S 9 KR 401/13

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Gießen (HES)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Gießen (HES)
Aktenzeichen
S 9 KR 401/13
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 1 KR 25/15
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Der Bescheid vom 27.09.2013 und der Widerspruchsbescheid vom 14.11.2013 werden aufgehoben.

2. Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits zu erstatten.

Tatbestand:

Im Streit steht die Zahlung von Krankengeld für die Zeit vom 18.11.2013 bis 28.12.2013.

Der 1951 geborene Kläger ist von Beruf LKW-Fahrer. Am 01.07.2012 erlitt der Kläger einen Stammganglieninfarkt links. Die Beklagte holte eine Stellungnahme des MDK Hessen - Dr. C. - vom 04.12.2012 ein. Aus der Stellungnahme des MDK ergibt sich, dass der Kläger für die zuletzt ausgeübte Tätigkeit auf Dauer arbeitsunfähig sei und dem Heilverfahrensentlassungsbericht auch ein positives Leistungsbild für den allgemeinen Arbeitsmarkt nicht abgeleitet werden könne. Es wurden die Voraussetzungen des § 51 SGB V als erfüllt angesehen. Mit Schreiben vom 20.12.2012 forderte die Beklagte den Kläger auf, beim Rentenversicherungsträger einen Antrag auf eine medizinische Rehabilitationsmaßnahme oder einen Rentenantrag zu stellen. Die Beklagte wies darauf hin, dass die Zahlung von Krankengeld ab 01.03.2013 ende, wenn nicht binnen der Frist von zehn Wochen der Antrag auf eine Reha-Maßnahme gestellt werde. Am 18.02.2013 stellte der Kläger bei der Beklagten einen Antrag auf eine Reha-Maßnahme. Den Antrag leitete die Beklagte an die Deutsche Rentenversicherung Hessen weiter.

Den Antrag des Klägers auf Bewilligung einer medizinischen Rehabilitationsmaßnahme lehnte die Deutsche Rentenversicherung Hessen mit Bescheid vom 05.04.2013 ab, da ein Leistungsvermögen von sechs Stunden täglich nicht mehr vorhanden sei. Gegen den ablehnenden Bescheid der Deutschen Rentenversicherung Hessen erhob der Kläger zunächst Widerspruch. Derzeit ist beim Sozialgericht Gießen ein Klageverfahren gegen den ablehnenden Bescheid der Deutschen Rentenversicherung Hessen anhängig.

Mit Schreiben vom 27.09.2013 forderte die Beklagte den Kläger auf, bis zum 18.10.2013 einen Rentenantrag zu stellen. Sollte der Antrag auf Bewilligung einer Erwerbsminderungsrente nicht innerhalb der genannten Frist gestellt werden, könne eine weitere Krankengeldzahlung nicht erfolgen. Hiergegen erhob der Kläger Widerspruch und machte geltend, es bestehe ein Anspruch auf Zahlung von Krankengeld bis zum Anspruchsende am 28.12.2013. Die Aufforderung zur Stellung eines Rentenantrages sei rechtswidrig, da bisher über den Antrag auf Leistungen zur medizinischen Rehabilitation nicht rechtskräftig entschieden worden sei.

Mit Widerspruchsbescheid vom 14.11.2013 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück. Zur Begründung führte die Beklagte u. a. aus, nach § 51 Abs. 1 Satz 1 SGB V könne die Krankenkasse einem Versicherten, dessen Erwerbsfähigkeit nach ärztlichem Gutachten erheblich gefährdet oder gemindert sei, eine Frist von zehn Wochen setzen, innerhalb derer er einen Antrag auf Maßnahmen zur Rehabilitation zu stellen habe. Stelle der Versicherte innerhalb der Frist den Reha-Antrag nicht, so entfalle der Anspruch auf Krankengeld mit Ablauf der Frist bzw. lebe bei späterer Antragstellung erst mit diesem Zeitpunkt wieder auf. § 51 SGB V wolle zum einen die doppelte Gewährung von Sozialleistungen vermeiden und zum anderen eine sachgerechte Abgrenzung der Leistungszuständigkeit von Kranken- und Rentenversicherung dahingehend vornehmen, dass Rentenzahlungen den Vorrang vor Krankengeldleistungen hätten, weil es in erster Linie Aufgabe der Rentenversicherung sei, bei dauerhafter Erwerbsminderung mit Leistungen einzutreten. Der Kasse sei ein pflichtgemäßes Ermessen im Hinblick auf die Aufforderung zur Stellung eines Reha-Antrages eingeräumt. Das pflichtgemäße Ermessen übe die Kasse dahingehend aus, dass zur Stellung eines Rentenantrages aufgefordert worden sei. Die Krankenkasse solle nach der gesetzlichen Wertung ihr Interesse an einem frühzeitigen Wegfall des Krankengeldes und an möglichen Erstattungsansprüchen gegen den Rentenversicherungsträger aktiv wahrnehmen und deshalb sei das bloße Interesse des Versicherten, weiterhin und möglichst lange das im Vergleich zu Rentenleistungen höhere Krankengeld in Anspruch nehmen zu wollen, nicht schützenswert und könne regelmäßig kein durchgreifender Umstand für das Absehen der Aufforderung zur Stellung eines Reha-Antrages sein. Bei der Ausschöpfung des Krankengeldanspruches bis zum Erreichen der Höchstbezugsdauer würden einschließlich der Trägeranteile 44.660,42 EUR an Ausgaben anfallen. Ein besonderes schützenswertes Interesse des Klägers sei nicht vorgetragen worden. Auch wenn der Kläger bei vorzeitiger Inanspruchnahme der Rente Abschläge von höchstens 6,9% hinnehmen müsse, würden die Interessen der Krankenkasse den Interessen des Klägers überwiegen.

Die Beklagte hat Krankengeld bis einschließlich 18.11.2013 an den Kläger gezahlt.

Mit der am 20.11.2013 beim Sozialgericht Gießen eingegangenen Klage begehrt der Kläger die Aufhebung des Bescheides. Der Kläger vertritt die Ansicht, ihm stehe auch über den 18.11.2013 hinaus Krankengeld zu. Er habe sich bei der Agentur für Arbeit gemeldet und beziehe Arbeitslosengeld, da ihm nach dem Gutachten der Ärztin der Agentur für Arbeit ein vollschichtiges Leistungsvermögen im zeitlichen Umfang von täglich sechs Stunden und mehr bescheinigt worden sei.

Zur Begründung hat der Kläger die ärztliche Stellungnahme von Dr. D. vom 20.12.2013 vorgelegt.

Der Kläger beantragt,
den Bescheid vom 27.09.2013 und den Widerspruchsbescheid vom 14.11.2013 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Zur Begründung bezieht sich die Beklagte im Wesentlichen auf die Ausführungen im Widerspruchsbescheid.

Die Kammer hat die Akte des beim Sozialgericht Gießen anhängigen Rechtsstreits zur Gewährung von Leistungen zur medizinischen Rehabilitation angefordert.

Wegen der weiteren Einzelheiten, auch im Vorbringen der Parteien, wird auf die Gerichts- und die Beklagtenakte Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig und begründet. Der Bescheid der Beklagten und der Widerspruchsbescheid sind rechtswidrig.

Gemäß § 44 Abs. 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Krankengeld, wenn die Krankheit sie arbeitsunfähig macht oder sie auf Kosten der Krankenkasse stationär in einem Krankenhaus behandelt werden. Versicherte erhalten Krankengeld ohne zeitliche Begrenzung, für den Fall der Arbeitsunfähigkeit wegen derselben Krankheit jedoch für längstens 78 Wochen innerhalb von drei Jahren, gerechnet vom Tage des Beginns der Arbeitsunfähigkeit an (vgl. § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB V). Die Voraussetzungen für die Zahlung von Krankengeld in der Zeit vom 18.11.2013 bis einschließlich 28.12.2013 sind erfüllt, da der Kläger arbeitsunfähig war, denn er konnte seinen Beruf als LKW-Fahrer aufgrund seiner Erkrankung unstreitig nicht mehr ausführen. Der Anspruch auf Krankengeld endete auch erst am 28.12.2013, da der Kläger dann für 78 Wochen Krankengeld bezogen hätte.

Der Anspruch auf Krankengeld ist auch nicht zum 18.11.2013 weggefallen.

Gemäß § 51 Abs. 1 Satz 1 SGB V kann die Krankenkasse Versicherten, deren Erwerbsfähigkeit nach ärztlichem Gutachten erheblich gefährdet oder gemindert ist, eine Frist von zehn Wochen setzen, innerhalb der sie einen Antrag auf Leistungen zur medizinischen Rehabilitation oder zur Teilhabe am Arbeitsleben zu stellen haben. Stellen Versicherte innerhalb der Frist den Antrag nicht, entfällt der Anspruch auf Krankengeld mit Ablauf der Frist (§ 51 Abs. 3 Satz 1 SGB V). Der Kläger hat bereits am 18.02.2013 einen Antrag auf Gewährung einer medizinischen Rehabilitationsmaßnahme beim zuständigen Rentenversicherungsträger gestellt. Er ist damit der Verpflichtung nach § 51 SGB V nachgekommen.

Die Beklagte ist nicht berechtigt, zur Stellung eines Rentenantrages aufzufordern mit den Folgen der Sanktion des § 51 SGB V. § 51 Abs. 1 Satz 1 SGB V verpflichtet den Versicherten nach dem eindeutigen Wortlaut der Vorschrift nur dazu, einen Antrag auf Leistungen zur medizinischen Rehabilitation oder zur Teilhabe am Arbeitsleben zu stellen. Die Aufforderung zur Stellung eines Rentenantrages enthält diese Vorschrift hingegen nicht. Eine entsprechende Regelung ist auch nicht erforderlich, da der Antrag auf eine Rehabilitationsmaßnahme gemäß § 116 Abs. 2 SGB VI als Antrag auf Rente gilt, soweit durch eine Rehabilitationsmaßnahme die Erwerbsfähigkeit nicht wiederhergestellt werden kann. Außerdem hätte dem Versicherten eine Frist von zehn Wochen zur Stellung des Antrags gesetzt werden müssen. Dies ist durch die Beklagte ebenfalls nicht erfolgt. Vielmehr ist der Kläger mit Schreiben vom 27.09.2013 aufgefordert worden, bis 18.10.2013 einen Rentenantrag zu stellen.

Es gibt auch keine weiteren Rechtsgrundlagen, nach denen die Beklagte berechtigt ist, das Krankengeld zum 18.11.2013 einzustellen. Der Kläger hat keine Mitwirkungspflichten verletzt. In den Vorschriften des § 60 ff. SGB I ist eine Pflicht zur Stellung eines Rentenantrages nicht geregelt.

Die Krankenkasse hat folglich das Krankengeld eingestellt, obwohl es keine Rechtsgrundlage für die Einstellung des Krankengeldes gibt.

Aus den vorgenannten Gründen war die Klage erfolgreich.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs. 1 SGG, die Zulässigkeit der Berufung aus § 143 SGG.
Rechtskraft
Aus
Saved