S 8 AL 73/03

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Aachen (NRW)
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 8 AL 73/03
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Der Bescheid vom 16.04.2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.06.2003 wird aufgehoben. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger eine Arbeitsberechtigung zu erteilen. Die Beklagte hat die Kosten des Klägers zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über einen Anspruch des Klägers auf Erteilung einer Arbeitsberechtigung.

Der 00.00.0000 geborene Kläger lebt seit dem 21.04.2000 in der Bundesrepublik Deutschland. Er ist polnischer Staatsangehöriger und hat eine bis zum 21.03.2005 befristete Aufenthaltserlaubnis. Der Kläger ist der Sohn der ehemaligen polnischen Staatsangehörigen G1. Diese hatte zunächst eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis und erhielt mit Einbürgerungsurkunde vom 16.12.2003 die deutsche Staatsangehörigkeit. Mit Beschluss vom 20.01.2003 erklärte das Amtsgericht I die Adoption des Klägers durch den deutschen Staatsangehörigen G2, den Ehemann der Mutter des Klägers.

Am 26.03.2003 beantragte der Kläger die Erteilung einer Arbeitsberechtigung.

Mit Bescheid vom 16.04.2003 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Die Voraussetzungen von § 286 SGB III lägen nicht vor. Auch ein Anspruch auf eine Arbeitsberechtigung nach § 2 Abs. 1 der Arbeitsgenehmigungsverordnung (ArGV) lägen nicht vor. Dem stehe insbesondere entgegen, dass der Kläger erst nach Vollendung des 18. Lebensjahres in das Bundesgebiet eingereist sei.

Den nicht begründeten Widerspruch wies die Beklagte mit Bescheid vom 11.06.2003 zurück.

Hiergegen richtet sich die am 10.07.2003 erhobene Klage. Der Kläger meint, der Anspruch auf Erhalt einer Arbeitsberechtigung ergebe sich jedenfalls aus dem Europa-Abkommen vom 16.12 1991 zur Gründung einer Assoziation zwischen den europäischen Gemeinschaften und ihren Mitgliedsstaaten einerseits und der Republik Polen andererseits (Europa-Abkommen; BGBl 1993, Teil II S. 1316 f). Der Kläger hat den Aufenthaltstitel seiner Mutter und deren Einbürgerungsurkunde in Kopie vorgelegt.

Der Kläger beantragt,

den Bescheid vom 16.04.2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.06.2003 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm eine Arbeitsberechtigung zu erteilen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie meint, dass Assoziierungsabkommen sei keine geeignete Rechtsgrundlage zur Erteilung einer Arbeitsberechtigung.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze und die übrige Gerichtsakte sowie die beigezogenen Akten der Beklagten und der Kreisverwaltung I verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist begründet. Der angefochtene Bescheid ist rechtswidrig im Sinne des § 54 Abs. 2 SGG. Der Kläger hat einen Anspruch auf Erhalt einer Arbeitsberechtigung.

Allerdings ist der Beklagten dahingehend Recht zu geben, dass die Voraussetzungen der §§ 286 SGB III und 2 ArGV nicht erfüllt sind. Insbesondere besitzt der Kläger keinen nach § 23 Abs. 1 AuslG erteilte Aufenthaltserlaubnis im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 1 ArGV. Denn diese Vorschrift verpflichtet zur Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis lediglich dann, wenn es sich um ein ausländisches minderjähriges lediges Kind eines Deutschen handelt. Der Kläger war indes bei Einreise nicht mehr minderjährig. Seine Aufenthaltserlaubnis wurde gemäß § 17 Abs. 1 AuslG erteilt (Aufenthaltserlaubnis für die Herstellung und Wahrung der familiären Lebensgemeinschaft).

Indes hat die Kammer Zweifel daran, ob diese Rechtslage mit dem nach Artikel 6 GG gebotenen Schutz von Ehe und Familie vereinbar ist. Die Eltern des Klägers und sein jüngerer Bruder leben im Bundesgebiet. Dem Kläger die Arbeitsberechtigung zu verweigern bedeutet, ihn faktisch dazu zu zwingen, Deutschland zu verlassen. § 17 Abs. 1 AuslG ermöglicht die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis ausdrücklich "zum Zwecke des nach Artikel 6 des Grundgesetzes gebotenen Schutzes von Ehe und Familie". Diese Norm würde faktisch unterlaufen, wenn der ausländische Familienangehörige - wie der Kläger - zwar eine Aufenthaltserlaubnis, nicht jedoch Zugang zum bundesdeutschen Arbeitmarkt erhält.

Die abschließende Entscheidung dieser Frage kann jedoch dahinstehen. Denn der Anspruch des Klägers ergibt sich jedenfalls aus Artikel 37 des genannten Europa-Abkommens. Gemäß Artikel 37 Abs. 1 2. Spiegelstrich Europa-Abkommen haben vorbehaltlich der in den einzelnen Mitgliedsstaaten geltenden Bedingungen und Modalitäten die rechtmäßig im Gebiet eines Mitgliedstaates wohnhaften Ehegatten und Kinder eines dort rechtmäßig beschäftigten Arbeitnehmers Zugang zum Arbeitsmarkt des Mitgliedstaates während der Geltungsdauer der Arbeitserlaubnis dieses Arbeitnehmers.

Der Kläger ist rechtmäßig im Gebiet eines Mitgliedstaates wohnhaftes Kind eines hier rechtmäßig beschäftigten Arbeitnehmers. Die Tatsache, dass der Vater des Klägers Deutscher und die Mutter des Klägers mittlerweile auch eingebürgert ist, steht der Anwendung dieser Vorschrift nicht entgegen. Denn wenn Kinder von rechtmäßig beschäftigten polnischen Arbeitnehmern Zugang zum Arbeitsmarkt der Bundesrepublik erhalten, muss dies erst recht für Kinder ehemals polnischer Arbeitnehmer, die mittlerweile Deutsche sind, gelten.

Artikel 37 Abs. 1 des Europa-Abkommens ist für die Entscheidung des Rechtsstreites unmittelbar anwendbar. Der Bundestag hat mit Gesetz vom 26.08.1993 dem Europa-Abkommen zugestimmt, so dass das Abkommen innerstaatliche Geltung hat (Jarras-Pieroth, Grundgesetz Rd.-Nr. 15 zu Artikel 59 mit Hinweis auf die einschlägige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts).

Im Gegensatz zur Meinung der Beklagten steht der Vorbehalt in Artikel 37 Abs. 1 Europa-Abkommen der Herleitung eines Anspruchs aus dieser Vorschrift nicht entgegen. Zwar wird in der Literatur vertreten, dass keines der Kooperations- und Assoziationsabkommen, auch nicht die neuen Europa-Abkommen mit den osteuropäischen Staaten, eine Freizügigkeit gewährleiste, die der nach Artikel 48 EG-Vertrag gleichkomme; ein Recht auf freien Zugang zum bundesdeutschen Arbeitsmarkt werde nicht eingeräumt (Gagel-Bieback - SGB III, Rd.-Nr. 15 zu § 284). Dies wird allerdings mit Rechtsprechung des EuGH begründet, der zu Artikel 12 des Assoziierungsabkommens Türkei vom 01.12.1964 entschieden habe, dass es sich zwar um verbindliches EG-Recht handele, konkrete Ansprüche daraus aber nicht abgeleitet werden könnten, da die Normierungen nicht hinreichend präzise seien.

Dem gegenüber ist Artikel 37 Abs. 1 des Europa-Abkommens mit Polen hinreichend konkret. Die Vorschrift legt bis in die Einzelheiten fest, unter welchen Voraussetzungen Ehegatten und Kinder Zugang zum Arbeitsmarkt des Mitgliedstaates haben. Diese Normierung wäre sinnlos, wenn sie unter einem vollständigen Vorbehalt der einzelstaatlichen Regelungen der Mitgliedstaaten stünde.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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