S 11 AL 33/04

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Aachen (NRW)
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 11 AL 33/04
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 9 AL 232/04
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 14.06.2004 sowie unter Abänderung des Bescheides vom 15.06.2004, beide in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 12.07.2004, verurteilt, der Klägerin Arbeitslosengeld für die Zeit vom 29.05.2004 bis 06.08.2004 ohne Minderung wegen verspäteter Meldung als arbeitsuchend zu zahlen und keine weiter Minderung von Leistungen wegen verspäteter Meldung nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit der Firma K GmbH & Co. KG zum 28.05.2004 vorzunehmen. Die Beklagte hat die Kosten der Klägerin zu erstatten.

Tatbestand:

Die Klägerin wendet sich gegen eine Minderung des an sie ausgezahlten Arbeitslosengeldes (Alg) wegen verspäteter Meldung als arbeitsuchend.

Die am 00.00.1969 geborene Klägerin arbeitete zuletzt vom 04.08.2003 bis zum 28.05.2004 bei der Firma K GmbH & Co. KG in B. Am 20.04.2004 meldete sie sich arbeitslos und beantragte Alg. Nach Einholung einer Arbeitsbescheinigung minderte die Beklagte mit Bescheid vom 14.06.2004 das Alg um 1.050,- Euro. Sie führte aus, das Arbeitsverhältnis mit der Firma K sei von vornherein zum 28.05.2004 befristet gewesen, weswegen die Klägerin sich bereits am 29.02.2004 habe arbeitsuchend melden müssen; die Meldung am 20.04.2004 sei also nicht unverzüglich erfolgt. Mit Bescheid vom 15.06.2004 bewilligte die Beklagte sodann Alg für die Zeit ab dem 29.05.2004 mit der genannten Minderung.

Ihren am 24.06.2004 eingelegten Widerspruch begründete die Klägerin damit, sie sei seit drei Jahren beim selben Arbeitgeber als saisonale Arbeitskraft beschäftigt gewesen, ohne dass es bislang zu entsprechenden Minderungen gekommen sei. Arbeitslos gemeldet habe sie sich zuletzt, nachdem sie erfahren habe, dass eine Umwandlung des befristeten Arbeitsverhältnisses in ein festes vom Arbeitgeber nicht beabsichtigt gewesen sei. Eine mögliche Rechtsänderung hinsichtlich der Meldung als arbeitssuchend sei ihr nicht bekannt gewesen.

Die Beklagte wies den Widerspruch mit Bescheid vom 12.07.2004 zurück. Sie wiederholte und vertieft ihr bisheriges Vorbringen und legte eine ausführliche Berechnung des Minderungsbetrages vor.

Hiergegen richtet sich die am 15.07.2004 erhobene Klage. Der Alg-Anspruch der Klägerin ist seit dem 07.08.2004 erschöpft.

Die Klägerin beantragt, die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 14.06.2004 und unter Abänderung des Bescheides vom 15.06.2004 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 12.07.2004 zu verurteilen, ihr Arbeitslosengeld für die Zeit vom 29.05.2004 bis 06.08.2004 ohne Minderung wegen verspäteter Meldung als arbeitssuchend zu zahlen sowie keine weitere Minderung von Arbeitslosengeld aufgrund der Beendigung des Arbeitsverhältnisses zur Firma K GmbH & Co. KG zum 28.05.2004 eintreten zu lassen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beteiligten wiederholen und vertiefen ihr bisheriges Vorbringen.

Hinsichtlich der wesentlichen Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze und die übrige Gerichtsakte sowie die beigezogene Verwaltungsakte, deren wesentlicher Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist begründet. Die angefochtenen Entscheidungen der Beklagten sind rechtswidrig im Sinne von § 54 Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Die Beklagte durfte den Alg-Anspruch der Klägerin nicht wegen verspäteter Meldung mindern.

Die §§ 37 b Satz 1 und 2, 140 Sozialgesetzbuch Drittes Buch - Arbeitsförderung - (SGB III) sind zu unbestimmt, um die Beklagte zur Minderung des verfassungsrechtlich garantierten Anspruchs auf Alg zu ermächtigen; andere einschlägige Ermächtigungsgrundlagen sind nicht ersichtlich.

Nach § 140 Satz 1 SGB III mindert sich der Anspruch auf Alg, wenn sich der Arbeitslose entgegen § 37 b SGB III nicht unverzüglich arbeitssuchend gemeldet hat. Nach § 37 b Satz 1 SGB III sind Personen, deren Versicherungspflichtverhältnis endet, verpflichtet, sich unverzüglich nach Kenntnis des Beendigungszeitpunkts persönlich bei der Agentur für Arbeit arbeitssuchend zu melden. Gemäß § 37 b Satz 2 SGB III hat die Meldung im Falle eines befristeten Arbeitsverhältnisses frühestens drei Monate vor dessen Beendigung zu erfolgen.

Diese Vorschriften sind keine geeignete Ermächtigungsgrundlage zur Minderung von Alg bei in Zusammenhang mit befristeten Arbeitsverhältnissen. § 37 b Satz 2 SGB III ist in Verbindung mit § 37 b Satz 1 SGB III derart unbestimmt, dass er (wiederum i.V.m. § 140 SGB III) keine taugliche Ermächtigungsgrundlage für einen Eingriff in den - grundrechtlich geschützten - Anspruch auf Alg darstellt (SG Dortmund, Urteil vom 26.07.2004 - S 33 AL 127/04). Die Vorschrift besagt mithin nicht, dass sich der Alg-Anspruch (nach Maßgabe von § 140 SGB III) mindert, wenn die genannte Frist verstrichen ist und der Versicherte sich nicht arbeitsuchend gemeldet hat. Vielmehr ist § 37 b Satz 2 SGB III bei verfassungsrechtlich gebotener geltungserhaltender Reduktion (vgl. BVerfGE 69, 1, 55 m.w.N.) dahingehend auszulegen, dass er lediglich regelt, ab wann sich ein Versicherter arbeitsuchend melden und somit die Pflicht der Beklagten zur Arbeitsvermittlung nach § 38 Abs. 4 SGB III auslösen kann.

Die §§ 140 Satz 1 i.V.m. 37 b Satz 2 SGB III ordnen eine Minderung des von der verfassungsrechtlichen Eigentumsgarantie in Art. 14 Abs. 1 Satz 1 des Grundgesetzes (GG) erfassten Anspruchs auf Alg (BVerfG, Beschluss vom 10.02.1987 - 1 Bvl 15/83; ganz h.M.) an. Sie fungieren somit als Inhalts- und Schrankenbestimmung i.S.d. § 14 Abs. 1 Satz 2 GG (SG Aachen, Urteil vom 18.06.2004 - S 8 AL 82/04, SG Frankfurt an der Oder, Beschluss vom 01.04.2004 - S 7 AL 42/04). Aus dem Rechtsstaatsprinzip, Art. 1 Abs. 3, Art. 20 Abs. 3 GG, ergibt sich, dass eine Ermächtigung der Verwaltung zum Eingriff in Grundrechte durch Gesetz erfolgen und insbesondere hinreichend bestimmt sein muss. Klarheit und Bestimmtheit einer Vorschrift bedeutet Erkennbarkeit des gesetzgeberisch Gewollten. Betroffene müssen die Rechtslage erkennen und ihr Verhalten danach einrichten können (BVerfGE 52, 1, 41). Das Handeln der Verwaltung muss für den Bürger voraussehbar und berechenbar sein (BVerfGE 56, 1, 12; BVerwGE 100, 230, 236; Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, 7. Aufl., 2004, Art. 20, Rn. 60, 61).

§ 37 b Satz 2 SGB III wird diesen Anforderungen schon deswegen nicht gerecht, weil die Vorschrift in Zusammenschau mit § 37 b Satz 1 SGB III, auf den sie sich unmittelbar bezieht, mehrere ungefähr gleich naheliegende und plausible Auslegungen zulässt, die jedoch im Einzelfall zu völlig unterschiedlichen Ergebnissen führen: § 37 b Satz 1 und 2 SGB III kann zum einen so verstanden werden, dass die Meldung mit Ablauf des nächsten dienstbereiten Tages zu erfolgen hat, nachdem der Versicherte Kenntnis von der Befristung hat und es nur mehr 3 Monate bis zur Beendigung des Versicherungspflichtverhältnisses sind (Satz 1 als nähere Ausgestaltung des Tatbestandsmerkmals "frühestens" in Satz 2). Denkbar ist jedoch auch eine Auslegung, wonach die Meldung ab Kenntnis und Unterschreitung der Frist erfolgen kann, jedoch nicht unverzüglich erfolgen muss (das Tatbestandsmerkmal "frühestens" in Satz 2 verdrängt das Tatbestandsmerkmal "unverzüglich" in Satz 1). Diese Unklarheiten betreffen nicht nur den isoliert betrachteten Norminhalt von § 37 Satz 2 SGB III, sondern auch die Frage, ob neben § 37 b Satz 2 SGB III noch Raum für eine subsidiäre Anwendung von § 37 b Satz 1 SGB III ist. Welche der möglichen Auslegungen die vom Gesetzgeber gewollte ist, erschließt es sich den - regelmäßig mit juristischen Auslegungsmethoden nicht vertrauten - Betroffenen selbst bei genauer Kenntnis des Wortlauts von § 37 b SGB III nicht. Die von dieser Regelung betroffenen Versicherten haben mithin keinerlei Möglichkeit, das gesetzgeberisch Gewollte zu erkennen und ihr Verhalten an der gesetzlichen Regelung auszurichten.

Es handelt sich schließlich auch nicht um einen derjenigen Fälle, in denen ein Minus an inhaltlicher Bestimmtheit zulässig ist, da der Gesetzgeber die fragliche Materie nur durch Generalklauseln und/oder durch Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe regeln kann (zu derartigen Konstellationen Jarass, a.a.O., Rn. 61). Dies mag auf die Verwendung des Begriffs "unverzüglich" in § 37 b Satz 1 SGB III zutreffen, der Begriff "frühestens" ist jedoch kein unbestimmter Rechtsbegriff.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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