S 15 KR 160/15

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Aachen (NRW)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
15
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 15 KR 160/15
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 16 KR 448/16
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 18.03.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.05.2015 verurteilt, dem Kläger die im Kalenderjahr 2014 gezahlten Beiträge zur Arbeitslosenversicherung in Höhe von 284,72 EUR zu erstatten. Es wird festgestellt, dass der Kläger in seiner Beschäftigung als Professor an der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung in der Arbeitslosenversicherung beitragsfrei ist. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.

Tatbestand:

Streitig ist die Versicherungspflicht des Klägers in der Arbeitslosenversicherung.

Der im Jahre 1960 geborene Kläger stand vom 01.04.1988 bis zum 30.06.2014 in einem Beamtenverhältnis; zuletzt war er Beigeordneter (Sozialdezernent) der Stadt Mönchen-gladbach (kommunaler Wahlbeamter). Seit dem 01.07.2014 bezieht er von der Stadt Mönchengladbach beamtenrechtliche Versorgungsbezüge. Er ist dementsprechend beihilfeberechtigt und nach § 6 Abs. 1 SGB V von der Krankenversicherungspflicht befreit. Seit dem 18.08.2014 ist der Kläger als Professor im Angestelltenverhältnis mit 0,75 Stellenanteil bei der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung in Köln beschäftigt. Im Rahmen dieser Tätigkeit ist er in der gesetzlichen Krankenversicherung versicherungsfrei (§ 6 Abs. 1 Nr. 2 und Nr. 6 SGB V); wurde jedoch von seinem Arbeitgeber beitragspflichtig zur Renten- und Arbeitslosenversicherung angemeldet. Im Kalenderjahr 2014 entrichtete der Kläger Arbeitnehmeranteile zur Arbeitslosenversicherung in Höhe von 284,72 EUR.

Unter dem 30.01.2015 erhob der Kläger Widerspruch gegen die Abführung von Beiträgen zur Arbeitslosenversicherung und beantragte die Erstattung der 2014 zu Unrecht entrichte-ten Beiträge in Höhe von 284,72 EUR. Er gab an, er beziehe von der Stadt Mönchengladbach seit dem 01.07.2014 beamtenrechtliche Versorgungsbezüge (59,87 % von B 6) und sei beihilfeberechtigt. Nach § 6 Abs. 1 Nrn. 2 und 6 SGB V sei er deshalb von der Kranken-versicherungspflicht befreit. Da die Versicherungsfreiheit in der Arbeitslosenversicherung an diejenige in der Krankenversicherung anknüpfe, sei er in seiner Beschäftigung als Professor an der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung arbeitslosenversicherungsfrei. Durch Bescheid vom 18.03.2015 lehnte die Beklagte den Antrag auf Erstattung der Arbeitslosenversicherungsbeiträge ab.

Den hiergegen erhobenen Widerspruch des Klägers wies der Widerspruchsausschuss der Beklagten durch Widerspruchsbescheid vom 21.05.2015 als unbegründet zurück. Im Wesentlichen wurde ausgeführt, aktive Beamte seien im Rahmen ihres Dienstverhältnis-ses arbeitslosenversicherungsfrei (§ 27 Abs. 1 Nr. 1 SGB III). Die Versicherungsfreiheit beziehe sich aber nur auf das aktive Dienstverhältnis. Vergleichbare Regelungen für pensionierte Beamte mit Versorgungsbezügen gebe es nicht. Sofern diese als Arbeit-nehmer beschäftigt seien, gebe es bezüglich der Versicherungsfreiheit zur Arbeitslosenversicherung keine Besonderheiten. Die Befreiungsmöglichkeit nach § 28 SGB III scheide ebenfalls aus, da ein Anspruch auf Regelaltersrente im Sinne des SGB VI nicht bestehe.

Gegen den am 22.05.2015 zugestellten Widerspruchsbescheid richtet sich die am 02.06.2015 erhobene Klage. Der Kläger verweist auf die Entscheidung des Landessozialgerichts (LSG) Berlin-Brandenburg vom 16.09.2009 (L 9 KR 282/06), wonach für die Bei-träge zur Arbeitslosenversicherung dieselben Grundsätze zu gelten hätten wie für die Beiträge zur Krankenversicherung. Sowohl § 6 Abs. 1 SGB V als auch § 27 Abs. 1 SGB III setze eine streng statusbezogene Absicherung voraus. Die sich aus dem Beamtenverhält-nis ergebende Anwartschaft auf Ruhegehalt und Beihilfe führe zur Versicherungsfreiheit in der Krankenversicherung. Für die Arbeitslosenversicherung könne nichts anderes gelten, weil in seinem Fall ein Sicherungsbedürfnis gegen die Folgen von Arbeitslosigkeit nicht gegeben sei. Dieses Ergebnis korrespondiere auch mit der Rechtsprechung des für Beitragsangelegenheiten zuständigen 12. Senats des Bundessozialgerichts (BSG). In den Entscheidungen vom 11.10.2001 (B 12 KR 7/01 R) und vom 29.07.2003 (B 12 KR 15/02 R) führe das BSG aus, dass die Anknüpfung der Versicherungsfreiheit in der Arbeitslosen-versicherung an diejenige in der Krankenversicherung sachlich gerechtfertigt sei. Bestünden Ansprüche auf Gehaltsfortzahlung und Beihilfe nach beamtenrechtlichen Vor-schriften oder Grundsätzen, lasse dies auf eine rechtliche Gesamtsituation schließen, die ein Sicherungsbedürfnis gegen die Folgen von Arbeitslosigkeit entfallen lasse.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Gerichts durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt, Schriftsätzlich hat der Kläger dem Sinne nach beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 18.03.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.05.2015 zu verurteilen, die im Kalender- jahr 2014 gezahlten Beiträge zur Arbeitslosenversicherung in Höhe von 284,72 EUR zu erstatten und festzustellen, dass er in seiner Beschäftigung als Professor an der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung in der Arbeitslosenversicherung beitragsfrei ist.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie bezieht sich auf die Ausführungen im angefochtenen Widerspruchsbescheid und ver-tritt die Auffassung, die vom Kläger zitierten Entscheidungen des BSG sprächen nicht gegen eine Versicherungspflicht des Klägers in der Arbeitslosenversicherung. Bei der Beschäftigung des Klägers als Professor im Angestelltenverhältnis handele es sich nicht um eine Beschäftigung außerhalb des allgemeinen Arbeitsmarktes. § 27 SGB III sehe eine Versicherungsfreiheit für eine solche Beschäftigung nicht vor.

Zur weiteren Darstellung des Sach- und Streitstandes wird auf den sonstigen Inhalt der Gerichtsakten und den der beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Kammer konnte vorliegend eine die Instanz abschließende Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung treffen, da die Beteiligten ihr Einverständnis mit dieser Verfahrensweise erklärt haben (§ 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes – SGG).

Die zulässige Klage ist auch sachlich begründet.

Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 18.03.2015 in der Gestalt des Wider-spruchsbescheides vom 21.05.2015 entspricht nicht der Sach- und Rechtslage und ist daher rechtswidrig. Durch ihn wird der Kläger beschwert im Sinne des § 54 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG), weil er als Angestellter des Landes Nordrhein-Westfalen nicht versicherungspflichtig in der Arbeitslosenversicherung ist und ihm deshalb seine Beiträge seit August 2014 von der Beklagten zu erstatten sind.

Nach § 25 Abs. 1 Satz 1 SGB III sind in der Arbeitslosenversicherung Personen versiche-rungspflichtig, die gegen Arbeitsentgelt oder zu ihrer Berufsausbildung beschäftigt sind (versicherungspflichtige Beschäftigung). Obwohl der Kläger als Angestellter grundsätzlich zu diesem Personenkreis gehört, ist er nach § 27 Abs. 1 Nr. 1 SGB III versicherungsfrei. Nach dieser Regelung sind u.a. Personen in einer Beschäftigung als Beamte oder sonstige Beschäftigte eines Landes, eines Gemeindeverbandes, einer Gemeinde oder einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft versicherungsfrei, wenn sie nach beamten-rechtlichen Vorschriften oder Grundsätzen bei Krankheit Anspruch auf Fortzahlung der Bezüge und auf Beihilfe oder Heilfürsorge haben. Unzweifelhaft gehört der Kläger zu diesem Personenkreis. Denn er ist als Professor an der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung in Köln Beschäftigter des Landes Nordrhein-Westfalen (§ 2 Fachhochschul-gesetz öffentlicher Dienst – FHGöD) und er hat als ehemaliger kommunaler Wahlbeamter Anspruch auf Fortzahlung der Bezüge und auf Beihilfe. Eine Differenzierung danach, ob diese Ansprüche aus dem aktuellen Beschäftigungsverhältnis oder aber aus einer vorangegangenen Tätigkeit resultieren, trifft § 27 Abs. 1 Nr. 1 SGB III nicht.

Die Versicherungsfreiheit in der Arbeitslosenversicherung knüpft damit an diejenige in der Krankenversicherung an. Denn nach § 6 Abs. 1 Nr. 2 SGB V sind Beamte sowie sonstige Beschäftigte des Bundes, eines Landes, eines Gemeindeverbandes, einer Gemeinde, von öffentlich-rechtlichen Körperschaften, Anstalten, Stiftungen oder Verbänden öffentlich-rechtlicher Körperschaften oder deren Spitzenverbänden versicherungsfrei, wenn sie nach beamtenrechtlichen Vorschriften oder Grundsätzen bei Krankheit Anspruch auf Fortzahlung der Bezüge und auf Beihilfe oder Heilfürsorge haben. Nach § 6 Abs. 1 Nr. 6 SGB V sind die in den Nummern 2, 4 und 5 genannten Personen versicherungsfrei, wenn ihnen ein Anspruch auf Ruhegehalt oder ähnliche Bezüge zuerkannt ist und sie Anspruch auf Beihilfe im Krankheitsfalle nach beamtenrechtlichen Vorschriften oder Grundsätzen haben.

In beiden Vorschriften, sowohl § 6 Abs. 1 SGB V als auch § 27 Abs. 1 Nr. 1 SGB III, wird mit den Personen, die Ansprüche auf Gehaltsfortzahlung/Ruhegehalt und Beihilfe nach beamtenrechtlichen Vorschriften oder Grundsätzen haben, ein bestimmter Personenkreis beschrieben, der nach typsierender Betrachtung des Gesetzgebers weder des Schutzes der gesetzlichen Krankenversicherung noch des Schutzes der Arbeitslosenversicherung bedarf. Es handelt sich dabei um solche Beschäftigte des öffentlichen Dienstes, deren soziale Sicherung im Falle der Krankheit typischerweise durch Sondersysteme gedeckt ist oder bei denen ein bestimmtes Sicherungsbedürfnis wie das der Arbeitslosigkeit aufgrund ihrer gesamten dienstrechtlichen Stellung typischerweise nicht auftritt. Bestehen Ansprüche auf Gehaltsfortzahlung/Ruhegehalt und Beihilfe nach beamtenrechtlichen Vorschriften oder Grundsätzen, lässt dies auf eine rechtliche Gesamtsituation schließen, die ein Sicherungsbedürfnis gegen die Folgen von Arbeitslosigkeit entfallen lässt (BSG, Urteil vom 11.10.2001 – B 12 KR 7/01 R – in juris).

Sowohl § 6 Abs. 1 Nrn. 2 und 6 SGB V als auch der hieran anknüpfende § 27 Abs. 1 Nr. 1 SGB III setzen eine streng statusbezogene Sicherung im Krankheitsfall voraus. Nur die sich gerade aus dem Beamtenverhältnis oder dem sonstigen Beschäftigtenverhältnis im öffentlichen Dienst ergebende Anwartschaft auf Fortzahlung der Bezüge bzw. Ruhegehalt, Beihilfe oder Heilfürsorge bei Krankheit kann zur Versicherungsfreiheit führen. Außerdem müssen sie zeitgleich mit dem Eintritt des Versicherungsfalles Krankheit bestehen, weil nur dann Raum für einen sachlichen Vorrang der anderweitigen Absicherung in einem Sondersystem gegenüber der gesetzlichen Krankenversicherung ist (BSG, Urteil vom 29.07.2003 – B 12 KR 15/02 R – in juris).

Dies ist vorliegend unstreitig der Fall. Der Kläger erhält im Falle der Krankheit im Hinblick auf seine Beschäftigung als kommunaler Wahlbeamter einen Unterhaltsbeitrag nach beamtenrechtlichen Vorschriften aus eigenem Dienstverhältnis in Höhe von 59,87 % der Besoldungsgruppe B 6 des Bundesbesoldungsgesetzes unter Beachtung der Grundsätze des Beamtenversorgungsgesetzes. Nach § 2 Nr. 1 der Beamtenversorgungs-Übergangsverordnung, die nach § 1 Abs. 1 der Verordnung hier Anwendung findet, erhalten kommunale Wahlbeamte im Beitrittsgebiet, die – wie der Kläger – mindestens eine zweijährige Amtszeit in der ersten Kommunalwahlperiode zurückgelegt haben, einen Unter-haltsbeitrag bis zur Höhe des Ruhegehalts unter Anrechnung von Erwerbs- und Erwerbs-ersatzeinkommen, wenn sie trotz Bereitschaft zur Weiterführung des Amtes nicht wieder-gewählt werden oder nicht wiedergewählt werden können und bei Ablauf ihrer Amtszeit das fünfzigste Lebensjahr vollendet haben. Damit ist der Kläger nach beamtenrechtlichen Vorschriften im Falle der Krankheit durch die Fortzahlung eines ungekürzten Unterhaltsbeitrags nach Ablauf der Entgeltfortzahlung sozial abgesichert. Außerdem erhält er im Krankheitsfall Beihilfe zur Deckung der Krankheits- und Behandlungskosten. Die Höhe der Zahlung bestimmt sich streng akzessorisch zum beamtenrechtlichen Status des Klägers nach den Bestimmungen des Beamtenversorgungsrechts. Damit bedarf er auch bei typisierender Betrachtung im Falle der Krankheit weder des Schutzes der gesetzlichen Krankenversicherung noch bei Verlust seiner Anstellung beim Land Nordrhein-Westfalen des Schutzes der Arbeitslosenversicherung.

Der Anspruch auf Erstattung der vom Kläger entrichteten Beiträge zur Arbeitslosenver-sicherung, die sich für das Jahr 2014 unstreitig auf 284,72 EUR belaufen, ergibt sich aus § 26 Abs. 2 i.V.m. § 26 Abs. 3 Satz 1 SGB IV.

Angesichts dieser Rechtslage ist auch der gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. Abs. 2 SGG zulässige Feststellungsantrag des Klägers begründet.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG; die Berufung ist zulässig, weil Streitgegenstand nicht nur die Erstattung eines Betrages von 284,72 EUR, sondern gleichzeitig die Feststellung der Versicherungsfreiheit seiner Beschäftigung als Professor an der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung in der Arbeitslosenversicherung ist.
Rechtskraft
Aus
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