L 7 R 134/18

Land
Schleswig-Holstein
Sozialgericht
Schleswig-Holsteinisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
7
1. Instanz
SG Schleswig (SHS)
Aktenzeichen
S 21 R 336/16 (SG Schleswig)
Datum
2. Instanz
Schleswig-Holsteinisches LSG
Aktenzeichen
L 7 R 134/18
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Die unter der gewählten Tätigkeitsbezeichnung "leichte Pack- und Sortierarbeiten" in der Ausübungsform des Versandfertigmachers finden sich noch auf dem Arbeitsmarkt in der Form "leichte Einpackarbeiten in der Süßwarenindustrie".
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Schleswig vom 29. Juni 2018 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung.

Die Klägerin ist am 1955 in P geboren und erwarb dort einen Abschluss als Landwirtschaftstechnikerin. Anschließend war sie als Verkäuferin in der Zeit vom 15. November 1979 bis 31. Juli 1982 und als Buchhalterin in der Zeit vom 1. August 1982 bis 9. Februar 1990 tätig. Am 10. Februar 1990 kam sie nach Deutschland. Hier absolvierte sie zunächst Sprachkurse und befand sich danach bis März 1997 in Weiterbildung. In der Zeit vom 1. April 1997 bis 15. September 2009 ging sie mit Unterbrechungen in der Firma ihres geschiedenen Ehemanns einer geringfügigen Beschäftigung als Buchhalterin/Bürokraft nach. Zeitgleich war sie in der Zeit von Juli 2003 bis November 2004 als Schwesternhelferin sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Nach Zeiten der Arbeitslosigkeit und Arbeitsunfähigkeit nahm sie im November 2011 eine Tätigkeit als Haushalthilfe/Haushälterin auf einem Gut in einem Privathaushalt auf. Diese Beschäftigung übte sie zunächst geringfügig und seit dem 1. Juni 2012 als sozialversicherungspflichtige Tätigkeit aus. Seit dem 26. Januar 2016 war sie arbeitsunfähig erkrankt. Der Versicherungsverlauf weist für die Zeit vom 1. Juni 2012 bis 31. Januar 2016 durchgängig Zeiten mit Pflichtversicherung aufgrund Beschäftigung nach.

Ein im Januar 2010 gestellter Rentenantrag zur Feststellung der Erwerbsminderung blieb auch nach Inanspruchnahme des Gerichts erfolglos.

Am 18. Februar 2016 beantragte die Klägerin bei der Beklagten erneut eine Rente wegen Erwerbsminderung. Im von der Beklagten beauftragten sozialmedizinischen Gutachten durch den Facharzt für Psychiatrie, Psychotherapie und Anästhesie Dr. R vom 17. Mai 2016 nach persönlicher Untersuchung der Klägerin am 3. Mai 2016 sah dieser unter der Benennung der Diagnosen psychomentale Minderbelastbarkeit bei chronifizierter Gemütsauslenkung (Dysthymie), chronischer Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren, Verschleißerkrankungen der Kniegelenke (rechts führend) mit Belastungseinschränkungen, Bluthochdruck (medikamentös behandelt), chronischer Verschleiß der Wirbelsäule bei Schädigung der Zwischenwirbelscheibe mit belastungsabhängigen Schmerzen kein quantitativ eingeschränktes Leistungsvermögen. Die Beklagte veranlasste wegen der vordergründig bestehenden Erkrankungen des Bewegungsapparates eine weitere Begutachtung auf orthopädischem Fachgebiet durch den Orthopäden Dr. K , der die Klägerin am 9. Juni 2016 persönlich untersuchte. Dieser folgerte ein Leistungsvermögen für körperlich leichte Tätigkeiten über 6 Stunden täglich mit qualitativen Leistungseinschränkungen.

Die Beklagte lehnte den Antrag auf Rente wegen Erwerbsminderung mit Bescheid vom 20. Juni 2016 unter Bezugnahme auf die eingeholten Sachverständigengutachten ab, weil die medizinischen Voraussetzungen nicht erfüllt seien. Unter Berücksichtigung der von den Sachverständigen benannten Erkrankungen seien keine Einschränkungen festzustellen, die zur Minderung des quantitativen Leistungsvermögens führen würden. Die Klägerin könne 6 Stunden täglich unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes erwerbstätig sein. Die Voraussetzungen für eine teilweise Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit seien ebenfalls nicht erfüllt. Zwar könne sie aufgrund ihrer gesundheitlichen Einschränkungen ihrer bisherigen Tätigkeit als Haushälterin im Privathaushalt nicht mehr nachgehen. Aufgrund ihres beruflichen Werdegangs sei sie jedoch auf den allgemeinen Arbeitsmarkt zu verweisen.

Am 7. Juli 2016 stellte die Klägerin einen Antrag auf Überprüfung des Bescheides zum zuletzt gestellten Antrag auf Erwerbsminderungsrente. Der Überprüfungsantrag wurde nach Rücksprache mit der Klägerin als Widerspruch aufgefasst und bearbeitet. Inhaltlich machte sie unter Verweis auf die ärztliche Stellungnahme ihrer behandelnden Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. D vom 14. April 2014 im Wesentlichen geltend, dass ihre seelischen Störungen (rezidivierende depressive Störungen, Anpassungsstörungen, chronische Schmerzstörungen mit somatischen und psychischen Faktoren und eine Persönlichkeitsstörung) bei der Beurteilung ihres Leistungsvermögens nicht hinreichend beachtet worden seien.

Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 21. November 2016 unter Bezugnahme auf die im Widerspruchsverfahren eingeholte gutachterliche Stellungnahme Dr. R zurück. Die medizinischen Voraussetzungen für eine Erwerbsminderungsrente seien nicht erfüllt. Der Befundbericht von Frau Dr. D datiere vom 14. April 2014 und habe bereits bei der Begutachtung vorgelegen. Ihre psychischen Erkrankungen seien bei der Beurteilung des Leistungsvermögens auch hinreichend berücksichtigt worden. Sie sei nicht berufsunfähig. Aufgrund ihres bisherigen Berufslebens sei sie nach dem vom BSG entwickelten Mehrstufenschema zur Beurteilung der Berufsunfähigkeit der Gruppe der ungelernten Arbeiter zuzuordnen. Damit sei sie auf alle Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes zu verweisen.

Mit ihrer am 23. Dezember 2016 beim Sozialgericht Schleswig erhobenen Klage hat die Klägerin ihr Begehren mit im Wesentlichen gleicher Begründung weiterverfolgt.

Das Sozialgericht hat Behandlungs- und Befundberichte der die Klägerin behandelnden Fachärzte für Orthopädie Dr. B vom 11. April 2017, für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. D vom 28. April 2017 sowie des Arztes für Allgemeinmedizin Dr. S vom 24. April 2017 eingeholt.

Mit Beweisanordnung vom 25. Juli 2017 hat das Sozialgericht ein Sachverständigengutachten bei dem Facharzt für Neurologie und Psychiatrie F in Auftrag gegeben. In seinem am 8. November 2017 erstellten schriftlichen Gutachten nach persönlicher Untersuchung der Klägerin am gleichen Tag hat er folgende Diagnosen festgestellt: auf neurologisch-psychiatrischem Gebiet eine rezidivierende depressive Störung – aktuell mittelgradig, auf internistischem Gebiet einen medikamentös eingestellten Bluthochdruck sowie auf orthopädischem Gebiet diverse degenerative Veränderungen der Kniegelenke, der Hüftgelenke beidseits, der Halswirbelsäule und Lendenwirbelsäule jeweils ohne eindeutige Nervenwurzelreizerscheinungen, Veränderungen des Sprunggelenks, einen Senk-/Spreizfuß, einen Hallux Valgus sowie ein Impingement-Syndrom der Schulter rechts mit endgradiger Bewegungseinschränkung. Der Sachverständige ist zu der Einschätzung gelangt, dass die Klägerin auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt noch körperlich leichte Arbeiten für 6 Stunden und mehr in geschlossenen Räumen ohne Einfluss von Kälte, Zugluft und Feuchtigkeit im Sinne zusätzlicher Stressoren, überwiegend im Sitzen, zeitweise im Gehen und Stehen verrichten könne. Ein bestimmter Wechsel der Haltungsarten sei nicht erforderlich. Ausgeschlossen seien Arbeiten unter besonderem Zeitdruck, keine Nachtschichten, kein Heben und Tragen von Lasten über 5kg ohne Hilfsmittel, kein Arbeiten auf Leitern und Gerüsten und keine Arbeiten, die eine besondere Belastbarkeit der Schulter- und Kniegelenke erforderten. Computerarbeit sei teilweise möglich. Geistig einfache Arbeiten seien zumutbar. Zu vermeiden seien Tätigkeiten mit besonderen Anforderungen an das Reaktionsvermögen, an die Auffassungsgabe, die Lern- und Merkfähigkeit, das Gedächtnis, die Konzentrationsfähigkeit, die Entschluss- und Verantwortungsfähigkeit. An die Anpassungs- und Umstellfähigkeit dürften keine besonderen Anforderungen gestellt werden. Arbeiten mit Publikumsverkehr seien möglich, wenn diese gelegentlich und ohne besondere nervliche Belastung erfolgten. Wegefähigkeit liege vor.

Aufgrund der orthopädischen Erkrankungen der Klägerin hat das Sozialgericht weiteren Beweis durch Einholung eines Sachverständigengutachtens durch den Facharzt für Orthopädie Dr. L erhoben. Nach persönlicher Untersuchung der Klägerin am 28. Februar 2018 hat er in seinem schriftlichen Gutachten vom 9. März 2018 folgende Diagnosen angeführt: degenerative und verformende Veränderungen der Halswirbelsäule im Sinne einer mehrsegmentalen Degeneration mit Bandscheibenschäden, degenerative und verformende Veränderungen der Lendenwirbelsäule, beider Hüftgelenke, des rechten Kniegelenks mit nachgewiesenen Knorpelschäden, ausgeprägte kombinierte Fußfehlstatik beidseits, Schwellneigung der Beine bei nachgewiesener Veneninsuffizienz rechts, medikamentös eingestellter Bluthochdruck. Darauf beruhend hat er ein Leistungsvermögen für über 6 Stunden für körperlich leichte Tätigkeiten überwiegend im Sitzen, zweitweise im Gehen und Stehen in geschlossenen Räumen und ohne Kälteexposition angegeben. Bei der überwiegend sitzenden Tätigkeit sollte die Gelegenheit zur selbst gewählten kurzzeitigen Körperhaltungsänderung zur Auflockerung der Muskulatur gegeben sein, ohne dass sich ein fester Rhythmus dafür sinnvoll nennen ließe. Hebe- und Tragelasten oberhalb von 10 kg seien weitgehend ausgeschlossen, gelegentlich darüber hinausgehende Belastungen seien auf 12,5 kg zu limitieren. Zu vermeiden seien im Hinblick auf die Belastungsminderung der Wirbelsäule Arbeiten mit häufigem Bücken und einseitigen Körperhaltungen, insbesondere Zwangshaltungen und Überkopfarbeiten. Aufgrund der Veränderungen in den großen körpertragenden Gelenken seien Tätigkeiten mit häufigem Knien, Hocken, Klettern und Steigen und Fortbewegen auf unebenem Untergrund zu vermeiden. Die Einsetzbarkeit der Arme und Hände sei nicht relevant eingeschränkt. Tätigkeiten an Tastaturen seien möglich, sofern die beschriebenen Haltungsänderungen vorgenommen werden könnten. Tätigkeiten in Nacht- und Wechselschichten und unter besonderem Zeitdruck bzw. Akkordarbeit seien zu vermeiden. Eine ausreichende Wegefähigkeit sei noch vorhanden, sofern die beschriebenen Einschränkungen des Leistungsvermögens berücksichtigt und so besondere Belastungen der unteren Extremitäten vermieden würden.

Am 29. Juni 2018 hat das Sozialgericht Schleswig die Klage nach mündlicher Verhandlung und Beweisaufnahme durch Befragung des Sachverständigen Dr. L durch Urteil abgewiesen. Die Klägerin erfülle die medizinischen Voraussetzungen für eine Erwerbsminderungsrente nicht. Nach den im Klageverfahren eingeholten überzeugenden sowie schlüssigen Gutachten sei das quantitative Leistungsvermögen nicht eingeschränkt. Sie könne noch körperlich leichte Tätigkeiten über 6 Stunden täglich verrichten. Unter Berücksichtigung der von den Sachverständigen übereinstimmend festgestellten qualitativen Leistungseinschränkungen könne sie noch leichte Pack- und einfache Sortiertätigkeiten in der Ausübungsform der Versandfertigmacherin unter wettbewerbsfähigen Bedingungen unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes nach einer Einarbeitungszeit von höchstens drei Monaten nachgehen. Wegefähigkeit sei gegeben, da sie viermal täglich eine Wegstrecke von 500 Metern in jeweils 20 Minuten zurücklegen könne. Auch habe der Sachverständige Dr. L im Rahmen seiner Untersuchung festgestellt, dass die Halswirbelsäule der Klägerin eine Beweglichkeit von 40° aufweise, so dass dies ihr eine Kopfdrehung erlaube, um ein Kfz sicher führen zu können. Das Sozialgericht hat im Weiteren einen Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit verneint. Die Klägerin könne zwar ihrer letzten "bisherigen" Tätigkeit als Haushälterin nicht mehr nachgehen. Diese Tätigkeit sei unter Berücksichtigung des Mehrstufenschemas dem ungelernten Bereich zuzuordnen, so dass eine Verweisung auf den allgemeinen Arbeitsmarkt erfolgen könne.

Gegen das ihr am 21. Juli 2017 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 20. August 2018 Berufung beim Schleswig-Holsteinischen Landessozialgericht eingelegt. Sie macht geltend, aufgrund des durch die Sachverständigen festgestellten Leistungsvermögens – leichte Tätigkeiten u.a. ohne Stressfaktoren, d.h. insbesondere ohne Aussetzung eines Zeitdrucks – sei eine Verweisung auf die Tätigkeit als Versandfertigmacherin für sie unzumutbar. Nach der Tätigkeitsbeschreibung der Bundesagentur für Arbeit sei die Tätigkeit als Versandfertigmacher darauf ausgerichtet, eigene Arbeitsabläufe mit Dritten zu koordinieren und vor diesem Hintergrund einem besonderen Zeitdruck ausgesetzt.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Schleswig vom 29. Juni 2018 und den Bescheid vom 20. Juni 2016 in der Gestalt des Widerspruchs- bescheides vom 21. No¬vember 2016 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr ab dem 1. Februar 2016 bis 30. September 2018 Rente wegen voller Erwerbsminderung zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das Urteil des Sozialgerichts Schleswig für zutreffend und verweist im Übrigen auf die angefochtenen Bescheide.

Seit dem 1. Oktober 2018 erhält die Klägerin eine Altersrente für schwerbehinderte Menschen mit einem monatlichen Zahlbetrag in Höhe von 784,00 EUR.

Der Senat hat aufgrund des Beweisbeschlusses vom 19. Dezember 2018 Beweis erhoben durch die Einholung eines berufskundlichen Sachverständigengutachtens durch den Berufskundler LA. Dieser führte in seinem schriftlichen Gutachten vom 27. Dezember 2018 aus, dass die zuletzt ausgeübte Tätigkeit der Klägerin als Krankenpflegerin und Haushälterin auf der unteren Anlernebene, der Stufe II a Versicherte mit einer Anlernzeit von bis zu 12 Monaten - des Stufenschemas des BSG, zuzuordnen sei. Eine Verweisung komme nach dem beruflichen Werdegang und dem ermittelten Leistungsvermögen auf einfache gewerbliche Arbeiten wie leichte Pack- und einfache Sortierarbeiten in der Ausübungsform des Versandfertigmachers in Betracht. Diese Arbeiten seien nach dem Mehrstufenschema den ungelernten Arbeiten zuzuordnen, ohne dass es sich hierbei um die allereinfachsten Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt handele. Nach einer dreimonatigen Einarbeitungszeit könne sie diese vollwertig und konkurrenzfähig verrichten. Bundesweit seien mehr als 300 bis 400 derartige Arbeitsplätze vorhanden.

Vor dem Hintergrund der Entscheidung des Landessozialgerichts Berlin-Branden-burg vom 29. Oktober 2015 – L 8 R 926/11 hat der Senat die in diesem Verfahren erzielten Ermittlungsergebnisse beigezogen und den Sachverständigen LA zur ergänzenden Stellungnahme aufgefordert.

In seiner ergänzenden Stellungnahme vom 24. Oktober 2019 führte der Sachverständige LA aus, dass die von ihm benannten Tätigkeitsbereiche auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt noch vorhanden seien, die Bezeichnung jedoch auf "leichte Einpackarbeiten in der Süßwarenindustrie" zu ändern sei. Aus der seit 2010 geänderten Berufssystematik auf fünfstellige Dokumentationsziffern (DKZ) folge nicht, dass es diese Tätigkeiten nicht mehr gebe. Die Tätigkeitsbezeichnungen der Berufsgruppe 5220 nach dem alten System &8722; der Warenaufmacher, Versandfertigmacher &8722; seien nach dem neuen System nunmehr den "Berufen in der Lagerwirtschaft" unter den DKZ 51312, 51311 zugeordnet. Die Anzahl der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten unter der DKZ sei in den Jahren 2013 bis 2018 gestiegen, wohingegen die Anzahl der geringfügig Beschäftigten gesunken sei. Süßwarenherstellerhelfer seien bis 2010 unter der Berufskennziffer (BKZ) 4337 und nunmehr unter der DKZ 29201 erfasst. Diesbezüglich würde die Klassifikation der Berufe Tätigkeiten im Produktionsprozess beschreiben, während die im Gutachten beschriebenen Verweisungstätigkeiten nach dem industriellen Herstellungsprozess angesiedelt seien. Problematisch sei zudem, dass von den Betrieben im Rahmen der Meldeverfahren häufig pauschale Tätigkeitsbezeichnungen gemeldet würden, um den Aufwand zu reduzieren. Dies entspreche aber nicht den Vorgaben im Sozialversicherungssystem. In dem Verfahren des LSG Berlin-Brandenburg L 8 R 926/11 sei er ebenfalls als berufskundiger Sachverständiger beauftragt worden. Auf der Grundlage von Firmenauskünften habe er in diesem Verfahren als zumutbare Verweisungstätigkeiten einfache Prüf- und Kontrollarbeiten bei der Herstellung von Lampen und Leuchtmitteln, das Einpacken von hochwertigen Schreibgeräten sowie leichte Einpackarbeiten in der Süßwarenindustrie benannt. Aufgrund anschließender Ermittlungen des LSG Berlin-Brandenburg sei dieses aufgrund der eingeholten Firmenauskünfte zu dem Ergebnis gelangt, dass die von ihm benannten Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht mehr in nennenswerter Anzahl vorhandenen seien. Diese Firmenauskünfte seien einem Berufskundler nicht vorgelegt worden, so dass die entstandenen Widersprüche nicht aufgeklärt worden seien. Hinsichtlich der Firma N seien die Widersprüchlichkeiten nunmehr ausgeräumt. Dort seien mehr als 300 Arbeitsplätze für leichte Tätigkeiten überwiegend im Sitzen ohne Akkordarbeit vorhanden, wobei 80%-90% ohne Heben und Tragen von Lasten seien. Hebe- und Trageleistungen von 25 kg-30kg würden erst am Ende des Herstellungsprozesses anfallen. Auch die Firma C sehe Arbeitsplätze für Produktionshelfer in der Verpackung – leichte Arbeit auch überwiegend im Sitzen – vor. Heben und Tragen falle bis 5 kg an. Dort seien 15 solcher Stellen vorhanden. Unter Berücksichtigung des beschriebenen Leistungsvermögens seien der Klägerin demnach leichte Einpackarbeiten in der Süßwarenindustrie zumutbar.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt des Verwaltungsvorgangs der Beklagten, die Gerichtsakte sowie hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme auf die Niederschrift der mündlichen Verhandlung vom 16. Dezember 2019 verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die gem. §§ 143,144 Abs. 1 SGG statthafte Berufung der Beklagten ist zulässig, insbesondere ist sie form- und fristgerecht (§ 151 Abs. 1 SGG) eingelegt worden.

Die Berufung ist unbegründet. Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 29. Juni 2018 zu Recht abgewiesen. Der angefochtene Bescheid vom 20. Juni 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. November 2016 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Ihr steht kein Anspruch auf Rente wegen teilweiser oder voller Erwerbsminderung zu.

Nach § 43 Abs. 1 und 2 Satz 1 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) haben Versicherte bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen teilweiser bzw. voller Erwerbsminderung, wenn sie teilweise bzw. voll erwerbsgemindert sind, in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.

Teilweise erwerbsgemindert sind gemäß § 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Voll erwerbsgemindert sind Versicherte gem. § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Voll erwerbsgemindert sind gemäß § 43 Abs. 2 Satz 3 SGB VI auch Versicherte nach § 1 Satz 1 Nr. 2 SGB VI, die wegen Art und Schwere der Behinderung nicht auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tätig sein können und Versicherte, die bereits vor Erfüllung der allgemeinen Wartezeit voll erwerbsgemindert waren, in der Zeit einer nicht erfolgreichen Eingliederung in den allgemeinen Arbeitsmarkt. Nicht erwerbsgemindert ist gem. § 43 Abs. 3, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.

Gemessen daran ist die Klägerin nach der Überzeugung des Senats noch in der Lage ihre verbliebene Leistungsfähigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt unter den üblichen Bedingungen mindestens sechs Stunden täglich zu verwerten.

Die allgemeine Wartezeit im Sinne des § 43 Abs. 1 und 2 Nr. 3 SGB VI ist ebenso erfüllt wie die 3/5-Belegung bei Eintritt eines angenommenen Leistungsfalls am 18. Februar 2016.

Jedoch liegen die sozialmedizinischen Leistungsvoraussetzungen weder für eine teilweise noch für eine volle Erwerbsminderungsrente vor. Die Auswertung der im erstinstanzlichen Verfahren eingeholten medizinischen Sachverständigengutachten auf neurologisch-psychiatrischem sowie orthopädischem Fachgebiet ergab in Übereinstimmung mit den eingeholten Behandlungs- und Befundberichten der die Klägerin behandelnden Ärzte, dass die Klägerin unter folgenden Erkrankungen leidet: auf neurologisch-psychiatrischem Gebiet besteht eine rezidivierende depressive Störung, aktuell mittelgradig. Auf orthopädischem Gebiet bestehen degenerative und verformende Veränderungen der Halswirbelsäule im Sinne einer mehrsegmentalen Degeneration mit Bandscheibenschäden, degenerative und verformende Veränderungen der Lendenwirbelsäule, beider Hüftgelenke, des rechten Kniegelenks mit nachgewiesenen Knorpelschäden, ausgeprägte kombinierte Fußfehlstatik beidseits. Im Übrigen liegt eine Schwellneigung der Beine bei nachgewiesener Veneninsuffizienz rechts sowie ein medikamentös eingestellter Bluthochdruck vor.

Aufgrund dieser diagnostischen Lage ergeben sich hinsichtlich der beruflichen Leistungsfähigkeit der Klägerin qualitative, aber keine quantitativen Leistungseinschränkungen. Sie kann noch körperlich leichte Tätigkeiten überwiegend im Sitzen, zeitweise im Gehen und zeitweise im Stehen für sechs Stunden täglich und länger verrichten. Bei überwiegend sitzender Tätigkeit soll die Gelegenheit zur selbst gewählten kurzzeitigen Körperhaltungsänderung ohne festen Rhythmus zur Auflockerung der Muskulatur gegeben sein. Die Tätigkeit ist örtlich auf geschlossene Räume unter Vermeidung von Kälte, Zugluft und Feuchtigkeit beschränkt. Wegen der Venenschwäche ist eine Exposition von Hitze und Ganzkörperschwingungen ausgeschlossen. Aufgrund der orthopädischen Leiden sind Tätigkeiten, die Hebe- und Tragelasten oberhalb von 10 kg erfordern, weitgehend ausgeschlossen. Gelegentlich darüber hinausgehende Belastungen müssen bei 12,5 kg limitiert sein. Wegen der Belastungsminderung der Wirbelsäule sind Tätigkeiten mit häufigem Bücken und einseitigen Körperhaltungen (Zwangshaltungen) und Überkopfarbeiten ausgeschlossen. Nicht verrichtet werden können wegen der Veränderungen der großen körpertragenden Gelenke Tätigkeiten mit häufigem Knien und Hocken, Klettern und Steigen sowie Tätigkeiten auf Leitern und Gerüsten. Ebenso ist ein Fortbewegen auf unebenem Grund zu vermeiden. Leistungsrelevante Einschränkungen der Arme und Hände bestehen nicht. Ausgeschlossen sind wegen der Neigung zu erhöhten Blutdruckwerten auch Tätigkeiten in Nacht- und Wechselschicht sowie unter besonderem Zeitdruck oder Akkordbedingungen. Wegen der psychiatrischen Erkrankungen können nur geistig einfache Arbeiten unter Vermeidung von Tätigkeiten mit besonderen Anforderungen an das Reaktionsvermögen, an die Auffassungsgabe, die Lern- und Merkfähigkeit, das Gedächtnis, die Konzentrationsfähigkeit, die Entschluss- und Verantwortungsfähigkeit verrichtet werden. Tätigkeiten mit besonderen Anforderungen an die Anpassungs- und Umstellfähigkeit dürfen der Klägerin nicht abverlangt werden. Arbeiten mit Publikumsverkehr sind möglich, wenn dieser nur gelegentlich und ohne besondere nervliche Belastung erfolgt. Computerarbeit ist teilweise möglich.

Das Leistungsvermögen der Klägerin haben die Sachverständigen F und Dr. L unabhängig voneinander nach persönlicher Untersuchung der Klägerin und Auswertung aller im Verfahren eingereichten Behandlungs- und Befundberichte der die Klägerin behandelnden Ärzte nahezu übereinstimmend aus ihrem fachlichen Blickwinkel festgestellt sowie nachvollziehbar und schlüssig im Hinblick auf die vorgenommene Leistungseinschätzung als auch das Vorliegen der qualitativen Einschränkungen begründet, so dass der Senat diesem folgt. Lediglich hinsichtlich der Hebe- und Tragelast kommen die Sachverständigen zu unterschiedlichen Einschätzungen, da der Sachverständige F die Hebe- und Tragelast bereits bei 5 kg limitiert sieht. Hier folgt der Senat den Ausführungen des Sachverständigen Dr. L , da diese Einschränkung vor allem aus den orthopädischen Erkrankungen folgt und der Sachverständige die Einsetzbarkeit der Arme und Hände nicht als eingeschränkt ansah. Zudem hat Herr F in seinem Gutachten keine Befunde erhoben, die eine solche Limitierung rechtfertigen würden. Die Befunde in den oberen Extremitäten wurden in beiden Gutachten als unauffällig und altersentsprechend angegeben. Im Übrigen stehen die von den beiden Sachverständigen erhobenen Befunde und das daraus abgeleitete Leistungsvermögen im Einklang mit den aktenkundigen Behandlungs- und Befundberichten der behandelnden Ärzte und Fachärzte der Klägerin. Die bei ihr vorliegenden Erkrankungen und Funktionsdefizite werden umfassend berücksichtigt.

Mit diesem vorhandenen Leistungsvermögen ist die Klägerin nach Auffassung des Senats noch in der Lage mindestens sechs Stunden täglich unter betriebsüblichen Bedingungen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu arbeiten. Dabei geht der Senat weiterhin von der Vermutung eines "offenen Arbeitsmarktes" für gering qualifizierte Versicherte aus, wie vom BSG mit Urteil vom 11. Dezember 2019 (B 13 R 7/18 R) entschieden worden ist (vgl. BSG, Terminbericht Nr. 58/19 vom 11. Dezember 2019). Das BSG verneint darin aufgrund seiner in das Verfahren eingeführten arbeitsmarkt-, sozial- und wirtschaftswissenschaftlichen Untersuchungen eine generelle Verschlossenheit des allgemeinen Arbeitsmarktes für Arbeitsplätze für sogenannte "Einfacharbeit" und Helfertätigkeiten und hält ausdrücklich an seiner bisherigen Rechtsprechung zu notwendigen Verweisungen von Arbeitsplätzen fest. Der erkennende Senat geht daher – wie bisher auch in seinen Entscheidungen – weiterhin von der Vermutung der Offenheit des allgemeinen Arbeitsmarktes aus.

Die bei der Klägerin festgestellten qualitativen Leistungseinschränkungen sind nicht derart gewichtig, dass eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine schwere spezifische Leistungseinschränkung vorliegt, die zu einem Anspruch auf eine Rente wegen voller Erwerbsminderungsrente trotz fehlender quantitativer Leistungseinschränkung führen könnte, wenn keine mit dem vorhandenen Leistungsvermögen noch zumutbar ausübbare Verweisungstätigkeit benannt werden kann. Nach der Rechtsprechung des BSG besteht eine Benennungspflicht nur dann, wenn eine schwere spezifische Leistungsbehinderung oder eine Summierung ungewöhnlicher Leistungsbeeinträchtigungen vorliegt (vgl. Großer Senat, Beschluss vom 19. Dezember 1996 – GS 2/95 –, juris). Die Prüfung, ob eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen vorliegt, erfolgt nach der Rechtsprechung des BSG in mehreren Schritten (vgl. BSG, Urteil vom 09. Mai 2012 – B 5 R 68/11 R &8722;, juris; BSG, Urteil vom 19. Oktober 2011 – B 13 R 78/09 R &8722;, juris). Maßgeblich sind jeweils die konkreten Umstände des Einzelfalls, wobei der Begründungaufwand insbesondere von der Anzahl, Art und Schwere der bestehenden qualitativen Leistungs-einschränkungen abhängt (vgl. BSG, Urteil vom 23. Mai 2006 – B 13 RJ 38/05 R –, juris). Derart gravierende Einschränkungen liegen nach Auffassung des Senats bei der Klägerin jedoch nicht vor.

Zu prüfen ist danach, ob das Restleistungsvermögen der Klägerin noch die Verrichtung der auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt vorhandenen Handlungsfelder für körperlich einfache Arbeiten wie z.B. Zureichen, Abnehmen, Transportieren, Reinigen, Bedienen von Maschinen, Kleben, Sortieren, Verpacken, Zusammensetzen von Teilen usw. erlaubt. Dies ist zu bejahen. Bei der Klägerin ist die Einsetzbarkeit der Arme und Hände unterhalb der Schulterebene nicht eingeschränkt, so dass ein Zureichen und Abnehmen in ausgestreckter Armhaltung leichter Gegenstände noch möglich ist. Auch das Transportieren ist ihr möglich, da die Tätigkeiten zumindest auch zeitweise im Gehen ausgeübt werden können. Vermieden werden sollen laut Dr. L lediglich besondere Belastungen der unteren Extremitäten. Damit sind Reinigungstätigkeiten, die in der Regel häufigeres Bücken bzw. Knien erfordern, ausgeschlossen. Das Bedienen von Maschinen erfordert in der Regel eine Beanspruchung der Arme und eine gute Reaktionsfähigkeit. Laut dem Sachverständigen F kann die Klägerin nur Tätigkeiten ohne besondere Anforderungen an die Reaktionsfähigkeit verrichten, so dass zumindest das Bedienen von leichten Maschinen noch möglich sein dürfte. Durch den Ausschluss von Reinigen und dem Bedienen von schweren Maschinen ist der Klägerin jedoch nur ein kleinerer Teil der Arbeits- und Tätigkeitsfelder der Maschinenarbeit versperrt. Hinsichtlich Kleben, Sortieren, Verpacken und Zusammensetzen von Teilen bestehen aufgrund des vorhandenen Leistungsvermögens keine Bedenken, da die Arme und Handgelenke für leichte Tätigkeiten, d.h. 5 kg und gelegentlich bis 12,5 kg, einsetzbar sind. In psychomentaler Hinsicht sind nur besondere Anforderungen ausgeschlossen. Tätigkeiten mit Publikumsverkehr sind mit Einschränkungen möglich. Auch Computerarbeit ist teilweise möglich. Darüber hinaus handelt es sich bei den benannten Verrichtungen nicht um eine abschließende Aufzählung, so dass Verrichtungen wie beispielsweise das Messen, Prüfen, Überwachen und die (Qualitäts-) Kontrolle von Produktionsvorgängen ergänzt werden können (vgl. BSG, Terminbericht Nr. 58/19 vom 11. Dezember 2019 – B 13 R 7/18 R). Auch diese Arbeiten können von der Klägerin mit ihrem vorhandenen Leistungsvermögen verrichtet werden. Soweit der Klägerin bei überwiegend sitzender Tätigkeit Gelegenheit zur selbst gewählten kurzzeitigen Körperhaltungsänderung zur Auflockerung der Muskulatur gegeben werden soll, bedingt dies keine Verschlossenheit des allgemeinen Arbeitsmarktes (vgl. auch Schleswig-Holsteinisches LSG, Urteil vom 13. Januar 2015 – L 7 R 103/13 –, juris). Teilweise wird zwar in der Rechtsprechung eine ungewöhnliche Leistungseinschränkung darin gesehen, wenn ein Versicherter einen Haltungswechsel jederzeit nach freiem Entschluss vornehmen können muss (vgl. BSG, Urteil vom 23. März 2000 – B 13 RJ 61/99 –, juris; Freudenberg in: jurisPK-SGB VI, 2. Aufl. 2013, § 43 Rn. 174 m.w.N.). Die von dem Sachverständigen Dr. L beschriebene Leistungseinschränkung überschreitet das in der zitierten Rechtsprechung ausgeführte Maß des "üblichen" jedoch noch nicht. Zudem besteht im Rahmen der persönlichen Verteilzeit während der Arbeitszeit die Möglichkeit einen Haltungswechsel vorzunehmen und ein paar Schritte zu gehen. Auch ist es auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt durchaus gängig insbesondere bei Sortier-, Verpackungs- und Kontrolltätigkeiten die Haltungsart zu wechseln bzw. diese auch zeitweise im Stehen auszuüben.

Soweit das Sozialgericht Schleswig die Klägerin auf die Verweisungstätigkeit der Versandfertigmacherin verwiesen hat, finden sich die beschriebenen zu verrichtenden leichten körperlichen Tätigkeiten auch weiterhin auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt, jedoch in leicht abgewandelter Form unter der Bezeichnung "leichte Einpackarbeiten in der Süßwarenindustrie".

Der Senat folgt insoweit den Ausführungen des berufskundigen Sachverständigen LA in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 24. Oktober 2019 und der Beweisaufnahme in der mündlichen Verhandlung vom 16. Dezember 2019. Nach dem geschilderten Anforderungsprofil für "leichte Einpackarbeiten in der Süßwarenindustrie" sind Arbeiten zu verrichten, die nicht über eine leichte Belastung hinausgehen, körpernah überwiegend im Sitzen verrichtet werden, besondere Anforderungen an die Einsatzfähigkeit der Arme und Hände hinsichtlich Kraft, Ausdauer und Feinmotorik nicht bestehen und Gewichte über 5 kg hinaus nicht bewegt werden müssen. Dabei werden die zu verrichtenden Einzelarbeiten in ihrem Fortgang selbst und nicht durch ein fremdes Arbeitstempo bestimmt, so dass sich kein besonderer Zeit- oder Leistungsdruck – wie beispielsweise bei Akkord- oder Fließbandarbeit – entwickelt. Die Tätigkeiten werden in der Regel in "normaler" Tagesschicht verrichtet.

Der Senat ist anders als das LSG Berlin-Brandenburg in seinen Entscheidungen vom 20. Oktober 2018 – L 8 R 926/11 und vom 12. April 2018 – L 8 R 808/15 auch davon überzeugt, dass die von dem Sachverständigen beschriebene Tätigkeit mit dem oben beschriebenen Anforderungsprofil für körperlich leichte Tätigkeiten noch auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt angeboten wird. In der ergänzenden Stellungnahme vom 24. Oktober 2019 hat der Sachverständige unter Kenntnis der Ermittlungsergebnisse in den zitierten Verfahren des LSG Berlin-Brandenburg nachvollziehbar und schlüssig die Widersprüchlichkeiten zu den Ergebnissen der Recherchen im Hinblick auf die Firma N ausgeräumt. Aus den Angaben des Leiters Personal der Firma N vom 21. August 2019 geht hervor, dass im Rahmen des Produktionsprozesses bundesweit auch mehr als 300 Arbeitsplätze vorhanden sind, an denen überwiegend leichte Arbeit überwiegend im Sitzen verrichtet wird, ohne dass Akkordarbeiten anfallen und bei 80 - 90 % kein Heben und Tragen von Lasten anfallen. Zudem klärte er hinsichtlich der gegenüber dem LSG Berlin-Brandenburg angegebenen Hebe- und Tragelasten von 25 - 30 kg auf, dass nur an 10 % - 20 % der Arbeitsplätze Tätigkeiten mit entsprechenden Tragelasten am Ende des Herstellungsprozesses, an dem die kartonierten Produkte manuell auf Paletten zu stapeln sind, anfallen. Die unterschiedlichen Angaben erklärte er damit, dass betriebsintern andere Tätigkeitsbezeichnungen für die Arbeitsplätze vorhanden seien. Tätigkeitsbezeichnungen wie den Versandfertigmacher oder Warenaufmacher werden im Betrieb nicht genutzt, sondern die Mitarbeitenden auf den beschriebenen Arbeitsplätzen werden unter der Bezeichnung Süßwarenherstellerhelfer oder Produktionshelfer geführt. Der Senat geht davon aus, dass entsprechende Arbeitsplätze nicht nur bei der Firma N , sondern auch in anderen Betrieben der Süßwarenindustrie vorgehalten werden und in einer Größenordnung von mehr als 300 bis 400 vorhanden sind. Exemplarisch hat der Sachverständige dies durch einen weiteren Süßwarenhersteller, allerdings in einer Größenordnung von 15 Arbeitsplätzen, bestätigt erhalten. Jedoch hat der Sachverständige in der mündlichen Verhandlung überzeugend und nachvollziehbar erläutert, dass nach Auskunft des Bundesverbandes der Süßwarenindustrie leichte Einpackarbeiten regelmäßig in Betrieben, d.h. auch anderen Betrieben als der Firma N und Confiserie C , anfallen, in denen größere Einzelartikel hergestellt und eingepackt werden, weil diese Artikel (noch) nicht maschinell verpackt werden können. Dieses Ergebnis steht auch nicht im Widerspruch zu den Ermittlungsergebnissen des LSG Berlin-Brandenburg, welches sich im Rahmen seiner Recherchen jedenfalls nicht an den Bundesverband der Süßwarenindustrie gewendet hatte. Darüber hinaus sieht der Sachverständige Tätigkeiten mit ähnlichen bzw. vergleichbaren Anforderungen und Belastungen z.B. beim Herrichten und Einpacken von Tee, dem Einpacken von Naht- bzw. Operationsmaterial, in der optischen Industrie oder bei der Bearbeitung von Retouren im Versandhandel.

Diese Tätigkeit kann die Klägerin nach Auffassung des Senats mit ihrem vorhandenen Leistungsvermögen auch noch zumutbar verrichten. Soweit die Klägerin vorbringt, dass die Tätigkeit des Versandfertigmachers, wie aus der Tätigkeitsbeschreibung der Bundesagentur für Arbeit folgt, insbesondere auch Zeitdruck ausgesetzt ist, welcher ihr aufgrund der seelischen Beeinträchtigungen nicht zumutbar sei, ist anzu-merken, dass der Sachverständige in seinem Gutachten nicht auf das Anforderungsprofil des Versandfertigmachers unter Berücksichtigung der Tätigkeitsbeschreibung der Bundesagentur für Arbeit abstellt, sondern auf "leichte Einpackarbeiten in der Süßwarenindustrie", die er berufssystematisch aufgrund der berufssystematischen Neuordnung ab 2010 auch im Bereich der Berufe der Lagerwirtschaft (Dokumentationsziffer 513) verortet. Auch wenn viele der zur alten Berufsgruppe 522 (Warenaufmacher, Versandfertigmacher) genannten Tätigkeitsbezeichnungen aufgrund der sich verändernden Arbeitswelt nicht mehr vorhanden sind, ist das Herrichten und Einpacken hergestellter Waren und Güter als selbstständige Tätigkeit weiterhin anzutreffen. Dies ist insofern auch nachvollziehbar, da unter diesen Bereich vielfältige Tätigkeiten in verschiedenen Branchen und mit unterschiedlichen Produkten fallen.

Auch stellt sich die zu verrichtende Tätigkeit weder als eine Arbeit im Akkord noch als Fließbandarbeit dar, da die Einzelarbeitsverrichtungen nicht durch eine "Anlage oder Maschine" bestimmt werden und die Arbeitnehmerin den Fortgang ihrer zu verrichtenden Einzelarbeit selber bestimmt. Ein besonderer Zeit- oder Leistungsdruck besteht nicht. Die Tätigkeiten werden mit einem mittleren Arbeitsergebnis kalkuliert und in einem normalen Arbeitstempo verrichtet. Ein besonderer Zeitdruck, der mit einer besonderen – für die Klägerin zu vermeidender – nervlichen Belastung einhergeht, besteht hier nach der ausführlichen Tätigkeitsbeschreibung des Sachverständigen LA nicht. Nacht- und Wechselschichten, die der Klägerin nicht mehr zumutbar sind, fallen bei diesen Tätigkeiten nicht an. Dies folgt insbesondere aus den Angaben der Firma N gegenüber dem Sachverständigen LA. Soweit der Prozessbevollmächtigte auf eine aktuelle Stellenanzeige der Firma N hinweist, steht dies dem gefundenen Ergebnis nicht entgegen. Zum einen bezieht sich die Anzeige nicht allein auf die hier beschriebene Tätigkeit, sondern gesucht werden Saisonarbeitskräfte für alle Tätigkeiten im Herstellungsprozess. Darüber hinaus zeigt eine eigene Recherche des Senats, dass die Tätigkeiten laut Anzeige in Früh- und/oder Spätschicht ausgeübt werden können. Dies entspricht auch den Angaben, die gegenüber dem Sachverständigen LA getätigt worden sind. Es bestehen demnach keine Anhaltspunkte, dass diese Tätigkeiten nicht in normaler Tagesschicht verrichtet werden können. Auch unter Berücksichtigung der Wirbelsäulenerkrankung ist die bezeichnete Tätigkeit der Klägerin zumutbar. Die Arbeiten werden überwiegend im Sitzen ausgeübt und können nach der Aussage des Sachverständigen LA ohne weiteres auch im Stehen ohne Unterbrechung fortgeführt werden.

Anhaltspunkte für eine fehlende rentenrechtliche Wegefähigkeit sind nicht ersichtlich. Die Klägerin ist in der Lage viermal tätlich eine Wegstrecke von mehr als 500 Metern in jeweils höchstens 20 Minuten zurückzulegen. Die zweimal tägliche Nutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln während der Hauptverkehrszeit ist ihr ebenfalls möglich.

Der 1955 geborenen Klägerin steht auch kein Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit zu.

Nach § 240 Abs. 1 SGB VI haben Versicherte Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit bei Erfüllung der sonstigen Voraussetzungen bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres, die vor dem 2. Januar 1961 geboren und berufsunfähig sind. Berufsunfähig sind gem. § 240 Abs. 2 Satz 1 SGB VI Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder Behinderung im Vergleich zur Erwerbsfähigkeit von körperlich, geistig und seelisch gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten auf weniger als sechs Stunden gesunken ist. Der Kreis der Tätigkeiten, nach denen die Erwerbsfähigkeit von Versicherten zu beurteilen ist, umfasst gem. § 240 Abs. 2 Satz 2 SGB VI alle Tätigkeiten, die ihren Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihnen unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs ihrer Ausbildung sowie ihres bisherigen Berufs und der besonderen Anforderungen ihrer bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können. Berufsunfähig ist gem. § 240 Abs. 2 Satz 4 SGB VI nicht, wer eine zumutbare Tätigkeit mindestens sechs Stunden täglich ausüben kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigten. Danach ist die Klägerin nicht berufsunfähig, auch wenn sie ihre zuletzt ausgeübte Tätigkeit als Haushälterin, die überwiegend mittelschwere Tätigkeiten umfasst, mit dem festgestellten Leistungsvermögen nicht mehr ausüben kann.

Für die Beurteilung der Berufsunfähigkeit der Klägerin ist – wie das Sozialgericht in seiner Entscheidung zutreffend ausgeführt hat – die zuletzt ausgeübte sozialversicherungspflichtige Tätigkeit als Haushälterin maßgeblich. Nach den überzeugenden Ausführungen des berufskundigen Sachverständigen LA , kann die Klägerin diese Tätigkeit mit dem festgestellten Leistungsvermögen nicht mehr ausüben. Eine Berufsunfähigkeit im rentenrechtlichen Sinne liegt jedoch nur dann vor, wenn die Klägerin nicht mehr für eine ihr zumutbare Verweisungstätigkeit einsetzbar ist. Für die Beantwortung der Frage nach der zumutbaren Verweisungstätigkeit ist die Bestimmung des qualitativen Werts des zuletzt auf Dauer versicherungspflichtig ausgeübten Berufs maßgeblich. Hierzu hat das BSG in ständiger Rechtsprechung das sog. Mehrstufenschema entwickelt, welches auch der Senat in seinen Entscheidungen zugrunde legt. Es differenziert zwischen ungelernten Berufen auf der 1. Stufe, Berufen mit einer Ausbildung bis zu 2 Jahren auf der 2. Stufe, Berufen mit einer Ausbildung von mehr als zwei Jahren auf der 3. Stufe, Berufen, die zusätzliche Qualifikationen oder Erfahrungen oder den erfolgreichen Besuch einer Fachschule voraussetzen auf der 4. Stufe, Berufen, die einen erfolgreichen Abschluss einer Fachhochschule oder eine zumindest gleichwertige Berufsausbildung voraussetzen auf der 5. Stufe und Berufen, deren hohe Qualität regelmäßig auf einem Hochschulstudium oder einer vergleichbaren Qualifikation beruht auf der sechsten Stufe (ständige Rspr., vgl. BSG vom 15. November 1983 – 1 RJ 112/82 –, juris; Schleswig-Holstei-nisches LSG, Urteil vom 28. Februar 2006 – L 7 RJ 51/04 –, juris; Nazarek, jurisPK-SGB VI, 2. Aufl. 2013, § 240 Rn. 53 ff.). Als in diesem Sinne des § 240 Abs. 2 Satz 2 SGB VI zumutbar ist stets ein beruflicher Abstieg auf die nächst niedrigere Qualifikationsstufe. Eine Verweisung auf den allgemeinen Arbeitsmarkt ist demnach zumutbar für Versicherte der 1. Stufe und Versicherte der 2. Stufe, deren bisheriger Beruf dem sog. Angelerntenbereich, d.h. einem einfach Angelernten mit einer Anlernzeit von bis zu einem Jahr, zuzuordnen ist.

Gemessen daran kommt der Klägerin unter Berücksichtigung ihres Ausbildungs- und Berufsverlaufs sowie der von ihr zuletzt ausgeübten versicherungspflichtigen Tätigkeit kein besonderer Berufsschutz zu, sondern sie ist sozial zumutbar auf den allgemeinen Arbeitsmarkt zu verweisen. Die Klägerin hat sich von ihren bisherigen Tätigkeiten als Landwirtschaftstechnikerin und Buchhalterin gelöst, ohne dass ersichtlich ist, dass dies aus gesundheitlichen Gründen erfolgte. Dies gilt ebenso für die nachfolgenden in der Bundesrepublik Deutschland ausgeübten Tätigkeiten als Krankenpflegehelferin in den Jahren 2003/2004 sowie die Tätigkeit als Buchhalterin in dem Betrieb ihres geschiedenen Ehemannes, welche zudem nicht versicherungspflichtig war und aus diesen Gründen schon nicht herangezogen werden kann. Die letzte versicherungspflichtige Beschäftigung als Haushälterin ist dem ungelernten Bereich, d.h. Anlernzeit bis zu einem Jahr, zuzuordnen. Die Klägerin ist auf den gesamten allgemeinen Arbeitsmarkt zu verweisen, ohne dass eine konkrete Verweisungstätigkeit zu benennen ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt der Sachentscheidung.

Gründe die Revision zuzulassen sind nicht ersichtlich.
Rechtskraft
Aus
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