S 35 KR 71/13

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
SG Halle (Saale) (SAN)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
35
1. Instanz
SG Halle (Saale) (SAN)
Aktenzeichen
S 35 KR 71/13
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Mammaaugmentationsplastik (MAP) bei Nichtanlage von Brüsten aufgrund von genetischer Erkrankung, Gleichbehandlung mit Brustaufbau nach Mastektomie
Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheids vom 24.09.2012 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 22.01.2013 verurteilt der Klägerin eine Mammaaugmentationsplastik als Sachleistung zu gewähren.

Der Beklagte erstattet der Klägerin die notwendigen außergerichtlichen Kosten.

Die Sprungrevision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Versorgung der Klägerin mit einer beidseitigen Mamma-Augmentationsplastik (MAP).

Die 1984 geborene, bei der beklagten Krankenkasse (KK) versicherte Klägerin leidet an dem Camurati-Engelmann-Syndrom. Dabei handelt es sich um eine seltene, autosomal dominant vererbte Erkrankung, die im Wesentlichen mit einer Knochendysplasie einhergeht. Die Klägerin beantragte am 30.7.2012 bei der Beklagten die Kostenübernahme für eine Brustvergrößerung. In dem Antrag führt sie aus, sie sei nunmehr 27 Jahre alt, 1,60 m groß und wiege 55 kg. Da sich aufgrund der Erkrankung keine Brust entwickelt habe -auch nicht in der Pubertät- habe sie sich jetzt entschieden, sich operieren lassen zu wollen. Beigefügt war eine Stellungnahme des Universitätsklinikums J., in der als Ergebnis ausgeführt wird, es liege eine Mammahypoplasie beiseits vor, lediglich die Mamillen seien wie bei Adulten ausgebildet. Als weiteres Vorgehen wird eine Augmentation beidseits als medizinisch indiziert angesehen. Aufgrund der Erkrankung der Patientin mit Knochen- und Muskelstoffwechselstörungen werde von einem Brustaufbau mittels körpereigenem Gewebe abgeraten, es solle eine Brustbildung mittels Implantaten vorgenommen werden. Weiter war beigefügt eine Stellungnahme des behandelnden Internisten Dr. med. A., der die Durchführung der Augmentations-Plastik ebenfalls unterstützt und zwei Fotos der Brüste der Klägerin im unbekleideten Zustand.

Die Beklagte schaltete den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) ein, der aufgrund eines Gutachtens nach Aktenlage vom 13.9.2012 darauf hinwies, dass den Befunden eine deutliche Mammahypoplasie beiseits zu entnehmen sei, die jedoch dem Normbereich weiblicher Brustformen- und Größen zuzuordnen sei. Krankhafte Befunde seien nicht feststellbar. Der Wunsch der Versicherten nach einer Mammaaugmentation beiseite trage rein kosmetischen Charakter. Echte Alternativen zu der begehrten Operation stünden zwar nicht zur Verfügung, bei Bedarf könne die Verwendung von Einlagen in Miederwaren und Badebekleidung empfohlen werden.

Die Beklagte lehnte auf dieser Grundlage mit Bescheid vom 24.09.2012 die Versorgung der Klägerin mit einer MAP ab.

Hiergegen legte die Klägerin Widerspruch ein, in dem sie darauf verwies, bei ihr bestehe eine Brustfehlbildung aufgrund der Erkrankung am Camurati-Engelmann-Syndrom und der Brustaufbau habe nicht lediglich einen rein kosmetischen Charakter, sondern diene einer Brustbildung überhaupt.

Im Rahmen der Widerspruchsbegutachtung durch den MDK verwies dieser darauf, dass das Krankheitsbild des Camurati-Engelmann-Syndroms keine Mammahypoplasie bzw. Mammaaplasie als erkrankungsspezifisches Symptom beinhalte. Es verbleibe daher nach Auffassung des MDK dabei, dass die angestrebte Korrektur des äußeren Erscheinungsbildes im Bereich der Mammae rein kosmetischen Charakter trage.

Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 24.1.2013 zurück. Zur Begründung führt sie aus, ein Anspruch auf Krankenbehandlung gemäß § 27 Abs. 1 Satz 2 SGB V sei nur gegeben, wenn eine Krankheit im Sinne der gesetzlichen Krankenversicherung vorliege. Dies sei ein regelwidriger Körper- und Geisteszustand, der ärztlicher Behandlung bedürfe oder zugleich oder ausschließlich Arbeitsunfähigkeit zur Folge habe. Als regelwidrig sei dabei ein Zustand anzusehen, der von der Norm, vom Leitbild des gesunden Menschen abweiche. Entscheidungskriterium müsse sein, ob eine Krankheit im Rechtssinne vorliege oder eine Schwächung der Gesundheit, die in absehbarer Zeit voraussichtlich zu einer Krankheit führen würde. Dabei sei zu berücksichtigen, dass gesetzliche Krankenkassen nicht verpflichtet seien, zur Behebung einer psychischen Störung die Kosten für den operativen Eingriff in einem im Normalbereich liegenden Körperzustand zu tragen.

Auch sei in der sozialgerichtlichen Rechtsprechung anerkannt, dass eine kleine Brust keine Krankheit im Sinne der Krankenversicherung darstelle.

Mit ihrer am 8.02.2013 beim Sozialgericht eingegangenen Klage begehrt die Klägerin weiterhin die Gewährung einer MAP durch die Beklagte als Sachleistung.

Sie verweist darauf, dass bei ihr eine erhebliche Brustfehlbildung in Form einer Nichtanlage der weiblichen Brust gegeben sei. Darunter leide sie auch psychisch massiv, sie meide öffentliche Einrichtungen, Besuche weder Schwimmbäder noch Reha-Sporteinrichtungen, obwohl dies für die bestehende Rückenerkrankung von großer Bedeutung sei. Es sei bei ihr nicht so, dass sich eine Brust entwickelt habe, die lediglich klein sei, was bei einer Körbchengröße A eine Differenz von 12-14 cm zwischen Brustumfang und Unterbrustumfang ergebe, sie habe gar keine Brüste, sondern nur die ausgebildete Brustwarze. Daher sei der Verweis auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zu kleinen Brüsten nicht einschlägig, da bei der ihr eben gar keine weibliche Brust angelegt sei.

Es sei vielmehr fraglich, warum bei Brustamputation aufgrund von Brustkrebserkrankungen regelmäßig als Kassenleistung auch der Brustaufbau als medizinisch erforderlich und Kassenleistung angesehen werde, bei der Klägerin jedoch, die auch aus krankheitsbedingten Gründen über keine Brust verfüge, ein solcher Brustaufbau kategorisch abgelehnt werde. Die Klägerin gehe davon aus, dass es für ein weibliches Erscheinungsbild wesentlich sei, überhaupt über eine Brust zu verfügen. Dies sei bei ihr nicht der Fall.

Die Klägerin beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 24.09.2012 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 22.01.2013 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin eine beidseitigen Mamma-Augmentationsplastik als Sachleistung zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend und verweist ergänzend darauf, dass sich weder aus der Stellungnahme des MDK noch aus einer von der Beklagten selbst vorgenommenen Internetrecherche ergebe, dass die wenig entwickelte Brust der Klägerin auf der Erkrankung an dem Camurati-Engelmann-Syndrom beruhe. Im Weiteren werde in keiner der medizinischen Stellungnahmen ein direktes Krankheitsbild der Brüste der Klägerin beschrieben. Auch der Hinweis auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zu MAP bei Transsexuellen könne nicht durchgreifen, insoweit habe das Bundessozialgericht in der Entscheidung vom 11.9.2012 ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Ausführungen aufgrund des besonderen Krankheitsbildes nur für Transsexuelle gelten würden und dieser Weg für kosmetische Operationen bei nicht transsexuellen Versicherten weiterhin versperrt sei.

Das Gericht hat Beweis erhoben durch die Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens des Professor Dr. med K., Universitätsklinik für Reproduktionsmedizin und gynäkologische Endokrinologie. Auf das schriftliche Gutachten vom 21.5.2014 und die Ergänzung vom 26.3.2015 wird Bezug genommen.

Die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte der Beklagten haben vorgelegen und waren Gegenstand der Erörterung mit den ehrenamtlichen Richterinnen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Sachvortrages der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte ergänzend verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig und begründet.

Die Klägerin hat Anspruch auf Versorgung mit einer MAP als Sachleistung aus § 27 Abs 1 S 1 SGB V, da bei ihr eine Erkrankung vorliegt, die nur durch die streitige MAP behandelt werden kann.

Versicherte - wie die Klägerin - haben nach § 27 Abs 1 S 1 SGB V Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die begehrte MAP ist hier die notwendige Krankenbehandlung.

Die Klägerin leidet an dem Camurati-Engelmann-Syndrom, wobei es sich um eine seltene, autosomal dominant vererbte Erkrankung handelt, die überwiegend mit einer Knochendysplasie einhergeht.

Nach den Ausführungen des gerichtlich beauftragten Gutachters Professor Dr. med. K. liegt bei der Klägerin ein Typ II des Camurati-Engelmann-Syndroms vor.

Der Gutachter führt dazu aus, auch wenn die Knochenveränderungen im Vordergrund stünden, seien die Begleiterkrankungen zu beachten. Bei der Klägerin mit dem Typ II-Erkrankungsbild komme es aufgrund der genetischen Besonderheiten zu einem sog. marfanoiden Habitus, mit einem Watschelgang und Muskelschwäche. Im Weiteren komme bei der Klägerin hinzu, dass die anamnestisch erhobene verspätete Sexualentwicklung vorliege, die typisch für den Typ II des Camurati-Engelmann-Syndroms sei. Nur unter Einnahme von Hormonpräparaten, hier Cyclo Progynova sei es überhaupt zu einem menstruellen Zyklus gekommen. Allerdings sei es auch unter dieser Therapie nicht zu einer Brustentwicklung gekommen. Die Brust entspreche einem Tanner-Stadium B2, was für Mädchen im Alter von 11-12 Jahren typisch sei. Dabei liege unter der Mamille eine minimale Gewebsverdichtung vor, ein typisches Brustdrüsengewebe ließe sich auch sonografisch nicht verifizieren. Aufgrund des fehlenden Nachweises von Mamma-Gewebe sei auch durch eine hochdosierte Östrogentherapie keine substantielle Brustentwicklung im Sinne einer reifen Brust (Tanner-Stadien B4/B5) zu erwarten, vielmehr erhöhe sich dadurch nur das Risiko von anderen Erkrankungen. Die Brustentwicklung bei der Klägerin entspreche einer präpubertären Brust, in der eine diskrete, tastbare Vorwölbung vorliege, ohne dass abgrenzbares Drüsengewebe gegeben sei. Diese Größenentwicklung bedürfe keiner Körbchengröße A. Daher ging der Gutachter davon aus, dass die bei der Klägerin vorliegende ausgeprägte Mammahypoplasie Krankheitswert habe. Dieser Zustand sei nur mit einer beidseitigen Implantateinlage korrigierbar. In der ergänzenden Stellungnahme, die nach Einwänden der Beklagtenseite eingeholt worden war, erklärte der Gutachter, dass durch die Mammaaplasie keine körperlichen Funktionsstörungen im engeren Sinne vorliegen würden, die durch die KMAP behoben werden könnten. Allerdings sei die Integrität der Person durch die fehlende Brust gestört. Durch die fehlende Brust nehme die Klägerin eine Fehlhaltung ein, sie kaschiere diese Missbildung. Durch die MAP könne die Integrität der Körpersilhouette hergestellt und das Erscheinungsbild normalisiert werden. Nach Auffassung des Gutachters bedeute es brustlos zu sein für jede Frau eine Entstellung. Es handele sich nicht um ein kosmetisches Problem, sondern um eine Missbildung, die einer adäquaten Therapie bedürfe.

Die Klägerin hat Anspruch auf die Bewilligung der begehrte MAP.

Dabei ist es unerheblich, dass dadurch keine vorhandenen Funktionsstörungen behoben werden können, sondern "nur" das äußere Erscheinungsbild im Brustbereich verändert wird.

Das Gericht schließt sich grundsätzlich der Auffassung des Bundessozialgerichts und der ständigen Rechtsprechung der Sozialgerichte an, dass rein kosmetische Operationen, die das äußere Erscheinungsbild im Hinblick auf eine idealtypische oder in einer bestimmten Zeit als idealtypisch angesehene Körpersilhouette hin verändern sollen, nicht Gegenstand von Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung sind. Dieser Grundsatz gilt weiterhin, auch wenn derzeit zahlreiche chirurgische Verfahren zur Veränderung des Körperbildes sich immer weiter etablieren.

Das Gericht geht aber auch davon aus, dass in Fällen in denen aus krankheitsbedingten Gründen die Körpersilhouette nicht dem entspricht, was als geschlechtstypisch "normal" angesehen wird, ein Behandlungsanspruch gegeben sein kann. Das dürfte immer dann der Fall sein, wenn der tatsächliche Körperbefund sich gar nicht mit dem als normal angesehenen Körperbefund in Einklang bringen lässt.

Das ist nach Auffassung der Kammer bei jeglichem Fehlen einer weiblichen Brust bei Frauen der Fall.

Aus dem Sachverständigengutachten, den Befundberichten und der Fotodokumentation geht hervor, dass die Klägerin über keine Brustanlage verfügt. Es sind lediglich Brustwarzen erkennbar, die denen einer erwachsenen Frau entsprechen. Anders als beispielsweise in dem vom BSG entschiedenen Fall (Urteil vom 19.10.2004, B 1 KR 3/03 R, zitiert nach juris) verfügt die Klägerin auch nicht über Hauttaschen oder ähnliches, die die Anmutung einer kleinen Brust vermitteln.

Der Befund entspricht damit dem nach einer Mastektomie mit erhaltener Brustwarze.

Beruht dieser Befund auf einer Erkrankung, wie bei der Klägerin vorliegend auf dem Camurati-Engelmann-Syndrom, ist davon auszugehen, dass ein Anspruch auf einen Brustaufbau besteht, wie dies bei dem Zustand der "Brustlosigkeit" nach einer Mastektomie bei Mammakarzinom unstreitig gegeben wäre.

Das Gericht geht davon aus, dass dieser Anspruch aus Gleichbehandlungsgründen gegeben ist, da bei dem Krankheitsbild des Mammakarzinoms völlig unproblematisch davon ausgegangen wird, dass ein Anspruch auf Brustaufbau besteht. Dieser kann unmittelbar im Rahmen der Mastektomie geltend gemacht werden oder auch später (vgl. dazu: www.krebsinformationsdienst.de/tumorarten/brustkrebs/brustaufbau.phpinhalt3)

Es ließ sich in juris kein Fall finden, in dem die gesetzliche Krankenversicherung eine solche OP abgelehnt hätte.

Daher würde ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG vorliegen, wenn der Klägerin der Brustaufbau bei krankheitsbedingter "Brustlosigkeit" verwehrt werden würde. Die Argumentation aus der Entscheidung des BSG vom 28.02.2008 -B 1 KR 19/07 R, zitiert nach juris), dass der wesentliche Unterschied zwischen den Patientinnen mit Mammakarzinom darin bestehe, dass bei einer Brustasymmetrie bereits gar keine Krankheit im Sinne des § 27 SGB V vorliege, kann vorliegend nicht durchgreifen. Der vom Gericht bestellte Sachverständige hat ausdrücklich betont, dass die nicht vorhandene Brustanlage der Klägerin auf dem Krankheitsbild des Camurati-Engelmann-Syndroms beruht. Dabei handelt es sich um eine Krankheit im Sinne des § 27 SGB V, da ein regelwidriger Körperzustand vorliegt, der der Behandlung bedarf, sei es soweit die orthopädischen Leiden betroffen sind oder die gynäkologischen.

Art. 3 Abs. 1 GG verbietet nämlich die Ungleichbehandlung von wesentlich Gleichem, was hier die Verweigerung einer Operation ist, die anderen in gleicher Weise Betroffenen regelmäßig gewährt wird.

Auch führt der Gutachter dazu aus, "brustlos" zu sein, bedeute für jede Frau eine "Entstellung", um auf die Nachfrage der Krankenkasse einzugehen. Gemeint war damit jedoch -wie auch von den behandelnden Ärzten der Klägerin eingeschätzt-, dass bei völlig fehlenden Brüsten die Körperintegrität verletzt ist, woraus sich Behandlungsbedürftigkeit ergibt.

Die Klägerin kann auch nicht darauf verwiesen werden, dass sie das Fehlen der Brüste durch Einlagen in BHs oder andere Hilfsmittel kaschieren könne, da dies weder bei Schwimmbad-Besuchen oder ähnlichem möglich ist, noch das Grundproblem der fehlenden Brust als Bestandteil der weiblichen Identität lösen kann.

Es bedarf dabei nicht des Rückgriffs auf die Rechtsprechung zur "Entstellung", da bei vollständigem Fehlen einer weiblichen Brust bei Frauen schon ein Befund vorliegt, dem per se Krankheitswert zukommt. Anders lässt sich die überwiegende Auffassung nicht begründen, dass nach Mastektomien der Brustaufbau quasi "dazugehört". Das behandlungsbedürftige Mammakarzinom lässt nämlich sich auch ohne einen nachfolgenden Brustaufbau vollständig heilen. Der Anspruch auf den Brustaufbau ergibt sich daraus, dass ein bestimmtes Erscheinungsbild zu dem geschlechtstypischen Körper gehört, der aufgrund einer anderen Krankheit (sei es Mammakarzinom oder Camurati-Engelmann-Syndrom) schwer beeinträchtigt ist.

Ohne diese grundlegende Annahme würde auch der gesamten Argumentation des Bundessozialgerichts, dass ein Anspruch auf eine medizinische Behandlung besteht, um sich einem bestimmten geschlechtsbezogenen Erscheinungsbild deutlich anzunähern, die Grundlage fehlen.

Auch die Entscheidung des BSG zu den Intersexuellen stützt diese Annahme (Urteil vom 04.03.2014,-B 1 KR 69/12 R, zitiert nach juris). Hier wird die Rechtsprechung zu den Transsexuellen als grundsätzlich anwendbar erachtet. Die dortige Klägerin begehrte aufgrund einer körperlichen Geschlechtsentwicklungsstörung eine MAP, ohne dem Kreis der Transsexuellen anzugehören.

Das BSG geht davon aus, dass auch in diesem Fall Versicherte gegen ihre KK einen Anspruch auf geschlechtszuweisende oder -verdeutlichende Behandlungsmaßnahmen einschließlich chirurgischer Eingriffe haben, um sich einem bestimmten geschlechtsbezogenen Erscheinungsbild - im Fall des BSG dem der Frau - deutlich anzunähern.

Das BSG hat in dem Fall den Anspruch der Klägerin lediglich deshalb verneint, da diese bereits einen körperlichen Status erreicht hatte, der dem in der Transsexuellen-Rechtsprechung entsprach, nämlich die Herbeiführung eines äußerlichen Zustandes, der aus der Sicht eines verständigen Betrachters dem Erscheinungsbild des phänotypisch angestrebten Geschlechts deutlich angenähert ist und Körbchengröße A ausfüllt.

Die Klägerin erfüllt die Voraussetzungen für eine Versorgung mit einer MAP, da sie in keiner Weise über Brüste verfügt, die dem Erscheinungsbild einer Frau entsprechen, sondern dem eines vorpubertären Mädchens.

Da nach den Feststellungen des Sachverständigen auch keine anderen Möglichkeiten bestehen, das Brustwachstum herbeizuführen ist die MAP auch die ultima Ratio und daher von der KK als Sachleistung zu erbringen.

Dass möglicherweise eine langdauernde Psychotherapie der Klägerin die Möglichkeit geben würde, ihren Körperzustand anzunehmen und sich auch ohne die MAP als "vollwertige" Frau zu fühlen, steht dem Anspruch nicht entgegen. Dies würde nämlich ebenso für die Frauen nach Mastektomie gelten, von denen solches aufgrund des vorrangig körperlichen Beschwerdebildes auch nicht verlangt wird.

Im Übrigen ließe sich damit die gesamte Rechtsprechung zur Entstellung entkräften, da mit einer positiven Einstellung zum eigenen Erscheinungsbild, es sich auch mit einem Körperbild gut leben lässt, das von der Rechtsprechung unter den Begriff der "Entstellung" gefasst wird.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die von Sprungrevision wird zugelassen, da die Ansprüche versicherter Frauen, die aufgrund einer Erkrankung keine Brustanlage haben, auf Brustaufbauplastiken im Rahmen des SGB V – soweit ersichtlich - bislang obergerichtlich nicht entschieden wurden und die Rechtssache daher grundsätzliche Bedeutung hat (§ 160 Abs. 2 Ziff. 1 SGG), insbesondere da die Entscheidung des BSG vom 19.10.2004 mit einem Inhalt zitiert wird, der ihr nicht zu entnehmen ist.
Rechtskraft
Aus
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