S 18 U 5480/13

Land
Freistaat Thüringen
Sozialgericht
SG Gotha (FST)
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
18
1. Instanz
SG Gotha (FST)
Aktenzeichen
S 18 U 5480/13
Datum
2. Instanz
Thüringer LSG
Aktenzeichen
L 1 U 1026/16
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Gotha vom 20. Juni 2016 wird zurückgewiesen. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Kläger als Folge eines anerkannten Arbeitsunfalls vom 27. September 2012 über den 27. Januar 2013 hinaus Heilbehandlung beanspruchen kann und unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit besteht.

Der 1958 geborene Kläger stürzte am 27. September 2012 beim Verschneiden einer Hecke von einer ca. 3 m hohen Leiter. Der Durchgangsarzt diagnostizierte eine Kontusion der Lendenwirbelsäule, des Beckens, des linken Knies und eine Wunde am linken Knie. Ausweislich einer Kernspintomographie der Lendenwirbelsäule vom 16. November 2012 wurde eine frische Deckplattenimpressionsfraktur mit einer geringen ventralen Höhenminderung des ersten Lendenwirbelkörpers festgestellt. Daneben wurden erhebliche degenerative Veränderungen der Lendenwirbelsäule berichtet. Im Zuge weiterer Ermittlungen hinsichtlich möglicher Vorerkrankungen des Klägers holte die Beklagte einen Befundbericht des H.K.E. vom 24. Januar 2013 ein. Ausweislich des darin mitgeteilten Ergebnisses der Röntgenaufnahme der Lendenwirbelsäule vom 25. August 2012 und einer Kernspintomographie vom 29. August 2012 ergab sich in Höhe des Lendenwirbelkörpers 4/5 eine zirkuläre Bandscheibenprotrusion, beidseitige Spondylolysen im Lendenwirbelbereich 5 und eine ausgeprägte Bandscheibendegeneration. Diese Befunde betrafen jedoch aufgrund einer Verwechselung eine Person gleichen Namens mit anderem Geburtsdatum aus dem Jahrgang 1958.

Daraufhin erkannte die Beklagte mit Bescheid vom 12. Februar 2013 das Ereignis vom 27. September 2012 als Arbeitsunfall mit der Folge einer Prellung der Lendenwirbelsäule und des linken Knies an. Unfallbedingte Behandlungsbedürftigkeit und Arbeitsunfähigkeit wurde für die Zeit vom 28. September 2012 bis zum 27. Januar 2013 anerkannt. Die Übernahme der Behandlungskosten im Bereich der Wirbelsäule ab dem 28. Januar 2013 wurde abgelehnt. Diese seien nicht Folge des Arbeitsunfalles vom 27. September 2012. Es handele sich um schicksalhafte Veränderungen der Wirbelsäule. Zur Begründung verwies die Beklagte auf eine beratungsärztliche Stellungnahme von Dr. K. vom 8. Februar 2013. Darin führte dieser aus, dass die Diagnose einer Deckplattenimpressionsfraktur im Bereich des ersten Lendenwirbelkörpers bestätigt werden könne. Unfallunabhängig würden sich mehrsegmentale degenerative Veränderungen finden, die nach dem 27. Januar 2013 weiterhin behandlungsbedürftig gewesen seien.

Ein durch den Kläger eingelegter Widerspruch wurde durch Widerspruchsbescheid vom 22. Oktober 2013 zurück gewiesen.

Hiergegen hat der Kläger vor dem Sozialgericht Gotha Klage erhoben. Das Sozialgericht hat den Unfallchirurgen Dr. H. mit der Erstellung eines Gutachtens beauftragt. Dieser führte in seinem Gutachten vom 1. Juli 2014 aus, dass Folge des Unfallereignisses eine Deckplattenimpressionsfraktur des ersten Lendenwirbelkörpers sei, welche zu einer geringgradigen Höhenminderung geführt habe. Diese Fraktur sei knöchern ausgeheilt ohne relevante statische Folgen. Aufgrund einer bestehenden deutlichen Vorschädigung der Lendenwirbelsäule könne die anerkannte Arbeitsunfähigkeit bis zum 27. Januar 2013 nachvollzogen werden, wenn sie auch relativ großzügig bemessen sei. Die nunmehr bestehende andauernde Behandlungsbedürftigkeit habe mit den vorliegenden Unfallfolgen nichts zu tun. Grund hierfür seien die festgestellten ausgeprägten degenerativen Veränderungen. Dies gelte auch für die behandelte Schmerzsymptomatik.

Der Kläger legte daraufhin einen Befundbericht des ihn behandelnden Orthopäden G. vom 28. Oktober 2014 vor. Danach leide der Kläger an einem chronifizierten lumbalen Schmerzsyndrom, welches eine dauerhafte medikamentöse Therapie mit einem Betäubungsmittel (Oxycodon) erforderlich mache.

Durch Urteil vom 20. Juni 2016 hat das Sozialgericht Gotha die Klage abgewiesen. Eine unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit bzw. ein Anspruch auf Heilbehandlung über den 27. Januar 2013 hinaus könne nicht anerkannt werden. Aus dem Sachverständigengutachten von Dr. Hochheim ergebe sich, dass die Wirbelsäule bereits vor dem Unfallereignis starken Abnutzungserscheinungen unterlegen habe. Die nach dem 27. Januar 2013 bestehenden Beschwerden im Rückenbereich könnten angesichts der bestehenden erheblichen degenerativen Veränderungen nicht mit den Unfallfolgen in Zusammenhang gebracht werden. Daher bestehe auch kein Anspruch auf Heilbehandlung über den 27. Januar 2013 hinaus.

Mit der Berufung verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Die Ausführungen des Sachverständigen Dr. Hochheim seien nicht nachvollziehbar. Es sei nicht erklärlich, warum eine Schmerzproblematik vor dem 27. Januar 2013 unfallbedingt und nach diesem Zeitpunkt unfallunabhängig sein solle. Das Sozialgericht habe es unterlassen, den Gutachter zur Erläuterung seines Gutachtens zu laden. Die im Tatbestand des Urteils erwähnten bildgebenden Befunde aus dem August 2012 seien dem Kläger nicht bekannt. Er könne z. B. am 29. August 2012 keinesfalls in ärztlicher Behandlung gewesen sein.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Gotha vom 20. Juni 2016 aufzuheben und unter Abänderung des Bescheides der Beklagten vom 12. Februar 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. Oktober 2013 diese zu verurteilen, unfallbedingte Behandlungsbedürftigkeit und Arbeitsunfähigkeit über den 27. Januar 2013 hinaus anzuerkennen und entsprechend Heilbehandlung zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie bezieht sich zur Begründung auf die Entscheidung des Sozialgerichts.

Der Senat hat im Berufungsverfahren Behandlungsberichte der den Kläger behandelnden Orthopäden und Schmerztherapeuten eingeholt und sodann den Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie Dr. N. mit der Erstellung eines Sachverständigengutachtens beauftragt. Dieser führt in seinem Gutachten vom 15. November 2017 aus, dass Folgen des Arbeitsunfalls vom 27. September 2012 ein knöchern in leichter Keilform verheilter Bruch des ersten Lendenwirbelkörpers und eine verheilte Prellung des Beckens und des linken Knies seien. Unfallunabhängig seien erhebliche degenerative Veränderungen der Lendenwirbelsäule und degenerative Veränderungen beider Hüftgelenke. Der in den Unterlagen vorhandene Röntgen- und MRT-Befund aus dem August 2012 hinsichtlich der Lendenwirbelsäule stamme nicht von dem Kläger. Dort sei zwar auch ein Patient gleichen Vor- und Nachnamens benannt, dieser sei aber aufgrund des genannten Geburtsdatums nicht mit dem Kläger identisch. Zudem seien die Befunde auch nicht mit denen des Klägers in Einklang zu bringen. Der Nachweis des Vorliegens erheblicher degenerativer Veränderungen im Lendenwirbelbereich ergebe sich aus dem MRT-Befund vom 16. November 2012. Bei diesen Veränderungen handele es sich um stumme Vorschädigungen im Sinne von Schadensanlagen. Es seien keine traumabedingten Bandscheibenverletzungen, weil diese nur mit Brüchen der entsprechenden Wirbelkörper einhergingen. Eine Schädigung der beteiligten Bandscheiben durch das Unfallereignis könne ausgeschlossen werden. Aufgrund einer beim Kläger vorliegenden Wachstumsstörung, eines sogenannten "Morbus Scheuermann" liege auch eine teilfixierte Rundrückenbildung vor. Die Dauer der Arbeitsunfähigkeit und Behandlungsbedürftigkeit nach einer Fraktur des ersten Lendenwirbelkörpers sei aus rein unfallchirurgischer Sicht mit ungefähr 12 Wochen anzugeben. Aufgrund der vorhandenen Schadensanlagen sei unfallchirurgischerseits auch eine Behandlungsbedürftigkeit und Arbeitsunfähigkeit von bis zu 4 Monaten nicht zu beanstanden. Eine unfallbedingte Behandlungsbedürftigkeit und Arbeitsunfähigkeit nach dem 27. Januar 2013 sei zu verneinen. Zu berücksichtigen sei jedoch eine chronische Schmerzsymptomatik im Fall des Klägers. Es habe sich ein chronifiziertes Rückenschmerzsyndrom entwickelt, welches einer Therapie mit Morphinderivaten bedurfte. Im Februar/März 2016 sei auch eine stationäre Schmerztherapie durchgeführt worden. Dort sei auch die Diagnose einer chronischen Schmerzstörung gestellt worden. Ob die Schmerzproblematik unfallbedingt sei, bedürfe einer Schmerzbegutachtung.

Daraufhin hat der Senat den Facharzt für Neurologie Dr. M. mit der Erstellung eines Sachverständigengutachtens beauftragt. Dieser führt in seinem Gutachten vom 21. Juli 2018 aus, dass eine unfallbedingte Gesundheitsstörung auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet vollbeweislich nicht festzustellen sei. Die Schmerzproblematik beim Kläger sei am ehesten durch eine Nervenwurzelschädigung im Bereich L1 zu erklären. Eine solche Wurzelschädigung sei jedoch klinisch-neurologisch schwer zu beweisen. Von den MRT-Bildern her sei die L1-Nervenwurzelschädigung nicht plausibel zu erklären. Eine solche Nervenwurzelschädigung lasse sich in keiner einzigen der Untersuchungsserien nachweisen. Unabhängig davon, ob man eine solche Schädigung annehme, sei es unfallbedingt nicht zu erklären, dass sich in langjährigem Verlauf über ca. 6 Jahre die Schmerzen praktisch überhaupt nicht verändert hätten. Jede auf ein einmaliges Ereignis zu beziehende Nervenwurzelschädigung bessere sich im Verlauf. Tue sie dies nicht, liege eine andere Ursache vor. Eine unfallbedingte Behandlungsbedürftigkeit und Arbeitsunfähigkeit nach dem 27. Januar 2013 habe wahrscheinlich infolge der Opiat-Behandlung bestanden. Dieser Verlauf sei aber nicht dokumentiert, sodass ein genauer Zeitraum nicht benannt werden könne.

Der Senat hat eine Auskunft des den Kläger behandelnden Orthopäden Dr. G. bzw. seines Nachfolgers des Orthopäden N. eingeholt, der die Behandlung des Klägers mit Opiaten veranlasste.

Die Beteiligten haben nach Durchführung eines Erörterungstermins am 20. Mai 2019 ihr Einverständnis mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren durch den Berichterstatter (§§ 124 Abs. 2, 155 Abs. 2, 4 des Sozialgerichtsgesetzes SGG) erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und den beigezogenen Verwaltungsvorgang Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte den Rechtsstreit aufgrund des im Erörterungstermin vom 20. Mai 2019 erklärten Einverständnisses der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung durch den Berichterstatter durch Urteil entscheiden (§§ 124 Abs. 2, 155 Abs. 2 und 4 SGG).

Die zulässige Berufung des Klägers hat in der Sache keinen Erfolg. Das Sozialgericht Gotha hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 12. Februar 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. Oktober 2013 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 54 SGG).

Zur Überzeugung des Senats steht fest, dass eine unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit und Behandlungsbedürftigkeit über den 27. Januar 2013 hinaus nicht besteht. Aus dem anerkannten Arbeitsunfall vom 27. September 2012 sind keine über diesen Zeitpunkt hinaus andauernden Unfallfolgen verblieben, sodass die Anspruchsvoraussetzungen für die Gewährung einer weiteren Heilbehandlung bzw. die Feststellung einer weiteren Arbeitsunfähigkeit nicht erfüllt sind.

Ein Anspruch auf Heilbehandlung kann sich aus den §§ 26 ff. SGB VII ergeben. Grundsätzlich haben die Unfallversicherungsträger mit allen geeigneten Mitteln den durch den Versicherungsfall verursachten Gesundheitsschaden zu beseitigen oder zu bessern, seine Verschlimmerung zu verhüten und seine Folgen zu mildern (§ 26 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII). In diesem Rahmen haben Versicherte gemäß den §§ 26 Abs. 1, 27 Abs. 1 Nr. 2 SGB VII Anspruch auf Heilbehandlung, hinsichtlich deren Art, Umfang und Durchführung dem Unfallversicherungsträger gemäß § 26 Abs. 5 SGB VII im Einzelfall ein pflichtgemäßes Auswahlermessen eingeräumt ist. Nach den vorhandenen medizinischen Befunden und Gutachten ist ein solcher Anspruch im Fall des Klägers nach dem 27. Januar 2013 ausgeschlossen. Folge des Arbeitsunfalls vom 27. September 2012 ist nach dem Bescheid vom 12. Februar 2013 ein Bruch des 1. Lendenwirbelkörpers. Dessen Behandlung war nach dem 27. Januar 2013 abgeschlossen. Insoweit bezieht sich der Senat ausdrücklich nicht auf die Ausführungen des Sachverständigen Dr. H. in seinem Gutachten vom 1. Juli 2014. Dessen Feststellungen beruhen zu einem erheblichen Teil auf der Auswertung von bildgebenden Befunden aus dem August 2012. Diese Befunde betreffen jedoch, wie der vom Gericht beauftragte Sachverständige Dr. N. in seinem Gutachten vom 15. November 2017 ebenfalls erkannt hat, nicht den Kläger, sondern eine Person gleichen Vor- und Nachnamens, jedoch mit einem anderen Geburtsdatum. Dass hier eine Namensverwechselung vorliegt und die Befunde dem Kläger nicht zugeordnet werden können, ergibt sich nicht nur aus der Angabe des falschen Geburtsdatums (statt 27. März 1958, 17. August 1958), sondern auch aus den weiteren Ausführungen von Dr. N., wonach die damals erhobenen bildgebenden Befunde dem Kläger auch deshalb nicht zugeordnet werden können, weil sie mit den späteren bildgebenden Befunden, insbesondere dem MRT-Befund vom 16. November 2012, nicht in Einklang zu bringen sind. Auch aus dem eingeholten Vorerkrankungsverzeichnis der damaligen Krankenkasse des Klägers ergibt sich nichts für eine Behandlung im August 2012 im Bereich der Lendenwirbelsäule.

Hinsichtlich der Behandlungsdauer für die beim Kläger als Unfallfolge vorliegende Fraktur des 1. Lendenwirbelkörpers führt Dr. N. in seinem Gutachten aus, dass diese unfallchirurgischerseits nach etwa 12 Wochen bis zur knöchernen Ausheilung gelangen. Aufgrund der beim Kläger gegebenen Schadensanlagen könne auch eine Behandlungsbedürftigkeit und Arbeitsunfähigkeit von bis zu 4 Monaten plausibel angenommen werden. Fest steht nach den Ausführungen von Dr. N., dass die Fraktur konservativ funktionell zur Ausheilung gebracht werden konnte. Dies ergibt sich auch aus einer erneuten kernspintomographischen Kontrolle vom 5. Februar 2013. Danach war das Knochenödem, was frische Frakturfolgen anzeigt, fast vollständig rückläufig. Die Fraktur hat nur zu einer geringfügigen Keilwirbelbildung geführt. Die Behandlungsbedürftigkeit des Klägers nach dem 27. Januar 2013 im Bereich der Lendenwirbelsäule beruhte nach den Ausführungen von Dr. N. auf den festgestellten erheblichen degenerativen Veränderungen im Bereich der gesamten Lendenwirbelsäule. Es wurden erhebliche Veränderungen wie Bandscheibenvorwölbungen und auch eine Einengung des Rückenmarkkanals festgestellt. Ebenfalls sind im MRT-Befund vom 16. November 2012 Verschleißerscheinungen der Kreuzdarmbeingelenke zu entnehmen. Ferner bestand zum Unfallzeitpunkt beim Kläger eine Fehlform der Brustwirbelsäule in Form eines Rundrückens als Folge einer Wachstumsstörung eines sogenannten "Morbus Scheuermann". Folge dessen war eine teilfixierte Rundrückenbildung.

Die beim Kläger zeitlich nach dem Unfallereignis auftretende erhebliche Schmerzsymptomatik im Rückenbereich bedingte ebenfalls keine Behandlungsbedürftigkeit über den 27. Januar 2013 hinaus. Nach den Ausführungen des Sachverständigen und Facharztes für Neurologie Dr. M. in seinem Gutachten vom 21. Juli 2018 ist als Grund für die Schmerzen ein Nervenwurzelschmerz im Bereich L1 anzunehmen. Dieser ist jedoch vollbeweislich nicht gesichert. Die fehlende vollbeweisliche Sicherung begründet der Sachverständige Dr. M. nachvollziehbar damit, dass nach den MRT-Bildern die L1-Nervenwurzelschädigung nicht plausibel erklärt werden kann und die L1-Wurzelschädigung zugleich klinisch-neurologisch schwer zu beweisen ist, da keine Reflexe existieren, die eine solche Schädigung belegen. Zudem gibt es auch keine Möglichkeit eine Schädigung dieser Nervenwurzel elektromyographisch zu belegen. Allenfalls ein Fehlen der Bauchhautreflexe in den unteren Etagen könnte ein Hinweis sein. Jedoch sind diese beim Kläger auch links sehr gut erhältlich. Die Sicherung einer unfallbedingten Nervenwurzelschädigung L1 scheidet nach den Ausführungen des Sachverständigen Dr. M. jedenfalls deshalb aus, weil es sich nach seinen Ausführungen nicht erklären lässt, dass sich im langjährigen Verlauf über ca. 6 Jahre nach dem Unfallereignis die Schmerzen überhaupt nicht verändert haben. Nach medizinischen Erkenntnissen bessert sich jede auf einem einmaligen Ereignis beruhende Nervenwurzelschädigung im Verlauf. Dies ist ein erheblicher Gesichtspunkt, der dagegen spricht, eine solche Nervenwurzelschädigung als unfallbedingt anzusehen.

Des Weiteren scheidet es aus, eine Behandlungsbedürftigkeit über den 27. Januar 2013 hinaus wegen der erfolgten Opiat-Behandlung und ihren Folgen anzunehmen. Bei der Opiat-Behandlung und ihren Folgen handelt es sich um eine mittelbare Unfallfolge im Sinne von § 11 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII. § 11 SGB VII stellt eine spezielle Zurechnungsnorm dar, die Gesundheitsschäden einem anerkannten Versicherungsfall zurechnet (vgl. BSG, Urteil vom 6. September 2018, B 2 U 16/17 R, zitiert nach Juris). Aber auch diese gesetzliche Zurechnung setzt voraus, dass die Erfüllung des jeweiligen Tatbestands des § 11 SGB VII durch das anerkannte Unfallereignis notwendig bedingt war (vgl. BSG, Urteil vom 5. Juli 2011, B 2 U 17/10 R, BSG-E 108, 274).

Vorliegend scheitert eine Zuordnung der Opiat-Behandlung zu den Folgen des Arbeitsunfalls vom 27. September 2012 daran, dass die Verordnung von opiathaltigen Medikamenten nicht im Rahmen der Durchführung einer Heilbehandlung im Sinne des § 11 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII erfolgte.

Die Durchführung einer Heilbehandlung im Sinne des § 11 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII ist zu bejahen, wenn der Unfallversicherungsträger dem Versicherten einen Anspruch auf eine bestimmte Heilbehandlungsmaßnahme nach den §§ 26 ff SGB VII - nicht notwendig durch Verwaltungsakt in Schriftform - bewilligt oder ihn durch seine Organe oder Leistungserbringer zur Teilnahme an einer solchen diagnostischen oder therapeutischen Maßnahme aufgefordert hat und der Versicherte an der Maßnahme des Trägers - den Anordnungen der Ärzte folgend - teilnimmt. Die gesetzliche Zurechnung beruht nach der Rechtsprechung des BSG (vgl. Urteil vom 5.7.2011 - B 2 U 17/10 R - BSGE 108,274) auf der (grundsätzlich auch mitwirkungspflichtigen) Teilnahme des Versicherten an einer vom Unfallversicherungsträger oder diesem zurechenbar bewilligten oder angesetzten Maßnahme. Es kommt rechtlich nicht darauf an, ob die Heilbehandlungsmaßnahme durch den Träger objektiv rechtmäßig war oder ob objektiv ein Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung (§ 26 Abs. 5 S 1 SGB VII) über die Bewilligung eines Anspruchs auf diese Heilbehandlung bestand. Nicht notwendig ist deshalb, dass objektiv, d. h. aus der nachträglichen Sicht eines fachkundigen Beobachters, die Voraussetzungen eines Versicherungsfalls oder einer Unfallfolge im engeren Sinne wirklich vorlagen. Auch objektiv nicht durch den Arbeitsunfall bedingte Heilbehandlungen können die Tatbestände des § 11 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII oder ggf. § 11 Abs. 1 Nr. 3 SGB VII auslösen.

Eine Heilbehandlung im Sinne des § 11 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII ist deshalb zu bejahen, wenn ein D-Arzt der gesetzlichen Unfallversicherung in dieser Funktion zur Behandlung einer von ihm als unfallbedingt eingeschätzten Gesundheitsbeeinträchtigung ohne weiteren Kontakt zum Unfallversicherungsträger tätig wird oder dem Versicherten gegenüber eindeutig und klar erklärt, dass es sich bei dem ärztlichen Eingriff um eine Heilbehandlungsmaßnahme zu Lasten der gesetzlichen Unfallversicherung aufgrund eines Arbeitsunfalls handelt. Denn der D-Arzt hat gemäß § 27 Abs. 1 des Vertrags nach § 34 Abs. 3 SGB VII unter Berücksichtigung von Art oder Schwere der Verletzung zu beurteilen und zu entscheiden, ob eine allgemeine oder eine besondere Heilbehandlung erforderlich ist. Leitet er eine besondere Heilbehandlung ein, so führt er die Behandlung durch. Dem D-Arzt kommt damit an dieser Stelle die Funktion eines Amtswalters des Unfallversicherungsträgers zu, der für den Versicherungsträger verbindlich den Behandlungs- und Untersuchungsanspruch des Versicherten konkretisiert und für dessen Fehler der Versicherungsträger ggf. zu haften hat (vgl. BGH vom 29.11.2016 - VI ZR 208/15 - BGHZ 213, 120). Bei den Zurechnungstatbeständen des § 11 SGB VII muss sich der Unfallversicherungsträger daher das Handeln des D-Arztes grundsätzlich zurechnen lassen (vgl. BSG vom 5.7.2011 - B 2 U 17/10 R - BSGE 108, 274).

Gemessen an diesen Grundsätzen kann die im Fall des Klägers erfolgte Opiat-Behandlung nicht der Beklagten zugerechnet werden. Begonnen wurde die Opiat-Therapie durch den Orthopäden G. am 15. April 2013. Zunächst wurde Tilidin und dann ab 11. September 2013 das BTM-pflichtige Oxycodon verordnet. Diese Verordnungen erfolgten (vgl. Stellungnahme des Orthopäden N. als Praxisnachfolger von Dr. G. vom 28. August 2019) zu Lasten der gesetzlichen Krankenkasse des Klägers der. Diese Auskünfte sind mit der Stellungnahme von Dr. G. vom 28. Oktober 2014 in Einklang zu bringen. Dass keine opiathaltigen Medikamente durch Durchgangsärzte verordnet wurden, ergibt sich auch aus dem Zwischenbericht von Dr. L. vom 16. Januar 2013. Danach sind dem Kläger die Medikamente Arcoxia und Katadoin verordnet worden. Diese enthalten keine Opioide.

Daher kann der Kläger nicht die Feststellung beanspruchen, dass die Beklagte über den 27. Januar 2013 hinaus Heilbehandlungsmaßnahmen in seinem Fall durchzuführen hatte. Ebenso besteht über den genannten Termin hinaus keine unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit. Vielmehr ergibt sich aus allen Sachverständigengutachten, dass die gesundheitlichen Probleme des Klägers auf degenerativen Veränderungen im Lendenwirbelsäulenbereich beruhen, die mit dem Unfallereignis nicht im Zusammenhang stehen. Die Behandlung der Unfallfolgen war Ende Januar 2013 abgeschlossen. Auch wegen der Opiatbehandlung kommt, wie bereits im Rahmen der Feststellung eines Anspruchs auf Heilbehandlung, ausgeführt, eine Zurechnung gegenüber der Beklagten und ein dementsprechend möglichweise bestehender Anspruch auf Anerkennung unfallbedingter Arbeitsunfähigkeit nicht in Betracht.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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