L 4 KA 10/15

Land
Schleswig-Holstein
Sozialgericht
Schleswig-Holsteinisches LSG
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
4
1. Instanz
SG Kiel (SHS)
Aktenzeichen
S 16 KA 228/11
Datum
2. Instanz
Schleswig-Holsteinisches LSG
Aktenzeichen
L 4 KA 10/15
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 6 KA 21/19 R
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Klägerin werden das Urteil des Sozialgerichts Kiel vom 10. September 2014 und der Bescheid vom 19. Mai 2011 aufgehoben. Die Beklagte trägt die Kosten beider Rechtszüge. Die Revision wird nicht zugelassen. Der Streitwert wird auf 444.770,44 EUR festgesetzt.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit eines Schadensregresses. Dieser hat einen Schadensersatzanspruch der Beigeladenen zu 1) wegen der Verordnung von Tumor-Nekrose-Faktoren (TNF)-alpha-Inhibitoren durch die Klägerin in den Quartalen I/2007 bis IV/2008 zum Inhalt.

Die Klägerin ist eine seit dem Quartal I/2007 bestehende überörtliche Berufsausübungsgemeinschaft zweier Orthopäden. Ihr Mitglied Dr. Z war von 2002 bis September 2007 im Rahmen einer Sonderbedarfszulassung für orthopädische Rheumatologie mit der Zusatzbezeichnung für Osteologie tätig, vor Gründung der Klägerin in einer Einzelpraxis.

Die Beigeladene zu 1) stellte bezüglich einzelner namentlich benannter Versicherter für das Quartal I/2007 am 5.12.2007, für das Quartal II/2007 am 10.3.2008, für das Quartal III/2007 am 5.6.2008, für das Quartal IV/2007 am 6.9.200711.9.2008, für das Quartal I/2008 am 12.11.2008, für das Quartal II/2008 am 12.11.2008, für das Quartal III/2008 am 9.3.2009 und für das Quartal IV/2007 am 10.6.2009 Prüfanträge. Sie stützte die Anträge auf die Verordnung der Medikamente Humira (Wirkstoff Adalimumab), Remicade (Wirkstoff Infliximab) und Enbrel (Wirkstoff Etanercept) und begründete sie mit Verstößen gegen § 12 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) und Ziffer 14 der Arzneimittel-Richtlinien (AMR). Sie führte hierzu aus, mit der Klägerin sei im Mai 2005 eine Pharmakotherapie-Beratung durchgeführt worden. Hierbei sei ihrem Mitglied Dr. Z empfohlen worden, die Zweitmeinungsverfahren gemäß Anlage 2 der Prüfvereinbarung (PrüfV) durchzuführen. Dem sei dieser aber nicht nachgekommen. Der medizinische Dienst der Krankenversicherung (MdK) habe die Verordnungsfälle überprüft und dabei teilweise die Unwirtschaftlichkeit der Behand-lung, teilweise den nicht indikationsgerechten Einsatz der Arzneimittel festgestellt. Insbesondere sei häufig nicht erkennbar, ob eine Behandlung mit mindestens zwei Basistherapeutika vorangegangen sei. Die Ergebnisse der Überprüfungen des MdK legte die Beigeladene zu 1) der Prüfungsstelle vor.

Mit Bescheiden vom 12. September 2008, 21. Juli 2009 und 25. August 2010 setzte die Prüfungsstelle der Vertragsärzte und Krankenkassen in Schleswig Holstein Prüfungsverordnungen (Prüfungsstelle) gegenüber dem Kläger Regresse fest, und zwar für das Quartal I/2007 in Höhe von 59.419,56 EUR, für das Quartal II/2007 in Höhe von 48.777,16 EUR, für das Quartal III/2007 in Höhe von 30.022,24 EUR, für das Quartal IV/2007 in Höhe von 46.969,36 EUR, für das Quartal I/2008 74.753,84 EUR, für das Quartal II/2008 49.311,24 EUR, für das Quartal III/2008 71.058,51 EUR und für das Quartal IV/2008 64.458,53 EUR. Sie stellte die verordneten Medikamente und deren Anwendungsbereiche dar. Die Regresse begründete sie auf jeden einzelnen Patienten bezogen und stützte sich dabei auf Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Rheumatologie (DGRh) zur Therapie mit TNF-hemmenden Wirkstoffen bei entzündlich-rheumati-schen Erkrankungen. Diese seien von der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) in der Rubrik "Wirkstoff aktuell" (Ausgabe 4/2006) als eine Information im Rahmen des § 73 Abs. 8 SGB V unter dem Titel "Etanercept bei rheumatoider Arthritis, Empfehlungen zur wirtschaftlichen Verordnungsweise" veröffentlicht worden. Die DGRh hatte hierzu folgende Voraussetzungen genannt: 1. gesicherte Diagnose einer rheumatoiden Arthritis (RA), einer polyartikulären Form der juvenilen chronischen Arthritis, einer ankylosierenden Spondylitis oder Pso- riasisarthropathie. 2. trotz entsprechender Behandlung aktive Erkrankung, d.h. Versagen zumindest zweier konventioneller Basistherapeutika, eines davon MTX; die Therapie hiermit sollte allein oder in Kombination in adäquater Dosis über einen ausreichend lan- gen Zeitraum (in der Regel insgesamt 6 Monate) erfolgt sein. 3. bei ankylosierender Spondylitis sollte diese mindestens ein halbes Jahr bestehen und es sollte ein erhöhter Aktivitätsindex über mindestens 2 Monate sowie erhöhte Entzündungsparameter unter einer maximal dosierten Therapie mit mindestens 2 konsekutiv verabreichten nicht steroidalen Antiphlogistika dokumentiert sein. 4. kontinuierliche mit Betreuung und Dokumentation unter Verwendung validierter Messinstrumente durch einen internistischen Rheumatologen oder eine internis- tisch-rheumatologische Abteilung bzw. einen rheumatologisch qualifizierten Pädia- ter. Diese Voraussetzungen sah die Prüfungsstelle in den beanstandeten Verordnungsfällen als nicht erfüllt an.

Zur Begründung der gegen die Bescheide eingelegten Widersprüche führte die Klägerin aus, für das Jahr 2006 sei ein Richtgrößenprüfung der Arzneimittelverordnungen durchgeführt worden, die keinen Regress zum Ergebnis gehabt hätte. Die Patienten und die Verordnungen seien in den Quartalen im Wesentlichen identisch. Die Klägerin hat auf fachliche Probleme bei der Durchführung des Zweitmeinungsverfahrens verwiesen. Schließlich stellte sie die verordneten Arzneimittel, ihre Wirkungsweise und ihre Vorzüge gegenüber anderen Arzneimitteln dar. Es handele sich um eine hocheffiziente und wirksame Therapie.

Mit Widerspruchsbescheid vom 19. Mai 2011 wies der Beklagte die Widersprüche zurück. Zur Begründung der Entscheidung führte er im Wesentlichen aus, die vorgenommene Einzelfallprüfung sei zulässig, sie sei in § 10 der PrüfV vorgesehen. Im Hinblick auf das Wirtschaftlichkeitsgebot hätten TNF-alpha-Inhibitoren bereits 2006 nur unter bestimmten Voraussetzungen verordnet werden dürfen, die sich zum Teil aus der Zulassung der Wirkstoffe (z. B. mit der Vorgabe "nur in Kombination mit MTX"), aus Therapiehinweisen des gemeinsamen Bundesausschusses (GBA) oder aus den Leitlinien der DGRh ergäben. Die Verordnung der Medikamente setze eine gesicherte Diagnose, einen zulassungskonformen Einsatz des jeweiligen Präparates, den Nachweis einer aktiven Entzündung (z. B. durch Laborparameter) sowie eine ausreichend lange und hoch genug dosierte Vorbehandlung mit konventionellen Basistherapeutika voraus. Die verordneten Präparate Enbrel und Humira dürften bei einer rheumatoiden Arthritis, Psoriasis-Arthritis oder einer Spondylosis ankylosans (Morbus Bechterew) verordnet werden, Enbrel zusätzlich bei einer polyartikulären juvenilen idiopathischen Arthritis und einer Plaque-Psoriasis, Humirab zusätzlich bei Morbus Crohn und einer Psoriasis. In einigen, namentlich genannten Behandlungsfällen seien diese Voraussetzungen erfüllt, in den übrigen nicht. Die Klägerin habe im Widerspruchsverfahren weder schriftlich noch mündlich Erklärungen zu den Behandlungsfällen abgegeben. Die Betrachtung der Einzelfälle sei daraufhin abgebrochen worden. Da er keinen Sachverhalt für eine andere Bewertung vorgetragen habe, mache sich der Ausschuss die Bewertung der Prüfungsstelle zu Eigen. Es sei unerheblich, dass in anderem Zusammenhang Zweitmeinungsverfahren nachträglich durchgeführt worden seien. Zweitmeinungsverfahren seien bei Einzelfallprüfungen unerheblich. Sie dienten im Rahmen der Richtgrößenprüfung der Prüfung des zulassungskonformen und indikationsgerechten Einsatzes der teuren Substanzklasse, bevor die Kosten entständen. Hierbei würden lediglich die Mindestanforderungen für eine wirtschaftliche Verordnungsweise geprüft. Einzelfallprüfungen lägen dagegen weit mehr, andere und detailliertere Patientendokumentationen zu Grunde, die erforderlich und geeignet seien, die Wirtschaftlichkeit im Einzelfall, die Zweckmäßigkeit und Angemessenheit der Kosten zu prüfen. Ein positiv ausgefallenes Zweitmeinungsverfahren könne eine Einzelfallprüfung nicht ersetzen.

Gegen die Entscheidung hat die Klägerin am 24. Mai 2011 bei dem Sozialgericht Kiel Klage erhoben. Sie hat vorgetragen, ihre Praxis habe wegen der Sonderbedarfszulassung von Dr. Z bis Ende 2006 eine untypische Struktur. Dr. Z sei einer der wenigen Rheumatologen in Schleswig-Holstein und selbst Zweitmeinungsarzt beziehungsweise Beratungsarzt für rheumatologische Fälle. Er habe bis Mitte 2011 zusätzlich die Klinik A vorgehalten, die im Bettenplan für Schleswig-Holstein enthalten sei. Die Klägerin hat ihren umfänglichen Vortrag aus der ebenfalls durchgeführten Richtgrößenprüfung der Verordnungen des Jahres 2006 vorgelegt. Diese sei mit Bescheid vom 16. Dezember 2008 abgeschlossen worden, der ihr eine wirtschaftliche Verordnungsweise attestiert habe; die Beigeladene zu 1) habe in jenem Verfahren den Widerspruch gegen den Prüfbescheid zurückgezogen. Hierzu hat die Klägerin ausgeführt, die Wirtschaftlichkeit der Verordnungsweise sei nicht je nach Prüfart unterschiedlich interpretierbar. Die Richtgrößenprüfung sei die regelmäßig durchzuführende Prüfmethode, neben der eine Einzelfallprüfung verdränge. Eine solche habe der Beklagte tatsächlich auch gar nicht vorgenommen, denn alle Ver-ordnungen von TNF-alpha-Inhibitoren zulasten der Beigeladenen 1) von I/2006 bis 2011 sein überprüft worden. Es habe sich damit um eine systematische der gesam-ten Wirkstoffgruppe gehandelt. Darin liege ein Verstoß gegen das Willkürverbot und der für ihn entstehende mehrfache Prüfaufwand verstoße gegen das Schikaneverbot. Ziel der Prüfungen sei lediglich die Ausgabensenkung für die Beigeladene zu 1). Deren Anträge seien auf die Einzelfälle nicht eingegangen. Bezeichnenderweise bezögen sich auch die Prüfgremien auf Ausführungen zu den Vorquartalen und nicht auf die Einzelfälle. Für alle die Behandlungsfälle seien Zweitmeinungsverfahren durchgeführt worden, die die Therapien bestätigt hätten. Lediglich in einem Fall sei ein anderer TNF-alpha-Blocker empfohlen worden. Wegen der durchgeführten Richtgrößenprüfung sei der entstandene Schaden unklar. Die Klägerin hat sich auf einen Klageverbrauch bezogen. In der Verhandlung des Beklagten sei die Diskussion der Einzelfälle abgebrochen worden, da kein Rheumatologe anwesend gewesen sei und die Mitglieder des Ausschusses die Behandlungen nicht hätten beurteilen können. Die Klägerin hat alle Behandlungsunterlagen für die Behandlungsfälle vorgelegt und ausgeführt, die Behandlungen seien leitliniengerecht gewesen. Lediglich für den Wirkstoff Adalimumab (Arzneimittel Humira) habe der GBA erst zum 12. Juli 2007 einen Therapiehinweis erteilt. Bis zu diesem Zeitpunkt sei für die Beurteilung der Anwendungsweise die Fachinformation des Arzneimittels entscheidend gewesen. Diese habe keine vorherige Basistherapie verlangt. Tatsächlich seien schon vorher Arzneimitteltherapien durchgeführt worden oder es hätten bei den Patienten Unverträglichkeiten bestanden. Zu dem Medikament Enbrel habe die KBV erst im Quartal IV/2006 eine Empfehlung veröffentlicht, die allenfalls erst ab diesem Quartal habe beachtet werden können. Im Übrigen seien Empfehlungen keine verbindlichen Vorgaben. Zu Enbrel gebe es keinen Beschluss des GBA. Die durchgeführten Zweitmeinungsverfahren hätten bei den einzelnen Patienten eine wirtschaftliche Verordnungsweise ergeben. Hierzu hat die Klägerin zu mehreren Behandlungsfällen vorgetragen und ausgeführt, dass in der Mehrzahl der Fälle die Zustimmung im Zweitmeinungsverfahren erteilt worden sei. Hierzu hat sie den Zustimmungsbescheid der Prüfungsstelle vom 3. November 2010 vorgelegt. Im Übrigen hat sie zu den Diagnosen und den jeweiligen Vortherapien Stellung genommen.

Die Klägerin hat beantragt,

die Bescheide des Beklagten vom 19. Mai 2011 über die Prüfung im Einzelfall der Quartale I/2006 bis IV/2006 sowie I/2007 bis IV/2008 hinsichtlich der Verordnung von TNF-alpha-Inhibitoren insoweit auf- zuheben, als ein Regress festgesetzt worden ist.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klagen abzuweisen.

Er hat ausgeführt, eine Richtgrößenprüfung schließe eine Einzelfallprüfung nicht aus, da die Fragestellungen verschieden seien. Eine doppelte Überprüfung bedeute keinen doppelten Regress; vielmehr würden die Schadenssummen verrechnet. Die Prüfungsstelle habe die Unwirtschaftlichkeit in jedem einzelnen Behandlungsfall ausführlich begründet. Jeder Fall sei systematisch nach Diagnosen, Begleit- und Vorerkrankungen, klinischen und Laborbefunden und der Vormedikation geprüft worden. Die Klägerin habe 2010 nachträglich das Zweitmeinungsverfahren für 2007 beantragt. Im Übrigen sei die Aussagekraft einer Zweitmeinung zur Indikation und Zulassung eines Medikaments nur sehr begrenzt für die Beurteilung der Wirtschaftlichkeit verwertbar. Das Verfahren beziehe sich auf die Richtgrößenprüfung. Es diene der Prüfung des zulassungskonformen und indikationsgerechten Einsatzes der teuren Substanzklas-se der TNF-alpha-Inhibitoren, bevor die Kosten als Praxisbesonderheit berücksichtigt werden könnten. Geprüft würden in jenem Verfahren nur die Mindestanforderungen an die Wirtschaftlichkeit. Auch ein positiver Zweitmeinungs-Beschluss könne eine Einzelfallbetrachtung nicht ersetzen. Die Wirtschaftlichkeit der Verordnung der Medi-kamente Remicade, Enbrel und Humira beurteile sich nach den Leitlinien der DGRh "Management der frühen rheumatoiden Arthritis", Fassung 2006. Für Enbrel und Remicade gebe es zusätzlich die Therapiehinweise vom 1. April 2001 und 22. Juni 2002 gemäß Anlage 4 AMR. Nach diesen Hinweisen könne eine Therapie mit dem Wirkstoff Infliximab durchgeführt werden, wenn eine Therapie mit allen individuell indizierten Basistherapeutika einschließlich MTX erfolglos geblieben seien. Diese Therapien müssten hinreichend lange, in der Regel 6 Monate, in einer adäquaten Dosis durchgeführt worden sein. Ein nahezu identischer Wortlaut betreffe den Wirk-stoff Etanercept. Ähnliche Hinweise gebe es für Humira in den Leitlinien der DGRh für die Vorbehandlung mit bestimmten Medikamenten. Humira sei nach der Fach-information lediglich bei mäßiger bis schwerer aktiver rheumatoider Arthritis bei erwachsenen Patienten, die unzureichend auf krankheitsmodifizierende Antirheumatika einschließlich Methotrexat (MTX) angesprochen hätten, zu verordnen. Diese sämtlichen Voraussetzungen für die drei Arzneimittel seien für keinen der Patienten dargelegt. Neuere Analysen zeigten keine Überlegenheit der TNF-alpha-Inhibitoren, die zu Änderungen der Therapiehinweise geführt hätten. Auch die DGRh-Leitlinie 2011, deren Mitautor der Kläger sei, nenne MTX als vorzugswürdiges Medikament. Im Fall der Unverträglichkeit würden andere klassische Basistherapeutika empfohlen, von denen viele auf dem Markt vorhanden seien. Eine Unverträglichkeit der Patienten oder mangelnde Wirkung eines anderen Arzneimittels rechtfertige daher den Einsatz der TNF-alpha-Inhibitoren nicht. Der Therapiehinweis zu Humira sei zwar erst am 12. Juli 2007 ergangen, jedoch sei auch die Leitlinie der DGRh zu beachten. Fachinformationen seien für die Beurteilung des wirtschaftlichen Einsatzes eines Medikaments regelmäßig unzureichend, da sie über die Wirtschaftlichkeit keine Auskunft gäben. Jedoch auch die Fachinformation zu Humira schränke dessen Anwendung auf die Fälle ein, in denen die Patienten auf konventionelle Therapeutika unzureichend ansprächen. Zu Enbrel sei die Empfehlung der KBV aus IV/2006 ergangen. Darauf habe er – der Beklagte – sich jedoch bei seiner Entscheidung gar nicht gestützt, sondern auf die Aussage des Therapiehinweises des GBA. Ferner hat der Beklagte zu den Ausführungen des Klägers betreffend die einzelnen Patienten vorgetragen.

Mit Beschluss vom 19. März 2014 hat das Sozialgericht die Verfahren S 16 KA 228/11 (Quartale I bis IV/2006, Kläger Dr. Z ) und S 14 KA 232/11 (Quartale I/2007 bis IV/2008) unter Führung des Aktenzeichens S 16 KA 228/11 zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidungsfindung zusammengefasst.

Mit Urteil vom 10. September 2014 hat es die Klagen abgewiesen. Es hat die Verlautbarung der KBV in der Rubrik "Wirkstoff aktuell", Ausgabe IV/2006 als Empfehlungen zur wirtschaftlichen Verordnungsweise als Information im Rahmen des § 73 Abs. 8 SGB V von TNF-alpha-Inhibitoren am Beispiel von Etanercept als maßgeblich zu Grunde gelegt. Ferner hat es die Leitlinien der DGRh herangezogen. Die Kriterien dieser Bestimmungen seien nicht erfüllt. Hierzu hat sich das Sozialgericht auf die Prüfergebnisse der Prüfungsstelle bezogen.

Gegen die ihrem Prozessbevollmächtigten am 12. Februar 2015 zugestellte Entscheidung richtet sich die Berufung des Klägers, die am 11. März 2015 beim Schleswig Holsteinnischen Landessozialgericht eingegangen ist.

Der Senat hat in der Berufungsverhandlung den Rechtsstreit hinsichtlich der Quartale I/2007 bis IV/2008 abgetrennt, die ehemals Gegenstand des Verfahrens S 14 KA 223/2011 des Sozialgerichts Kiel waren und gegen die die Berufsausübungsgemeinschaft Dr. Z und Dr. K unter dem Aktenzeichen L 4 KA 13/15 ebenfalls Berufung eingelegt hatten, unter dem der Rechtsstreit wegen dieser Quartale fortgeführt und am selben Tag entschieden wurde.

Die Klägerin vertieft ihren erstinstanzlichen Vortrag. Sie führt aus, gemäß § 7 in Verbindung mit der Anlage 3 PrüfV seien die Beschlüsse im Zweitmeinungsverfahren von den Prüfgremien als verbindlich anzuerkennen. Dieser differenziere nicht danach, ob es sich um eine Entscheidung im Richtgrößenverfahren oder in Einzelprüfungen handele. Insbesondere sei im Zweitmeinungsverfahren auch zu beantworten, ob die Verordnung indikationsgerecht, zulassungskonform und wirtschaftlich sei. Im Zweitmeinungsverfahren werde dabei geprüft, ob die Verordnungen wirtschaftlich und daher als Praxisbesonderheit anzuerkennen seien. Hierbei kämen lediglich solche Umstände in Betracht, die sich auf das Behandlungs- oder Verordnungsverhalten auswirkten und in den Praxen der Vergleichsgruppe typischerweise nicht oder nicht in der selben Häufigkeit anzutreffen seien. Die Aussage im Zweitmeinungsverfahren betreffe die Wirtschaftlichkeit und stelle keine Genehmigung der Arzneimittelverordnungen dar. In seiner Praxis würden chronisch kranke Patienten behandelt. Auch im Jahr 2015 seien diese wiederum im Zweitmeinungsverfahren positiv beschieden worden. Im Übrigen macht die Klägerin umfängliche fachliche Ausführungen zu den einzelnen Verordnungen. Sie trägt vor, entgegen der Auffassung des Beklagten sei dieser Vortrag nicht präkludiert. Denn das Prüfverfahren sei auch durch den Amtsermittlungsgrundsatz geprägt. Die Verwaltung müsse alle Aspekte aufgreifen, die aus den im Prüfverfahren vorliegenden Unterlagen offenkundig erkennbar seien bzw. die aus den bei der Beigeladenen zu 2) vorhandenen Unterlagen oder aufgrund der Angaben des Arztes zumindest erkennbar seien. Der Beklagte habe sich mit dem Vortrag nicht auseinandergesetzt.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Kiel vom 10. September 2014 und den Bescheid vom 19. Mai 2011 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er wiederholt und vertieft ebenfalls den erstinstanzlichen Vortrag und führt aus, bereits aus der Zulassung der Medikamente sei ersichtlich, dass eine vorherige unzureichende oder erfolglose Basistherapie unabdingbare Voraussetzung für ihren Einsatz sei. Klassische Therapeutika hierfür seien MTX, Sulfasalazin, Leflunomid, Hydroxychloroquin, Ciclosporin und Azathioprin. Diese müssten lange genug und in ausreichender Dosierung angewendet worden sei, bevor TNF-alpha-Inhibitoren verordnet werden dürften. Diese Vorgaben seien wesentlicher Inhalt der Therapiehinweise. Nach dem Wirtschaftlichkeitsgebot gemäß § 12 SGB V müssten Leistungen ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein, sie dürften das Maß des Notwendigen nicht überschreiten. Der Einsatz der teuren TNF-alpha-Inhibitoren bedürfe einer besonderen Begründung, denn unter dem Aspekt der Wirtschaftlichkeit müsse zunächst eine Behandlung mit den deutlich preiswerteren Basistherapeutika erfolgen. Gemäß § 9 Absatz 2 AMR müsse die nach Tagestherapiekosten und Gesamtbehandlungsdauer wirtschaftlichste Alternative gewählt werden, wenn zum Erreichen eines Therapiezieles mehrere gleichwertige Behandlungsstrategien zur Verfügung ständen. Ein positives Votum der Zweitmeinungskommission sei kein Hinweis für eine wirtschaftliche Verordnungsweise. Es beziehe sich allein auf die Richtgrößenprüfung (§ 1 Abs. 5 in Verbindung mit Anlage 3 Richtgrößenvereinbarung 2006 und § 7 in Verbindung mit Anlage 2 PrüfV 2006. Für den Prüfzeitraum 2006 sei kein Zweitmeinungsverfahren durchgeführt worden. Die Entscheidungen der Kommission ergingen in der Regel für einen Zeitraum von 6 bis 12 Monaten und seien nicht auf andere Prüfzeiträume übertragbar. Im Prüfverfahren und im Beschwerdeverfahren seien alle vorliegenden Unterlagen umfassend ausgewertet worden. Neben den umfänglichen Unterlagen sei die Klägerin aufgefordert worden, sämtliche Praxisdokumentationen in Kopie zu übersenden. Es lagen vielfältige Aussagen von Dr. Z selbst selbst vor. Teilweise seien Fristverlängerungen gewährt worden, um weitere Unterlagen herbei zu ziehen. Bereits die Prüfungsstelle habe daher von einer vollständigen Vorlage aller Unterlagen ausgehen können, sodass mit ihren Bescheiden abschließende Entscheidungen hätten getroffen werden können. Zwar sei im Rahmen des Widerspruchs eine mündliche Anhörung vor dem Ausschuss beantragt worden. Im Verhandlungstermin habe Dr. Z jedoch ausgeführt, sich zu den Einzelfällen nicht weiter äußern zu können. Bei der Entscheidung seien auch seine schriftlichen Darlegungen berücksichtigt worden. Die jetzt vorgelegten weiteren Unterlagen im Rahmen des gerichtlichen Verfahrens seien daher verspätet. Viele der nachgereichten Unterlagen und Arztbriefe beträfen Zeiträume nach den streitgegenständlichen Verordnungen. Die Klägerin behaupte viele Vortherapien durch die Gabe von Musterabgaben. Dies sei nicht nachvollziehbar, denn nach § 47 Abs. 4 Arzneimittelgesetz (AMG) dürften zwei Ärztemuster in kleinster Packungsgröße pro Jahr und Arzt verteilt werden. Es sei daher nicht erkennbar, wie der Kläger bei 9 Patienten eine Vortherapie mit Musterabgaben habe durchführen können. Hierzu trägt der Beklagte zu drei namentlich genannten Patienten unter Vorlage von Unterlagen vor.

Wegen des weiteren Vortrags der Beteiligten wird auf die Verwaltungsakte des Beklagten und die Verfahrensakte verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Kiel vom 10. September 2014 ist zulässig. Insbesondere ist sie gemäß § 143 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaft und gemäß § 151 Abs. 1 SGG form- ung fristgerecht eingegangen.

Sie ist auch begründet. Der angefochtene Bescheid des Beklagten ist rechtswidrig und er verletzt die Klägerin in ihren Rechten.

Nachdem der Senat in der Berufungsverhandlung den Rechtsstreit insoweit abgetrennt hat, wie er den ebenfalls am 19. Mai 2011 ergangenen Regressbescheid gegenüber Dr. Z für die Quartale I bis IV/2006 betrifft, der zuvor Gegenstand des Verfahrens S 14 KA 231/11 des Sozialgerichts Kiel war, welches das Sozialgericht wiederum mit Beschluss vom 19. März 2014 zu diesem Verfahren verbunden hat, sind allein die Regressforderungen gegenüber der Klägerin für die Quartale I/2007 bis IV/2008 Gegenstand dieses Berufungsverfahrens.

Rechtsgrundlage für die durchgeführten Einzelfallprüfungen ist § 106 Abs. 2 Satz 4 SGB V in der Fassung des GKV-Modernisierungsgesetzes vom 14.11.2003 (BGBl. I 2190) bzw. ab dem Quartal II/2008 in der Fassung des GKV-Wettbewerbsstärkungs-gesetzes vom 26. März 2007 (BGBl. I 378, 404) in Verbindung mit § 10 PrüfV 2006. Spätere Änderungen des § 106 SGB V betreffen nicht die für 2007 und 2008 durchgeführten Überprüfungen. Insbesondere sind die durchgeführten Überprüfungen der Verordnungen der TNF-alpha-Inhibitoren Einzelfallprüfungen im Sinne des § 10 PrüfV, auch wenn alle entsprechenden Verordnungen mit den TNF-alpha Inhibitoren als Wirkstoffen einer Betrachtung unterzogen wurden. Die Durchführung von Einzelfallprüfungen ist gemäß § 106 Abs. 2 Satz 1 SGB V in der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) nicht obligatorisch, vielmehr eröffnet § 106 Abs. 2 Satz 4 SGB V den Vertragspartnern auf Landesebene hierfür die Regelungsbefugnis. Einzelfallprüfungen grenzen sich von den in erster Linie unter einem statistischen Gruppenvergleich zu führenden Auffälligkeits- oder Richtgrößenprüfungen gemäß § 106 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SGB V oder § 7 PrüfV 2006, Stichprobenprüfungen gemäß § 106 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SGB V oder § 8 PrüfV 2006 und der Prüfung nach Durchschnitts-werten gemäß § 9 PrüfV 2006 ab und haben die Betrachtung einzelner Behandlungsfälle ungeachtet des übrigen Verordnungsverhaltens zum Gegenstand. Da bei dieser Prüfungsart nicht der Vergleich der Verordnungskosten des überprüften Arztes mit denen seiner Fachgruppe herangezogen wird, verweist der Kläger zu Unrecht darauf, dass seine Arzneimittelverordnungen sich infolge seines Schwerpunkts bei der Behandlung der Osteoporose, der Arthritiden und der Psoriasis von denen der Fachgruppe der Orthopäden unterscheiden. Mangels eines Fachgruppenvergleichs im Rahmen dieser Prüfungsart verbietet sich auch die Betrachtung von Praxisbesonderheiten. Es ist unerheblich, dass für das Jahr 2006 nach dem Vortrag des Klägers eine Richtgrößenprüfung gemäß § 7 PrüfV 2006 durchgeführt worden war, denn der Kläger trägt selbst vor, dass nach den Maßstäben einer an statistischen durchschnittlichen Vergleichswerten orientierten Prüfung kein Regress festgesetzt worden sei. Dies hindert den Beklagten jedoch nicht, zusätzlich eine Überprüfung im Einzelfall vorzunehmen (BSG vom 28. September 2016 – B 6 KA 44/15 R – SozR 4-2500 § 106 Nr. 55, Rn. 24).

Gemäß § 10 Absatz 2 PrüfV 2006 entscheidet der Prüfungsausschuss/die Kammer auf Antrag der Krankenkassen oder der Kassenärztlichen Vereinigung im Einzelfall, ob der Vertragsarzt durch Veranlassung von Auftragsleistungen, Verordnung von Arzneimitteln, Heilmitteln, Sprechstundenbedarf, häuslicher Krankenpflege oder Krankenhausbehandlung, bei der Beurteilung von Arbeitsunfähigkeit oder Verordnung von Hilfsmitteln sowie sonstiger veranlasster Leistungen im Einzelfall gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot verstoßen hat. Gemäß § 10 Absatz 4 PrüfV 2006 entscheidet der Prüfungsausschuss/die Kammer auf Antrag der Krankenkassen oder deren Verbände im Einzelfall auch über einen Anspruch auf Schadensersatz wegen unzulässiger Verordnung von Leistungen, die aus der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung ausgeschlossen sind (hierunter fallen auch Verordnungen, die gegen gesetzliche Richtlinien verstoßen) oder die fehlerhafte Ausstellung von Bescheinigungen. Neben der Wirtschaftlichkeitsprüfung in Abs. 2 ordnet Abs. 4 folglich auch eine Rechtmäßigkeitsprüfung von Verordnungen an.

Die Prüfanträge zu den Verfahren I/2007 bis III/2008 sind rechtzeitig von der Beigeladenen zu 1) gestellt. Die Antragsfrist beträgt gemäß § 10 Abs. 5 PrüfV 2006 neun Monate nach Ablauf des Quartals. Diese Frist ist in allen Quartalen gewahrt.

Arzneimittelverordnungen unterliegen zwar regelmäßig der Therapiefreiheit des behandelnden Arztes. Dieser ist jedoch durch das auf § 12 Abs. 1 und § 70 Abs. 1 Satz 2 SGB V beruhende Wirtschaftlichkeitsgebot und das daraus abzuleitende Minimalprinzip eingeschränkt. Wenn für einen bestimmten therapeutischen Ansatz bzw. eine bestimmte medikamentöse Therapie mehrere Arzneimittel mit entsprechender Indikation zugelassen und verfügbar sind, diese aber unterschiedliche Preise haben, gebietet es das Wirtschaftlichkeitsgebot, dass der Vertragsarzt sich die unterschiedlichen Kosten vergegenwärtigt und einzelfallbezogen abwägt, ob der Einsatz des preiswerteren Arzneimittels unter medizinischen Gründen vertretbar und geboten ist (BSG vom 20. Oktober 2004 – B 6 KA 41/03 RSozR 4-2500 § 106 Nr. 6, Rn. 44). Aus dem Wirtschaftlichkeitsgebot folgt die Verpflichtung des Arztes, nach dem Minimalprinzip den kostengünstigsten Therapieansatz zu verfolgen, zumindest, wenn der teurere Ansatz keine nachhaltigen oder greifbaren medizinischen Vorzüge hat und die Medikamente eine vergleichbare Wirkung haben (BSG vom 31. Mai 2006 B 6 KA 13/05 R - SozR 4-2500 § 92 Nr. 5, Rn. 44). Mit dem geringsten möglichen Aufwand soll die erforderliche, d.h. ausreichende und zweckmäßige Leistung erbracht werden. Bezogen auf die Krankenversicherung bestimmt der Begriff des Minimalprinzips als Kernbestandteil des Wirtschaftlichkeitsgebots im engeren Sinne die Relation zwischen dem Kostenaufwand und dem Nutzen in Form des Heilerfolgs. Der Nachweis der Wirtschaftlichkeit im Sinne dieses Prinzips bedingt den Beleg, dass bei Existenz verschiedener gleich zweckmäßiger und notwendiger Behandlungsmöglichkeiten die Kosten für den gleichen zu erwartenden Erfolg geringer oder zumindest nicht höher sind (BSG vom 17. Februar 2016 – B 6 KA 3/15 R – SozR 4-2500 § 106 Nr. 54). Therapiehinweise im Sinne des § 92 SGB V sind Konkretisierungen dieses Gebots. Sie sind nach § 17 Abs. 1 Satz 3 AMR für die Ärzte verbindlich. Wenn der GBA entsprechende Hinweise nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 SGB V erlassen hat, ist der Prüfungsumfang des Gerichts bei der Beurteilung der Wirtschaftlichkeit der Behandlungsweise auf die Einhaltung von Verfahrens- und Formvorschriften beschränkt. In gleicher Weise wie den Prüfgremien im Rahmen des § 106 SGB V oder bei Entscheidungen nach § 135 Abs. 1 SGB V über die neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethoden steht dem GBA ein Gestaltungsspielraum bei der Abfassung der Therapiehinweise zu (BSG vom 31. Mai 2006 – aaO, Rn. 68).

Allein für den Wirkstoff Adalimimab (Arzneimittel Humira) existiert der Therapiehinweis vom 21. November 2006 der am 11. Juli 2007 im BAnz, Seite 6932 veröffentlicht und am 12. Juli 2007 in Kraft getreten ist. Der Beklagte trägt zwar auch einen Therapiehinweis für Enbrel vom 01.04.2001 und für Remicade vom 22.06.2002 vor. Aus der vom GBA im Internet herausgegebenen Anlage IV zu den AMR über die Therapiehinweise gemäß § 92 SGB V ergibt sich dies jedoch nicht. Danach ist für Infliximab (Remicade) ein Therapiehinweis am 16. Oktober 2000 über die Anwendung bei Morbus Crohn beschlossen worden, der inzwischen wieder aufgehoben worden ist. Zu Etanercept (Enbrel) erging ein Therapiehinweis am 10. Dezember 1999, der inzwischen ebenfalls wieder aufgehoben worden ist. Zu Enbrel gibt es eine Empfehlung der KBV aus dem Quartal IV/2006, ferner eine Empfehlung der DGRh zu der Verordnung von TNF-alpha-Inhibitoren. Wie oben ausgeführt sind die Therapieempfehlungen des GBA für die Vertragsärzte verbindlich. Bislang ist höchstrichterlich ungeklärt, ob Empfehlungen der Fachvereinigungen oder der KBV in gleicher Weise verbindlich sind wie die Therapiehinweise nach § 92 SGB V. Allerdings müssen sie nach Auffassung des Senats zumindest im Rahmen der allgemeinen Bindung der Vertragsärzte an das Wirtschaftlichkeitsgebot Beachtung finden. Der Senat lässt in diesem Rechtsstreit ausdrücklich offen, ob die Voraussetzungen eines indikationsgerechten und wirtschaftlichen Einsatzes der TNF-alpha-Inhibitoren in den Quartalen bei den 20 bis 30 Patienten, auf die sich der Regress bezieht und über deren Behandlungsvoraussetzungen die Beteiligten sich sehr ausführlich ausgetauscht haben, gegeben sind. Dies wäre gegebenenfalls gutachterlich zu klären, denn hierbei sind medizinisch-fachliche Fragen zu beurteilen (zu dem Erfordernis und zu den Anforderungen einer Begutachtung im Zusammenhang von Therapiehinweisen des GBA BSG vom 31. Mai 2006 – B 6 KA 13/05 RSozR 4-2500 § 92 Nr. 5). Der Senat hat von einer derartigen Begutachtung abgesehen, weil es auf die Beantwortung dieser medizinisch-fachlichen Fragen nicht ankam. Der angefochtene Bescheid ist bereits rechtswidrig, weil der Beklagte den ihm eingeräumten Beurteilungsspielraum fehlerhaft ausgefüllt hat.

Dem Beklagten steht bei der Wirtschaftlichkeitsprüfung ein sehr weit gehender Beurteilungs- und Ermessensspielraum zu (hierzu unter Darstellung der sehr umfangreichen Rechtsprechung Engelhard in Hauck/Noftz, SGB V § 106, Stand VIII/2014, Rn. 552 ff). Ein Beurteilungsspielraum liegt vor, wenn eine Norm auf ihrer Tatbestandsseite der zuständigen Behörde bei der Auslegung der verwendeten unbestimmten Rechtsbegriffe einen Spielraum eigenverantwortlicher Entscheidungen überlässt, die nur eingeschränkt gerichtlich überprüfbar sind (Kopp/Ramsauer, VwVfG, 16. Auflage, § 40 Rn. 99). Der Begriff der Unwirtschaftlichkeit ist ein derartiger unbestimmter Rechtsbegriff, da er inhaltlich nicht ohne weiteres zugänglich ist, sondern es zu seiner Inhaltsbestimmung der Auslegung bedarf. Der Beurteilungsspielraum in der Wirtschaftlichkeitsprüfung erstreckt sich auf die Prüfung, ob der Vertragsarzt unwirtschaftlich gehandelt hat und somit auf die tatbestandlichen Voraussetzungen für einen Regress wegen unwirtschaftlicher Behandlung oder Verordnungen (BSG vom 19. Oktober 2011 – B 6 KA 38/10 R – SozR 4-2500 § 106 Nr. 33, Rn. 16; BSG vom 16. Juli 2008 – B 6 KA 57/07 RSozR 4-2500 § 106 Nr. 19, Rn. 22). Er betrifft die Wahl der Prüfmethode wie auch die Einschätzung, inwieweit eine Unwirtschaftlichkeit vorliegt und ein Schaden eingetreten ist (vgl. auch BSG vom 18. Oktober 1995 – 6 RKa 3/93SozR 3-5550 § 17 Nr. 2, Rn. 28). Der Ermessensspielraum bezieht sich auf der Rechtsfolgenseite auf die Entscheidung, in welcher Höhe ein Regress zum Ausgleich des Schadens gegen den Arzt festzusetzen ist (zum Zusammenhang zwischen Ermessensentscheidung und Beurteilungsspielraum Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Auflage, § 54 Rn. 25, 31; Siewert/Waschull in Diering/Timme, LPK-SGB X, 4. Auflage, § 31 Rn. 73, 75). Die Kontrolle der Gerichte beschränkt sich bei der Überprüfung von Verwaltungsentscheidungen, denen ein Beurteilungsspielraum zugrunde liegt, darauf, ob das Verwaltungsverfahren ordnungsgemäß durchgeführt worden ist, ob der Verwaltungsentscheidung ein richtiger und vollständig ermittelter Sachverhalt zugrunde liegt, ob die Verwaltung die Grenzen eingehalten hat, die sich bei der Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs "Wirtschaftlichkeit" ergeben, und ob sie ihre Subsumtionserwägungen so verdeutlicht und begründet hat, dass im Rahmen des Möglichen die zu treffende Anwendung der Beurteilungsmaßstäbe erkennbar und nachvollziehbar ist (BSG vom 19. Oktober 2011, aaO Rn. 17; BSG vom 21. April 1993 – 14a RKa 11/92SozR 3-1300 § 35 Nr. 5, Rn. 15). Diese Anforderungen sind hier nicht erfüllt.

Der Beklagte hätte die Ergebnisse der durchgeführten Zweitmeinungsverfahren zwar nicht zwingend bei dem Entscheidungsergebnis, aber jedenfalls im Prozess der Entscheidungsfindung berücksichtigen müssen. Die Klägerin weist darauf hin, dass hinsichtlich – wie sie behauptet – aller im Streit befindlicher Patienten zwar nicht vor der Behandlung und vor den im Streit befindlichen Zeiträumen, jedoch nachträglich Zweitmeinungsverfahren durchgeführt worden seien, die alle die Wirtschaftlichkeit der Behandlungsweise zum Ergebnis gehabt hätten; lediglich in einem Fall sei die Umstellung der Medikation auf einen anderen TNF-alpha-Blocker empfohlen worden. Mit Beschluss vom 3. November 2010 hat die Prüfungsstelle den 2007 getätigten Verordnungen für 23 Patienten zugestimmt. Der Beklagte stützt sich demgegenüber darauf, dass die Zweitmeinungsverfahren nicht zu allen im Streit befindlichen Quartalen und zudem nicht vor der Behandlung durchgeführt worden sind und dass sie im Rahmen einer Einzelfallprüfung auch irrelevant seien, weil sie allein für die Frage-stellungen einer Richtgrößenprüfung geschaffen seien. Die Tatsache, dass jenes Verfahren sich auf die Verordnungen aus 2007 bezog, dieses aber eine Überprüfung auch der Verordnungen aus 2008 zum Gegenstand hat, dürfte unerheblich sein, weil die Therapien längerfristig angelegt sind und sich viele Überschneidungen der Patienten ergeben dürften.

Die Durchführung von Zweitmeinungsverfahren ist einerseits angelegt in § 7 Absatz 9 PrüfV. Danach sind die im Rahmen eines bei der Prüfungseinrichtung eingerichteten Zweitmeinungsverfahrens unter medizinischen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten gefällten Beschlüsse von den Prüfgremien verbindlich anzuerkennen. Anlage 2 der PrüfV regelt dazu das Nähere über den Gegenstand der Beschlüsse. Es geht dabei um den zulassungskonformen und indikationsgerechten Einsatz bestimmter Wirkstoffe sowie den Aspekt der Wirtschaftlichkeit. Das Zweitmeinungsverfahren ist darüber hinaus in der Richtgrößenvereinbarung 2006 der Vertragspartner geregelt. Nach deren § 1 Abs. 5 sind von der Richtgrößenbildung die Kosten für Arzneimittel der Ausnahme von Richtgrößenregelungen nach Anlage 2, der Impfstoffe zur Prävention, des Sprechstundenbedarfs sowie solcher Therapien, die regelmäßig Praxisbesonderheiten im Sinne der Anlage 3 begründen, ausgenommen. Anlage 3 beinhaltet Indikationsgebiete zur Berücksichtigung als Praxisbesonderheit bei Wirtschaftlichkeitsprüfungen. Gemäß Nummer 12 der Anlage fallen darunter zur Behandlung von Erkrankungen des rheumatischen Formenkreises zugelassene TNF-alpha-Inhibitoren enthaltende Arzneimittel unter der Voraussetzung, dass eine bei der jeweiligen kassenärztlichen Vereinigung eingerichtete Kommission eine positive Bewertung im Rahmen eines Zweitmeinungsverfahren vorgenommen hat. Bei der Verordnung ist das Wirtschaftlichkeitsgebot zu beachten.

§ 7 Absatz 91 Abs. 5 PrüfV trifft keine Regelung darüber, wann ein Zweitmeinungsverfahren durchzuführen ist, sondern sagt nur etwas über die Beachtlichkeit der Beschlüsse aus. § 1 Abs. 5 Richtgrößenvereinbarung 2006 in Verbindung mit Anlage 3 Nummer 12 geht allerdings von einer vorherigen positiven Zweitmeinungsbewertung aus. Allerdings setzt § 1 Abs. 5 ebenfalls bei den Richtgrößen an, in die die nach dem durchgeführten Zweitmeinungsverfahren anerkannten Praxisbesonderheiten nicht einfließen. Zwar weist der Beklagte zutreffend darauf hin, dass das Zweitmeinungsverfahren lediglich im Rahmen der Richtgrößenbildung und Richtgrößenprüfung entscheidend zu beachten ist. Dieser formal- und verfahrensrechtliche Gesichtspunkt lässt jedoch außer Acht, dass diese für das Richtgrößenverfahren gewonnenen Erkenntnisse auch in anderen Prüfungsverfahren Aussagen über die Wirtschaftlichkeit oder Unwirtschaftlichkeit der Behandlungs- oder Verordnungsweise vermitteln können. Den Einwand des Beklagten, dass im Zweitmeinungsverfahren andere, allein auf die Richtgrößenprüfung bezogene Faktoren beurteilt werden und dass in der Einzelfallprüfung sehr viel weitgehendere Faktoren berücksichtigt werden, die ein wesentlich genaueres Bild der Behandlung ermöglichen, hält der Senat nicht für berechtigt. Denn die Anlage 2 zu § 7 Absatz 9 PrüfV nennt die im Zweitmeinungsverfahren zu berücksichtigenden Parameter. Danach geht es nicht nur um den zulassungs- und indikationskonformen Einsatz der Wirkstoffe, sondern auch um den Aspekt ihres wirtschaftlichen Einsatzes. Die Ergebnisse des Zweitmeinungsverfahrens hätten daher zwingend bei der Entscheidungsfindung auf der Beurteilungsebene berücksichtigt werden müssen. Das bedeutet allerdings nicht, dass sie auch das Entscheidungsergebnis und die Regressfestsetzung zwingend beeinflussen. Die Ergebnisse der Zweitmeinungsverfahren völlig unberücksichtigt zu lassen und ihre Aussagen nicht zur Kenntnis zu nehmen, bedeutet jedoch, der Entscheidung einen unvollständigen Sachverhalt zugrunde zu legen.

Der Senat kommt nach alledem zu dem Ergebnis, dass der Beklagte den ihm eingeräumten Beurteilungsspielraum nicht vollständig ausgeschöpft hat. Die angefochtene Entscheidung war daher aufzuheben.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 197 a Abs. 1 SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung.

Gründe für die Zulassung im Sinne des § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.

Die Entscheidung über den Streitwert folgt aus § 197 a Abs. 1 SGG i.V.m. § 52 Abs. 1 Gerichtskostengesetz. Der Streitwert bestimmt sich nach dem mit dem angefochtenen Bescheid festgesetzten Regressbetrag.
Rechtskraft
Aus
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