L 3 U 95/14

Land
Rheinland-Pfalz
Sozialgericht
LSG Rheinland-Pfalz
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Mainz (RPF)
Aktenzeichen
S 14 U 43/11
Datum
2. Instanz
LSG Rheinland-Pfalz
Aktenzeichen
L 3 U 95/14
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
BK 2108: Konsensempfehlungen, Konstellation B2, erstes Zusatzkriterium, mehrere Bandscheiben
Das Zusatzkriterium "Höhenminderung und/oder Prolaps an mehreren Bandscheiben" ist erfüllt, wenn mindestens die beiden Bandscheiben in den untersten Segmenten der Lendenwirbelsäule betroffen sind.
1. Auf die Berufung des Klägers werden das Urteil des Sozialgerichts Mainz vom 17.2.2014 und der Bescheid der Beklagten vom 1.9.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10.2.2011 aufgehoben. Es wird festgestellt, dass beim Kläger eine Berufskrankheit nach Nr 2108 der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung vorliegt.
2. Die Beklagte hat dem Kläger seine außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob beim Kläger eine Berufskrankheit (BK) nach Nr 2108 der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung BKV – (Band-scheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule durch langjähriges Heben oder Tragen schwerer Lasten oder durch langjährige Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können BK 2108) vorliegt.
Der 1964 geborene Kläger war von 1982 bis 1988 im Gaststättenbereich beschäftigt. Seit dem 1.1.1988 war als Gartenbauarbeiter im Unternehmen seines Bruders I G tätig.
Zum 1.12.1990 gründete der Kläger mit seinem Bruder die G Hoch- und Tiefbau GmbH. Beide Gesellschafter waren jeweils zur Hälfte am Gesellschaftskapital beteiligt. Alleiniger Geschäftsführer und von den Beschränkungen des § 181 BGB befreit war I G. Am 30.7.1992 meldeten der Kläger und sein Bruder die Gesellschaft bei der früheren Bau-Berufsgenossenschaft an und beantragten für beide die Befreiung von der Unternehmerpflichtversicherung. Die Bau-BG gab die Sache an die für das Unternehmen zuständige Tiefbau-Berufsgenossenschaft ab. Diese stellte mit Aufnahmebescheid vom 12.10.1992 ihre Zuständigkeit für die G Hoch- und Tiefbau GmbH fest. Mit einem weiteren an die G Hoch- und Tiefbau GmbH gerichteten Bescheid vom 12.10.1992 stellte die Tiefbau-BG fest, dass der Kläger und sein Bruder I jeweils 50 vH und damit jeder einen maßgeblichen Anteil am Stammkapital ihrer Gesellschaft hielten. Sie seien somit nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung wie Unternehmer anzusehen, weshalb ihnen Versicherungsschutz nur bei Abschluss einer freiwilligen Unternehmerversicherung gewährt werden könne. Der Bescheid war mit einer Rechtsbehelfsbelehrung versehen. Widerspruch wurde nach Aktenlage nicht erhoben. Mit Schreiben vom selben Tag wies die Tiefbau-BG darauf hin, dass nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) die Geschäftsführer einer GmbH, die gleichzeitig Gesellschafter seien und aufgrund ihrer Beteiligung und der sonstigen Ausgestaltung ihrer Tätigkeit einen beherrschenden oder maßgeblichen Einfluss auf die Geschäftsführung der GmbH ausüben könnten, versicherungsrechtlich wie Unternehmer zu behandeln seien und empfahl die nach der Satzung vorgesehene freiwillige Unternehmerversicherung. Am 3.11.1997 führte die Tiefbau-BG eine Betriebsprüfung für die Jahre 1992 bis 1996 durch. Die Prüfung fand in den Räumen des für die GmbH tätigen Steuerbüros statt. Im Prüfbericht wird unter "Bemerkungen" ausgeführt: "Die Gesellschafter je 50%/GF I und A G gehören aufgrund ihrer Beteiligung nicht zum pflichtversicherten Personenkreis. Auf die Möglichkeit der freiw. UV wird hinge-wiesen. Herr I G ist ab 4.9.97 alleiniger Ges./GF."
Der Versicherungsverlauf des Klägers in der Gesetzlichen Rentenversicherung weist für die Zeit vom 1.5.1991 bis zum 14.9.1997 eine Lücke auf. In der Gesetzlichen Krankenversicherung war der Kläger vom 1.5.1991 bis zu 14.9.1997 auf der Grundlage von § 9 Abs 1 Nr 1 SGB V (als Mitglied aus der Versicherungspflicht ausgeschieden) freiwillig versichert.
Seit dem 1.9.1997 war der Bruder des Klägers alleiniger Gesellschafter und Geschäftsführer der G Hoch- und Tiefbau GmbH. Vom 15.9.1997 bis zum 31.5.2001 war der Kläger bei der GmbH beschäftigt. Darauf folgte ab dem 5.6.2001 bis zum 30.9.2006 eine Beschäftigung bei der J B Bau-GmbH. Zwischenzeitlich war der Kläger vom 1.3.2004 bis zum 8.4.2004 bei der G&S Hoch- und Tiefbau GmbH geringfügig als LKW-Fahrer beschäftigt. Der letzte Arbeitstag des Klägers war am 7.7.2005. Ab dem 8.7.2005 war der Kläger arbeitsunfähig erkrankt und hat seine berufliche Tätigkeit nicht wieder aufgenommen.
Am 19.7.2005 wurde ein CT der LWS des Klägers erstellt und ergab einen medialen Bandscheibenprolaps L4/5 sowie einen kleinen medialen, wohl schon älteren, teilverkalkten Prolaps L5/S1. Die hierfür erstellten Aufnahmen sind nicht mehr vorhanden. Am 12.6.2007 wurde aufgrund eines MRT ein im Wesentlichen identischer Befund erhoben. Am 16.10.2009 wurde mittels MRT der Halswirbelsäule (HWS) ein kleiner breitbasiger Bandscheibenvorfall mit Kompression des Myelons festgestellt. Im November 2009 stellte der Kläger einen Antrag auf Anerkennung einer Lärmschwerhörigkeit als BK. Aufgrund einer Anregung ihres Beratungsarztes führte die Beklagte Ermittlungen zur BK 2108 durch und zog dafür ärztliche Unterlagen über die Erkrankungen des Klägers, ua ein Röntgenbild der Lendenwirbelsäule vom 5.1.2006, bei. Der Beratungsarzt der Beklagten kam aufgrund einer Auswertung dieser Aufnahme zum Ergebnis, dass es schon an Höhenminderungen der Bandscheiben fehle, die den konkreten Verdacht auf eine berufliche Verursachung begründen könnten. Eine Randzackenbildung iSe Begleitspondylose sei nicht zu erkennen. Die medizinischen Kriterien für eine Konstellation B2 lägen nicht vor, das Befundbild entspreche einer Konstellation B3, bei der eine gefestigte wissenschaftliche Meinung, die einen Kausalzusammenhang bejahe, nicht vorliege.
Mit Bescheid vom 1.9.2010 lehnte die Beklagte die Anerkennung einer BK 2108 ab. Im anschließenden Widerspruchsverfahren holte die Beklagte eine arbeitstechnische Stellungnahme ihrer Präventionsabteilung vom 3.11.2010 ein, die für den Beurteilungszeitraum vom 1.1.1988 bis zum 7.7.2005 zu einer Gesamtbelastungsdosis von 29,4 x 106 Nh (MNh) kam. Die Teildosis für die Zeit vom 1.7.1991 bis zum 30.6.1997 betrug 10,4 MNh. Weiterhin holte die Beklagte ein Gutachten des Orthopäden Dr. K vom 27.1.2011 ein. Der Gutachter stellte eine lumbale Bandscheibenerkrankung mit Bandscheibenvorfällen L 4/5 und L5/S1 fest, die er allerdings nicht als belastungsbedingt ansah. Die Röntgenbilder zeigten in den betroffenen Segmenten keine Segmenthöhenminderung, keine Spondylose und eine vermehrte Sklerose in den Wirbelgelenken. Lediglich die sklerotischen Veränderungen in den Wirbelgelenken L4/5 und L5/S1 lägen nicht mehr im Bereich der Altersnorm, alle anderen Veränderungen seien altersgerecht. Aufgrund eines MRT der Halswirbelsäule aus dem Jahr 2009 und eigener Röntgenaufnahmen vom 18.1.2011 stellte Dr. K zudem teilweise die Altersnorm überschreitende degenerative Veränderungen fest. Die Veränderungen der HWS seien gleich stark wie die der LWS, wahrscheinlich überträfen sie diese in ihrer Intensität. Konkurrierende Schadensbilder lägen nicht vor.
Mit Widerspruchsbescheid vom 10.2.2011 wurde der Widerspruch des Klägers zurückgewiesen.
Am 24.2.2011 hat der Kläger beim Sozialgericht (SG) Mainz Klage erhoben. Das SG hat ein Gutachten des Orthopäden und Unfallchirurgen Dr. P vom 4.10.2011 eingeholt. Gegenüber diesem hat der Kläger angegeben, er sei seit 1988 teilweise selbständig als Straßenbaufacharbeiter tätig gewesen. Der Sachverständige hat beim Kläger folgende Erkrankungen festgestellt:
Bandscheibenbedingte Erkrankungen im Segment C 5/6 der Halswirbelsäule und den Segmenten L 4/5 und L5/S1 der Lendenwirbelsäule
leichte degenerative Veränderungen der kleinen Wirbelgelenke der Halswirbelsäule
überbrückende Spondylosis deformans der Brustwirbelsäule in den Segmenten Th 7 bis 9
Fehlstatik der Lendenwirbelsäule im Sinne einer rechtskonvexen Skoliosierung mit relativ geringer (5°-iger) Achsabweichung, aber deutlicher Torsionskomponente des 1. und 2. Lendenwirbelkörpers
stärker ausgeprägte degenerative Veränderungen der kleinen Wirbelgelenke in Höhe des lumbosakralen Übergangs
leichter Flüssigkeitsverlust der Bandscheibe im Segment L1/2
unspezifische schmerzhafte Funktionseinschränkung beider Schultern
unspezifische Funktionseinschränkung beider Ellenbogengelenke
Verdacht auf Irritation des Nervus ulnaris beidseits.
Begleitspondylosen liegen nach den Feststellungen des Sachverständigen an der LWS nicht vor. Aus dem MRT vom 21.6.2011 ergebe sich, dass die Bandscheibenräume L4/5 und L5/S1 allenfalls eine geringe Höhenminderung aufwiesen. Die Bandscheiben wölbten sich zwar deutlich in den Spinalkanal vor, eine Sequestrierung, also ein Bandscheibenvorfall im eigentlichen Sinne, bestehe aber nicht. Bei deutlich vermindertem Flüssigkeitsgehalt sei in den T2-geichteten Aufnahmen die Textur der Bandscheiben durchaus noch erkennbar. Ein kompletter Flüssigkeitsverlust und damit eine Black Disc bestehe in diesen Segmenten ebensowenig wie im Segment L1/2, in dem die Bandscheibe ebenfalls einen mäßiggradigen Flüssigkeitsverlust aufweise. Die Anordnung der Schädigungen an den LWS-Segmenten und die gleichzeitige Schädigung der HWS sprächen gegen eine belastungsinduzierte Verursachung der LWS-Schäden. Die am deutlichsten ausgeprägten Veränderungen in Form einer Erniedrigung des Zwischenwirbelraums lägen im Segment C 5/6 der HWS vor. Die Zuordnung des Befundes zur Konstellation B im Sinne der Konsens sei nur bedingt möglich, da eine Chondrose Grad II nicht vorliege. Eine berufliche Verursachung sei auszuschließen. In der orthopädischen Praxis seien nahezu täglich gleichgerichtete Veränderungen bei Patienten ähnlichen Alters und Zugehörigkeit zu den unterschiedlichsten Berufsgruppen festzustellen. Die Veränderungen seien daher als anlagebedingt zu bewerten.
Auf Antrag des Klägers nach § 109 SGG hat das SG ein arbeitsmedizinisches Gutachten bei Prof. Dr. B vom 24.8.2012 nebst nervenärztlichem Zusatzgutachten von Dr. K vom 4.6.2012 und radiologischem Zusatzgutachten von Dr. T vom 25.6.2012 eingeholt. Dr. K fand bei dem Kläger eine degenerative Wirbelsäulenerkrankung mit chronischen, überwiegend pseudoradikulären Schmerzen und einer diskreten Beteiligung des peripheren Nervensystems sowie eine begleitende depressive Reaktion. Die Kriterien einer mittelgradigen Depression seien erfüllt. Die Schmerzen spielten bei der Entstehung der Depression eine wesentliche Rolle. Daneben spielten die eingetretenen sozialen Folgen, der unerfüllte Wunsch nach Entschädigung, weitere individuelle und persönlichkeitsspezifische Reaktionsbereitschaften eine Rolle. Die geringen neurologischen Ausfälle bedingten eine Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 10 vH, die depressive Reaktion von 60 vH.
Der Radiologe Dr. T führt in seinem Gutachten aus, an der HWS bestehe eine erstgradige Chondrose im Segment C5/6. An der LWS bestünden keine altersuntypischen Chondrosen. Im Segment L4/5 finde sich ein altersuntypischer Grad II-Prolapsbefund, im Segment L5/S1 zuletzt noch ein Grad IIa-Grenzprolapsbefund ohne sichere Bedrängung nervaler Strukturen. Weder an HWS noch an LWS fänden sich altersuntypische Spondylosen. "Black Discs" ohne Höhenminderung des Zwischenwirbelraums fänden sich in den Segmenten L4/5 und L5/S1. Die degenerativen Veränderungen an der HWS seien im Vergleich zur LWS als geringer einzustufen.
Der Hauptgutachter Prof. Dr. B hat im Ergebnis die Voraussetzungen für die Anerkennung einer BK 2108 bejaht. Beim Kläger lägen die radiologischen Kriterien der so genannten B-Konstellationen der Medizinischen Beurteilungskriterien zu bandscheibenbedingten Berufskrankheiten der Lendenwirbelsäule vor. Er leide an je einem Bandscheibenprolaps in den Segmenten L4/5 und L5/S1, was einen Bandscheibenschaden iSd BK 2108 darstelle. Es handele sich um eine Fallkonstellation B2 der Konsensempfehlungen. Die hierfür festgelegten Voraussetzungen – einschließlich der Zusatzkriterien – seien erfüllt. Insbesondere sei der vorliegende bisegmentale Bandscheibenprolaps an den Segmenten L4/5 und L5/S1 als Prolaps an mehreren Bandscheiben im Sinne des Berichts der Konsensus-Arbeitsgruppe zu interpretieren. Würde die Ansicht zutreffen, dass der Befall von mindestens 3 Bandscheiben zu fordern sei, hätte die Konsensus-Arbeitsgruppe den bisegmentalen Befall außer Acht gelassen. Beim Kläger bestünden eine besonders intensive Belastung mit Erreichen eines Richtwerts für die Lebensdosis in weniger als 10 Jahren und kein besonderes Gefährdungspotential durch hohe Belastungsspitzen ab 6 kN. Nach dem radiologischen Zusatzgutachten habe beim Kläger zum Zeitpunkt der Unterlassung der gefährdenden Tätigkeit am 1.10.2006 kein Bandscheibenschaden an der HWS bestanden. Dieser sei vielmehr erstmals in der MRT der HWS am 16.10.2009 diagnostiziert worden. Eine besonders intensive Belastung im Sinne des zweiten Kriteriums der Fallkonstellation B2 liege bereits vor, wenn der im Urteil des BSG vom 30.10.2007 festgelegte Wert von 12,5 MNh erreicht sei, wie das Sächsische LSG am 22.4.2010 (L 2 U 199/07) und am 23.9.2010 (L 2 U 198/07) entschieden habe. Die Bandscheibenschäden des Klägers seien mit hinreichender Wahrscheinlichkeit durch die beruflichen Hebe- und Tragebelastungen bzw Arbeiten in extremen Rumpfbeugehaltungen verursacht worden. Die MdE schätzt Prof. Dr. B auf 10% auf neurologischem Fachgebiet, auf 10% im Hinblick auf die eingeschränkte Beweglichkeit der Wirbelsäule und auf 60 vH für die depressive Reaktion.
Die Beklagte ist der Auffassung des Sachverständigen Prof. Dr. B entgegengetreten, dass im Rahmen des Zusatzkriteriums "besonders intensive Belastung" auf den durch das BSG in seinem Urteil vom 30.10.2007 festgelegten Wert von 12,5 MNh zurückgegriffen werden könne. Das BSG habe lediglich über das MDD befunden. Für das Zusatzkriterium im Rahmen der Konstellation B2 sei weiterhin der Richtwert für die Lebensbelastungsdosis in Höhe von 25 MNh maßgeblich, da das BSG keine Entscheidung zu den in den Konsensvereinbarungen festgelegten Werten getroffen habe. Entgegen den Ausführungen des Gutachters habe aus fachmedizinischer Sicht eben kein Konsens darüber bestanden, dass 12,5 MNh für eine besonders intensive Belastung ausreichend seien. Eine Abänderung des Konsensempfehlung durch den Rechtsanwender sei nicht zulässig, da sich hierbei um ein antizipiertes Sachverständigengutachten handele. Hierzu sei lediglich der Ersteller selbst, nämlich die interdisziplinäre Arbeitsgruppe berechtigt, sofern neue gefestigte wissenschaftliche Erkenntnisse vorhanden seien. Dies sei bisher nicht der Fall. Die Beklagte hat sich dabei ua auf eine beratungsärztliche Stellungnahme des Arztes für Arbeitsmedizin H vom 23.1.2013 gestützt, der ausgeführt hatte, die Feststellung des Gutachters Prof. Dr. B, dass ein Bandscheibenvorfall an mehreren Bandscheiben vorliege und somit die Konstellation B2 erfüllt sei, finde in dem radiologischen Zusatzgutachten von Dr. T keine Stütze. Dieser schließe das Vorliegen einer Begleitspondylose aus und befunde einen Bandscheibenvorfall L4/5 sowie einen Grenzprolapsbefund L5/S1. Somit seien insgesamt nur zwei Segmente betroffen. Betrachte man die Konsensempfehlung genauer, so stelle man fest, dass die Begleitspondylose mindestens zwei Segmente betreffen müsse und Black Discs in zwei benachbarten Segmenten vorliegen müssten. Als Positivkriterium seien somit nur Schadensbilder geeignet, welche mindestens drei Segmente umfassten. Dies sei hier nicht der Fall. Letztlich spreche auch die nicht belastungsadäquate Schadensverteilung gegen eine berufliche Verursachung, da das am stärksten belastete Segment L5/S1 eine geringere Schadensausprägung zeige als das darüber liegende. Zusammenfassend sei somit keines der medizinischen Zusatzkriterien für die Konstellation B2 erfüllt.
Dr. P hat in einer ergänzenden Stellungnahme vom 4.10.2013 ua dargelegt, auch auf den von Dr. T angefertigten Röntgenaufnahmen der LWS zeige sich lediglich die Bandscheibe im Segment C 5/6 höhengemindert. Der Befund an der Halswirbelsäule (HWS) sei ausgeprägter. Am deutlichsten seien die degenerativen Veränderungen nach wie vor an der Brustwirbelsäule (BWS) in Form einer teilweise überbrückenden Spondylosis deformans. Auf den aktuellen Kernspintomographien seien, ebenso wie auf den früheren Aufnahmen, zwar die Flüssigkeitsgehalte der letzten beiden lumbalen Bandscheiben gemindert, jedoch lasse sich der Kern der Bandscheiben (Nucleus pulposus) aufgrund des ihn umgebenden Gewebes mit noch erheblichem Flüssigkeitsgehalt gut abgrenzen. In diesen Segmenten lägen damit keine "Black Discs" vor. Der Einschätzung des Gutachters Prof. Dr. B sei insgesamt nicht zu folgen.
Das SG hat die Klage durch Urteil vom 17.2.2014 abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, die Voraussetzungen für die Anerkennung einer BK 2108 hätten nicht nachgewiesen werden können. Aufgrund der schlüssigen und nachvollziehbaren Feststellungen des Gutachters Dr. P stehe fest, dass ein Kausalitätsnachweis im Sinne einer wesentlichen Bedingung im Hinblick auf das an der Wirbelsäule des Klägers vorliegende Schadensbild nicht geführt werden könne. Der hiervon abweichenden Einschätzung des Gutachters Prof. Dr. B könne sich die Kammer nicht anschließen. Dieser Sachverständige habe seine Einschätzung nicht auf dem Boden der derzeitigen Mehrheitsmeinung in der Medizin ab-gegeben. Dies sei für einen Kausalitätsnachweis aber erforderlich. Zudem belege Prof. Dr. B medizinische Einschätzungen mit Gerichtsentscheidungen. Diese stellten für eine fachkundige medizinische Aussage aber keine geeignete Nachweisquelle dar. Schließlich sei die Einschätzung des Sachverständigen Prof. Dr. B auch schlüssig und nachvollziehbar durch die Stellungahme von Dr. P vom 4.10.2013 widerlegt worden.
Das Urteil wurde dem Kläger am 22.4.2014 zugestellt. Am 9.5.2014 hat er dagegen Berufung eingelegt. Er trägt vor, er könne seine frühere Tätigkeit aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr ausüben. Bei ihm liege ein Grad der Behinderung von 40 vor. Er beziehe seit dem 1.4.2012 Pflegegeld nach der Pflegestufe 1. Er leide an einer chronifizierten Schmerzerkrankung mit hochgradiger schmerzbedingter Beeinträchtigung, chronischem Kreuz-Bein-Schmerz bei Facettenarthropathie sowie NPP L 4/5 und L5/S1, chronischem Schulter-Nacken-Schmerz bei muskulärer Dysbalance, einem kleinen Bandscheibenvorfall C5/6 rechts und weiteren Krankheiten auf internistischem, HNO-ärztlichem und neuro-logisch-psychiatrischem Gebiet. Die Voraussetzungen für die Anerkennung seiner LWS-Erkrankung als BK 2108 lägen vor. Er sei einer besonders intensiven Belastung mit Erreichen des Richtwerts für die Lebensdosis in weniger als 10 Jahren ausgesetzt gewesen und leide an 2 Bandscheibenvorfällen. Die Schädigungen der HWS hätten sich erst nach Ende der belastenden Tätigkeit entwickelt und seien für die Beurteilung der Schäden an den LWS unbeachtlich. Aufgrund einer realitätsnahen und wirklichkeitsorientierten Betrachtungsweise habe er sich die Wirbelsäulenerkrankungen durch seine langjährige Tätigkeit im Straßenbau zugezogen. Soweit die Beklagte im Berufungsverfahren behaupte, er sei in den Jahren 1991 bis 1997 nicht versichert gewesen, widerspreche sie ihren eigenen Feststellungen. Er sei auch in diesen Jahren bei seinem Bruder beschäftigt gewesen, zumindest sei er als "Wie-Beschäftigter" tätig gewesen. Bei der neu durchgeführten Belastungsberechnung habe die Beklagte nicht alle Beschäftigungszeiten berücksichtigt, insbesondere sei seine Beschäftigung bei der J B Bau-GmbH unzutreffend nur als geringfügige Beschäftigung behandelt worden.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Mainz vom 17.2.2014 sowie den Bescheid der Beklagten vom 1.9.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10.2.2011 aufzuheben und festzustellen, dass bei ihm eine Berufskrankheit nach Nr 2108 der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung vorliegt.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie bezieht sich auf die Gründe des angefochtenen Urteils und ihren Vortrag in der ersten Instanz. Sie ist der Ansicht, dass der Kläger vom 1.5.1991 bis zum 14.9.1997 nicht gesetzlich unfallversichert war. In dieser Zeit habe er als zu 50 vH beteiligter Gesellschafter maßgeblichen Einfluss auf die G Hoch- und Tiefbau GmbH ausgeübt und sei deswegen als Unternehmer zu behandeln. Dies werde durch die zeitgleiche Lücke in seinem Rentenversicherungsverlauf und seinen Status als freiwillig Versicherter in der Gesetzlichen Krankenversicherung bestätigt. Entgegen der Behauptung des Klägers sei nur seine nach eigenen Angaben geringfügige Beschäftigung bei der G&S Hoch- und Tiefbau GmbH vom 1.3.2004 bis zum 8.4.2004 aus der Berechnung herausgenommen worden.
Auf Veranlassung der Beklagten hat die Berufsgenossenschaft Nahrungsmittel und Gastgewerbe für die vom Kläger angegebene Zeit seiner Beschäftigung im Gastgewerbe als Büffettier und Küchenhilfe vom 17.8.1981 bis zum 11.12.1988 eine Belastungsdosis von 1,4 MNh ermittelt. Die Landwirtschaftliche Berufsgenossenschaft hat eine Stellungnahme ihres Präventionsdienstes vom 2.11.2016 vorgelegt. Der Kläger hat in diesem Verfahren mitgeteilt, er habe vom 19.12.1988 bis zum 30.4.1991 im Garten- und Landschaftsbaubetrieb seines Bruders gearbeitet. Für diesen Zeitraum wurde eine Belastungsdosis von 3,6 MNh ermittelt. Die Präventionsabteilung der Beklagten gibt in einer Neuberechnung vom 5.12.2016 für die Zeit vom 15.9.1997 bis zum 17.9.2006 die Belastungsdosis mit 11,2 MNh an, wobei die Fehlzeiten durch Arbeitslosigkeit und Arbeitsunfähigkeit berücksichtigt wurden. Die Gesamtbelastungsdosis beträgt danach 16,2 MNh.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Verwaltungs- und Gerichtsakten verwiesen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der Beratung des Senats war.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist begründet. Das SG hätte das Vorliegen einer BK 2108 feststellen müssen.
I. Berufskrankheiten sind gem § 9 Abs. 1 S 1 SGB VII Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als solche bezeichnet hat und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz begründenden Tätigkeit erleiden. Die Bundesregierung ist ermächtigt, in der Rechtsverordnung solche Krankheiten als Berufskrankheit zu bezeichnen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre versicherte Tätigkeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind (§ 9 Abs. 1 S. 2 SGB VII). Die hier in Betracht kommende Erkrankung der LWS ist Berufskrankheit nach Nr. 2108 der Anlage 1 zur BKV.
II. Für die Anerkennung einer Erkrankung als BK 2108 müssen folgende Tatbestandsmerkmale gegeben sein: Bei dem Versicherten muss eine bandscheiben-bedingte Erkrankung der LWS vorliegen, die durch langjähriges Heben oder Tragen schwerer Lasten oder durch langjährige Arbeit in extremer Rumpfbeugehaltung entstanden ist. Die Erkrankung muss den Zwang zur Unterlassung aller gefährdenden Tätigkeiten herbeigeführt haben, und der Versicherte darf eine solche Tätigkeit tatsächlich nicht mehr ausüben. Aus dem Erfordernis des Unterlassungszwangs folgt denklogisch, dass neben einem durch Veränderungen an der Bandscheibe verursachten objektivierten Schaden chronische oder chronisch wiederkehrende Beschwerden mit Funktionseinschränkungen vorliegen müssen (BSG, Urteil vom 31.5.2005 B 2 U 12/14 R juris Rn 23). Für das Vorliegen des Tatbestandes der BK ist ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und der schädigenden Einwirkung und zwischen der schädigenden Einwirkung und der Erkrankung erforderlich. Dabei müssen die Krankheit, die versicherte Tätigkeit und die durch sie bedingten schädigenden Einwirkungen einschließlich deren Art und Ausmaß iS des "Vollbeweises", also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, nachgewiesen werden, während für den ursächlichen Zusammenhang als Voraussetzung der Entschädigungspflicht, der nach der auch sonst im Sozialrecht geltenden Lehre von der wesentlichen Bedingung zu bestimmen ist, grundsätzlich die (hinreichende) Wahrscheinlichkeit - nicht allerdings die bloße Möglichkeit - ausreicht (std. Rspr des BSG, z.B. Urteil vom 31.05.2005 B 2 U 12/04 R Juris).
1. Eine bandscheibenbedingte Erkrankung mit dauernden klinisch relevanten Beschwerden, lag beim Kläger nach den Feststellungen des Sachverständigen Dr. P zum Zeitpunkt der Berufsaufgabe im Jahr 2005 vor.
2. Der Kläger war in seinen versicherten Tätigkeiten langjährig iSd BK-Tatbestandes Hebe- und Tragebelastungen ausgesetzt. Hierfür sind 10 Berufsjahre als im Durchschnitt untere Grenze der belastenden Tätigkeit zu fordern (Merkblatt des ärztlichen Sachverständigenbeirats beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales Sektion Berufskrankheiten zur BK 2108, BArbBl 10/2006, S 30, 33; darauf Bezug nehmend BSG, Urteil vom 23.4.2015 B 2 U 10/14 , juris Rn 14). Nach den Ermittlungen der Beklagten hat der Kläger auch ohne die umstrittene Zeit von 1991 bis 1997 in den Jahren 1988 bis 1991 und 1997 bis 2005 mindestens 11 Jahre lang als Versicherter wirbelsäulenbelastende Tätigkeiten ausgeübt. Die Einwirkungen fanden auch regelmäßig statt (Anhaltspunkt ca 60 Schichten pro Jahr, vgl Merkblatt aaO, S 33; zuletzt BSG; Urteil vom 6.9.2018 B 2 U 10/17 R – Terminbericht auf www.bsg.bund.de).
3. Auch hat der Kläger im Jahr 2005 die wirbelsäulenbelastende Tätigkeit eingestellt.
4. Die berufliche Tätigkeit des Klägers war auch mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ursächlich für die Erkrankung.
a) Für die Anerkennung einer Berufskrankheit ist neben der Kausalität zwischen versicherter Tätigkeit und den schädigenden Einwirkungen (Einwirkungskausalität) ein Ursachenzusammenhang zwischen Einwirkungen und der Erkrankung erforderlich. Für die BK 2108 bedeutet dies, dass die Lendenwirbelsäulenerkrankung des Klägers durch langjähriges schweres Heben und Tragen bzw Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung im Rahmen seiner versicherten Tätigkeit verursacht worden sein muss. Für den Ursachenzusammenhang zwischen Einwirkung und Erkrankung gilt im Berufskrankheitenrecht, wie auch sonst in der gesetzlichen Unfallversicherung, die Theorie der wesentlichen Bedingung. Diese beruht zunächst auf der naturwissenschaftlich-philosophischen Bedingungstheorie, nach der jedes Ereignis (jede Bedingung) Ursache eines Erfolgs ist, das nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg entfiele (conditio-sine-qua-non). Steht die versicherte Tätigkeit als eine der Wirkursachen fest, muss auf der zweiten Stufe die Einwirkung rechtlich unter Würdigung auch aller auf der ersten Stufe festgestellten mitwirkenden unversicherten Ursachen die Realisierung einer in den Schutzbereich des jeweils erfüllten Versicherungstatbestandes fallenden Gefahr sein. Die Wesentlichkeit der Wirkursache ist zusätzlich und eigenständig nach Maßgabe des Schutzzwecks der jeweils begründeten Versicherung zu beurteilen (vgl zur Theorie der wesentlichen Bedingung eingehend BSG, Urteil vom 13.11.2012 B 2 U 19/11 R juris).
b) Die Hebe- und Tragebelastungen, denen der Kläger in seinen versicherten Tätigkeiten ausgesetzt war, waren nach gegenwärtigem Erkenntnisstand geeignet ausreichend, um eine bandscheibenbedingte Erkrankung der LWS zu verursachen. Dies gilt unabhängig davon, ob seine Zeit als Gesellschafter der G Hoch- und Tiefbau GmbH in den Jahren 1991 bis 1997 bei der Berechnung zu berücksichtigen ist oder nicht.
aa) Die Anforderungen an Belastungen, die eine signifikante Erhöhung des Risikos einer bandscheibenbedingten Erkrankung der LWS begründen, hat das BSG in seinem Urteil vom 18.11.2008 B 2 U 14/07 R unter Fortentwicklung des sogenannten Mainz-Dortmunder Dosismodells (MDD) zusammengefasst:
(1) Die dem MDD zu Grunde liegende Mindestdruckkraft pro Arbeitsvorgang ist bei Männern mit dem Wert 2.700 N pro Arbeitsvorgang anzusetzen.
(2) Auf eine Mindesttagesdosis ist zu verzichten. Alle Hebe- und Tragebelastungen, die die aufgezeigte Mindestbelastung von 2.700 N bei Männern erreichen, sind entsprechend dem quadratischen Ansatz (Kraft mal Kraft mal Zeit) zu berechnen und aufzuaddieren.
(3) Der untere Grenzwert, bei dessen Unterschreitung nach gegenwärtigem Wissensstand ein Kausalzusammenhang zwischen beruflichen Einwirkungen und bandscheibenbedingter Erkrankung der Lendenwirbelsäule ausgeschlossen und deshalb auf einzelfallbezogene medizinische Ermittlungen verzichtet werden kann, ist auf die Hälfte des im MDD vorgeschlagenen Orientierungswertes für die Gesamtbelastungsdosis von 25 MNh, also auf 12,5 MNh, herabzusetzen.
bb) Das dergestalt modifizierte MDD stellt nach wie vor eine geeignete Grundlage zur Konkretisierung der im Text der BK 2108 mit den unbestimmten Rechtsbegriffen "langjähriges" Heben und Tragen "schwerer" Lasten oder "langjährige" Tätigkeit in "extremer Rumpfbeugehaltung" nur ungenau und allenfalls nur richtungsweisend umschriebenen Einwirkungen dar. Die aufgrund einer retrospektiven Belastungsermittlung für risikobehaftete Tätigkeitsfelder ermittelten Werte, insbesondere die Richtwerte für die Gesamtbelastungsdosis des MDD, sind allerdings nicht als Grenzwerte, sondern als Orientierungswerte oder -vorschläge zu verstehen (BSG, Urteil vom 23.4.2015 B 2 U 10/14 R , zuletzt Urteile vom 6.9.2018 B 2 U 10/17 R und B 2 U 13/17 R juris).
cc) Die relevanten Belastungen addieren sich im Fall des Klägers ausweislich der Berechnungen der Präventionsabteilung der Beklagten auf eine Gesamtbelastungsdosis von 29,4 MNh, wenn man die Jahre 1991 bis 1997 als versicherten Zeitraum berücksichtigt. Lässt man diese Zeit außer Acht, beträgt die Gesamtbelastungsdosis 16,2 MNh. Sie überschreitet somit jedenfalls den Orientierungswert von 12,5 MNh.
dd) Die Ursächlichkeit der beruflichen Belastungen wird nicht dadurch in Frage gestellt, dass die möglicherweise unversicherte wirbelsäulenbelastende Tätigkeit des Klägers in den Jahren 1991 bis 1997 zu dem Entstehen einer bandscheibenbedingten Erkrankung beigetragen hat. Denn jedenfalls würde es sich bei den versicherten Hebe- und Tragebelastungen in den übrigen Berufsjahren um eine von mehreren rechtlich wesentlichen Ursachen der Erkrankung handeln. Dies steht für den Senat aufgrund des Umstandes fest, dass am Ende der möglicherweise unversicherten Zwischenzeit noch keine bandscheibenbedingte Erkrankung vorgelegen hat. Gegenüber dem Sachverständigen Dr. P hat der Kläger angegeben, stärkere Beschwerden am Rücken seien etwa im Jahr 2001 auf-getreten. Anhaltspunkte für einen früheren Erkrankungsbeginn liegen nicht vor. Zudem stehen die Anteile der versicherten und der streitigen Zeiträume an der Gesamtbelastungsdosis nicht in einem offensichtlichen Missverhältnis. Die Teildosis für die Zeit vom 1.7.1991 bis zum 30.6.1997 betrug nach der Berechnung vom 3.11.2010 10,4 MNh. Dem steht nach der Neuberechnung vom 5.12.2016 eine Gesamtbelastungsdosis von 16,2 MNh für die von der Beklagten anerkannten Zeiten gegenüber. Auch ansonsten sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass der nach Ansicht der Beklagten nicht versicherte Zeitraum die allein wesentliche Ursache für die LWS-Erkrankung des Klägers gesetzt haben könnte.
c. Die arbeitsmedizinischen Voraussetzungen der Anerkennung einer BK 2108 liegen ebenfalls vor.
aa) Während die sogenannten arbeitstechnischen Voraussetzungen für die Anerkennung einer BK zum einen das Vorhandensein der tatbestandlich vorausgesetzten Einwirkungen und zum anderen die Kausalität zwischen diesen Einwirkungen und einer Erkrankung beinhalten, betreffen die arbeitsmedizinischen Voraussetzungen ebenfalls zwei Aspekte der Anerkennungsvoraussetzungen, nämlich zum einen das Vorliegen der tatbestandlich vorausgesetzten Krankheit und zum anderen das Vorliegen eines Schadensbildes, welches mit der rechtlich-wesentlichen Verursachung dieser Krankheit durch die beruflichen Einwirkungen zumindest im Einklang steht. Aus dem Vorliegen der arbeitstechnischen Voraussetzungen kann angesichts der multifaktoriellen Entstehung von band-scheibenbedingten Erkrankungen der LWS nicht automatisch auf das Bestehen der Anspruchsvoraussetzungen der BK 2108 geschlossen werden (BSG vom 30.10.2007 - B 2 U 4/06 R). Vielmehr müssen medizinische Kriterien hinzukommen (vgl zuletzt BSG vom 6.9.2018 B 2 U 10/17 R juris Rn 24). Der Senat stützt sich insoweit nach wie vor auf die Konsensempfehlungen aus dem Jahre 2005 (Bolm-Audorff et al, Medizinische Beurteilungskriterien zu bandscheibenbedingten Berufskrankheiten der Lendenwirbelsäule, Trauma und Berufskrankheit 2005/3, S 211-252 [Teil I] und 320-332 [Teil II]) und im konkreten Fall des Klägers auf das Gutachten des gerichtlich bestellten Sachverständigen Prof. Dr. B. Die Konsensempfehlungen bilden nach Ansicht des Senats, die mit derjenigen des BSG übereinstimmt (Urteile vom 6.9.2018 B 2 U 10/17 R und B 2 U 13/17 R juris), weiterhin den aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand ab.
bb) In allen Fällen muss danach neben der gesicherten bandscheibenbedingten Erkrankung der LWS und einer ausreichenden Exposition gegenüber Belastungen iSd BK 2108 eine plausible zeitliche Korrelation zwischen Belastung und Entwicklung der bandscheibenbedingten Erkrankung bestehen. Dieses Kriterium ist erfüllt, wenn eine ausreichende Exposition der Erkrankung vorausgeht. Das ist hier der Fall. Die Erkrankung ist beim Kläger während der belastenden Tätigkeit aufgetreten und wurde 2005 kurz nach deren Beendigung erstmals durch MRT nachgewiesen.
cc) Das beim Kläger vorliegende Schadensbild ist nach der schlüssigen Einschätzung der Sachverständigen der Befundkonstellation B im Sinne der Konsensempfehlungen zuzuordnen. Voraussetzung für alle mit dem Buchstaben B beginnende Konstellationen ist die Lokalisation der bandscheibenbedingten Erkrankung in den Segmenten L5/S1 und/oder L4/5. Die Schädigung muss in einem Bandscheibenvorfall oder einer Chondrose des Grades II bestehen. Beim Kläger wurden im Juli 2005 kurz nach Aufgabe der belastenden Tätigkeit Bandscheibenvorfälle in den Segmenten L4/5 und L5/S1 nachgewiesen. Erhebliche Chondrosen bestanden an der LWS nicht.
Grundvoraussetzung für die Anerkennung eines Ursachenzusammenhangs ist, dass der bildgebend darstellbare Bandscheibenschaden seiner Ausprägung nach altersuntypisch ist (Konsensempfehlungen Punkt 1.4 aaO S 216). Altersuntypisch sind nach den Begriffen der Konsensempfehlungen (vgl Übersicht 8, aaO S 215) für alle Altersgruppen im Erwerbsalter, also bis 65 Jahre, ein Prolaps mit Sequester (Grad III) und ein Prolaps, bei dem sich die Bandscheibe mindestens 5 mm über die Verbindungslinie der dorsalen Begrenzung der Wirbelkörperhinterkante vorwölbt (Grad II). Bei einer Vorwölbung von mehr als 3 bis weniger als 5 mm liegt ein Grenzbefund vor, der einzelfallbezogen entweder Grad I oder Grad II (dann IIa) zuzuordnen ist. Wölbt sich die Bandscheibe bis zu 3 mm vor bei aufgehobener normaler Konkavität der dorsalen Bandscheibenbegrenzung handelt es sich um eine Protrusion (Grad I), die bis zu einem Alter von 40 Jahren als altersuntypisch anzusehen ist.
Beim Kläger lag zeitnah nach der Aufgabe der gefährdenden Tätigkeit nach übereinstimmender Beurteilung der Sachverständigen im Segment L4/5 ein Vorfall des Grades II und mithin ein altersuntypischer Befund vor. Beim Segment L5/S1 handelt es sich nach Ansicht des Radiologen Dr. T um einen Grenzbefund, den er als "IIa" und mithin altersuntypisch einstuft. Dies steht im Einklang mit der Einschätzung des Sachverständigen Dr. P, der zwar keine Einstufung nach den Graden der Konsensempfehlungen vornimmt, aber ausführt, die Bandscheiben wölbten sich "deutlich" in den Spinalkanal vor, was eine Einstufung als alterstypisch nicht angemessen erscheinen lässt. Auch hat Dr. P in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 4.10.2013 der diesbezüglichen Einschätzung des Gutachters Dr. T nicht widersprochen, sondern lediglich die Interpretation des Signals der Bandscheibe in L4/5 als "Black Disc" in Frage gestellt.
Beim Kläger lagen demnach zum maßgeblichen Zeitpunkt altersuntypische Bandscheibenvorfälle in den Segmenten L4/5 und L5/S1 vor. Begleitspondylosen wurde von keinem der Gutachter festgestellt, weshalb eine Befundkonstellation B1 der Konsensempfehlungen ausscheidet. Wesentliche konkurrierende Ursachenfaktoren haben die ärztlichen Gutachter nicht festgestellt. Das Schadensbild entspricht somit der Konstellation B2.
dd) Demnach ist ein Zusammenhang der Schäden an der LWS des Klägers mit seinen beruflichen Hebe- und Tragebelastungen dann wahrscheinlich, wenn eines der Zusatzkriterien der Konstellation B2 erfüllt ist.
(1) Das erste Zusatzkriterium erfordert eine Höhenminderung und/oder Prolaps an mehreren Bandscheiben. Alternativ müssen bei nur monosegmentaler/m Chondrose/Vorfall in L5/S1 oder L4/L5 im Magnetresonanztomogramm in mindestens zwei angrenzenden Segmenten "Black Discs" vorliegen. Der Senat versteht die Konsensempfehlungen in Übereinstimmung mit dem Sachverständigen Prof. Dr. B dahin, dass das Zusatzkriterium "Höhenminderung und/oder Prolaps an mehreren Bandscheiben" erfüllt ist, wenn mindestens 2 Bandscheiben betroffen sind.
Da es sich bei den Konsensempfehlungen nicht um normative Vorgaben, sondern um medizinische Erfahrungssätze handelt, kann ihr Inhalt nicht durch Auslegung ermittelt werden. Eine rein am Wortlaut und den klassischen juristischen Auslegungsmethoden orientierte Interpretation eines solchen primär naturwissenschaftlichen Textes ist nicht zielführend (vgl zB BSG, Urteil vom 6.9.2018 B 2 U 10/17 R juris Rn 33). Ihre Interpretation als im Wesentlichen medizinisch-naturwissenschaftlicher Text ist daher zuvorderst sachkundigen Medizinern vorbehalten. Die Gerichte sind demnach gehalten, sich die für die Beurteilung dieser Frage nötige Kenntnis von Sachverständigen zu beschaffen.
Der vom SG befragte Sachverständige Prof. Dr. B verfügt als Mitverfasser der Konsensempfehlungen über die nötige Kenntnis des Diskussionsstandes, um einschätzen zu können, wie die Konsensempfehlungen im Hinblick auf den wissenschaftlichen Erkenntnisstand zu verstehen sind. Nach seinem Verständnis sind die Anforderungen des ersten Zusatzkriteriums der Befundkonstellation B2 erfüllt, wenn mindestens 2 Bandscheiben von Schädigungen im Sinne der für alle B-Konstellationen geltenden Voraussetzungen befallen sind. Ein Befall von mindestens 3 Bandscheiben ist demnach nicht zu fordern (so auch SächsLSG, Urteile vom 21.6.2010 L 2 U 170/08 LW und vom 29.1.2014 L 6 U 111/11 ; LSG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 11.7.2013 L 6 U 59/11 ; aA [mindestens 3 Segmente müssen betroffen sein]: LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 21.12.2016 L 17 U 275/14 , vgl dazu BSG, Urteil vom 6.9.2018 B 2 U 13/17 R ; HessLSG, Urteile vom 18.8.2009 L 3 U 202/04 und vom 27.3.2012 L 3 U 81/11 , BayLSG, Urteil vom 20.8.2009 L 2 U 330/07 alle juris). Nachvollziehbar führt der Sachverständige dazu aus, die Konsensgruppe hätte in diesem Fall den bisegmentalen Befund völlig außer Acht gelassen, was nicht unterstellt werden kann. Dem kann nicht dadurch begegnet werden, dass bei einem bisegmentalen Befund zur Erfüllung des zweiten Zusatzkriteriums mindestens eine Black Disc in einem Nachbarsegment gefordert wird. Denn eine solche Konstellation wird in den Konsensempfehlungen nicht erwähnt und kann auch nicht im Wege der Auslegung darin eingefügt werden. Es käme dann zu dem nicht nachvollziehbaren Ergebnis, dass ein monosegmentaler Befund bei Vorliegen zweier Black Discs in Nachbarsegmenten zur Anerkennung der Berufskrankheit führen würde, der bisegmentale Befund aber auch mit Black Discs nicht.
Das Schadensbild der LWS des Klägers erfüllt somit die Voraussetzungen der Befundkonstellation B2 der Konsensempfehlungen in der Form des ersten Zusatzkriteriums "Prolaps an mehreren Bandscheiben".
(2) Den Gutachtern Dr. K und Dr. P kann nicht dahin gefolgt werden, dass der Befund beim Kläger der Konstellation B5 der Konsensempfehlungen entspricht. Diese setzt das Vorliegen eines Bandscheibenschadens an der Halswirbelsäule (HWS) voraus, der stärker ausgeprägt ist als an der LWS und mit einer klinischen Erkrankung einhergeht. In diesem Fall ist der Zusammenhang zwischen der bandscheibenbedingten Erkrankung der LWS und der beruflichen Hebe- und Tragebelastung nicht wahrscheinlich. Die Gutachter haben den Wirbelsäulenbefund des Klägers dieser Fallgruppe zugeordnet, weil im Oktober 2009 bzw bei den später erfolgten gutachtlichen Untersuchungen ein ihrer Ansicht nach einschlägiger Befund der HWS erhoben wurde. Dabei haben sie nicht beachtet, dass zwischen der Aufgabe der belastenden Tätigkeit und der erstmaligen Feststellung eines Bandscheibenschadens an der HWS mehr als 4 Jahre lagen und nicht festgestellt werden kann, dass die Schäden an beiden WS-Abschnitten bereits im Juli 2005 vorlagen. Nach den Konsensempfehlungen erfolgt die aktuelle Begutachtung aufgrund von Nativröntgenaufnahmen, die in der Regel nicht älter als 1 Jahr sein sollten. Bei bereits länger zurückliegender Aufgabe der belastenden Tätigkeit ist der Befund zum Aufgabezeitpunkt wegweisend (Abschnitt 1.2, aaO S 214). Ein Positivbefund, der nach einer Zeitspanne von mehr als 4 Jahren erhoben wird, kann demnach nicht Grundlage einer dem Kläger nachteiligen Einschätzung des Kausalzusammenhangs sein.
(3) Es kann somit offen bleiben, ob weitere Zusatzkriterien erfüllt sind. Insbesondere muss nicht aufgeklärt werden, ob der Kläger einer besonders intensiven Belastung iSd zweiten Zusatzkriteriums ausgesetzt war, wobei hierfür als "Anhalts-punkt" das Erreichen des "Richtwertes für die Lebensdosis" in weniger als 10 Jahren gilt (vgl hierzu die Entscheidung des Senats vom 30.10.2018 L 3 U 201/16). Nur in diesem Zusammenhang wäre auch von Belang, ob der Kläger in der von der Beklagten nicht berücksichtigten Zeit in den Jahren 1991 bis 1997 gesetzlich unfallversichert war.
d. Die Voraussetzungen der Feststellung einer BK 2108 lagen demnach seit der Aufgabe der gefährdenden Tätigkeit im Juli 2005 vor.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 Satz 1 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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