L 2 AL 44/19

Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 14 AL 653/17
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 2 AL 44/19
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 28. August 2019 wird zurückgewiesen. 2. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. 3. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Rechtmäßigkeit der Zuweisung der Maßnahme "Ganzheitliche Eingliederung mit integrativem Ansatz" an den Kläger.

Der 1968 geborene Kläger war von August 2011 bis zum 30. Juni 2017 als pädagogischer Mitarbeiter beim BW beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis endete durch arbeitgeberseitige Kündigung. Ab dem 1. Juli 2017 war der Kläger arbeitslos und erhielt Arbeitslosengeld von der Beklagten.

Am 6. November 2017 wies die Beklagte den Kläger in eine "Maßnahme zur Aktivierung und beruflichen Eingliederung gem. § 45 Abs. 1 Satz 1 SGB III des Dritten Buches Sozialgesetzbuch" (SGB III) zu. Die Maßnahmebezeichnung lautete "Ganzheitliche Eingliederungsleistung mit integrativem Ansatz", Zuweisungsbeginn war der 20. November 2017, Zuweisungsende der 19. Februar 2018. Das Schreiben ist mit Hinweisen zu Mitwirkungspflichten des Klägers versehen und mit einer Rechtsfolgenbelehrung für den Fall des Fernbleibens, des Abbruchs der Maßnahme oder des Ausschlusses wegen maßnahmewidrigen Verhaltens. Gegen das Schreiben, welches mit einer Rechtsbehelfsbelehrung nicht versehen war, wendete sich der Kläger mit dem am 19. November 2017 erhobenen Widerspruch. Mit Widerspruchsbescheid vom 7. Dezember 2017 verwarf die Beklagte den Widerspruch als unzulässig, weil mit dem angefochtenen Schreiben Rechte weder begründet, noch geändert, entzogen oder festgestellt worden seien und es sich aus diesem Grund nicht um einen Verwaltungsakt handele.

Hiergegen wendete sich der Kläger mit Klage und Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz. Letzter blieb im Ergebnis in der zweiten Instanz erfolglos (S 14 AL 17/18 ER und L 2 AL 6/18 B ER). In dem die erstinstanzliche Entscheidung aufhebenden und den Antrag als unzulässig verwerfenden Beschluss des Landessozialgerichts Hamburg (LSG) vom 19. Februar 2018 ist unter anderem ausgeführt: "Entgegen der Auffassung des Antragstellers und des Sozialgerichts handelt es sich bei der "Zuweisung" nicht um einen Verwaltungsakt im Sinne des § 31 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X), sodass Widerspruch und Anfechtungsklage gegen diese unzulässig sind. Auch wenn der Wortlaut missverständlich ist, handelt es sich bei der "Zuweisung" um das Angebot einer Maßnahme zur beruflichen Eingliederung nach § 45 Abs. 1 Satz 1 SGB III, das – unabhängig von dem überwiegend begünstigenden und nicht belastenden Charakter – bei fehlender Durchsetzbarkeit der Teilnahmeobliegenheit durch Verwaltungszwang noch keine auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtete Regelung im Sinne des § 31 SGB X trifft, sondern lediglich um eine behördliche Verfahrenshandlung, die der Vorbereitung der eigentlichen Sachentscheidung (Förderung bei Teilnahme an der Maßnahme oder Prüfung und ggf. Feststellung einer Sperrzeit bei Nichtteilnahme) dient (ebenso für das Angebot einer Trainingsmaßnahme nach §§ 48 ff. SGB III a.F.: Bundessozialgericht, Urteil vom 19. Januar 2005 – B 11a/11 AL 39/04 R, SGb 2005, 594; für die Aufforderung zur Mitwirkung nach §§ 60 ff. Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I) mit dem Hinweis auf eine ansonsten mögliche Versagung nach § 66 SGB I: Landessozialgericht Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 5. Juni 2015 – L 4 AS 242/15 B ER, juris). Es liegt auch kein durch die missverständliche Wortwahl begründeter sogenannter formeller Verwaltungsakt vor. Spätestens mit dem Widerspruchsbescheid hat die Beklagte auch aus Sicht eines verständigen Empfängers klargestellt, dass das Schreiben vom 6. November 2017 noch keinen Regelungsgehalt mit unmittelbarer Rechtswirkung für sich in Anspruch nimmt."

Der Kläger hat an der Maßnahme bis zu deren Ende am 19. Februar 2018 teilgenommen. Vom 19. Februar 2018 bis zum 31. Juli 2018 war der Kläger bei der Freien und Hansestadt Hamburg als Sozialarbeiter beschäftigt. Im Anschluss daran bezog er erneut Arbeitslosengeld bis zur Erschöpfung des Anspruchs am 12. Dezember 2018.

Die Klage hat das Sozialgericht (SG) mit Urteil vom 28. August 2019, dem Kläger zugestellt am 24. September 2019, abgewiesen. Die Klage sei wegen fehlenden Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig, nachdem der Kläger an der Maßnahme bis zum Schluss teilgenommen habe und diese nunmehr beendet sei. Unter Bezugnahme auf den Beschluss des LSG hat das SG weiter ausgeführt, jedenfalls sei die Klage aber auch unbegründet, denn es handele sich bei der Zuweisung nicht um einen Verwaltungsakt im Sinne des § 31 SGB X.

Der Kläger hat gegen das ihm am 24. September 2019 zugestellte Urteil am 22. Oktober 2019 Berufung eingelegt, mit welcher er vorträgt, im Verfahren um einstweiligen Rechtsschutz zum Aktenzeichen S 14 AL 17/18 ER sei zutreffend festgestellt worden, dass es sich bei Maßnahmen zur Eingliederung in Arbeit um Verwaltungsakte handele, weil ansonsten die Regelung des § 39 Nr. 1, 3. Alt. Zweites Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) sinnlos sei. Auch das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) habe bereits 1969 entschieden, dass es unzumutbar sei, in einem solchen Fall auf einen materiellen Verwaltungsakt im Sinne von § 31 SGB X warten zu müssen, während in einer unklaren Situation Sanktionen aufgrund des Automatismus des § 31 SGB II drohten und die Existenzsicherung in Frage gestellt sei. Eine andere Auslegung gewähre der Behörde auch einen von § 31 SGB II nicht vorgesehenen Spielraum bei der Wahl ihrer Handlungsform. Wenn bereits die Aufforderung zur persönlichen Meldung bei der Arbeitsagentur als Verwaltungsakt zu werten sei, so müsse dies doch bei der Zuweisung zu einer Maßnahme, die wesentlich umfangreicher in die Rechte des Betroffenen eingreife, erst recht gelten.

Auch habe der Bundesrechnungshof in seinem Bericht vom 22. Augst 2018 festgestellt, es handele sich insoweit um inhaltsfreie Maßnahmen, was den Schluss zulasse, dass diese nur der Möglichkeit der Sanktionierung dienten. Es mangele dem angefochtenen Schreiben auch an allen Anforderungen, die das Bundessozialgericht (BSG) als notwendig erachte, damit es ein Angebot im Sinne des § 45 SGB III darstelle. Er habe auch trotz der Teilnahme an der Maßnahme durchaus ein Feststellungsinteresse, weil nämlich eine Wiederholungsgefahr bestehe.

Der Kläger beantragt sinngemäß, das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 28. August 2019 aufzuheben und festzustellen, dass der Bescheid der Beklagten vom 6. November 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides 7. Dezember 2017 rechtswidrig waren.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das Urteil des Sozialgerichts für zutreffend und trägt darüber hinaus vor, eine Wiederholungsgefahr bestehe bereits deshalb nicht, weil der Kläger seinen Anspruch auf Arbeitslosengeld bis zum 12. Dezember 2018 vollständig ausgeschöpft habe.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren durch die Berichterstatterin als Einzelrichterin einverstanden erklärt.

Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Beteiligten und des Sachverhalts im Übrigen wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakten und der Verwaltungsakten der Beklagten, die Grundlage der Entscheidung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts, über die die Berichterstatterin mit dem Einverständnis der Beteiligten an Stelle des Senats und im schriftlichen Verfahren nach § 155 Abs. 4 in Verbindung mit Absatz 3 und § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) entscheiden kann, ist nach §§ 143, 144 SGG statthaft und zulässig, insbesondere ist sie fristgerecht (§ 151 Abs. 1 SGG) eingelegt worden.

Sie ist indes unbegründet, denn die Klage ist, wie das Sozialgericht kurz, aber im Ergebnis zutreffend ausgeführt hat, unzulässig geworden und zwar auch in Form der allein in Betracht kommenden Fortsetzungsfeststellungsklage. Nach § 131 Abs. 1 Satz 3 SGG spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, dass der Verwaltungsakt rechtswidrig ist, wenn er sich nach Klageerhebung vor der gerichtlichen Entscheidung durch Zurücknahme oder anders erledigt hat, sofern der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.

Das ursprünglich angefochtene Schreiben vom 6. November 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. Dezember 2017 hat sich – sei es ein Verwaltungsakt oder ein schlichtes (vorbereitendes) Verwaltungshandeln – mit Ablauf des 19. Februar 2018 auf andere Weise – nämlich durch Zeitablauf – erledigt. Denn eine Aufhebung des (vermeintlichen) Bescheides kann dem Kläger nach erfolgter Teilnahme an der Maßnahme ebenso wie eine Feststellung, dass er zur Teilnahme nicht verpflichtet sei, keine günstige Rechtsposition mehr verschaffen (§ 39 Abs 2 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - (SGB X); vgl BSG vom 25.10.2012 - B 9 SB 1/12 R - Juris). Ein für die Zulässigkeit der Fortsetzungsfeststellungsklage erforderliches Interesse des Klägers an der Feststellung, dass der vermeintliche Verwaltungsakt bzw. das Verwaltungshandeln vom 6. November 2017 rechtswidrig war, ist indes nicht ersichtlich. Anhaltspunkte für eine konkrete Wiederholungsgefahr liegen entgegen der Auffassung des Klägers nicht vor. Die abstrakte Gefahr, dass die Beklagte ihr nach Auffassung des Klägers rechtswidriges Verhalten in anderen Fällen oder in einer unbestimmten Zukunft ihm selbst gegenüber erneut an den Tag legen wird, genügt für die Annahme einer Wiederholungsgefahr nämlich nicht. Erforderlich ist vielmehr, dass die nicht entfernt liegende Möglichkeit eines wiederholten Auftretens der Rechtsfrage zwischen den Beteiligten besteht, etwa, wenn sich konkret abzeichnet, dass unter im Wesentlichen unveränderten tatsächlichen oder rechtlichen Umständen ein gleichartiges Leistungsbegehren wieder auftreten kann (BSG, Urteil vom 18. Juli 2019 – B 8 SO 2/18 R –, Juris). Das ist vorliegend nicht ersichtlich, nachdem die Leistungsbeziehungen zwischen den Beteiligten wegen der Erschöpfung des Leistungsanspruchs des Klägers beendet sind und offen ist, ob und wann ein neuer Anspruch auf Arbeitslosengeld erworben werden wird. Ein anderweitiges Fortsetzungsfeststellungsinteresse ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.

Darüber hinaus hält der Senat auch daran fest, dass es sich bei dem Schreiben vom 6. November 2017 nicht um einen Verwaltungsakt handelt, wie bereits im Beschluss zum Aktenzeichen L 2 AL 6/18 B ER vom 19. Februar 2018 ausgeführt. Das Bundessozialgericht hat insoweit zu Trainingsmaßnahmen nach dem SGB III in der Fassung des Arbeitsförderugnsreformgesetzes vom 24. März 1997 ausgeführt:

"Gegenteiliges lässt sich auch nicht aus der im vorliegenden Fall den Maßnahmeangeboten angeschlossenen Rechtsfolgenbelehrung mit dem Hinweis auf § 144 SGB III in der hier maßgeblichen, bis zum 31. Dezember 2004 geltenden Fassung entnehmen. Vielmehr macht - wie bereits das LSG zutreffend dargelegt hat - der Hinweis auf § 144 Abs 1 Nr 3 und 4 SGB III gerade deutlich, dass es sich bei den Maßnahmeangeboten nicht um Verwaltungsakte handelt. Denn bei allen Tatbeständen ist jeweils ersichtlich, dass eine Sachentscheidung noch aussteht; diese kann ggf in der Aufhebung der Leistungsbewilligung bestehen, wenn der Arbeitslose sich ohne wichtigen Grund weigert, an der ihm angebotenen Maßnahme teilzunehmen.

Wie der Kläger in seiner Revisionsbegründung selbst einräumt, liegt es auf der Hand, dass den Sperrzeittatbeständen des § 144 Abs 1 Nr 1 SGB III (Arbeitsaufgabe) und § 144 Abs 1 Nr 2 SGB III (Arbeitsablehnung) kein Verwaltungsakt zu Grunde liegt; dasselbe gilt für die Sperrzeitvariante des § 144 Abs 1 Nr 4 SGB III (Abbruch einer beruflichen Eingliederungsmaßnahme). Demgemäß hat der 7. Senat des BSG bereits mit Beschluss vom 21. Oktober 2003 (B 7 AL 82/03 B - veröffentlicht in JURIS) entschieden, dass es sich bei einem Beschäftigungsangebot (Arbeitsangebot) nicht um einen Verwaltungsakt handelt und sich insoweit auf sein früheres Urteil vom 26. Juni 1977 (BSGE 44, 71, 73 = SozR 4100 § 119 Nr 3) bezogen. Nichts anderes gilt für die hier in Frage stehende Nr 3 des § 144 Abs 1 SGB III (Ablehnung einer beruflichen Eingliederungsmaßnahme). Auch hier knüpft der Sperrzeittatbestand lediglich an ein Faktum an, dh die Weigerung des Arbeitslosen, trotz Belehrung über die Rechtsfolgen, an einer angebotenen Maßnahme teilzunehmen. Diese gesetzliche Obliegenheit zur Teilnahme setzt allerdings eine geeignete und zumutbare Maßnahme voraus. In die Prüfung des Eintritts einer Sperrzeit bei Ablehnung der angebotenen Beschäftigung bzw der Teilnahme an der angebotenen Maßnahme ist deshalb - wie dies bereits das LSG zutreffend ausgeführt hat - notwendigerweise auch die Frage der Eignung und Zumutbarkeit der Arbeitsstelle oder der Maßnahme für den Arbeitslosen einzubeziehen (vgl BSG SozR 3-4100 § 103 Nr 13). Die Teilnahmeobliegenheit ist als solche nicht durch Verwaltungszwang durchsetzbar. Dem entspricht es, die durch das ArbA ausgesprochene Aufforderung zur Teilnahme an der angebotenen Maßnahme nicht als Verwaltungsakt anzusehen.”

(BSG, Urteil vom 19. Januar 2005 – B 11a/11 AL 39/04 R –, SozR 4-1300 § 63 Nr 2, Rn. 21 - 22)

Dem hat sich der erkennende Senat mit dem Beschluss vom 19. Febraur 2018 nach angeschlossen und bleibt auch nach neuerlicher Rechtsprüfung bei dieser Auffassung. Auch Gründe des Verfassungsrechts sprechen nicht dafür, den vorliegenden Maßnahmeangeboten eine Verwaltungsaktqualität beizumessen. Weder das Rechtsstaatsprinzip noch der gebotene effektive Rechtsschutz können insoweit herangezogen werden. Denn auch als schlichtes Verwaltungshandeln können die Maßnahmeangebote nicht nur im Rahmen einer Anfechtung des gegebenenfalls folgenden Sperrzeitbescheides, sondern auch – wenn die besonderen Voraussetzungen dafür vorliegen – im Wege einer Feststellungsklage nach § 55 SGG (vgl. BSG a.a.O.) oder einer Fortsetzungsfeststellungsklage nach § 131 Abs. 1 Satz 3 SGG überprüft werden. Die besonderen Voraussetzungen der Zulässigkeit einer Fortsetzungsfeststellungsklage liegen indes nach der Erschöpfung des Anspruchs des Klägers wie oben dargelegt nicht (mehr) vor.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision gegen dieses Urteil war nicht zuzulassen, weil die gesetzlichen Vorausset-zungen des § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder Nr. 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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