L 1 AL 174/02

Land
Rheinland-Pfalz
Sozialgericht
LSG Rheinland-Pfalz
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Mainz (RPF)
Aktenzeichen
S 9 AL 2/02
Datum
2. Instanz
LSG Rheinland-Pfalz
Aktenzeichen
L 1 AL 174/02
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mainz vom 31.10.2002 - S 9 AL 2/02 - wird zurückgewiesen.
2. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Streitig ist, ob der Kläger Anspruch auf höheres Arbeitslosengeld (Alg) ohne Berücksichtigung eines Kirchensteuer-Hebesatzes hat.

Der keiner Kirche angehörende ledige Kläger war vom 24.01.1979 bis zum 31.08.1999 als Industriemechaniker/Glasbearbeiter bei der Firma S G in M beschäftigt. In der Zeit von Februar 1998 bis Ende März 1999 erzielte der Kläger ein versicherungspflichtiges Bruttoarbeitsentgelt von 58.731,77 DM. Nach Beendigung der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall bezog er vom 02.04.1999 bis zum 14.09.2001 von der Betriebskrankenkasse S Krankengeld nach einem ungekürzten kalendertäglichen Regelentgelt von 177,15 DM.

Nach seiner Arbeitslosmeldung am 15.09.2001 bewilligte die Beklagte dem Kläger mit Bescheid vom 26.10.2001 Alg ab dem 25.09.2001 nach einem Bemessungsentgelt von 1.240,00 DM wöchentlich, der Leistungsgruppe A und einer Nettolohnersatzquote von 60 v.H. in Höhe von 430,15 DM wöchentlich. Ab dem 01.01.2002 betrug der wöchentliche Leistungssatz 219,94 Euro (Bescheid vom 14.01.2002). Der Kläger bezog bis zum 04.04.2002 Alg; die Zahlung der Leistung stellte die Beklagte ein, weil sich die Landesversicherungsanstalt Rheinland-Pfalz (LVA) mit Bescheid vom 18.03.2002 bereit erklärt hatte, dem Kläger Rente wegen Erwerbsunfähigkeit auf Dauer ab dem 01.09.2000 zu gewähren. Mit Bescheid vom 02.04.2002 hob sie ihre Entscheidung über die Bewilligung von Alg ab dem 05.04.2002 gemäß § 48 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) auf. Aus zwei Verfügungen der Beklagten vom 27.06.2002 ergibt sich, dass "die Bewilligung der Leistung mit Bescheid vom 02.04.2002 für die Zeit vom 25.09.2001 bis 31.12.2001 und 01.01.2002 bis 04.04.2002" aufgehoben worden sein soll. Ein entsprechender Bescheid ist indes nicht aktenkundig. Den Erstattungsanspruch der Beklagten erfüllte die LVA am 23.04.2002.

Gegen den Bewilligungsbescheid vom 26.10.2001 legte der Kläger mit der Begründung Widerspruch ein, die Berücksichtigung eines Kirchensteuer-Hebesatzes bei der Bemessung des Arbeitslosengeldes sei nicht gerechtfertigt, weil er keiner Kirche angehöre. Den Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 03.12.2001 als unbegründet zurück: Die Berechnung entspreche den gesetzlichen Vorgaben; außerdem habe das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) zwischenzeitlich mit Beschluss vom 23.03.1994 entschieden, dass die Berücksichtigung des sog. Kirchensteuer-Hebesatzes grundsätzlich verfassungsgemäß sei, solange die Mehrheit der Arbeitnehmer noch einer Kirche angehöre und das letzte Entgelt, nach dem sich die Höhe des Arbeitslosengeldes bestimme, um " gewöhnlich" anfallende Abzüge vermindert werden dürfe.

Hiergegen hat der Kläger am 02.01.2002 vor dem Sozialgericht Mainz (SG) Klage erhoben.

Mit Gerichtsbescheid vom 31.10.2002 hat das SG die Klage abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Die Höhe des dem Kläger gewährten Alg sei nicht zu beanstanden. Sie richte sich nach § 129 SGB III und betrage unter Berücksichtigung des wöchentlichen Arbeitsentgelts von 1.240,00 DM, der Leistungsverordnung 2001, der Steuerklasse I sowie der Nettolohnquote von 60 v.H. die bewilligten 430,15 DM wöchentlich. Dass ein Kirchensteuer-Hebesatz berücksichtigt worden sei, begegne keinen Bedenken. Dies entspreche der gesetzlichen Lage und sei verfassungsgemäß. Dies habe das Bundessozialgericht (BSG), zuletzt mit Urteil vom 25.06.2002 - B 11 AL 55/01 R -, bereits mehrfach entschieden. In dieser Entscheidung habe der 7. Senat des BSG nach Einholung einer Auskunft des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung (BMA) ausgeführt, der Senat sei auch für die Zeit nach 1998 nicht davon überzeugt, dass die überwiegende Mehrheit der Arbeitnehmer keiner zur Erhebung von Kirchensteuer ermächtigten Kirche mehr angehöre. Dabei sei der Senat davon ausgegangen, dass der Anteil der Arbeitnehmer die Kirchensteuer zu zahlen hatten, im Jahr 1999 noch 57 % betragen habe. Zwar treffe den Gesetzgeber im Hinblick auf die Entscheidung des BVerfG eine besondere Beobachtungs- und Handlungspflicht, allerdings läge noch kein Näherungswert für die Zeit nach 1999 vor. Aufgrund der vorliegenden Zahlen für die Jahre bis 1998 könne nicht davon ausgegangen werden, dass nach diesem Zeitraum die überwiegende Mehrheit der Arbeitnehmer keiner zur Erhebung von Kirchensteuer ermächtigten Kirche mehr angehöre.

Gegen den ihm am 08.11.2002 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 11.11.2002 Berufung eingelegt.

Er trägt vor:

Die angefochtene Entscheidung sei rechtswidrig. Schließlich gehöre er bereits seit 1983 keiner Kirche mehr an. Es könne nicht sein, dass sich die Beklagte auf seine Kosten bereichere. Schließlich habe die Beklagte einen Kirchensteuer-Hebesatz von 19,01 DM bei seiner Leistung abgezogen. Hierdurch werde er in seinen Grundrechten verletzt. Seiner Meinung nach gehörten bereits über 80 % der Bevölkerung keiner Kirche mehr an. Daher könne nicht mehr davon gesprochen werden, dass es sich bei der Kirchensteuer um einen gewöhnlichen Abzug handele. Das entsprechende Gesetz müsse angepasst werden.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mainz vom 31.10.2002 - S 9 AL 2/02- und den Bescheid der Beklagten vom 26.10.2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03.12.2001 sowie den Bescheid der Beklagten vom 14.01.2002 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger höheres Arbeitslosengeld ohne Berücksichtigung eines Kirchensteuer-Hebesatzes zu bewilligen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält an der getroffenen Entscheidung fest.

Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird im Übrigen auf den Inhalt der Gerichtsakte und der den Kläger betreffenden Leistungsakte der Beklagten (Kundennummer: 0 ) Bezug genommen. Er ist Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Beratung gewesen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung des Klägers ist nicht begründet. Dabei kann es dahinstehen, ob der Kläger ein Rechtsschutzbedürfnis für seine Klage hat, weil er seit dem 01.09.2000 eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit bezieht und infolgedessen sein Anspruch auf Alg nach § 142 Abs.1 Satz 1 Nr. 3 SGB III während der Zeit des Rentenbezugs ruhte. Selbst wenn dies nicht so wäre, hätte seine Berufung keinen Erfolg. Zu Recht hat das SG die Klage abgewiesen. Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 26.10.2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03.12.2001 und der Bescheid vom 14.01.2002 sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Gewährung eines höheren Alg ohne Berücksichtigung eines Kirchensteuer-Hebesatzes.

Nach § 129 SGB III beträgt das Alg für Arbeitslose, die kein Kind i.S.d. Einkommenssteuerrechts haben, 60 v.H. des pauschalierten Nettoentgelts (Leistungsentgelt), was sich aus dem Bruttoentgelt ergibt, das der Arbeitslose im Bemessungszeitraum erzielt hat (Bemessungsentgelt).

Die Beklagte hat dem Leistungsanspruch des Klägers ab dem 25.09.2001 ein zutreffendes Bemessungsentgelt entsprechend der Vorschrift des § 132 Abs.1 Satz 2 SGB III zu Grunde gelegt. Dieses beträgt 1.240,00 DM.

Auch im Übrigen entspricht das dem Kläger gewährte Alg den gesetzlichen Vorschriften. Der Kläger kann sich insbesondere nicht mit Erfolg darauf berufen, dass bei der Berechnung des ihm gewährten Alg der Kirchensteuer-Hebesatz als Berechnungsfaktor unberücksichtigt bleiben müsse. Dies schreibt § 136 SGB III ausdrücklich vor: Nach Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 dieser Vorschrift ist bei der Bestimmung der pauschalierten Entgeltbezüge, "die bei Arbeitnehmern gewöhnlich anfallen", für die Kirchensteuer die Steuer nach dem im Vorjahr in den Ländern geltenden niedrigsten Kirchensteuer-Hebesatz zu Grunde zu legen.

Der Senat vermag sich der vom Kläger geäußerten verfassungsrechtlichen Bedenken gegen diese Rechtslage, die, wie bereits die Vorgängerregelung des § 111 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 AFG, die Berücksichtigung des Kirchensteuer-Hebesatzes als gewöhnlichen Entgeltabzug weiterhin vorsieht, nicht anzuschließen.

Wie das BSG in seinen Entscheidungen vom 08.11.2001 - B 11 AL 43/01 R -, 31.03.2002 - B 7 AL 18/01 R - und 25.06.2002 - B 11 AL 55/01 R - ausdrücklich dargelegt hat, ist § 136 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 SGB III nicht verfassungswidrig. Diese Vorschrift verstößt nicht gegen Art. 14 Abs. 1 Satz 1, Art. 3 Abs.3 oder Art. 4 Abs. 1 Grundgesetz (GG). Dieser Rechtsauffassung schließt sich auch der erkennende Senat an.

Bei seiner Rechtsprechung ist das BSG von dem Beschluss des BVerfG vom 23.03.1994 (BVerGE 90, 226 ff. = SozR 3 - 4100 § 111 Nr. 6) ausgegangen, das entschieden hat, die Vorgängerregelung des § 111 Abs. 2 Satz 2 AFG sei mit dem GG vereinbar. In dieser Entscheidung hatte das BVerfG dem Gesetzgeber jedoch aufgetragen, hinsichtlich des Anteils der kirchenzugehörigen Arbeitnehmer die weitere Entwicklung zu beobachten, um wesentlichen Veränderungen rechtzeitig Rechnung tragen zu können. Die Beobachtungs- und Handlungspflicht des Gesetzgebers hat das BVerfG daraus hergeleitet, dass es mit dem vom Gesetzgeber selbst gewählten Ansatz und dem Gebot der Normklarheit nicht mehr vereinbar wäre, die Kirchensteuer bei der Berechnung des Nettolohnes auch dann noch als "gewöhnlich" anfallenden gesetzlichen Abzug in Ansatz zu bringen, wenn die Zugehörigkeit zu einer Kirche, die Kirchensteuer erhebt, nicht mehr als für Arbeitnehmer typisch angesehen werden könne, wenn also nicht mehr eine deutliche Mehrheit von Arbeitnehmern einer solchen Kirche angehöre.

Hiervon ist jedoch nicht auszugehen. In einer vom Senat in einem vergleichbaren Verfahren eingeholten Auskunft vom 13.09.2002 hat das Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung auf Anfrage mitgeteilt, dass zum Jahresende 2000 nach den Meldungen der evangelischen Kirche Deutschlands und der Deutschen Bischofskonferenz immer noch 64,9 % der Bevölkerung Mitglied einer Kirche gewesen sind. Deshalb kann auch unter Berücksichtigung der neuesten Entscheidung des BSG vom 25.06.2002 weiterhin angenommen werden, dass eine Mehrheit der Arbeitnehmer einer die Kirchensteuer erhebenden Kirche angehört. Der Gesetzgeber wäre nach Auffassung des BSG zur Vermeidung eines verfassungswidrigen Zustandes erst dann gehalten, den geänderten Verhältnissen Rechnung zu tragen, sobald ihm Zahlen vorliegen, dass der Anteil derjenigen Arbeitnehmer, die einer Steuer erhebenden Kirche angehören, unter 55 % gesunken ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

Revisionszulassungsgründe nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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