S 33 AS 3995/13

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
SG Halle (Saale) (SAN)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
33
1. Instanz
SG Halle (Saale) (SAN)
Aktenzeichen
S 33 AS 3995/13
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Aufhebung und Erstattung von Leistungen der Grundsi-cherung nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II).

Die am ... 1997 geborene Klägerin bezog als Mitglied der Bedarfsgemeinschaft ihrer Mutter regelmäßig Leistungen der Grundsicherung nach dem SGB II. Die Bedarfsge-meinschaft wandte im Zeitraum vom 1. August bis 30. November 2011 eine monatliche Bruttowarmmiete in Höhe von 474,38 EUR auf. Mit Bescheid vom 12. Mai 2011 bewilligte der Beklagte der Klägerin als Mitglied der Bedarfsgemeinschaft ihrer Mutter Arbeitslo-sengeld II u.a. für den Zeitraum vom 1. August bis 30. November 2011 in Höhe von 260,45 EUR monatlich (zuzüglich persönlichem Schulbedarf für August 2011). Dabei be-rücksichtigte der Beklagte das Kindergeld in Höhe von 184 EUR als Einkommen der Kläge-rin. Mit dem Änderungsbescheid vom 17. August 2011 nahm der Beklagte eine Erhö-hung der Leistungen der Grundsicherung vor und gewährte der Klägerin u.a. für den Zeitraum vom 1. August bis 30. November 2011 Arbeitslosengeld II in Höhe von 261,12 EUR (zuzüglich persönlichem Schulbedarf für August 2011).

Unter dem 30. August 2011 verpflichtete sich der Vater der Klägerin gegenüber dem Jugendamt des Landkreises ... zur Zahlung eines monatlichen Unterhalts ab dem 1. Juli 2011 in Höhe von 100 EUR. Die erste Zahlung erfolgte in Höhe von 200 EUR am 31. August 2011.

Mit dem Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 15. November 2011, adressiert an die Mutter der Klägerin, hob der Beklagte die Entscheidung vom 17. August 2011 teil-weise auf, u.a. das Sozialgeld der Klägerin für die Monate August bis November 2011 in Höhe von 100 EUR monatlich, und forderte eine Erstattung der überzahlten Beträge in Hö-he von 500 EUR. Hiergegen erhob die Klägerin am 16. Dezember 2011 Widerspruch.

Mit Änderungsbescheid vom 30. Mai 2013 beschränkte der Beklagte die Aufhebung und Erstattung auf die Monate August bis November 2011 und einen Betrag von insge-samt 400 EUR. Mit Widerspruchsbescheid vom 7. August 2013 wies der Beklagte den Wi-derspruch der Klägerin im Übrigen zurück.

Mit der am 9. September 2013 vor dem Sozialgericht Halle erhobenen Klage verfolgt die Klägerin die Aufhebung des Aufhebungs- und Erstattungsbescheides weiter. Die Klägerin trägt vor, sie sei vor dem Erlass des Bescheides nicht angehört worden. Der Aufhebungs- und Erstattungsbescheid sei zu unbestimmt. Der Beklagte habe den Be-scheid vom 12. Mai 2011 nicht aufgehoben. Hilfsweise werde die Einwendung der Be-schränkung der Minderjährigenhaftung geltend gemacht, weil sie am 26. Juli 2015 das 18. Lebensjahr vollendet habe. Im Zeitpunkt des Eintritts der Volljährigkeit habe sie we-der über eigenes Einkommen noch über eigenes Vermögen verfügt.

Die Klägerin beantragt,

den Aufhebungs- und Erstattungsbescheid des Beklagten vom 15. November 2011 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 30. Mai 2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. August 2013 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte trägt vor, Hintergrund der Aufhebung und Erstattung sei die Anrechnung von Einkommen aus Unterhalt. Der Bescheid beinhalte ausschließlich eine Verfügung über die Rückforderung gegenüber der damals minderjährigen Klägerin. Die Zustellung des Bescheides sei aufgrund der gesetzlichen Vertretungsbefugnis an die Mutter erfolgt. Zu Recht habe er im Verfügungssatz lediglich den Änderungsbescheid vom 17. August 2011 benannt, denn auf diesen komme es an. Mit dem Änderungsbescheid vom 17. August 2011 habe er einen völlig neuen Bescheid erlassen und damit den Be-scheid vom 12. Mai 2011 vollumfänglich erledigt. Die Klägerin könne sich nicht auf die Minderjährigenhaftung berufen. Bei einer isolierten Klage, wie vorliegend, sei auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung, also der Wi-derspruchsentscheidung, abzustellen. Der Widerspruchsbescheid sei aber schon unter dem 7. August 2013 ergangen, also in einem Zeitpunkt, in dem die Klägerin noch nicht volljährig gewesen sei. Dass sie nunmehr im Klageverfahren volljährig geworden sei, sei daher irrelevant. Überdies genüge die bloße Behauptung der Klägerin, sie verfüge über kein Vermögen, nicht, den Erstattungsbescheid zu beseitigen.

Die Gerichtsakte und die Verwaltungsakten des Beklagten haben vorgelegen und wa-ren Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Entscheidungsfindung der Kammer. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Sachvortrages der Betei-ligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakten ergänzend ver-wiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig. Sie ist jedoch unbegründet. Der Aufhebungs- und Erstattungsbe-scheid des Beklagten vom 15. November 2011 in der Fassung des Änderungsbeschei-des vom 30. Mai 2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. August 2013 ist nicht rechtswidrig und beschwert die Klägerin nicht im Sinne des § 54 Abs. 2 Sozialge-richtsgesetz (SGG). Der Beklagte hat zu Recht die Leistungen für die Monate August bis November 2011 in Höhe von 100 EUR monatlich aufgehoben und eine Erstattung ver-langt.

Die Klägerin erhielt für den Bewilligungszeitraum als Mitglied der Bedarfsgemeinschaft ihrer Mutter (§ 7 Abs. 3 Nr. 4 SGB II) Leistungen nach dem SGB II. Einen Leistungsan-trag hat ihre Mutter als seinerzeit gesetzliche Vertreterin für die Klägerin gestellt. Im Üb-rigen wird gemäß § 38 Abs. 1 Satz 1 SGB II vermutet, dass die Mutter auch Leistungen für die Klägerin beantragt und entgegengenommen hat. Die Klägerin hatte in dem Zeit-raum vom 1. August bis 30. November 2011 einen Bedarf in Höhe von 445,12 EUR monat-lich (287 EUR Sozialgeld, 158,12 EUR anteilige Kosten der Unterkunft und Heizung [1/3 aus 474,38 EUR]), im August 2011 zusätzlich Schulbedarf in Höhe 70 EUR. Auf den Bedarf war das Kindergeld in Höhe von monatlich 184 EUR anzurechnen, so dass sich im Zeitpunkt des Erlasses des Bescheides vom 12. Mai 2011 in der Fassung des Änderungsbeschei-des vom 17. August 2011 ein Anspruch der Klägerin in Höhe von 261,12 EUR monatlich (ohne Schulbedarf) ergab, den der Beklagte auch an die Klägerin ausgezahlt hat.

Mit dem Abschluss der Unterhaltsvereinbarung am 30. August 2011 und der regelmäßi-gen Auszahlung des Unterhaltes in Höhe von 100 EUR monatlich an die Mutter der Kläge-rin, erstmals im August 2011, hat sich der Anspruch der Klägerin um 100 EUR monatlich vermindert. Denn die Unterhaltszahlungen sind als Einkommen im Sinne des § 11 Abs. 1 SGB II auf den Bedarf der Klägerin anzurechnen. Damit hatte die Klägerin im Zeit-raum vom 1. August 2011 bis 30. November 2011 nur noch einen monatlichen An-spruch auf Leistungen nach dem SGB II in Höhe von 161,12 EUR.

Gemäß § 48 Abs. 1 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) ist ein Verwal-tungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass des Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vor-gelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Gemäß § 40 Abs. 2 Nr. 3 SGB II in Verbindung mit §§ 330 Abs. 3 Satz 1 des Dritten Buches Sozialgesetzbuch (SGB III), 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X ist der Verwaltungsakt mit Wirkung vom Zeitpunkt der Ände-rung der Verhältnisse aufzuheben, soweit nach Antragstellung oder Erlass des Verwal-tungsaktes Einkommen oder Vermögen erzielt worden ist, das zum Wegfall oder zur Minderung des Anspruchs geführt haben würde. Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Der Klägerin ist der Unterhalt nach Erlass des Änderungsbescheides vom 17. August 2011 zugeflossen. Sie muss sich die Entgegennahme des Unterhaltes durch ihre Mutter als gesetzliche Vertreterin entgegenhalten lassen. Die Unterhaltsvereinba-rung war auch noch nicht bei Erlass des Änderungsbescheides geschlossen, so dass eine vorläufige Bewilligung von Leistungen nicht in Betracht gekommen ist. Die Beklag-te war daher verpflichtet, den Bewilligungsbescheid aufzuheben.

Für die Wirksamkeit des Aufhebungs- und Erstattungsbescheides genügt die Bekannt-gabe gegenüber der Mutter der Klägerin als gesetzliche Vertreterin, weil die Klägerin noch bei Abschluss des Verwaltungsverfahrens minderjährig war.

Der Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 15. November 2011 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 30. Mai 2013 ist nicht zu unbestimmt. Das Bestimmtheitser-fordernis des § 33 Abs. 1 SGB X verlangt, dass der Verfügungssatz des Verwaltungsak-tes nach seinem Regelungsgehalt in sich widerspruchsfrei ist und den Betroffenen bei Zugrundelegung der Erkenntnismöglichkeiten eines verständigen Empfängers in die Lage versetzen muss, sein Verhalten daran auszurichten (Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 29. November 2012 – B 14 AS 196/11 R – juris RdNr. 16). Der Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 15. November 2011 in der Fassung des Änderungsbe-scheides vom 30. Mai 2013 genügt diesen Anforderungen. Es geht aus ihm in der Ge-stalt des Widerspruchsbescheides vom 7. August 2013 klar und unzweideutig hervor, dass der Beklagte den Bewilligungsbescheid vom 17. August 2011 teilweise aufhebt, soweit die Leistungen an die Klägerin betroffen sind. Auch die monatliche Höhe des Aufhebungsbetrages ist eindeutig bezeichnet. Dass der Beklagte den Ausgangsbe-scheid vom 12. Mai 2011 nicht in dem Aufhebungs- und Erstattungsbescheid bezeich-net hat, ist unschädlich. Denn der Bewilligungsbescheid vom 17. August 2011 hat den Bescheid vom 12. Mai 2011, soweit es die streitigen Bewilli-gungsmonate August bis November 2011 betrifft, vollständig ersetzt.

Der Beklagte hat zwar die Klägerin vor dem Erlass des Aufhebungs- und Erstattungs-bescheides nicht im Sinne des § 24 Abs. 1 SGB X angehört. Soweit es die Aufhebung der Leistungen betrifft, konnte der Beklagte nach § 24 Abs. 2 Nr. 5 SGB X von einer Anhörung absehen, weil er die einkommensabhängigen Leistungen den geänderten Verhältnissen angepasst hat. § 24 Abs. 2 Nr. 5 SGB X findet aber auf den Erlass des Erstattungsbescheides keine Anwendung (BSG, Urteil vom 7. Juli 2011 – B 14 AS 153/0 R – juris RdNr. 19 f.), so dass insoweit eine Anhörung erforderlich war. Die feh-lende Anhörung kann aber durch das Widerspruchsverfahren geheilt werden. Mit dem Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 15. November 2011 hat der Beklagte er-klärt, weshalb die aufgehobenen Leistungen zu erstatten sind und hat auf § 50 SGB X verwiesen. Auch hat der Beklagte die Gründe für die teilweise Aufhebung der Leis-tungsbewilligung genannt. Damit war die Klägerin im Sinne der Anhörung in der Lage, sich im Widerspruchsverfahren zu den entscheidungsrelevanten Tatsachen zu äußern.

Nach § 50 Abs. 1 SGB X sind erbrachte Leistungen zu erstatten, soweit der Verwal-tungsakt aufgehoben worden ist. Hieraus folgt die Verpflichtung der Klägerin zur Erstat-tung der überzahlten Beträge in Höhe von insgesamt 400 EUR.

Die Beschränkung der Minderjährigenhaftung nach § 1629a Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) führt nicht zur Rechtswidrigkeit des Erstattungsbescheides. Nach § 1629a BGB beschränkt sich die Haftung für Verbindlichkeiten, die die Eltern im Rahmen ihrer ge-setzlichen Vertretungsmacht oder sonstige vertretungsberechtigte Personen im Rah-men ihrer Vertretungsmacht durch Rechtsgeschäft oder eine sonstige Handlung mit Wirkung für das Kind begründet haben, oder die auf Grund eines während der Minder-jährigkeit erfolgten Erwerbs von Todes wegen entstanden sind, auf den Bestand des bei Eintritt der Volljährigkeit vorhandenen Vermögens des Kindes. Nach der Rechtspre-chung des Bundessozialgerichts findet die entsprechende Geltung der Haftungsbe-schränkung grundsätzlich nicht erst im Verwaltungsvollstreckungsverfahren Anwen-dung. Denn bei Vorliegen der Voraussetzungen der Beschränkung der Minderjährigen-haftung verstößt schon der Erstattungsbescheid gegen höherrangiges Recht (BSG, Urteil vom 7. Juli 2011 – B 14 AS 153/10 R – juris RdNr. 45). Dies trifft allerdings dann nicht zu, wenn der Schuldner bei Erlass des Erstattungsbescheides noch nicht volljährig war und daher noch unbeschränkt haftet (BSG, Urteil vom 7. Juli 2011, a.a.O., juris RdNr. 47). Entscheidend ist der Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung, mithin die Bekanntgabe des Widerspruchsbescheides. In diesem Zeitpunkt war die Klägerin noch nicht volljährig und die Haftungsbeschränkung noch nicht entsprechend anwend-bar. Inwieweit die Klägerin einen Anspruch auf die Aufhebung des Erstattungsbeschei-des nach § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. SGB X hat, ist nicht Gegenstand des Rechtsstreits.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Auch wenn die Klägerin in dem Wider-spruchsverfahren teilweise erfolgreich war, war dies nur zu einem geringfügigen Teil der Fall, so dass es der Billigkeit entspricht, dass der Beklagte der Klägerin keine Kosten zu erstatten hat.
Rechtskraft
Aus
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