.w.N.) in zutreffender Weise zu Grunde legt, und nimmt zur Vermeidung von Wiederholungen auf diesen Bezug. Die im Berufungsverfahren vorgenommenen weiteren medizinischen Ermittlungen haben nicht nur kein für den Kläger günstigeres Ergebnis erbracht, sondern in noch deutlicherer Form bestätigt, dass entgegen den Angaben des Klägers bereits Jahre vor dem Unfall erhebliche Beschwerden der Halswirbelsäule geklagt und behandelt wurden, sodass ein unfallbedingter, über die vorbestehenden degenerativen Veränderungen hinausgehender Gesundheitserstschaden nicht festgestellt werden kann, was sich nach dem Grundsatz der objektiven Beweislast, die regelt, wen die Folgen treffen, wenn eine bestimmte Tatsache trotz Ausschöpfung aller Ermittlungsmöglichkeiten nicht festgestellt werden kann (vgl. B. Schmidt in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl. 2017, § 103 Rn. 19 a), zu Ungunsten des Klägers auswirkt, der hieraus ein Recht herleiten wollen würde. Das Sachverständigengutachten von Dr. B. beruht auf einer Auswertung des gesamten Akteninhalts, eigener Befunderhebung, berücksichtigt den medizinischen-wissenschaftlichen Erkenntnisstand und kommt gut nachvollziehbar zu einem in sich schlüssigen Ergebnis.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG, folgt dem Ausgang des Rechtsstreits und berücksichtigt den Teilerfolg des Klägers im Vorverfahren dergestalt, wie ihn auch die Beklagte in der durch die Klageerhebung gegenstandlos gewordenen Kostenentscheidung im Widerspruchsbescheid bewertet hat.

Gründe für eine Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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