S 8 AL 96/04

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Aachen (NRW)
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 8 AL 96/04
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Der Bescheid vom 24.02.2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.04.2004 wird aufgehoben. Die Beklagte wird verurteilt, Arbeitslosengeld nach Maßgabe der gesetzlichen Vorschriften zu zahlen. Die Beklagte hat die Kosten des Klägers zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um einen Anspruch auf Arbeitslosengeld, umstritten ist die Erfüllung der Anwartschaftszeit.

Der am 00.00.0000 geborene Kläger arbeitete zuletzt von Januar 1990 bis zum 30.04.2003 als Geschäftsführer der Firma F u. S GmbH & Co. KG, B.1. Die Tätigkeit wurde aufgrund einer fristlosen Kündigung vom 24.04.2003 beendet. Geschäftsführerin der L-GmbH ist die Ehefrau des Klägers. Das Landgericht B2 wies mit Urteil vom 27.10.2003 den Antrag des Klägers auf Erlass einer einstweiligen Verfügung gegen die Ablösung als Geschäftsführer ab. Ebenfalls mit Urteil vom 27.10.2003 bestätigte das Landgericht B2 eine am 02.05.2003 im Wege der einstweiligen Verfügung ergangene Entscheidung, dem Kläger das Betreten der Geschäftsräume der F & S GmbH & Co. KG zu verbieten. Maßgeblich für die Entscheidungen war unter anderem, dass der Kläger keine Gesellschafterstellung inne hatte. Wegen der näheren Einzelheiten wird auf die genannten Urteile (Aktenzeichen 42 O 137/03 und 42 O 56/03) verwiesen. Bis Januar 1986 war die Ehefrau des Klägers alleinige Kommanditistin der F & S GmbH & Co. KG und alleinige Gesellschafterin der L- GmbH. Am 16.01.1986 schlossen der Kläger und seine spätere Ehefrau einen Treuhandvertrag, wonach die spätere Ehefrau sich verpflichtete, einen von ihr gehaltenen Teil Geschäftsanteil an der GmbH in Höhe von 25.000,00 DM sowie eine von ihr gehaltene Teileinlage an der KG in Höhe von 10.000,00 DM für den Kläger treuhänderisch zu halten. Wegen der näheren Einzelheiten wird auf den Treuhandvertrag vom 16.01.1986 verwiesen. Der Kläger arbeitete in der Gesellschaft aufgrund eines Geschäftsführervertrages vom 02.01.1990, der unter anderem eine feste monatliche Vergütung, deren Fortzahlung im Krankheitsfall für die Dauer von 6 Monaten, einen jährlichen Erholungsurlaub, die Alleinvertretungsbefugnis sowie eine Befreiung von den Beschränkungen des § 181 BGB vorsieht. Auch die Ehefrau des Klägers war Geschäftsführerin der GmbH. Die Ehe wurde 1989 geschlossen, die Eheleute hatten mit Ehevertrag vom 23.01.1991 Gütertrennung gemäß § 1414 BGB für den Fall einer Beendigung des gesetzlichen Güterstandes unter Lebenden vereinbart.

Am 02.12.2003 meldete der Kläger sich arbeitslos und beantragte Arbeitslosengeld. Mit Bescheid vom 24.02.2004 lehnte die Beklagte den Antrag ab, weil die Anwartschaftszeit nicht erfüllt sei. Der Kläger habe innerhalb der Rahmenfrist von 3 Jahren vor dem 02.12.2003 nicht mindestens 12 Monate in einem Versicherungspflichtverhältnis gestanden. Er sei kein Arbeitnehmer gewesen, da er als Geschäftsführer des Unternehmens seine Tätigkeit habe frei bestimmen und gestalten können. Weiterhin habe er bei der Führung des Betriebes aufgrund seiner besonderen Fachkenntnisse mitgewirkt. Zudem sei die Mitarbeit durch ein gleichberechtigtes Nebeneinander zu der weiteren Geschäftsführerin und Mitinhaberin gewesen. Er sei an dem Unternehmen mit einem Anteil von 50 % beteiligt gewesen.

Im Widerspruchsverfahren führte der Kläger aus, er sei nicht Gesellschafter sondern lediglich Treugeber der GmbH & Co. KG gewesen. Er sei Fremdgeschäftsführer des Unternehmens gewesen und deshalb als Arbeitnehmer anzusehen.

Mit Bescheid vom 15.04.2004 - zugestellt mittels Empfangsbekenntnis am 19.04.2004 - wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Der Kläger habe im Feststellungsbogen zur versicherungsrechtlichen Beurteilung seines Beschäftigungsverhältnisses erklärt, dass er als mitarbeitender Angehöriger seine Tätigkeit habe frei bestimmen und gestalten können. Er habe erklärt, er habe bei der Führung des Betriebes mitgewirkt und die Mitarbeit sei aufgrund familienhafter Rücksichtnahme durch ein gleichberechtigtes Nebeneinander zum Betriebsinhaber geprägt gewesen. Damit sei er nicht wie ein fremder Arbeitnehmer in dem Betriebsablauf der Firma eingegliedert gewesen und habe nicht dem Weisungsrecht des Arbeitgebers unterlegen. Gegen eine Arbeitnehmereigenschaft spräche auch, dass der Kläger als Geschäftsführer von der Beschränkung des § 181 BGB befreit gewesen sei. Entscheidend sei jedoch letztlich, dass der Kläger augrund des Treuhandvertrages faktisch jeweils an der GmbH sowie an der KG mit 50 % beteiligt gewesen sei.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die am 00.00.0000 erhobene Klage. Die Beteiligten wiederholen und vertiefen ihre bisherigen Ausführungen. Der Kläger beruft sich ergänzend auf die Beurteilung des Landgerichts B2, für dessen Entscheidung gerade maßgeblich gewesen sei, dass er keine Stellung als Gesellschafter inne gehabt habe.

Der Kläger beantragt,

den Bescheid vom 24.02.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.04.2004 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, Arbeitslosengeld nach Maßgabe der gesetzlichen Vorschriften zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze und die übrige Gerichtsakte sowie die beigezogene Verwaltungsakte, deren wesentlicher Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist begründet. Der angefochtene Bescheid ist rechtswidrig im Sinne des § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG. Der Kläger hat Anspruch auf Arbeitslosengeld.

Er erfüllt sämtliche Voraussetzungen des § 118 Abs. 1 SGB III. Insbesondere hat er - entgegen der Meinung der Beklagten - die Anwartschaftszeit im Sinne des § 118 Abs. 1 Nr. 3 SGB III erfüllt. Die Anwartschaftszeit hat gemäß § 123 Satz 1 SGB III erfüllt, wer in der Rahmenfrist mindestens 12 Monate in einem Versicherungspflichtverhältnis gestanden hat. Die Rahmenfrist beträgt gemäß §§ 124 Abs. 1, 434 j Abs 3 SGB III 3 Jahre und beginnt mit dem Tag vor der Erfüllung der sonstigen Voraussetzungen für den Anspruch auf Arbeitslosengeld. In einem Versicherungspflichtverhältnis steht gemäß § 25 Abs. 1 SGB III , wer gegen Arbeitsentgelt beschäftigt ist (versicherungspflichtige Beschäftigung). Beschäftigung ist gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB IV die nichtselbständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Zu den wesentlichen Merkmalen des Beschäftigungsverhältnisses gehören die freiwillige Arbeit aufgrund eines privatrechtlichen Vertrages und die damit verbundene persönliche Abhängigkeit von einem Arbeitgeber in Bezug auf Zeit, Dauer und Ort der Arbeitsausführung sowie die Weisungsgebundenheit und die Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers (zusammenfassend Wissing in PK-SGB III, § 27 Rd.-Ziffer 82).

Nach diesen Grundsätzen richtet sich auch, ob der Geschäftsführer einer GmbH abhängig und deshalb beitragspflichtig beschäftigt ist oder nicht. Er ist weder wegen seiner Organstellung noch deshalb von einer abhängigen Beschäftigung ausgeschlossen, weil er gegenüber Arbeitnehmern der GmbH Arbeitgeberfunktion ausübt; maßgebend ist vielmehr vor allem die Bindung des Geschäftsführers an das willensbildende Organ, in der Regel die Gesamtheit der Gesellschafter. Bei Fremdgeschäftsführern, also nicht am Gesellschaftskapital beteiligten Geschäftsführern, hat demgemäß das BSG regelmäßig eine abhängige Beschäftigung angenommen, es sei denn, es liegen besondere Umstände vor, die eine Weisungsgebundenheit gegenüber den Gesellschaftern im Einzelfall ausschließen.

Der Kläger ist Fremdgeschäftsführer. Er ist weder an der GmbH noch an der KG als Gesellschafter beteiligt. Als Treugeber der Geschäftsführerin der L-GmbH bzw. der Kommanditistin der KG wird er nicht Gesellschafter der GmbH oder der KG. Hierzu hat bereits das Landgericht B2 in den genannten Urteilen ausgeführt, dass der Treugeber nicht Gesellschafter ist, er ist nicht Mitglied des Gesellschaftsverbandes. Das gesellschaftsrechtliche Verhältnis trifft voll und grundsätzlich allein den Treuhänder. Unmittelbare Rechtsbeziehungen zur GmbH & Co. KG und den übrigen Gesellschaftern bestehen grundsätzlich nicht. Nur der Treuhänder ist als Gesellschafter Inhaber der Mitgliedschaftsrechte. Damit ist dem Treugeber eine unmittelbare Einwirkung auf die Geschicke der Gesellschaft nicht möglich. Der Treugeber hat nicht einmal das Recht, Gesellschafterbeschlüsse anzufechten, dieses Recht besitzt ausschließlich der Treuhänder als Vollrechtsinhaber. Diese zutreffenden Überlegungen waren für das Landgericht B2 maßgeblich, die sofortige Abberufung des Klägers von der Geschäftsführerstellung für rechtmäßig zu erachten.

Es liegen auch keine besonderen Umstände des Einzelfalls vor, die es gebieten, den Kläger vorliegend abweichend von der Regel als so einflussreich für die Geschicke der GmbH & Co. KG anzusehen, dass er nicht als Arbeitnehmer bezeichnet werden kann. Allerdings hat das BSG mit Urteil vom 23.09.1982 - 10 RAr 10/81 - entschieden, dass ein selbständiger Handwerker, der zusammen mit seiner Ehefrau eine GmbH & Co. KG, deren Geschäftsführung er übernimmt, gründet, nur dann Arbeitnehmer im Sinne des Sozialversicherungsrechts wird, wenn er die wesentlichen wirtschaftlichen Entscheidungen tatsächlich nicht mehr alleine treffen kann. Das BSG hat damit den tatsächlichen Umständen Vorrang vor den rechtlichen Verhältnissen eingeräumt. Eine solche Fallgestaltung kann sich vor allem bei Familiengesellschaften ergeben. Ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis ist zu verneinen, wenn die familiären Beziehungen dazu führen, dass die Geschäftsführertätigkeit überwiegend durch familienhafte Rücksichtnahme geprägt und ein Direktionsrecht durch die Gesellschafter nicht ausgeübt wird. Solche besonderen Umstände sind indes im vorliegenden Fall zu verneinen. Es war die Ehefrau des Klägers, nicht der Kläger, die ursprünglich Alleininhaberin des Unternehmens war. Sie war neben dem Kläger als vertretungsberechtigte Geschäftsführerin tätig. Damit war der Kläger nicht alleiniger Träger des für die Führung des Unternehmens erforderlichen Fachwissens. Nicht zuletzt zeigen die Entscheidungen des Landgerichts B2, dass der Kläger zwar eine herausgehobene Stellung, nicht aber eine beherrschende Stellung im Unternehmen hatte.

Die Annahme eines sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses führt im Übrigen zu einer übereinstimmenden gesellschaftsrechtlichen und sozialrechtlichen Wertung. Das Landgericht B2 hat dem Kläger gesellschaftsrechtlichen Schutz vor der Abberufung als Geschäftsführer verwehrt, weil der Kläger kein Gesellschafter war. Es widerspräche dieser Wertung, wenn nunmehr sozialrechtlich dem Kläger der Schutz der Arbeitslosenversicherung verwehrt würde, weil er als nicht in einem Beschäftigungsverhältnis stehender Selbständiger angesehen würde.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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