L 5 KR 88/04

Land
Schleswig-Holstein
Sozialgericht
Schleswig-Holsteinisches LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Kiel (SHS)
Aktenzeichen
S 1 KR 10/03
Datum
2. Instanz
Schleswig-Holsteinisches LSG
Aktenzeichen
L 5 KR 88/04
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Bei der Kürzung des Krankengeldes gemäß § 50 Abs. 2 SGB V um den Zahlbetrag der Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, ist der Nettobetrag der Rente zugrunde zu legen.
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Kiel vom 18. Mai 2004 wird zurückgewiesen. Die Beklagte hat dem Kläger seine außergerichtlichen Kosten auch für die Berufungs-instanz zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten darüber, in welcher Höhe die dem Klä-ger gewährte Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung auf sein Krankengeld anzurechnen ist.

Der Kläger ist bei der Beklagten krankenversichert. Ab 23. Juli 2001 bezog er Übergangsgeld durch das Arbeitsamt Neumünster. Am 13. November 2001 erkrankte er arbeitsunfähig und bezog ab 25. Dezember 2001 Krankengeld durch die Beklagte.

Mit Bescheid vom 20. August 2002 gewährte die Bundesversiche-rungsanstalt für Angestellte (BfA) jetzt Deutsche Rentenver-sicherung Bund dem Kläger eine Rente wegen teilweiser Er-werbsminderung rückwirkend ab 1. Dezember 2001 zunächst in Höhe von 703,51 DM monatlich, dabei Beitragsanteile zur Krankenver-sicherung in Höhe von 47,84 DM und zur Pflegeversicherung in Höhe von 5,98 DM. Als Nachzahlung errechnete die BfA einen Be-trag von 3.341,72 EUR für die Zeit vom 1. Dezember 2001 bis 30. September 2002. Gleichzeitig unterrichtete die BfA sowohl den Kläger als auch die Beklagte von der Rentenzahlung. Die Nachzahlung überwies die BfA an die Beklagte mit der Bitte, mit dem Kläger eine Abrechnung vorzunehmen. Die Beklagte teilte dem Kläger daraufhin mit Schreiben vom 12. September 2002 mit, dass von der Nachzahlung für das erhaltene Krankengeld 2.581,81 EUR einbehalten und 759,91 EUR ausbezahlt werden. Hiergegen legte der Kläger am 17. September 2002 Widerspruch ein. Er erhalte nur Krankengeld nach dem Arbeitslosengeld, also schon gekürzt. Die Anrechnung der Beklagten hieße, dass er zweimal heruntergestuft werde. Daraufhin erläuterte die Beklagte ihre Kürzung damit, die Rentenanrechnung erfolge auf Grund von § 50 Abs. 2 Sozial-gesetzbuch 5. Buch (SGB V). Nach dieser Vorschrift sei das Krankengeld um den Zahlbetrag der Rente, und zwar die Brutto-rente, zu kürzen. Sie bestätigte die Kürzung mit Bescheid vom 9. Oktober 2002. Auch hiergegen legte der Kläger Widerspruch ein, den die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 18. Dezember 2002 zurückwies. Erläuternd führte sie darin aus, bei der Kür-zung des Krankengeldes sei von dem Bruttobetrag der Rente aus-zugehen, da nur dadurch eine Gleichbehandlung aller Rentner (Belastungen mit dem Beitragsanteil) erreicht werde. Würde das Krankengeld lediglich um die Nettorente gekürzt, hätte der Rentner für die Zeit seines weiteren Krankengeldbezuges tat-sächlich keinen eigenen Beitragsanteil zur Krankenversicherung der Rentner zu tragen.

Der Kläger hat am 13. Januar 2003 beim Sozialgericht Kiel Klage erhoben und um rechtliche Überprüfung des Standpunkts der Be-klagten gebeten.

Der Kläger hat beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 9. Oktober 2002 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 18. Dezember 2002 abzuändern und sie zu verurteilen, das ihm ab 25. Dezember 2001 gewährte Krankengeld lediglich um den Nettobetrag der ab 1. Dezember 2001 von der BfA gezahl-ten Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung zu kürzen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen

und ausgeführt: Das Bundessozialgericht (BSG) habe in seiner Entscheidung vom 22. Mai 2003 (B 12 KR 13/02 R) ausgeführt, dass bei Renten seit dem In-Kraft-Treten des SGB V nicht mehr der steuerliche Ertragsanteil, sondern nach § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 Halbsatz 2, Abs. 3 Halbsatz 2 SGB V der Zahlbetrag, also der Bruttobetrag berücksichtigt werde. Damit verwende das Ge-setz das "Bruttoprinzip" (beim Rentenzahlbetrag) und das "Nettoprinzip" (beim Gesamteinkommen) nebeneinander. Die sich dar-aus ergebenden Ungereimtheiten könne die Rechtsprechung nicht auflösen. Damit widerspreche das BSG der Auffassung des Landes-sozialgerichts Nordrhein-Westfalen in seiner Entscheidung vom 16. September 1999. Entsprechend laute das Besprechungsergebnis der Spitzenverbände der Krankenkassen vom 25. Mai 1979 im Zu-sammenhang mit der Regelung des § 50 SGB V. Auch das Bundesar-beitsgericht habe in seinem Urteil vom 22. April 1998 (5 AZR 121/97) deutlich gemacht, dass unter "Barleistung" das Brutto-krankengeld zu verstehen sei.

Das Sozialgericht hat der Klage stattgegeben und zur Begründung ausgeführt: Dass eine Kürzung um den Bruttobetrag der Rente vorzunehmen sei, ergebe sich nicht aus dem Wortlaut der Rege-lung des § 50 Abs. 2 Nr. 2 SGB V. Danach sei das Krankengeld lediglich um den "Zahlbetrag" der entsprechenden Rente zu kür-zen. Die zusätzliche Verwendung dieses Begriffs wäre aber un-verständlich und überflüssig, wenn tatsächlich die gesamte Ren-te einschließlich entsprechender Versicherungsanteile zur An-rechnung kommen sollte. Der Zusatz erhalte daher nur einen Sinn, wenn lediglich die dem Versicherten tatsächlich zuflie-ßende Leistung bei der Kürzung zu berücksichtigen sei. Auch die Entstehungsgeschichte der streitigen Regelung spreche für diese Auslegung. Die Vorgängervorschrift von § 50 Abs. 2 Nr. 2 SGB V sei § 183 Abs. 1 RVO. Unter dem in dieser Regelung enthaltenen Begriff "gewährte Rente" sei auch schon früher die effektiv ge-zahlte Rente verstanden worden. Durch die zum 1. Januar 1989 in Kraft getretene Regelung des § 50 Abs. 2 SGB V habe insoweit keine Änderung erfolgen sollen. Sinn und Zweck der Bestimmung des § 50 Abs. 2 Nr. 2 SGB V spreche ebenfalls für dieses Ergeb-nis, denn durch diese Vorschrift solle die Gewährung von Dop-pelleistungen vermieden werden. Die Anrechnung der Bruttorente hätte aber nicht nur die Vermeidung des Bezugs von Doppelleis-tungen mit Lohnersatzcharakter zur Folge, sondern würde darüber hinaus zu einer Verringerung des dem Versicherten gewährten Zahlbetrages führen. Das Gleichbehandlungsgebot des Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz rechtfertige nicht die Auslegung der Beklag-ten. Die von der Beklagten in Bezug genommene Entscheidung des BSG habe einen anderen Sachverhalt zum Gegenstand.

Gegen die ihr am 6. Juli 2004 zugestellte Entscheidung richtet sich die Berufung der Beklagten, eingegangen beim Schleswig-Holsteinischen Landessozialgericht am 2. August 2004. Zur Be-gründung wiederholt sie ihr bisheriges Vorbringen.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Kiel vom 18. Mai 2004 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er wiederholt ebenfalls sein bisheriges Vorbringen.

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Inhalt der Verwal-tungsakten der Beklagten und die Gerichtsakten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig aber unbegründet. Das Sozialgericht hat die Beklagte zu Recht verurteilt, dem Kläger Krankengeld nur unter Kürzung um die Netto-Rente, also ohne Anrechnung des Beitragsanteils des Klä-gers zur Krankenversicherung der Rentner und zur Pflegeversi-cherung, zu zahlen.

Nach § 50 Abs. 2 Nr. 2 SGB V wird das Krankengeld um den Zahl-betrag u. a. der Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung aus der gesetzlichen Rentenversicherung gekürzt, wenn die Leistung von einem Zeitpunkt nach dem Beginn der Arbeitsunfähigkeit oder der stationären Behandlung an zuerkannt wird. Darüber, dass die dem Kläger von der BfA gewährte Rente zu einer Kürzung des Krankengeldes führt, streiten die Beteiligten zutreffend nicht, da diese Leistung nach Beginn der Arbeitsunfähigkeit zuerkannt wurde. Unzutreffend ist jedoch die Auslegung der Norm durch die Beklagte dergestalt, dass sie von einer Kürzung des Krankengel-des in Höhe der Bruttorente, also einschließlich der Beitrags-anteile für Kranken- und Pflegeversicherung, ausgeht.

Der vom Gesetz gewählte Wortlaut spricht bereits gegen eine solche Auslegung. Durch die Verwendung des Begriffs "Zahlbetrag" hat der Gesetzgeber deutlich gemacht, dass nicht die Höhe des Rentenanspruchs für die Kürzung maßgebend ist, sondern die tatsächliche Auszahlung. Der Begriff Zahlbetrag bedeutet vom Wortsinn her den nach den vorgenommenen Abzügen bzw. Einbehal-tungen tatsächlich ausgezahlten Betrag. Davon geht offensicht-lich auch die BfA aus, wenn sie in der Mitteilung vom 20. August 2002 an die Beklagte ausdrücklich als Zahlbetrag den Betrag nennt, der nach Abzug der Beitragsanteile zur Kranken- und Pflegeversicherung ausgezahlt wird. In seinem Urteil vom 16. September 1999 (L 16 KR 41/98) führt das LSG Essen darüber hinaus zutreffend aus, die zusätzliche Verwendung dieses Beg-riffs wäre unverständlich und überflüssig, wenn tatsächlich die gesamte Rente einschließlich entsprechender Versicherungsantei-le zur Anrechnung kommen sollte. Dieselbe Auffassung wird in dem einschlägigen Schrifttum vertreten (so Krauskopf, Kommentar zur Kranken- und Pflegeversicherung, § 50 SGB V Rz. 29; Noftz in Hauck/Noftz, Kommentar zum SGB V, K § 50 Rz. 74; Kummer, in Schulin, Handbuch des Sozialversicherungsrechts Band 1 Kranken-versicherungsrecht, § 23 Rz. 188).

Auch Sinn und Zweck des § 50 Abs. 2 Nr. 2 SGB V sprechen für die hier vertretene Auffassung. Die Vorschrift soll (lediglich) die Gewährung von Doppelleistungen verhindern. Die Anrechnung der Bruttorente hätte aber für den Kläger nicht nur die Vermei-dung des Bezugs von Doppelleistungen mit Lohnersatzcharakter zur Folge, sondern führte bei ihm auf Grund der Anrechnung des höheren nicht ausgezahlten Rentenbetrages zu einer Verringerung der Auszahlung insgesamt. Durch die Anrechnung der Bruttorente erhielte der Kläger damit im Ergebnis weniger Sozialleistungen als vorher beim alleinigen Bezug des Krankengeldes. Die Beklag-te erhielte im Fall der Anrechnung der Bruttorente Beiträge, obwohl § 224 SGB V die Beitragsfreiheit des Krankengeldes be-stimmt. Zudem bestünde die Möglichkeit der Manipulation durch den Versicherten. Durch den Zeitpunkt der Antragstellung auf Rentenzahlung hätte er es in der Hand, die Auszahlungshöhe zu verändern (so auch LSG Essen a.a.O.). Bereits dieser Umstand steht dem Hinweis der Beklagten, nur mit der Anrechnung der Bruttorente könne eine Gleichberechtigung aller Rentner er-reicht werden, entgegen. Zudem fordert der Gleichbehandlungs-grundsatz, Unterschiede zu beachten. Der Kläger ist nicht nur rentenberechtigt, sondern hat daneben auch einen Anspruch auf Krankengeld. Damit findet grundsätzlich § 224 SGB V Anwendung, der die Beitragsfreiheit des Krankengeldes bestimmt. Von Bedeu-tung ist dabei auch, dass von den der Berechnung des Kranken-geldes zu Grunde liegenden Zahlungen hier Arbeitslosengeld bzw. Unterhaltsgeld bereits Beiträge u. a. zur Krankenversi-cherung abgezogen worden waren (§§ 136 Abs. 2; 157 Abs. 1 Satz 2 SGB III in der bis zum 31. Dezember 2004 geltenden Fas-sung). Eine erneute Berücksichtigung entsprechender Beiträge würde zu einer nicht sachgerechten doppelten Belastung des Klägers führen. Und letztlich darf der Versicherte grundsätz-lich darauf vertrauen, dass das Krankengeld für die Anspruchs-dauer unter Zusammenrechnung mit der später gewährten weiteren Lohnersatzleistung in der Summe gleich bleibt (LSG Essen, a.a.O.).

Soweit das BSG in dessen von der Beklagten zitierten Urteil vom 12. Mai 2003, allerdings ohne nähere Begründung und im Zusam-menhang mit einer anderen Vorschrift, von einem anderen Ver-ständnis des Begriffs "Zahlbetrag" ausgeht, nämlich dem Brutto-betrag, weist das Sozialgericht zutreffend darauf hin, dass dem Urteil des BSG ein ganz anderer Sachverhalt zu Grunde lag, näm-lich die Regelung des Zugangs zur Familienversicherung und nicht die Frage der Kürzung des Krankengeldes zur Vermeidung des Bezuges von Doppelleistungen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Sozialgerichtsgesetz.

Gründe dafür, die Revision zuzulassen, sieht der Senat nicht. Eine Divergenz zu der genannten Entscheidung des BSG liegt nicht vor, weil dort ein anderer Sachverhalt zu Grunde lag.
Rechtskraft
Aus
Saved