L 3 AS 60/19

Land
Rheinland-Pfalz
Sozialgericht
LSG Rheinland-Pfalz
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
Abteilung
3.
1. Instanz
SG Speyer (RPF)
Aktenzeichen
S 14 AS 519/17
Datum
2. Instanz
LSG Rheinland-Pfalz
Aktenzeichen
L 3 AS 60/19
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Zum Eintritt der Prüfpflicht und zum Umfang des inhaltlichen Prüfauftrags (Prüfungsmaßstab) bei einer Entscheidung nach § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X
Der Prüfungsmaßstab ist maßgeblich von den beiden Tatbestandsalternativen des § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X abhängig.
Bei der 1. Alternative handelt es sich um eine rein rechtliche Überprüfung der Richtigkeit der bestandskräftigen Entscheidung, bei der es auf den Vortrag neuer Tatsachen nicht ankommt und die von Amts wegen zu erfolgen hat.
Bei der 2. Alternative kommt es dagegen auf die Benennung neuer Tatsachen und Beweismittel im Rahmen eines abgestuften Verfahrens an; es sind nur solche neuen Tatsachen beachtlich, die bereits im Verwaltungs- bzw. Widerspruchsverfahren vorgetragen oder bekannt geworden sind.
Eine Prüfpflicht nach § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X wird für beide Alternativen aber erst bei einem hinreichend objektiv konkretisierbaren Antrag ausgelöst.
Dazu muss sich der Verwaltung bis zum Abschluss des Widerspruchsverfahrens entweder aus dem Antrag selbst - ggf. nach Auslegung - oder aufgrund konkreter Nachfrage objektiv erschließen, aus welchem Grund - Rechtsfehler und/oder falsche Sachverhaltsgrundlage - nach Auffassung des Leistungsberechtigten eine Überprüfung erfolgen soll.
1. Auf die Berufung des Beklagten werden das Urteil des Sozialgerichts Speyer vom 13. Februar 2019 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
2. Außergerichtliche Kosten des Klägers sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Der Kläger wendet sich gegen die Ablehnung der Überprüfung zweier Erstattungsbescheide für Juni bis August 2015 und September bis November 2015.
1. Der 1969 geborene Kläger bezog seit September 2014 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites (SGB II) von dem Beklagten.
Mit Bescheid vom 2. Februar 2015 waren dem Kläger Grundsicherungsleistungen für März bis August 2015 ohne Anrechnung von Einkommen in Höhe von 876,49 Euro monatlich vorläufig bewilligt worden. Die vorläufige Bewilligung begründete der Beklagte mit einer noch ausstehenden Entscheidung über eine vom Kläger beantragte Erwerbsminderungsrente.
Bei der Leistungsberechnung blieben mehrere Zahlungen seines früheren Arbeitgebers (B), Zins- und Dividendengutschriften sowie Bareinzahlungen Dritter auf das Girokonto des Klägers unberücksichtigt. Unter anderem erhielt der Kläger laut einer Entgeltabrechnung vom 23. April 2015 von der B für April 2015 eine Gratifikation (Jubiläumsprämie) in Höhe von 1.000 Euro (Brutto wie Netto) und am 26. Mai 2015 eine einmalige Zuwendung (Bareinzahlung) eines nicht benannten Dritten in Höhe von 800 Euro.Auf Aufforderung des Beklagten vom 27. Mai 2015 und 16. Juni 2015 macht der Kläger unter dem 9. und 21. Juni 2015 ergänzende Angaben zu seinen Vermögensverhältnissen, unter anderem gab er zur Herkunft der Bareinzahlungen seit 1. September 2014 an, das Geld komme von Privatpersonen und dienen einzig und allein dazu, seine etwaige Zahlungsunfähigkeit zu vermeiden.
In einer mit "Aktenvermerk des Bearbeiters" zur weiteren Vorgehensweise vom 29. Juni 2015 verfügte der Beklagte folgende weitere Vorgehensweise:
" [ ]
1.) Anschreiben an LE über weitere vorzulegende Unterlagen.
2.) Erstattungsanspruch an Aachener Münchener wegen BU Rente
3.) An Leistungsstelle abgeben zur Anrechnung des auf sechs Monate auf-zuteilenden EK aus 4/15 in Höhe von 166,67 Euro für 8/15
4.) Anrechnung Bareinzahlungen:
a) im Januar 2015 i.H.v. 250,00 Euro
b) im Mai 2015 i.H.v. 800,00 Euro
5.) Anrechnung der Zinsen auf Bausparverträge in Höhe v. 17,95 Euro in 12/14
6) Anrechnung des ES aus Zahlungen der B durch 9049
a) einmalige Zahlung als sonstiges EK im Nov. 14 in Höhe von 135,00 Euro
b) einmalige Zahlung als sonstiges EK im April 15 in Höhe von 1000,00 Euro aufgeteilt auf 6 Monate in Höhe von 166,67 Euro. 4-7/15 durch 9049. Ab 8/15 siehe Punkt 3.)
c) Anrechnung EK im November 14 aufgeteilt auf 6 Monate
Für a-c getrennte Bescheide erstellen.
7.) Anrechnung Bareinzahlung im September 14 bis Februar 15 i.H.v. 293,33 Euro (1.760,00 Euro/6)
[ ] "
Die Verfügungen zu 1.) und zu 2.) führte der Beklagte umgehend aus. In Umsetzung der Verfügung zu 3.) änderte er sodann mit Bescheid vom 1. Juli 2015 seinen Bescheid vom 2. Februar für August 2015 unter Anrechnung eines Sechstels der Gratifikation (166,67 Euro) in Höhe von 136,67 Euro ab. Der neue Leistungsanspruch wurde auf 739,82 Euro festgesetzt. Die Entscheidung ergehe weiterhin vorläufig.
Gleichzeitig hörte der Beklagte in Ausführung der Verfügung zu 5.b) den Kläger mit einem gesonderten Schreiben zu einer beabsichtigten Anrechnung der Gratifikation auch für die Vergangenheit (Mai bis Juli 2015) an. Der Kläger erklärte dazu unter dem 8. Juli 2015, der aufgeführte Sachverhalt treffe zu. Von der Überweisung habe er erst erfahren, als der Betrag bereits auf seinem Konto gewesen sei und habe sich nichts dabei gedacht. Aber da er diesen Fehler begangen habe, müsse er auch dafür geradestehen. Mit Bescheid vom 16. Juli 2015 hob der Beklagte daraufhin seinen Bescheid vom 2. Februar 2015 entsprechend der Anhörung für Mai bis Juli 2015 nach § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 Sozialgesetz-buch Zehntes Buch (SGB X) teilweise in Höhe von 136,67 Euro monatlich auf. Die überzahlten Leistungen seien nach § 50 Abs. 1 SGB X zu erstatten.
Mit Bescheid vom 9. November 2015 hob der Beklagte, unabhängig von dem Vermerk vom 29. Juni 2015 und ohne vorherige Anhörung seine Leistungsent-scheidung für Juni 2015 erneut, gestützt auf § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB X, teil-weise auf und rechnete eine dem Kläger am 5. Mai 2015 zugeflossene Dividen-denzahlung in Höhe von 27 Euro bedarfs- und leistungsmindernd an. Die über-zahlten Leistungen seien nach § 50 Abs. 1 SGB X zu erstatten. Der Erstattungsbetrag werde aufgerechnet.
Unabhängig von der Verfügung vom 29. Juni 2015 nahm der Beklagte sodann nach vorheriger Anhörung vom 10. November 2015 mit Bescheid vom 23. November 2015 seine bisherige Leistungsentscheidung für März und April 2015 teilweise – in Höhe von 581,92 Euro monatlich – wegen einer im Oktober 2014 zugeflossenen Urlaubsabgeltung der B SE von insgesamt 3.671,52 Euro nach § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X zurück. Die überzahlten Leistungen seien nach § 50 Abs. 1 SGB X zu erstatten.
Ebenfalls unabhängig von dem Vermerk vom 29. Juni 2015 nahm der Beklagte nach vorheriger Anhörung vom 4. Dezember 2015 mit Bescheid vom 15. Januar 2016 seine Leistungsentscheidung für März 2015 nochmals teilweise – in Höhe von 293,33 Euro – wegen zweier auf seinem Girokonto verbuchter Bareinzahlungen vom 16. und 29. September 2014 von insgesamt 1.760 Euro nach § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X zurück. Die überzahlten Leistungen seien nach § 50 Abs. 1 SGB X zu erstatten.
Zur Vorbereitung einer Entscheidung nach Ziffer 4.b) des Vermerks vom 29. Juni 2015 hörte der Beklagte den Kläger mit Schreiben vom 2. Februar 2016 unter Fristsetzung bis zum 19. Februar 2016 zu einer eingetretenen Überzahlung und einer beabsichtigten teilweisen Leistungsaufhebung und -erstattung für die Monate Juni bis August 2015 wegen der ihm am 26. Mai 2015 zugeflossenen Ein-malzuwendung von 800 Euro in Höhe von 133,33 Euro an. Hierauf reagierte der Kläger nicht.
Mit "Bescheid zur Aufhebung, Erstattung und Aufrechnung" vom 19. Juli 2016 hob der Beklagte sodann seine bisherige Leistungsentscheidung für Juni bis August 2015 nochmals nach § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB X teilweise in Höhe von 133 Euro monatlich auf und stellte eine Erstattungspflicht des Klägers nach § 50 Abs. 1 SGB X in Höhe von insgesamt 399 Euro fest. Der Erstattungsbetrag werde nach § 43 Abs. 1 SGB II von den Leistungen ab dem 1. August 2016 in Höhe von 121,20 Euro monatlich aufgerechnet. Der Bescheid wurde bestandskräftig.
2. Daneben waren dem Kläger mit Bescheid vom 5. August 2015 für September 2015 bis Februar 2016 Grundsicherungsleistungen vorläufig (bis zur abschließenden Entscheidung über die Gewährung von Erwerbsminderungsrente) bewilligt worden – für September und Oktober 2015 in Höhe von 739,82 Euro, für November 2015 in Höhe von 876,49 Euro.
Auch insoweit hörte der Beklagte den Kläger mit Schreiben vom 2. Februar 2016 unter Fristsetzung bis zum 19. Februar 2016 zu einer eingetretenen Überzahlung und einer beabsichtigten teilweisen Leistungsrücknahme und -erstattung wegen der ihm am 26. Mai 2015 zugeflossenen Einmalzuwendung von 800 Euro ergebnislos an. Für September und Oktober 2015 seien jeweils 133,33 Euro zu viel geleistet worden, für November 2015 103,33 Euro.
Mit "Bescheid zur Rücknahme, Erstattung und Aufrechnung" vom 20. Juli 2016 nahm der Beklagte seine bisherige Leistungsentscheidung für September und Oktober 2015 nach § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X in Höhe von jeweils 133 Euro und für November 2015 in Höhe von 103 Euro teilweise zurück und stellte eine Erstattungspflicht des Klägers nach § 50 Abs. 1 SGB X in Höhe von insgesamt 369 Euro fest. Der Erstattungsbetrag werde nach § 43 Abs. 1 SGB II von den Leis-tungen ab dem 1. September 2016 in Höhe von 121,20 Euro monatlich aufgerechnet. Der Bescheid wurde ebenfalls bestandskräftig.
3. Mit zwei Schreiben vom 4. Oktober 2016 beantragte der nunmehr anwaltlich vertretene Kläger die Überprüfung des "Erstattungsbescheids" vom 19. Juli 2016 sowie des "Erstattungsbescheids" vom 20. Juli 2016 und erklärte: "Gemäß § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt dann mit Wirkung für die Vergangen-heit zurückzunehmen wenn sich im Einzelfall ergibt, dass bei dessen Erlass das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind. Diese Voraussetzungen sind vorliegend gegeben."
Der Beklagte lehnte die Anträge mit zwei Bescheiden vom 12. Oktober 2016 ab. Die Überprüfungsanträge seien "ohne Sach- und Rechtsprüfung" abzulehnen. Für einen Antrag im Sinne des § 44 SGB X sei es erforderlich, dass die Gründe für die Unrichtigkeit des zu überprüfenden Bescheids ("für deren Unrichtigkeit") angegeben würden. Werde der Antrag lediglich pauschal gestellt, so könne dieser ohne Sach- und Rechtsprüfung durch die Behörde abgelehnt werden. Der Kläger habe nicht benannt welcher Bescheid bzw. welche Bescheide überprüft werden sollten. Eine Sach- und Rechtsprüfung sei daher nicht erforderlich.
Gegen beide Ablehnungsentscheidungen erhob der Kläger am 14. November 2016 Widerspruch. Die Bescheide seien rechtswidrig und verletzten ihn in sei-nen Rechten. Eine weitergehende Begründung erfolgte nicht.
Mit Hinweisschreiben vom 14. Februar 2017 bat der Beklagte den Kläger, den Widerspruch zu begründen. Soweit er über Unterlagen verfüge, mit denen er nach seiner Ansicht die Rechtswidrigkeit des Bescheides belegen könne sollten diese zusammen mit der Stellungnahme vorgelegt werden. Sollte der Beklagte bis 10. März 2017 keine Antwort erhalten, werde er davon ausgehen, dass sich der Kläger nicht weiter äußern wolle und aufgrund des ihm bekannten Sachverhalts entscheiden. Hierauf erfolgte keine Reaktion.
Mit gemeinsamem Widerspruchsbescheid vom 27. März 2017 (W 2984/16) wies der Beklagte die Widersprüche gegen die Überprüfung der Bescheide vom 19. Juli 2016 [irrtümliche Bezeichnung: 9. Juli 2016] und 20. Juli 2016 als unbegründet zurück. Der anwaltlich vertretene Kläger habe nichts vorgebracht, was für die Unrichtigkeit der Entscheidungen sprechen könne. Es ergäben sich auch keine neuen überprüfbaren oder belegten Erkenntnisse, die dafür sprächen, dass die Entscheidungen falsch seien. Der Beklagte habe daher eine sachliche Prüfung ablehnen dürfen. Aufgrund oder aus Anlass des Antrags müsse sich der Verwaltung im Einzelfall objektiv erschließen, aus welchem Grund nach Auffassung des Leistungsberechtigten eine Überprüfung erfolgen solle und der Umfang des Prüfungsauftrags müsse für die Verwaltung bist zum Abschluss des Widerspruchsverfahrens erkennbar sein (unter Verweis auf LSG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 16. Februar 2017 – L 3 AS 289/16 B – und BSG, Urteil vom 13. Februar 2014 – B 4 AS 22/13 R –) Die Überprüfungsanträge seien nicht begründet worden. Auch auf schriftliche Aufforderung zur Begründung im Wider-spruchsverfahren sei eine solche nicht erfolgt.
Dagegen hat der Kläger am 26. April 2017 Klage zum Sozialgericht Speyer erhoben. Das Sozialgericht hat die beiden Klagen zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden. Zur Klagebegründung hat der Kläger erstmals zur Sache vorgetragen; die einmalige und darlehensweise erfolgte Zuwendung von 800 Euro (Bareinzahlung) durch Dritte sei zweckgebunden für die Beitragsentrichtung zu seiner privaten Berufsunfähigkeitsversicherung gewesen. Ohne die Zahlung hätte er seinen Versicherungsschutz verloren. Verfahrensrechtlich hat er geltend gemacht, das Gesetz sehe eine Begründungspflicht für den Widerspruchsführer nicht vor. Auch im Überprüfungsverfahren gelte nichts anderes, wenn die Behörde – wie hier – den Einzelfall, der zur Überprüfung gestellt wer-den solle, objektiv ermitteln könne, der Überprüfungsantrag mithin bestimmt sei. Dies sei hier durch die Benennung des jeweils zu überprüfenden Bescheids der Fall gewesen.
Mit Urteil vom 13. Februar 2019 hat das Sozialgericht den Klagen stattgegeben und "unter Aufhebung der Bescheide vom 12.10.2016 [ ] die Bescheide vom 19.7.2016 und 20.7.2016 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 27.3.2017" aufgehoben. Die Bescheide vom 19. und 20. Juli 2016 seien rechts-widrig und verletzten den Kläger in seinen Rechten. Rechtsgrundlage für die Rücknahme der Bescheide sei § 44 Abs. 1 SGB X. Einer Überprüfung der angefochtenen Aufhebungs- und Erstattungsbescheide nach § 44 SGB X stehe nicht entgegen, dass die Klägervertreterin ihren Antrag nach § 44 weder im Antrags- noch Widerspruchsverfahren begründet habe. Der Beklagte sei nicht befugt eine inhaltliche Prüfung der zur Überprüfung gestellten Bescheide von vornherein abzulehnen. Seine dahingehende Rechtsauffassung werde auch nicht durch das Urteil des Bundessozialgerichts vom 13. Februar 2014 gestützt. Anders als dort habe vorliegend die Klägervertreterin zwei konkrete Aufhebungs- und Erstattungsbescheide zur Überprüfung gestellt. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts genüge die Angabe eines konkreten Verwaltungsaktes um den Prüfauftrag auszulösen. Ausdrücklich habe der 4. Senat des Bundessozialgerichts nur gefordert, dass "entweder eine bestimmte Fragestellung tatsächlicher oder rechtlicher Natur oder eine konkrete Verwaltungsentscheidung benannt wird". Der 14. Senat des Bundessozialgerichts habe sich dem 4. Senat in dieser Fallgestaltung angeschlossen. Auch er verlange nur, dass "der Überprüfungsantrag des Leistungsberechtigten ein oder ggf. mehrere zu überprüfende Verwaltungsakte konkret aufführen muss". Dies sei "nur dann entbehrlich, wenn bei objektiver Betrachtung aus dem Vorbringen des Antragstellers der zu überprüfende Verwaltungsakt ohne weiteres zu ermitteln" sei (unter Verweis auf: BSG, Urteil vom 28. Oktober 2014 – B 14 AS 39/13 R – juris, Rn. 15). Im Ergebnis hielten es beide für die Grundsicherung für Arbeitsuchende zuständigen Senate des Bundessozialgerichts also für ausreichend, wenn entweder die "zu überprüfen-den" Verwaltungsakte im Antrag konkret benannt würden oder sich aus dem sachlichen Vorbringen des Antragstellers ableiten lasse, welche Verwaltungsakte gemeint sein könnten. Auch der 6. Senat des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz habe in einem Beschluss vom 26. Juni 2018 – L 6 AS 185/17 B – entschieden, dass bei fehlender Begründung eines 44er Antrages im Verwaltungsverfahren zumindest eine Prüfpflicht im Hinblick darauf bestehe, ob bei Erlass des zu überprüfenden Bescheides das Recht unrichtig angewandt wurde. Zur Vermeidung von Wiederholungen werde auf den Inhalt dieses Beschlusses verwiesen, der den Beteiligten bekannt sei. Die beiden konkret zur Überprüfung gestellten Bescheide erwiesen sich als rechtswidrig, da der Beklagte bei Erlass der Be-scheide die Jahresfrist nach § 48 Abs. 4 in Verbindung mit § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X nicht eingehalten habe. Nach dieser Vorschrift komme die Rücknahme eines Verwaltungsaktes mit Wirkung für die Vergangenheit nur innerhalb eines Jahres in Betracht nach Kenntnis der Tatsachen, welche die Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes für die Vergangenheit rechtfertigten. Vorliegend habe der Beklagte Kenntnis vom Geldzufluss im Juni 2015 erlangt. Hierzu sei der Kläger auch angehört und noch im selben Monat vom zuständigen Sachbearbeiter die Bescheiderteilung verfügt worden. Somit seien der Behörde bereits im Juni 2015 alle Tatsachen bekannt gewesen, die die Aufhebung der ursprünglichen Bewilligung rechtfertigten. Die tatsächliche Aufhebung erst im Juli 2016 sei damit außerhalb der Jahresfrist erfolgt. Entgegen der Rechtsauffassung des Beklagten habe der Lauf der Jahresfrist auch nicht erst mit der erneuten Anhörung des Klägers 2016 begonnen. Diese Rechtsauffassung werde zwar teilweise in Literatur und Rechtsprechung vertreten und berücksichtige den Umstand, dass die Behörde in der Regel erst im Anhörungsverfahren Kenntnis von allen Tatsachen erlange, die eine Prüfung der Rücknahme erst möglich machen. Hier bestehe aber die Besonderheit, dass der Beklagte bereits im Juni 2015 das Anhörungsverfahren intern abgeschlossen habe und die Bescheiderteilung verfügt gewesen sei. Somit sei der Beklagte selbst davon aus-gegangen, dass er alle erforderlichen Fakten ermittelt gehabt habe. Dies sei auch zutreffend gewesen. Der Vorgang sei damit im Juni 2015 entscheidungsreif gewesen.
Gegen das ihm am 12. März 2019 zugestellte Urteil hat der Beklagte am selben Tag Berufung eingelegt und zur Begründung auf den Beschluss des erkennen-den Senats des Landessozialgerichts vom 16. Dezember 2017 – L 3 AS 289/16 B – verwiesen. Darin habe der Senat ausdrücklich klargestellt, dass (auch) eine Überprüfung der Rechtmäßigkeit (§ 44 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 SGB X) gerade nicht schon dann erfolgen müsse, wenn der bestandskräftige Verwaltungsakt nur mit Datum bezeichnet sei. Auch der Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 24. Mai 2017 – B 14 AS 32/16 R – auf die sich der 6. Senat des Landessozialgerichts im Beschluss vom 26. Juni 2018 – L 6 AS 185/17 B – zu Unrecht gestützt habe, sei nicht zu entnehmen, dass eine Überprüfung der Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsaktes schon dann zu erfolgen habe, wenn bereits der Verwaltungsakt mit Datum genannt werde. Es definiere zwar dort den Prüfungsumfang des § 44 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 SGB X, dies gelte aber nur, "soweit eine Sachprüfung nicht schon aus Fristgründen oder mangels ausreichender Substantiiertheit des Überprüfungsantrags überhaupt ausscheidet" (zitiert nach: juris, Rn. 17). Das Bundessozialgericht habe in seiner Entscheidung vom 13. Februar 2014 – B 4 AS 227/13 R – vielmehr klargestellt, dass die Verwaltung nicht gehalten sei, die Akten von Amts wegen durchzuarbeiten, um eine mögliche Rechtswidrigkeit aufzudecken. Der Verwaltung müsse der Konflikt bekannt sein; es solle keine Prüfung ins Blaue hinein erfolgen. Dieser Zweck liefe leer, wenn eine Nennung der Be-scheide schon eine rechtliche Überprüfung auslösen würde. Zusammengefasst sei aus Sicht des Beklagten hinsichtlich des "Prüfungsumgangs" nicht zwischen den beiden Tatbestandsalternativen des § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X zu unter-scheiden. Vielmehr erforderten beide, dass der Verwaltung der zu lösende Konflikt bekannt sei.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Speyer vom 13. Februar 2019 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Das Urteil des Sozialgerichts sei nicht zu beanstanden. Der vom Beklagten zitierte Beschluss des erkennenden Senats führe zu keinem anderen Ergebnis. In dem Beschluss vom 16. Februar 2017 werde nur ausgeführt, dass eine Überprüfung nicht schon dann erfolgen müsse, wenn der zu überprüfende Verwaltungsakt nur mit Datum bezeichnet werde. Werde nur das Datum des Bescheides genannt, so dürfte es in manchen Fällen schwierig zu ermitteln sein, um welchen Bescheid es konkret gehe, da es durchaus vorkommen könne, dass an einem Tag mehrere denselben Adressaten betreffende Bescheide erlassen würden. Ein solcher Fall sei hier aber nicht gegeben.
Zwar handele es sich bei der Aufforderung zur Mitwirkung vom 16. Juni 2019 wohl nicht um eine "förmliche Anhörung" gemäß § 24 Abs. 1 SGB X. Für den Ablauf der Jahresfrist des § 48 Abs. 4 Satz 1 i.V.m. § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X spiele der Zeitpunkt der "förmlichen Anhörung" aber keine Rolle. Denn spätestens ab der Erstellung des Aktenvermerks am 29. Juni 2015 sei dem Beklagten aufgrund der Erklärung des Klägers vom 21. Juni 2015, dass es sich bei den Bareinzahlungen um Zahlungen von Privatpersonen gehandelt habe, bekannt gewesen, dass dem Kläger am 26. Mai 2015 ein Betrag von 800 Euro zugeflossen sei, wie der Aktenvermerk vom 29. Juni 2015 belege. Schon zu diesem Zeitpunkt seien dem Beklagten die Umstände, die letztlich zum Erlass des Bescheids vom 19. Juli 2016 geführt hätten, bekannt gewesen.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird im Übrigen auf die Gerichtsakte und die den Kläger betreffende Verwaltungsakte des Beklagten Bezug genommen. Ihr Inhalt ist Gegenstand der Beratung und Entscheidungsfindung des Senats gewesen.
Entscheidungsgründe:
Die nach §§ 143 ff. Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässige Berufung des Beklagten, über die der Senat aufgrund des Einverständnisses der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheiden kann (§ 124 Abs. 2 SGG), ist begründet.
Gegenstand des Verfahrens sind die beiden Überprüfungsbescheide des Be-klagten vom 12. Oktober 2016 in Gestalt des gemeinsamen Widerspruchsbescheids vom 27. März 2017, mit denen er es abgelehnt hat, seine Bescheide vom 19. und 20. Juli 2016 aufzuheben.
Das Sozialgericht hat der Klage des Klägers zu Unrecht stattgegeben. Die beiden Bescheide des Beklagten vom 12. Oktober 2016 in Gestalt des Widerspruchsbe-scheids vom 27. März 2017 – der entgegen dem Wortlaut der Tenorierung der Vo-rinstanz nicht zu den Bescheiden vom 19. und 20. Juli 2016 ergangen ist – sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten da nach den geltenden Maßstäben der Rechtsprechung (unten 1) für den Beklagten ein konkretes Überprüfungsbegehren "im Einzelfall" objektiv nicht erkennbar war (unten 2). Überdies sind die zur Überprüfung gestellten Erstattungsbescheide vom 19. und 20. Juli 2016 für sich gesehen rechtlich nicht zu beanstanden; die ihnen zugrundeliegenden Aufhebungsentscheidungen sowie die Aufrechnungserklärungen sind nicht Bestandteil des streitgegenständlichen Überprüfungsverfahren (unten 3).
1. Nach § 40 Abs. 1 Satz 1 SGB II i.V.m. § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind. Die Regelung findet entsprechende Anwendung, soweit in einem Aufhebungsbescheid eine Leistungsbewilligung zurückgenommen worden ist (BSG, Urteil vom 13. Februar 2014 – B 4 AS 19/13 R – juris, Rn. 14; grundlegend: BSG, Urteil vom 12. Dezember 1996 – 11 RAr 31/96 – juris, Rn. 14 ff.). Erfolgt die Überprüfung aufgrund eines Antrags des Leistungsberechtigten, löst dieser Antrag grundsätzlich eine Prüfpflicht des Leistungsträgers aus und bestimmt zugleich auch den Umfang des Prüfauftrags der Verwaltung im Hinblick darauf, ob bei Erlass des Verwaltungsakts das Recht unrichtig angewandt oder von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen worden ist (BSG, Urteil vom 13. Februar 2014 – B 4 AS 22/13 R – juris, Rn. 13; BSG, Urteil vom 28. Oktober 2014 – B 14 AS 39/13 R – juris, Rn. 15).
a) Ziel des § 44 SGB X ist es, die Konfliktsituation zwischen der Bindungswirkung (auch) eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes (§ 77 SGG) und der materiellen Gerechtigkeit zu Gunsten letzterer aufzulösen (BSG, Urteil vom 4. Februar 1998 – B 9 V 16/96 R – juris, Rn. 16). Eine Konfliktlösung in diesem Sinne ist der Verwaltung jedoch nur möglich, wenn ihr "der Konflikt" bekannt ist. Insoweit besteht kein Unterschied zwischen der Situation der Einleitung eines Überprüfungsverfahrens durch einen Antrag des Leistungsberechtigten oder der Verpflichtung der Verwaltung zur Überprüfung von Amts wegen (§ 44 Abs. 3 Satz 2 und Abs. 3 SGB X). Der Maßstab zur Bestimmung des Prüfumfangs ist gleich. Im Rahmen der Überprüfung von Amts wegen ist die Verwaltung nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts nicht verpflichtet, die Akten von sich aus auf Rücknahmemöglichkeiten durchzuarbeiten. Es müssen sich vielmehr konkret in der Bearbeitung eines Falles Anhaltspunkte für eine Aufhebung ergeben (vgl. BSG, Urteil vom 2. Oktober 2008 – B 9 VH 1/07 R – juris, Rn. 48). Anderenfalls würde der Verwaltung die Verpflichtung auferlegt, ihr bindend gewordenes Verwaltungshandeln "ins Blaue hinein" zu überprüfen. Auch bei einer Überprüfung auf Antrag ist die Verwaltung daher nicht gehalten, die Akten von Amts wegen durchzuarbeiten, um eine mögliche Rechtswidrigkeit aufzudecken (BSG, Urteil vom 13. Februar 2014 – B 4 AS 22/13 R – juris, Rn. 19).
Während der Versorgungs- und ein (ehemaliger) Rentensenat des Bundessozi-algerichts für die Tatbestandsalternative des § 44 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 SGB X ("Sachverhalt als unrichtig erweist") ein gestuftes Prüfungsschema entwickelt haben (BSG, Urteil vom 3. Februar 1988 – 9/9a RV 18/86 – juris, Rn. 16 ff.; BSG, Urteil vom 3. April 2001 – B 4 RA 22/00 R – juris, Rn. 27 ff.), mit der Folge, dass ein ohne Begründung gestellter Überprüfungsantrag grundsätzlich "ohne weitere Ermittlungen" mit Rücksicht auf die Bestandskraft abgelehnt werden dürfe, geht der für die Unfallversicherung zuständige 2. Senat zumindest für die Tatbestandsalternative des § 44 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 SGB X ("das Recht unrichtig an-gewandt") von einer unbeschränkten Überprüfungspflicht der Behörde aus (BSG, Urteil vom 5. September 2006 – B 2 U 24/05 R – juris, Rn. 13). Auch der 14. Senat des Bundessozialgerichts hat zuletzt entschieden (BSG, Urteil vom 24. Mai 2017 – B 14 AS 32/16 R – juris, Rn. 17), dass sich die Prüfung (so sie nicht aus anderen Gründen von vornherein ausscheidet) jedenfalls bei Anträgen nach § 44 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 SGB X auf die Rechtmäßigkeit der zur Überprüfung gestellten Verfügungssätze unter jedem in Betracht kommenden Gesichtspunkt er-strecke. Ob wegen unrichtiger Rechtsanwendung "Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht" worden seien, beurteile sich nach der Übereinstimmung der zuerkannten Leistung mit der objektiven Rechtslage bei Erlass des Verwaltungsakts und nicht nach der zutreffenden Bewertung einzelner Begründungselemente. Daher sei in der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts auch anerkannt, dass die Klage gegen einen Überprüfungsbescheid gemäß § 44 SGB X nicht schon deswegen als unbegründet abzuweisen sei, weil im Verwaltungsverfahren keine neuen Gesichtspunkte geltend gemacht worden sind (unter Verweis auf BSG, Urteil vom 16. Mai 2001 – B 5 RJ 26/00 R –).
b) Zur Überzeugung des erkennenden Senats ist unter Berücksichtigung der vielschichtigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts der Umfang des inhaltlichen Prüfauftrags der Verwaltung (Prüfungsmaßstab), der durch den Antrag des Leistungsberechtigten bestimmt wird (BSG, Urteil vom 13. Februar 2014 – B 4 AS 22/13 R – juris, Rn. 13) maßgeblich von den beiden Tatbestandsalternativen des § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X abhängig (so auch schon LSG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 26. Juni 2018 – L 6 AS 185/17 B – (unveröffentlicht) und Urteil vom 22. Mai 2019 – L 6 AS 24/18 – (zur Veröffentlichung vorgesehen)) dargelegt:
aa) Bei der ersten Alternative des § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X ("Recht unrichtig an-gewandt") handelt es sich um eine rein rechtliche Überprüfung, der Richtigkeit ("Rechtmäßigkeit") der bestandskräftig gewordenen Entscheidung, bei der es auf den Vortrag neuer Tatsachen nicht ankommt und die von Amts wegen zu erfolgen hat (BSG, Urteil vom 5. September 2006 – B 2 U 24/05 R – juris, Rn. 13). Da-bei ist lediglich aus rechtlicher Sicht zu würdigen, ob der der bestandskräftig gewordenen Entscheidung zu Grunde gelegte Sachverhalt rechtlich zutreffend beurteilt und rechtlich in nicht zu beanstandender Weise bewertet worden ist. Weitergehende Sachermittlungen sind nicht geboten. Dies ergibt sich eindeutig aus der Systematik der gesetzlichen Regelung in § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X. Denn mit der Differenzierung zwischen den aufgezeigten zwei Alternativen (unrichtige Rechtsanwendung einerseits und anfänglich unrichtig zu Grunde gelegter Sachverhalt andererseits) hat der Gesetzgeber deutlich gemacht, dass nicht in jedem Fall eine völlige Überprüfung unter allen in Betracht kommenden Gesichtspunkten zu erfolgen hat. Dem liegt die Überlegung zu Grunde, dass die Verwaltung nicht durch aussichtslose Überprüfungsanträge, die beliebig oft wiederholt werden können, immer wieder zu einer neuen Sachprüfung gezwungen werden soll (vgl. BSG, Urteil vom 6. März 1991 – 9b RAr 7/90 – juris, Rn. 14). Würde hingegen bereits im Rahmen der 1. Alternative eine umfassende Sachprüfung, d.h. mit einer Neuermittlung des zugrundeliegenden Sachverhalts, vorausgesetzt, so stünde dies im Widerspruch zu den gesetzlichen Anforderungen für die 2. Alternative, für die die Benennung neuer Tatsachen und Beweismittel vorausgesetzt wird (unten bb und cc). Im Rahmen der 1. Alternative sind daher die tatsächlichen Feststellungen, wie sie dem bestandskräftigen Bescheid zu Grunde gelegen haben, auch im Überprüfungsverfahren zu beachten und ist lediglich zu prüfen, ob auf diesen Tatsachen aufbauend, unabhängig von ihrer Richtigkeit, die rechtlichen Schlussfolgerungen zutreffend sind. Es erfolgt eine rein rechtliche Überprüfung der Rechtmäßigkeit, zu der von Seiten des Klägers zwar Gesichtspunkte beigesteuert werden können, die aber letztlich umfassend von Amts wegen durch die Verwaltung und die Gerichte erfolgen muss (so schon: LSG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 26. Juni 2018 – L 6 AS 185/17 B – und Urteil vom 22. Mai 2019 – L 6 AS 24/18 –), ohne dass eine Prüfung "ins Blaue hinein" geboten ist (BSG, Urteil vom 13. Februar 2014 – B 4 AS 22/13 R – juris, Rn. 19).
bb) Für die zweite Alternative des § 44 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 SGB X ("Sachverhalt als unrichtig erweist") kommt es dagegen auf die Benennung neuer Tatsachen und Beweismittel im Rahmen eines abgestuften Verfahrens an (BSG, Urteil vom 3. Februar 1988 – 9/9a RV 18/86 – juris, Rn. 17). Ergibt sich bei diesem Verfahren nichts Neues, was für die Unrichtigkeit der Vorentscheidung sprechen kann, darf sich die Verwaltung ohne jede weitere Sachprüfung auf die Bindungswirkung der bestandskräftigen Entscheidung berufen. Werden zwar neue Tatsachen oder Erkenntnisse vorgetragen und neue Beweismittel benannt, ergibt aber die Prüfung, dass die vorgebrachten Gesichtspunkte nicht tatsächlich vorliegen oder für die frühere Entscheidung nicht erheblich gewesen sind, darf sie sich ebenfalls auf die Bindungswirkung stützen (so schon LSG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 26. Juni 2018 – L 6 AS 185/17 B – und Urteil vom 22. Mai 2019 – L 6 AS 24/18 –).
cc) Da § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X unmittelbar nur der Verwaltung selbst, nicht aber dem Gericht die Möglichkeit gibt, sich über eine bestandskräftige negative Entscheidung zu Gunsten des Antragstellers hinwegzusetzen (vgl. BSG, Beschluss vom 9. August 1995 – 9 BVg 5/95 – juris, Rn. 3; Schleswig-Holsteinisches LSG, Urteil vom 11. April 2004 – L 8 U 115/02 – juris, Rn. 29; Bayerisches LSG, Urteil vom 28. Februar 2014 – L 15 VK 3/12 – juris, Rn. 33), können bei der gerichtlichen Prüfung einer Entscheidung gemäß § 44 SGB X nur solche neuen Tatsachen relevant sein, die bereits im Verwaltungs- bzw. Widerspruchsverfahren vor-getragen oder bekannt geworden sind; ihr nachträgliches Bekanntwerden ist hingegen unbeachtlich (Bayerisches LSG, Urteil vom 19. November 2014 – L 15 VS 4/13 – juris, Rn. 51; ebenso LSG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 26. Juni 2018 – L 6 AS 185/17 B –). Würde man ein Nachreichen neuer Tatsachen im Gerichtsverfahren ausreichen lassen, würde dies dem Grundsatz des Vorrangs der Verwaltung widersprechen und der Behörde die Möglichkeit nehmen, selbst eine – dann gerichtlich überprüfbare – Entscheidung zu treffen (so ausführlich schon LSG, Urteil vom 22. Mai 2019 – L 6 AS 24/18 –).
Generell gilt: Der maßgebliche Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist anhand des materiellen Rechts zu ermitteln und neben der jeweiligen Klageart vor allem von dem materiell-rechtlichen Begehren des Antragstellers oder Klägers abhängig; keineswegs ist bei Verpflichtungs- und Leistungsklagen immer der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung maßgeblich (so auch: BSG, Urteil vom 28. Oktober 2014 – B 14 AS 39/13 R – juris, Rn. 19 m.w.N.). Zwar ist das Verwaltungsverfahrensrecht Teil des formellen Rechts. Bei den hier maßgeblichen Regelungen über die Aufhebung von Verwaltungsakten nach den §§ 44 ff. SGB X handelt es sich jedoch um materielles Recht. Sie enthalten materiell-rechtliche Ermächtigungen und haben damit einen völlig anderen Charakter als Verfahrensnormen (Baumeister, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB X, 2. Aufl. 2017, § 44 SGB X, Rn. 41). Das Regelungsziel des § 44 SGB X ist deshalb für die Frage des maßgeblichen Beurteilungszeitprunkt beachtlich (so im Ergebnis wohl auch BSG, Urteil vom 28. Oktober 2014 – B 14 AS 39/13 R – juris, Rn. 20).
Gegenstand der gerichtlichen Prüfung im Zugunstenverfahren nach § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist der Überprüfungsbescheid selbst. Im Rahmen einer kombinierten Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (oder Anfechtungs- und Leistungsklage) wird jeweils überprüft, ob der angegriffene Verwaltungsakt – hier der Überprüfungsbescheid – rechtswidrig und aufzuheben und dem Kläger die begehrte Leistung zuzuerkennen ist. Der angegriffene Bescheid ist aber dann nicht rechtswidrig, wenn sich die Behörde – mangels neuen Tatsachenvortrags – zu Recht ohne erneute Tatsachenprüfung auf die Bindungswirkung der zur Überprüfung gestellten Bescheide bezogen hat (ähnlich auch: LSG, Berlin-Brandenburg, Urteil vom 23. November 2012 – L 34 AS 116/12 – juris, Rn. 24). Dies entspricht auch dem Sinn und Zweck des § 44 SGB X: Die Auflösung der Konfliktsituation zwischen der Bindungswirkung eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes und der materiellen Gerechtigkeit zugunsten letzterer kann nur verwirklicht werden, wenn der Verwaltung der zu lösende Konflikt bekannt ist (BSG, Urteil vom 13. Februar 2014 – B 4 AS 22/13 R – juris, Rn. 19). Die Rechtslage hat sie – ebenso wie die Gerichte – hingegen zu kennen, so dass rechtliche Erwägungen in jedem Stadium des Verfahrens, einschließlich des Gerichtsverfahrens zu beachten sind (vgl. auch BSG, Urteil vom 24. Mai 2017 – B 14 AS 32/16 R – juris, Rn. 17).
c) Eine Prüfpflicht nach § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X wird – sowohl nach der ersten als auch nach der zweiten Alternative – aber erst bei einem hinreichend objektiv konkretisierbaren Antrag ausgelöst. Erst wenn ein solcher vorliegt, ist der oben dargestellte Prüfungsmaßstab im Rahmen beider Überprüfungsalternativen des § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X zu beachten. Vom inhaltlichen Prüfungsmaßstab zu unterscheiden, ist also die Frage, ob eine Sachprüfung nicht schon aus Frist-gründen (vgl. dazu: BSG, Urteil vom 23. Februar 2017 – B 4 AS 57/15 R – juris) oder insbesondere mangels ausreichender Substantiiertheit des Überprüfungsantrags überhaupt ausscheidet (BSG Urteil vom 24. Mai 2017 – B 14 AS 32/16 R – juris, Rn. 17; vgl. auch BSG, Urteil vom 13. Februar 2014 – B 4 AS 22/13 R – juris, Rn. 18). Für diese vorweg zu prüfende ausreichende Substantiiertheit oder Konkretisierbarkeit des Überprüfungsantrags gilt folgendes (grundlegend BSG, Urteil vom 13. Februar 2014 – B 4 AS 22/13 R – juris, Rn. 13 ff.; ebenso BSG, Ur-teil vom 28. Oktober 2014 – B 14 AS 39/13 R – juris, Rn.15; auch BSG Urteil vom 24. Mai 2017 – B 14 AS 32/16 R – juris, Rn. 17):
Eine Entbindung von der inhaltlichen Prüfung setzt voraus, dass der Sozialleistungsträger "den Einzelfall", also die konkreten Inhalte eines bestimmten Bescheides, die zur Überprüfung gestellt werden sollen, bei objektiver Betrachtung nicht ermitteln kann. Ein Prüfanliegen "im Einzelfall" ist daher zu bejahen, wenn entweder eine bestimmte Fragestellung tatsächlicher oder rechtlicher Natur oder eine konkrete Verwaltungsentscheidung benannt wird (BSG, Urteil vom 13. Februar 2014 – B 4 AS 22/13 R – juris, Rn. 15). Wenn bei objektiver Betrachtung aus dem Vorbringen des Leistungsberechtigten der zu überprüfende Verwaltungsakt ohne weiteres zu ermitteln ist, kann sogar die Benennung des oder der zu über-prüfenden Verwaltungsakte verzichtbar sein (BSG, Urteil vom 28. Oktober 2014 – B 14 AS 39/13 R – juris, Rn.15). Andererseits sind allgemeine Angaben (etwa das zur Überprüfung stellen von "Kosten der Unterkunft und Heizung" oder der "Einkommensanrechnung, insbesondere hinsichtlich des Kindergeldes, der Freibeträge und des Werbungskostenabzugs" im Recht der Grundsicherung nach dem SGB II) nicht geeignet, eine Konkretisierung der zu überprüfenden Umstände herbeizuführen. Eine solche abstrakte Benennung ist nicht derart prägnant, dass aus ihnen konkrete Prüfungspunkte abgeleitet werden können. Sie stellen sich vielmehr in jedem Bescheid über Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II, in dem diese Bedarfe anfallen oder entsprechende Einnahmen zu berücksichtigen sind (BSG, Urteil vom 28. Oktober 2014 – B 14 AS 39/13 R – juris, Rn. 16).
Wenn nicht ein einzelner oder mehrere konkrete, ihrer Zahl nach bestimmbare Verfügungssätze von Verwaltungsakten, sondern das Verwaltungshandeln – ohne jede Differenzierung – insgesamt zur Überprüfung durch die Verwaltung gestellt wird, wird keine Prüfung "im Einzelfall" begehrt. Trotz des Vorliegens eines "Antrags" löst ein solches Begehren bereits nach dem Wortlaut der Vorschrift noch keine inhaltliche Prüfpflicht des Sozialleistungsträgers aus (BSG, Urteil vom 13. Februar 2014 – B 4 AS 22/13 R – juris, Rn. 14 unter Verweis auf: BSG Beschluss vom 14. März 2012 – B 4 AS 239/11 B – juris, Rn. 6).
Aufgrund oder aus Anlass eines Antrags nach § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X muss sich der Verwaltung im Einzelfall außerdem objektiv erschließen, aus welchem Grund – Rechtsfehler und/oder falsche Sachverhaltsgrundlage – nach Auffassung des Leistungsberechtigten eine Überprüfung erfolgen soll. Dazu muss der Antrag konkretisierbar sein, d.h. entweder aus dem Antrag selbst – ggf. nach Auslegung – oder aus einer Antwort des Leistungsberechtigten aufgrund konkreter Nachfrage des Sozialleistungsträgers muss der Umfang des Prüfauftrags für die Verwaltung bis zum Abschluss des Widerspruchsverfahrens erkennbar werden. Ist dies nicht der Fall, ist der Sozialleistungsträger berechtigt, von einer "inhaltlichen Prüfung" dieses Antrags abzusehen. Diese Begrenzung des Prüfauftrags der Verwaltung wird durch den Wortlaut, die Gesetzesbegründung sowie den Sinn und Zweck des § 44 SGB X gestützt (BSG, Urteil vom 13. Februar 2014 – B 4 AS 22/13 R – juris, Rn. 13; BSG, Urteil vom 28. Oktober 2014 – B 14 AS 39/13 R – juris, Rn.15).
Allerdings hat die Verwaltung auch bei einem Antrag nach § 44 SGB X den Untersuchungsgrundsatz des § 20 SGB X zu beachten. Insofern kann es – je nach den konkreten Umständen der Antragstellung – erforderlich sein, dass der Träger auf eine Konkretisierung des Überprüfungsbegehrens durch den Leistungsberechtigten im Sinne des § 21 Abs. 2 Satz 1 SGB X hinwirkt. In welchem Umfang der Leistungsträger seiner Amtsermittlungspflicht nachzukommen hat, beurteilt sich dabei nach Lage des Einzelfalls (BSG, Urteil vom 13. Februar 2014 – B 4 AS 22/13 R – juris, Rn. 15).
Es genügt hingegen nicht, wenn der Leistungsberechtigte eine Nachbesserung des bis dahin unbestimmten und nicht objektiv konkretisierbaren Antrags erst im Klageverfahren vornimmt. Für die Beurteilung, ob die formellen Erfordernisse eines Überprüfungsantrags vorliegen, der überhaupt erst eine Prüfpflicht des Leistungsträgers auslöst, ist auf die zum Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung zu diesem Überprüfungsantrag vorgetragenen tatsächlichen und/oder rechtlichen Anhaltspunkte abzustellen (BSG, Urteil vom 13. Februar 2014 – B 4 AS 22/13 R – juris, Rn. 16; BSG, Urteil vom 28. Oktober 2014 – B 14 AS 39/13 R – juris, Rn. 20). Wenn das Verwaltungshandeln umfassend zur Überprüfung gestellt wird und auch auf Nachfrage bei dem Leistungsberechtigten keine weiteren Angaben gemacht werden, gilt dies auch, wenn sich die Rechtswidrigkeit aus einer unrichtigen Anwendung des Rechts ergeben soll (BSG, Urteil vom 13. Februar 2014 – B 4 AS 22/13 R – juris, Rn. 18).
2. Nach Maßgabe dieser Grundsätze lässt sich den beiden Überprüfungsanträgen es Klägers vom 4. Oktober 2016 ein Prüfanliegen "im Einzelfall" objektiv nicht hinreichend entnehmen (b), wiewohl die Überprüfungsanträge hinreichend bestimmt sind, das heißt eine konkrete Bestimmung der zu überprüfenden Entscheidungen erlauben (a).
a) Indem der anwaltlich vertretene Kläger mit seinen beiden Anträgen vom 4. Ok-tober um Überprüfung des "Erstattungsbescheids vom 19.07.2016" und des "Er-stattungsbescheids vom 20.07.2016" bat, hat er die zu überprüfenden Bescheide durch ihre datumsmäßige Bezeichnung benannt und da weitere Bescheide gegen ihn am 19. und 20. Juli 2016 nicht ergangen sind, konkret bestimmt.
b) Da jeder der beiden Bescheide drei eigenständige Verfügungen enthält, erstens eine Aufhebungsentscheidung nach § 48 SGB X (Bescheid vom 19. Juli 2016) bzw. Rücknahmeentscheidung nach § 45 SGB X (Bescheid vom 20. Juli 2016), zweitens eine Erstattungsentscheidung nach § 50 Abs. 1 SGB X und drittens eine Aufrechnungserklärung (§ 43 Abs. 1 SGB II) durch Verwaltungsakt (§ 43 Abs. 4 Satz 1 SGB II), bedurfte es auch der Benennung der jeweils zu überprüfenden Verfügungssätze der beiden Bescheide (vgl. zur Notwendigkeit der Benennung einzelner Verfügungssätze: BSG, Urteil vom 13. Februar 2014 – B 4 AS 22/13 R – juris, Rn. 14 unter Verweis auf: BSG Beschluss vom 14. März 2012 – B 4 AS 239/11 B – juris, Rn. 6). Für die Bestimmtheit eines Überprüfungsantrags genügt es insoweit, dass die zur Überprüfung gestellten Verfügungssätze des Bescheides ohne Weiteres bestimmbar sind (BSG, Beschluss vom 14. März 2012 – B 4 AS 239/11 B – juris, Rn. 6). Dem hat der Kläger durch die Bezeichnung der zu überprüfenden Bescheide als "Erstattungsbescheid" genügt.
Damit hat der rechtskundig vertretene Kläger gleichzeitig die Reichweite seiner Überprüfungsanträge sachlich beschränkt und auf die Überprüfung der jeweiligen Erstattungsverfügung begrenzt. Die Aufhebungsverfügung im Bescheid vom 19. Juli 2016 und die Rücknahmeverfügung im Bescheid vom 20. Juli 2016 sind hingegen von den Überprüfungsanträgen ebenso wie die Aufrechnungserklä-rungen nicht erfasst. Da der Beklagte die jeweils eine äußere Einheit bildenden Bescheide vom 19. und 20. Juli 2016 korrekt und vollständig als "Bescheid zur Aufhebung, Erstattung und Aufrechnung" bzw. "Bescheid zur Rücknahme, Er-stattung und Aufrechnung" bezeichnet hat und auch in der weiteren Be-scheidformulierung und -begründung klar und eindeutig zwischen den drei Ver-fügungssätzen (und ihrer jeweiligen Regelungswirkung) unterschieden hat, war dem anwaltlich vertretenen Kläger insoweit eine Differenzierung ohne weiteres zumutbar. Es war für den Beklagten auch nicht konkludent erkennbar, dass der Kläger auch die den beiden Erstattungsentscheidungen zugrundeliegenden Aufhebungsverfügungen hätte überprüft wissen wollen. Aufgrund der fehlenden Antragsbegründung fehlte es für eine dahingehende Auslegung des Begehrens wider den Antragswortlaut an einer hinreichenden Sachgrundlage.
c) Allerdings hat sich dem Beklagten aufgrund oder aus Anlass des Antrags hier im Verwaltungsverfahren objektiv nicht erschlossen, aus welchem Grund
– Rechtsfehler und/oder falsche Sachverhaltsgrundlage – nach Auffassung des Klägers eine Überprüfung erfolgen soll.
Wenngleich es der zusätzlichen Benennung einer bestimmten Fragestellung tatsächlicher oder rechtlicher Art zur Bestimmung des konkreten Prüfanliegens nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung (BSG, Urteil vom 13. Februar 2014 – B 4 AS 22/13 R – juris, Rn. 15: "oder") nicht notwendigerweise bedarf, hält das Bundessozialgericht daran fest, dass sich der Verwaltung aufgrund oder aus An-lass des Antrags im Einzelfall objektiv erschließen muss, aus welchem Grund, d.h. Rechtsfehler und/oder falsche Sachverhaltsgrundlage, nach Auffassung des Leistungsberechtigten eine Überprüfung erfolgen soll (BSG, Urteil vom 23. Februar 2017 – B 4 AS 57/15 R – juris, Rn. 20 f.).
In diesem Sinne hat auch der erkennende Senat in seinem Beschluss vom 16. Februar 2017 – L 3 AS 289/16 B – befunden, dass es für § 44 Abs. 1 Satz 1 Satz 1 Alt. 1 SGB X zwar nicht auf die Benennung neuer Tatsachen und Beweismittel ankommen kann, aber die Ansicht, es genüge einen bestimmten Verwaltungsakt zu benennen, um den Leistungsträger zumindest zur Prüfung der fehlerfreien Rechtsanwendung zu verpflichten, weder im Gesetzeswortlaut noch in der Rechtsprechung eine Grundlage findet. Der Senat hat schon seinerzeit darauf hingewiesen, dass es von den Umständen des Einzelfalles abhängt, ob im Zugunstenverfahren (ggf. nach erforderlichen Ermittlungen), ein hinreichen-der Prüfauftrag vorliegt, der den Leistungsträger zumindest zu einer erneuten Überprüfung der Rechtsanwendung bei Erlass des zur Überprüfung gestellten Verwaltungsakts verpflichtet.
Daran fehlt es hier. Der Beklagte war, nachdem auch die Widersprüche – trotz entsprechender Aufforderung – vom Kläger nicht näher begründet wurden, objektiv nicht in der Lage seinen Prüfauftrag zu bestimmen. Der mit juristischem Sachverstand vertretene Kläger hat bis zum Abschluss des Widerspruchsverfahrens keinen Grund für die Überprüfung der Erstattungsbescheide vom 19. und 20. Juli 2016 im Sinne von § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X benannt und keine Angaben gemacht, die dem Beklagten die rechtserhebliche Feststellung erlaubten, ob hier eine unrichtige Rechtsanwendung und/oder die Sachverhaltsgrundlage der beiden Entscheidungen überprüft werden sollte. Einer weiteren Hinwirkung auf eine Konkretisierung des Überprüfungsbegehrens (vgl. BSG, Urteil vom 13. Februar 2014 – B 4 AS 22/13 R – juris, Rn. 15) von Amts wegen (§§ 20, 21 Abs. 2 Satz 1 SGB X) bedurfte es bei dieser Sachlage nicht.
3. Ohnehin sind die Bescheide vom 19. und 20. Juni 2016 bezogen auf die jeweils zur Überprüfung gestellte Erstattungsverfügung unter Heranziehung des eingangs dargelegten inhaltlichen Prüfmaßstabs (oben 1 b) rechtlich nicht zu beanstanden.
a) Eine Überprüfung nach § 44 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 SGB X unterbleibt, weil der Kläger im Verwaltungs- und Widerspruchsverfahren keine neuen Tatsachen oder Beweismittel benannt hat. Sein Vortrag im Klageverfahren, die Zuwendung von 800 Euro sei durch Dritte zweckgebunden für seine Beiträge zur privaten Berufsunfähigkeitsversicherung erfolgt, um den Verlust des Versicherungsschutzes zu vermeiden, kommt nach Maßgabe der Ausführungen des Senats (oben 1 b cc) zu spät und hat unberücksichtigt zu bleiben.
b) Eine rechtliche Überprüfung der Erstattungsverfügungen nach § 44 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 SGB X auf Basis der tatsächlichen Feststellungen, wie sie den bestandskräftigen Entscheidungen des Beklagten zugrunde liegen, bleibt – auch wenn sie in jedem Stadium des Verfahrens von Amts wegen (ohne Prüfung "ins Blaue hinein") durchzuführen ist – ebenfalls erfolglos. Für eine Rechtswidrigkeit der beiden Erstattungsentscheidungen ist nichts ersichtlich.
aa) Der Senat vermag sich der Auffassung des Sozialgerichts, der Beklagte habe die Jahresfrist nach (§ 48 Abs. 4 i.V.m.) § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X nicht eingehalten, nicht anzuschließen.
Danach muss die zuständige Behörde die Aufhebung innerhalb von einem Jahr nach Kenntnis der Tatsachen verfügen, die zur Rücknahme berechtigen. Die Jahresfrist beginnt indes erst zu laufen, wenn der Behörde alle Tatsachen bekannt sind, die zur Aufhebung berechtigen. Soweit der Aufhebungstatbestand neben objektiven auch subjektive Tatbestandsmerkmale (Vorsatz, grobe Fahrlässigkeit) enthält, muss die Behörde auch von der Bösgläubigkeit des Betroffenen Kenntnis haben. Wann dies der Fall ist, ist weder ausschließlich nach der subjektiven Einschätzung der Behörde noch anhand objektiver Kriterien zu beantworten. Die den Beginn der Jahresfrist bestimmende Kenntnis ist dann anzunehmen, wenn mangels vernünftiger, objektiv gerechtfertigter Zweifel eine hin-reichend sichere Informationsgrundlage bezüglich sämtlicher für die Rücknahmeentscheidung notwendiger Tatsachen besteht (BSG, Urteil vom 27. Juli 2000 – B 7 AL 88/99 R – juris, Rn. 23; BSG, Urteil vom 26. Juli 2016 - B 4 AS 47/15 R juris, Rn. 31). Hierbei ist hinsichtlich der erforderlichen Gewissheit über Art und Umfang der entscheidungserheblichen Tatsachen in erster Linie auf den Standpunkt der Behörde abzustellen, es sei denn, deren sichere Kenntnis liegt bei objektiver Betrachtung bereits zu einem früheren Zeitpunkt vor (BSG, Urteil vom 27. Juli 2000 – B 7 AL 88/99 R – juris, Rn. 23; BSG Urteil vom 25. Januar 1994 – 7 RAr 14/93 – juris, Rn. 26 ff.). Ein Kennenmüssen der Rechtswidrigkeit auf Seiten der Behörde reicht grundsätzlich nicht aus. Die Behörde muss zügig, spätestens jedoch innerhalb eines Jahres seit Kenntnis des Erfüllens der objektiven Tatbestandsvoraussetzungen für die Rücknahme des Verwaltungsakts zumindest Ermittlungen zum subjektiven Tatbestand aufnehmen (Padé, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB X, 2. Aufl. 2017, § 45 SGB X, Rn. 111). Da die Rechtsprechung regelmäßig eine Anhörung vor Erlass eines Aufhebungsbescheids verlangt, um die Voraussetzungen des subjektiven Tatbestands aufzuklären, beginnt die Jahresfrist in der Regel erst nach erfolgter Anhörung des Betroffenen (vgl. BSG, Ur-teil vom 27. Juli 2000 – B 7 AL 88/99 R – juris, Rn. 24; BSG, Urteil vom 8. Februar 1996 – 13 RJ 35/94 – juris, Rn. 33) es sei denn, die Behörde verfügt mangels vernünftiger, objektiv gerechtfertigter Zweifel bereits zuvor über hinreichend sichere Kenntnis der Bösgläubigkeit. Maßgeblich ist der Ablauf der für die Anhörung gesetzten Frist (Padé in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB X, 2. Aufl. 2017, § 45 SGB X, Rn. 112).
Da die Anhörung hier erst mit Schreiben vom 2. Februar 2016 erfolgte, wahren die Bescheide vom 19. und 20. Juni 2016 die Jahresfrist. Entgegen der Sachverhaltswürdigung des Sozialgerichts ist eine Anhörung nicht bereits im Juni 2015 erfolgt. Bei dem Schreiben des Beklagten vom 16. Juni 2015 handelt es sich lediglich um eine Mitwirkungsaufforderung, die sich zu einer möglichen Aufhebungs- und Erstattungsentscheidung wegen des Zuflusses bislang unberück-sichtigter Einnahmen nicht verhält. Die Anhörungen vom 1. Juli, 10. November und 4. Dezember 2015 betreffen andere Sachverhalte. Der Beklagte verfügte auch nicht unabhängig von der Anhörung über hinreichend sichere Kenntnis von der Bösgläubigkeit des Klägers und der Anrechenbarkeit der diesem zugeflossenen Zahlung von 800 Euro. Dergleichen ergibt sich auch nicht aus den Angaben des Klägers vom 21. Juni 2015 und dem Aktenvermerk vom 29. Juni 2015. Der Beklagte wusste bis dahin lediglich, dass es sich bei der Bareinzahlung um eine Leistung eines Dritten gehandelt hatte, aber nichts von der Rechtsnatur und dem Rechtsgrund der Zahlung. Dass die Anhörung demgegenüber keine neuen Erkenntnisse erbracht hat, ist entgegen der Berufungserwiderung unerheblich, da der Beklagte erst dadurch berechtigt gewesen ist, aus dem Schweigen des Klägers für diese negativen Schlussfolgerungen hinsichtlich des Zahlungsgrundes und der subjektiven Tatbestandsvoraussetzungen der Aufhebung zu treffen. Auch eine treuwidrige Verzögerung des Verfahrens durch die Beklagte (vgl. dazu LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 11. Dezember 2013 – L 3 AL 1176/13 – juris, Rn. 50 f.: LSG Schleswig-Holstein, Urteil vom 11. Juni 1998 – L 5 Kn 2/97 – juris, Leitsatz) vermag der Senat nicht zu erkennen, zumal der Beklagte eine Vielzahl möglicher Leistungsüberzahlungen aufgrund seiner lückenhaften Einkommens- und Vermögensangaben des Klägers zu überprüfen und abzuarbeiten hatte.
Ungeachtet dessen betrifft die Frage der Wahrung der Jahresfrist nur die Recht-mäßigkeit der Aufhebungs- bzw. Rücknahmeentscheidung in den Bescheiden vom 19. und 20. Juni 2015 und lässt die hier allein zu überprüfenden Erstattungsentscheidungen nach § 50 Abs. 1 Satz 1 SGB X (vgl. oben 2 b) unberührt. Der Beklagte hat sich auch nicht – indem er in den angefochtenen Bescheiden vom 12. Oktober 2016 eine Überprüfung der Bescheide vom 19. und 20. Juli 2016 einschränkungslos ablehnte – auf eine Prüfung der darin verfügten Aufhebungs- bzw. Rücknahmeentscheidungen eingelassen, da er ausdrücklich jedwede Sach- und Rechtsprüfung unterließ.
bb) Aus diesem Grund kann der Senat hier auch dahinstehen lassen, ob der Beklagte aufgrund der Vorläufigkeit seiner Bewilligungsentscheidungen überhaupt zu einer Rücknahme nach § 45 SGB X (Bescheid vom 20. Juli 2016) bzw. zu einer Aufhebung nach § 48 SGB X (Bescheid vom 19. Juli 2019) anstelle einer endgültigen Leistungsfeststellung nach § 40 Abs. 2 Nr. 1 SGB II i.V.m. § 328 Abs. 2 SGB III berechtigt gewesen ist (vgl. dazu BSG, Urteil vom 29. April 2015 – B 14 AS 31/14 R – juris, Rn. 21 ff.; LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 21. September 2015 – L 19 AS 2333/14 – juris, Rn. 18 f.). Die beiden Aufhebungsentscheidungen sind jedenfalls nicht nichtig (§ 40 SGB X) und bilden deshalb eine wirksame Grundlage für die Erstattungsverfügung nach § 50 Abs. 1 Satz 1 SGB X.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG.
5. Revisionszulassungsgründe im Sinne von § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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