S 1 U 241/09 WA

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Gießen (HES)
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Gießen (HES)
Aktenzeichen
S 1 U 241/09 WA
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 3 U 122/12
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten wegen der Höhe des Jahresarbeitsverdienstes (JAV), der Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung aus Anlass eines Arbeitsunfalls vom 10.12.2002 zugrunde zu legen ist.

Der 1964 geborene Kläger war als Radladerfahrer bei der Firma D. AG in A-Stadt beschäftigt und in dieser Tätigkeit bei der Beklagten im Rahmen der gesetzlichen Unfallversicherung versichert. Am 10.12.2002 rutschte er beim Gang über einen Erdhügel aus und fiel auf den rechten Ellenbogen. Dieses Ereignis wurde der Beklagten mit Durchgangsarztbericht vom selben Tag mitgeteilt. Nach Durchführung eines umfangreichen Verwaltungsverfahrens mit Einholung medizinischer Befunde und Gutachten gewährte die Beklagte dem Kläger mit Bescheid vom 13.12.2005 Verletztenrente auf unbestimmte Zeit nach einer MdE von 20 v. H. und setzte den der Verletztenrente zugrunde liegenden JAV nach dem im Jahr vor dem Ereignis erzielten Verdienst für die Firma D. AG fest. Hiergegen legte der Kläger am 12.01.2006 Widerspruch ein und führte zur Begründung aus, der JAV sei höher festzusetzen und es seien seine Einkünfte aus nebenberuflich selbständiger landwirtschaftlicher Tätigkeit zu berücksichtigen. Zwar habe er im normalerweise für den JAV zu berücksichtigenden Zeitraum in dieser Nebentätigkeit keine Gewinne erzielt, dies liege aber nur an größeren Investitionen, die er in diesem Zeitraum im landwirtschaftlichen Betrieb vorgenommen habe. Dies sei bei der Bemessung des JAV zu berücksichtigen. Nach Beiziehung weiterer Unterlagen über die wirtschaftliche Situation des landwirtschaftlichen Betriebs wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 28.06.2006 den Widerspruch des Klägers zurück.

Hiergegen wendete sich der Kläger mit seiner am 25.07.2006 ursprünglich beim Sozialgericht Gießen eingegangenen Klage (Az. S 6 KN 97/06 U). Das Verfahren wurde durch Beschluss des Gerichts vom 03.08.2009 zum Ruhen gebracht. Über seine neuen Prozessbevollmächtigten rief der Kläger das Verfahren mit Schriftsatz vom 22.12.2009 wieder auf.

Der Kläger ist der Ansicht, der seiner Rente zugrunde liegende JAV sei nach billigem Ermessen höher festzusetzen. Er habe in den Jahren 2000 bis 2003 erhebliche Investitionen in das vom Vater übernommene landwirtschaftliche Unternehmen getätigt, die damit die Gewinne der Zukunft darstellen würden. Deshalb habe er auch 2004 und 2005 erhebliche Gewinne erzielt. Leider sei seit 2009 in seinem auf Milchwirtschaft spezialisierten Hof wegen der allgemeinen Lage der Milchwirtschaft kein Gewinn mehr zu erzielen. Zur weiteren Begründung legt der Kläger die aus den Steuerbescheiden sich ergebenden Einnahmen für die Jahre 1996 bis 2005 vor (Bl. 5 Gerichtsakte) und die Jahresabschlüsse aus den Jahren 1997/1998, 1998/1999, 1999/2000 und 2000/2001.

Der Kläger beantragt,
unter Abänderung des Bescheids vom 13.12.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28.06.2006 den JAV für die Basis des Bescheids vom 13.12.2005 mit 45.400,00 EUR festzusetzen.

Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Sie ist der Ansicht, für Billigkeitserwägungen nach § 87 SGB VII bestehe kein Raum. Der Kläger habe in den Jahren von 2000 bis 2003 keinerlei Gewinne in seiner Nebentätigkeit erzielt. Die in den Jahren 2004 und 2005 erzielten Gewinne seien nicht typisch für sein landwirtschaftliches Unternehmen.

Wegen des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf die Klage- und Verwaltungsakten der Beklagten über den streitgegenständlichen Arbeitsunfall Bezug genommen, die Gegenstand der letzten mündlichen Verhandlung vom 27.04.2012 gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die form- und insbesondere fristgerecht erhobene Klage ist zulässig.

Sachlich ist die Klage unbegründet. Zu Recht hat die Beklagte den Berechnungen des Jahresarbeitsverdienstes für die Verletztenrente aus dem Arbeitsunfall vom 10.12.2002 lediglich das im Jahr zuvor vom Kläger im versicherten Arbeitsverhältnis bei der Firma D. AG erzielte Bruttoarbeitsentgelt zugrunde gelegt, denn selbst unter Berücksichtigung seiner nebenberuflichen selbständigen Tätigkeit als Landwirt ergeben sich keine weiteren Einnahmen, die im streitigen Zeitraum erzielt worden sind.

Gemäß § 82 Abs. 1 SGB VII ist der JAV der Gesamtbetrag der Arbeitsentgelte (§ 14 SGB IV) und Arbeitseinkommen (§ 15 SGB IV) des Versicherten in den zwölf Monaten vor dem Monat, in dem der Versicherungsfall eingetreten ist. Dieser Gesamtbetrag der Arbeitsentgelte ist zwischen den Beteiligten unstreitig das Bruttoarbeitseinkommen aus der Tätigkeit für die Firma D. AG. Daneben bestand ebenso unstreitig in dem zu berücksichtigenden Zeitraum nach § 82 Abs. 1 SGB VII kein Einkommen aus der selbständigen landwirtschaftlichen Tätigkeit.

Soweit der Kläger vorträgt, dass das Einkommen aus der selbständigen landwirtschaftlichen Tätigkeit im Jahr vor dem Versicherungsfall untypisch sei, konnte er dies nicht belegen. Der JVA war deshalb hier abweichend von § 82 Abs. 1 SGB VII auch nicht nach billigem Ermessen gemäß § 87 SGB VII zu erhöhen. Danach ist ein nach der Regelberechnung festgesetzter JAV abweichend zu bestimmen, wenn er in erheblichem Maße unbillig wäre. Hierfür liegen jedoch nach den vom Kläger selbst vorgelegten Unterlagen keine Anhaltspunkte vor. So war die betriebliche Entwicklung im Jahr 2001/2002 kein Ausreißer. Auf die vom Kläger selbst vorgelegten Zahlen (Bl. 5 der Gerichtsakte i. V. m. Bl. 25 der Gerichtsakte) wird ausdrücklich Bezug genommen. Diese Zahlen werden bestätigt durch die im wiederaufgenommenen Verfahren vorgelegten Jahresabschlüsse für den klägerischen landwirtschaftlichen Betrieb der LBH E-Stadt. Der Kläger selbst hat diese Zahlen eingehend begründet. Danach bestand nach Übernahme des landwirtschaftlichen Betriebs vom Vater ein erheblicher Investitionsstau. Ausweislich der von ihm vorgelegten Zahlen gingen deshalb die Gewinne zwischen 1996 und 1999 kontinuierlich zurück; zuletzt betrugen sie im Jahr 1999 nur noch 699,96 EUR. Für jeden Unternehmer musste deshalb klar sein, dass der Betrieb entweder insgesamt unwirtschaftlich und damit aufzugeben sei oder nur durch erhebliche Investitionen wieder produktiver gemacht werden könnte. Dies hat der Kläger folgerichtig auch angegangen. Seine Investitionen beschränkten sich aber nicht nur auf das Jahr vor dem Arbeitsunfall, das hier normalerweise der Berechnung nach § 82 SGB VII zugrunde zu legen ist. Vielmehr hatte er durch seine Investitionen in vier aufeinanderfolgenden Jahren zwischen 2000 und 2003 erhebliche Verluste bzw. keine Gewinne vorzuweisen. In 2004 bestand ein kleiner Gewinn, der nach Angaben des Klägers 2.226,00 EUR betrug. Nur im Jahr 2005 wurde ein größerer Gewinn in Höhe von 33.460,00 EUR erzielt. Zudem musste der Kläger im Erörterungstermin und in der letzten mündlichen Verhandlung einräumen, dass der auf Milchwirtschaft spezialisierte Betrieb spätestens seit 2009 überhaupt keine Gewinne wegen der allgemeinen Lage in der Milchwirtschaft mehr abwerfe. Damit ist für die Kammer das Gesamtbild eines sich nicht kontinuierlich entwickelnden Betriebes entstanden. Es besteht eine erhebliche Berg- und Talfahrt zwischen Gewinnen und Verlusten, die mit Investitionen nicht aufgefangen werden konnte. Selbst wenn man den Durchschnitt der vom Kläger nachgewiesenen zehn Jahre von 1996 bis 2005 zugrunde legen würde, so ergäbe sich hieraus kein Gewinn. Es ist deshalb keinesfalls unbillig, dass die Beklagte bei Bemessung des hier streitigen JAV keine zusätzlichen Einnahmen des Klägers fiktiv zugrunde gelegt hat. Vielmehr hätte es sich sogar angeboten, im Rahmen der Regelung des § 87 SGB VII den JAV niedriger zu bemessen, da durch die kontinuierlichen Investitionen des Klägers sein Lebensstandard wesentlich geringer in dem der Bemessung zugrunde liegenden Jahr war, als das, was ihm durch die Bruttoeinnahmen für die Firma D. AG zugeflossen ist. Hiervon hat die Beklagte keinen Gebrauch gemacht. Eine Erhöhung im Rahmen der Billigkeitsüberlegung kommt aber keinesfalls in Betracht. Dies hat der Kläger selbst dadurch dokumentiert, dass es ihm in Absprache mit seinem Prozessbevollmächtigten in der mündlichen Verhandlung vom 27.04.2012 nicht eindeutig und schnell gelang, den seines Erachtens billigen JAV zu bemessen (vgl. Niederschrift über die mündliche Verhandlung Bl. 2), der dann beantragte Betrag von 45.400,00 EUR war mehr oder weniger aus der Luft gegriffen. Insgesamt bestand deshalb kein Anlass, die angegriffene Entscheidung abzuändern. Die Klage war abzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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