S 11 RJ 45/04

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Aachen (NRW)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 11 RJ 45/04
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 13 R 1/05
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 05.09.2003 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 23.03.2004 verurteilt, der Klägerin Rente wegen voller Erwerbsminderung unter Zugrundelegung eines Versicherungsfalls vom 02.07.2003 für die Zeit vom 01.02.2004 bis 31.01.2007 zu zahlen. Die Beklagte trägt die Kosten der Klägerin.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit.

Die am 00.00.1963 geborene Klägerin arbeitete zuletzt als Briefsortiererin bei der E AG, das Arbeitsverhältnis ruht seit 2003 und die Klägerin bezieht Leistungen der Versorgungsanstalt der Post.

Sie beantragte am 02.07.2003 Rente und begründete ihren Antrag damit, sie leide an Schuppenflechte und hieraus resultierenden psychischen Störungen. Zur weiteren Begründung verwies sie auf ein Attest der Allgemeinmedizinerin und Psychotherapeutin Frau I, ein Schreiben der E AG sowie diverse Krankenunterlagen. Nach Veranlassung einer sozialmedizinischen Begutachtung durch ihren ärztlichen Dienst lehnte die Beklagte den Antrag mit Bescheid vom 05.09.2003 unter Anerkennung der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen der begehrten Rente ab. Sie führte aus, das Leistungsvermögen der Klägerin sei wegen ausgedehnter Schuppenflechte mit erheblichem Leidensdruck, Belastungsreaktion und belastungsabhängigen Schmerzen im linken Kniegelenk bei Knorpelschaden gemindert, dennoch könne die Klägerin auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt wenigstens 6 Stunden täglich erwerbstätig sein.

Die Klägerin erhob am 16.09.2003 Widerspruch und führte aus, die Hauterkrankung führe praktisch ständig zu offenen Herden an beiden Händen, die ihr auch beim Heben und Tragen leichterer Gegenstände Schmerzen bereiteten. Auch ihr Gesicht sei befallen und sie leide an massiven Schlafstörungen und psychischen Beeinträchtigungen. Die Beklagte wies den Widerspruch nach Einholung eines Gutachtens des Hautarztes N mit Bescheid vom 23.03.2004 zurück.

Hiergegen richtet sich die am 21.04.2004 erhobene Klage.

Die Klägerin beantragt, die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 05.09.2003 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 23.03.2004 zu verurteilen, ihr Rente wegen voller Erwerbsminderung unter Zugrundelegung eines Versicherungsfalls vom 02.07.2003 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Beteiligten wiederholen und vertiefen ihr bisheriges Vorbringen.

Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einholung von Befundberichten von Frau I und der Hautärztin Frau L1. Zur weiteren Aufklärung des medizinischen Sachverhalts hat es ein Gutachten des Facharztes für Innere Medizin, Rheumatologie, psychosomatische Medizin und Psychotherapie Herrn L2 vom 23.09.2004 eingeholt. Der Sachverständige hat bei der Klägerin Schuppenflechte, degenerative Veränderungen im Bereich des linken Kniegelenks sowie eine Anpassungsstörung festgestellt und sie für in der Lage gehalten, solche leichten bis mittelschweren Arbeiten vollschichtig zu verrichten, die mit durch Baumwollhandschuhe geschützten Händen möglich seien.

Die Beklagte hat sich durch das Gutachten bestätigt gesehen. Die Klägerin hat zu dem Gutachten ausgeführt, beim Tragen der genannten Handschuhe fehle die notwendige Fingerfähigkeit und sie könne z. B. einzelne Papiere nicht gesondert greifen. Im Übrigen sei das Gutachten von Herrn L2 in sich widersprüchlich, was die Würdigung der psychischen Befunde angehe.

Zum Ergebnis der Beweisaufnahme wird auf den Inhalt der genannten Unterlagen verwiesen. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze und die übrige Gerichtsakte sowie die beigezogene Verwaltungsakte, deren wesentlicher Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist begründet. Die angefochtenen Entscheidungen der Beklagten sind rechtswidrig im Sinne von § 54 Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG), da die Klägerin einen Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung nach § 43 Abs. 2 Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Rentenversicherung - (SGB VI) hat.

Gemäß § 43 Abs. 2 SGB VI haben Versicherte bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn sie voll erwerbsgemindert sind, in den letzten 5 Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung 3 Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit entrichtet und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.

Die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen aus § 43 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 und 3 SGB VI erfüllt die Klägerin unstreitig.

Die Klägerin ist auch voll erwerbsgemindert im Sinne des § 43 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SGB VI. Voll erwerbsgemindert sind gem. § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 3 Stunden täglich erwerbstätig zu sein.

Dies ist bei der Klägerin der Fall. Sie leidet unter folgenden Gesundheitsstörungen:

Schuppenflechte (Psoriasis vulgaris), 1. Femoropatellararthrose links (beginnende degenerative Veränderung im Bereich des retropatellaren Gleitlagers am linken Kniegelenk), 2. Anpassungsstörung im Sinne einer Mischung aus ängstlicher und depressiver Verstimmung.

Angesichts dieser Erkrankungen ist die Klägerin grundsätzlich in der Lage, leichte bis mittelschwere leidensangepasste Arbeiten vollschichtig zu verrichten. Dennoch hat die Klägerin einen Rentenanspruch, denn die (durch die Schuppenflechte bedingten) Einschränkungen im Bereich beider Hände stellen eine schwere spezifische Leistungsbeeinträchtigung dar, die eine Vielzahl von im Übrigen leidensangepassten Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes als unzumutbar erscheinen lässt. Eine den Einschränkungen der Klägerin angepasste Verweisungstätigkeit hat die Beklagte nicht benannt und ist der Kammer nicht ersichtlich.

Eine schwere spezifischen Leistungseinschränkung liegt vor, wenn die beim Versicherten festgestellten Beeinträchtigungen zwar nicht das vollschichtige Leistungsvermögen ausschließen, jedoch eine große Anzahl üblicher und leichtester Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes als unzumutbar erscheinen lassen (vgl. BSG SozR 2200 § 1246 Nr. 136; Niesel, in: Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, § 43 SGB VI, Rn 37). Ein solcher Fall liegt vor, wenn Einschränkungen der Arm- und Handbeweglichkeit bestehen, die sich auf eine normale betriebliche Einsatzfähigkeit auch für leichtere Tätigkeiten auswirken (Niesel, aaO, Rn 41; vgl. BSG SozR 2200 § 1246 Nr. 89 für den Fall eines Einhänders). Ausweislich des vom Gericht eingeholten Gutachtens darf die Klägerin nur Tätigkeiten ohne Kontakt mit hautbelastenden Stoffen und ohne überwiegende Handarbeit verrichten. Sie kann nicht ausschließlich Greifarbeit verrichten und muss ihre Hände bei der Arbeit durch Baumwollhandschuhe schützen. Vor diesem Hintergrund erscheint dem Gericht der Vortrag der Klägerin glaubhaft, sie verfüge bei Verwendung von Baumwollhandschuhen nicht über die erforderliche Fingerfertigkeit, um beispielsweise einzelne Papiere zu sortieren. Angesichts des Eindrucks, den sich das Gericht in der mündlichen Verhandlung von den offenen Herden an den Händen der Klägerin verschafft hat, erscheint es ihm ebenso glaubhaft, dass insbesondere die gelenknahen Herde bei differenzierten Handbewegungen erhebliche Schmerzen verursachen und es zu Blutungen kommen kann. Übliche Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts wie beispielsweise die einer Bürohilfskraft oder einer Pförtnerin sieht das Gericht somit als verschlossen an. Dasselbe gilt für eine Tätigkeit als Telefonistin, die ebenfalls eine erhebliche Fingerfertigkeit im Umgang mit den zu bedienenden Anlagen und bei der Anfertigung von Telefonvermerken u.ä. erfordert.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Dass das Gericht lediglich eine Zeitrente zugesprochen hat, steht der vollen Kostenlast der Beklagten nicht entgegen (vgl. SG Aachen, Beschluss vom 31.10.2003, S 11 RJ 21/03).
Rechtskraft
Aus
Saved