S 24 AS 323/15

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Aachen (NRW)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
24
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 24 AS 323/15
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 6 AS 764/16
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Der Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheids vom 16.03.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 31.03.2015 verurteilt, der Klägerin zu 1 für den Zeitraum 01.03.2015 bis 31.03.2015 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in Höhe von 390,08 EUR und der Klägerin zu 2 sowie dem Kläger zu 3 für diesen Zeitraum Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in Höhe von jeweils 156,14 EUR zu gewähren. Der Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Kläger. Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Kläger begehren die Übernahme eines Nachzahlbetrags aus einer Heiz- und Nebenkostenabrechung.

Die Klägerin zu 1 stand mit ihren beiden minderjährigen Kindern, den Klägern zu 2 und 3, im laufenden Bezug von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II). Zuletzt bewilligte der Beklagte den Klägern mit Bescheid vom 12.03.2014 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für den Zeitraum 01.04.2014 bis 30.09.2014 in Höhe von 1272,16 EUR monatlich. Hierbei berücksichtigte der Beklagte Kosten der Unterkunft in Höhe von 386,40 EUR Grundmiete, 90,00 EUR Betriebskosten und 110,00 EUR Heizkosten. Die tatsächliche Grundmiete belief sich auf 416,19 EUR. Die Klägerin zu 1 nahm am 01.07.2014 eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung als Omnibusfahrerin auf. Mit Bescheiden vom 11.09.2014 und 10.09.2014 hob der Beklagte die Leistungsbewilligung nach dem Bescheid vom 12.03.2014 ab 01.09.2014 auf. Die Kläger lebten in der Folgezeit vom monatlich schwankenden Erwerbseinkommen der Klägerin zu 1, Kinderzuschlag in Höhe von 270,00 EUR monatlich (Bescheid der Familienkasse NRW West vom 03.03.2015) und Wohngeld in Höhe von 87,00 EUR (Bescheid der Stadt Alsdorf vom 02.01.2015).

Am 16.03.2015 beantragte die Klägerin zu 1 die Übernahme des Nachzahlbetrags aus einer Heiz- und Betriebskostenabrechnung ihres Vermieters vom 31.01.2015. Nach der Abrechnung ist für den Zeitraum 01.09.2013 bis 31.08.2014 ein Nachzahlbetrag in Höhe von 730,43 EUR zu entrichten. Mit Bescheid vom 16.03.2015 lehnte der Beklagte die Übernahme der Kosten ab. Er er-klärte, dass eine Leistungsgewährung ausscheide, da die Kläger im Zeitpunkt der Erteilung der Abrechnung und der Fälligkeit der Nachzahlungsforderung nicht mehr im laufen-den Bezug von Leistungen nach dem SGB II gestanden hätten. Zur Begründung des am 26.03.2015 erhobenen Widerspruchs erklärten die Kläger, dass die Abrechnung vom 31.01.2015 sich auf einen vergangenen Zeitraum beziehe, in welchem sie Leistungen nach dem SGB II bezogen hätten. Der Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 31.03.2015 zurück. Er führte zur Begründung nochmals an, dass die Kläger im Zeitpunkt der Fälligkeit der Nachforderung nicht mehr im laufenden Bezug von Leistungen nach dem SGB II standen.

Mit der am 15.04.2015 vor dem Sozialgericht Aachen erhobenen Klage haben Kläger ihr Begehren weiter verfolgt. Sie sind der Auffassung, dass der Beklagte zur Übernahme der Kosten verpflichtet sei, da die Nachforderung für die Vergangenheit zu einer nachträglichen Erhöhung der Kosten der Unterkunft führe.

Die Kläger beantragen,

den Beklagten unter Aufhebung des Bescheids vom 16.03.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 31.03.2015 zu verurteilen, den Klägern für den Zeitraum 01.03.2015 bis 31.03.2015 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen des SGB II zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er nimmt Bezug auf die Ausführungen in den streitgegenständlichen Bescheiden. Ergänzend führt er aus, dass die Übernahme von Nachforderungen aus Heiz- oder Betriebskostenabrechnungen voraussetze, dass die Kläger nach den gesetzlichen Regelungen unter das Leistungssystem des SGB II fallen würden. Dies sei bei den Klägern im Zeitpunkt der Fälligkeit der Abrechnung aber nicht der Fall gewesen. Der Gesetzgeber sehe einen häufigen Wechsel der Sozialleistungssysteme auch beim Auftreten einmaliger Bedarfe nicht vor. Maßgeblich sei daher auf die typischen Verhältnisse in einem Bewilligungszeitraum abzustellen. Er verweist unter anderem auf die Entscheidung des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 24.04.2009, Az. L 12 AS 4195/08 und erklärt weiter, dass dem SGB II die Betrachtung von längeren Zeiträumen zur Prüfung der Hilfebedürftigkeit nicht fremd sei. Beispielhaft könne auf § 11 Abs. 3 SGB II verwiesen werden. Die Leistungen nach dem SGB II wären auf gewisse Dauer angelegt. Sofern kein laufender Bezug von Leistungen nach dem SGB II vorliege, wäre der Bürger auf Selbsthilfemöglichkeiten durch Ansparung zu verweisen.

Das Gericht hat am 02.11.2015 einen Termin zur Erörterung des Sachverhalts durchgeführt und die Klägerin zu 1 persönlich gehört. Auf den Inhalt des Sitzungsprotokolls wird Bezug genommen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der Verwaltungsakte des Beklagten (Band I und III) Bezug genommen. Diese waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist begründet. Der angefochtene Bescheid des Beklagten vom 16.03.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 31.03.2015 ist rechtswidrig und verletzt die Kläger im Sinne des § 54 Abs. 2 S. 1 SGG in ihren Rechten. Der Klägerin zu 1) steht für den Zeitraum 01.03.2015 bis 31.03.2015 ein Anspruch Gewährung von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende nach dem SGB II in Höhe von 390,08 EUR und den Klägern zu 2) und 3) in Höhe von jeweils 156,14 EUR zu.

Nach der Regelung des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II werden Bedarfe für Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen anerkannt, soweit diese angemessen sind. Dabei erfasst die Regelung des § 22 Abs. 1 SGB II nicht nur laufende, sondern auch ein-malige Kosten der Unterkunft und Heizung (vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 16.12.2008, Az. B 14/7b AS 58/06 R; Urteil vom 06.04.2011, Az. B 4 AS 12/10 R). Soweit die Nachzahlung, wie im vorliegenden Fall, in einer Summe fällig wird, ist sie als tatsächlicher, aktueller Bedarf im Zeitpunkt ihrer Fälligkeit zu berücksichtigen, nicht aber auf längere Zeiträume zu verteilen. Nachzahlungen gehören demnach zum aktuellen Bedarf im Monat der Fälligkeit (vgl. Bundessozialgericht, Urteil 15.04.2008, Az. B 14/7b AS 58/06 R, Urteil vom 22.03.2010, Az. B 4 AS 62/09 R). Die Nachforderung entsprechend der Abrechnung vom 31.01.2015 wurde im März 2015 fällig. Dies entnimmt die Kammer den glaubhaften Angaben der Klägerin zu 1) im Termin zur Erörterung des Sachverhalts. Diese hat erklärte, dass der Vermieter die Abrechnung durch eine externe Firma erstellen lasse und dann zeitlich verzögert an sie weiterleite. Der Vermieter hat um Zahlung im März 2015 gebeten. Die Klägerin zu 1) teilte weiter mit, unmittelbar nach Erhalt der Abrechnung bei dem Beklagten vorgesprochen zu haben. Der dargestellte Ablauf erweist sich als plausibel. Anhaltspunkte dafür, dass die unvertretene und rechtsunkundige Klägerin zu 1) einen von dem Tatsachen abweichenden Ablauf dar-stellt, lassen sich nicht erkennen. Damit sind die nach der Abrechnung anfallenden Kosten als einmalige Kosten der Unterkunft im Sinne der Regelung des § 22 Abs. 1 SGB II im Monat März anzusehen. In diesem Monat hat die Klägerin zu 1) auch den Antrag auf Leistungsgewährung bei dem Beklagten gestellt, der nach § 37 Abs. 2 S. 2 SGB II auf den Monatsersten zurückwirkt. Der Anerkennung als Bedarf im Sinne der Regelungen des SGB II steht auch der Umstands, dass die Kläger nicht im laufenden Bezug von Leistungen nach dem SGB II stehen, nicht entgegen. Dass eine Betriebs- oder Heizkostennachforderung nur zu einem gegenwärtigen Bedarf führt, wenn zur Zeit der Entstehung, Fälligkeit und Geltendmachung der Forderung Hilfebedürftigkeit nach dem SGB II besteht (vgl. Landessozialgericht Nord-rhein-Westfalen, Urteil vom 22.01.2009, Az. L 7 AS 44708), überzeugt nicht. Nach der Regelung des § 9 SGB II wird die Hilfebedürftigkeit nicht durch einen fortlaufenden Leistungsbezug, sondern durch eine Gegenüberstellung von Grundsicherungsbedarf und Ein-kommen bzw. Vermögen ermittelt. Diese Ermittlung erfolgt monatsweise, vgl. § 41 Abs. 1 SGB II. Den Regelungen des SGB II liegt der Grundgedanke einer monatlichen Prüfung der Hilfebedürftigkeit zu Grunde. Eine Verteilung von einmalig entstehendem Bedarf ist dem Gesetz fremd (vgl. so aber LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 24.04.2009, Az. L 12 AS 4195/08, Sozialgericht Dresden, Urteil vom 16.02.2015, Az. S 48 AS 6069/12). Wie der Beklagte zutreffend ausführt, kennt auch das SGB II Verteilmechanismen. So können einmalige Einnahmen nach § 11 Abs. 3 SGB II unter bestimmten Umständen auf einen Bewilligungsabschnitt verteilt werden. Derartige Regelungen sind jedoch im SGB II als seltene Ausnahmen ausgestaltet. Allein der Umstand, dass derartige Ausnahmeregelungen geschaffen wurden, lässt nicht den Rückschluss zu, dass in anderen Fällen auch auf Verteilmechanismen zurückgegriffen werden kann. Eine entsprechende Lücke der gesetzlichen Regelungen fehlt. Das Auftreten von Einmalzahlungen als Bedarfsspitzen ist gerade bei den Kosten der Unterkunft ein häufig anzutreffender Umstand. Es ist davon auszugehen, dass der Gesetzgeber auch für diesen Fall eine von der monatsweisen Betrachtung abweichende Regelung hätte schaffen können. Da er dies nicht getan hat, verbleibt es bei der dem SGB II zu Grunde liegenden monatlichen Betrachtungsweise. Damit kann ein zusätzlicher singulärer Bedarf auch Hilfebedürftigkeit im Sinne des § 7 SGB II auslösen. Die Annahme, dass die Anerkennung einmaliger Bedarfe eine laufende über mehrere Monate bestehende Hilfebedürftigkeit voraussetzt, erweist sich nicht nur als zirkelschlüssig, sondern würde letztlich eine Ablehnung der Anerkennung der Nachforderung als grundsicherungsrechtlich relevanten Bedarf darstellen (vgl. Sozialgericht Aachen, Urteil vom 04.11.2014, Az. S 14 AS 270/14).

Dabei verkennt die Kammer nicht, dass es aus Sicht des Beklagten aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung und praktischen Handhabbarkeit sicherlich nicht wünschens-wert ist, wenn kurzfristige Wechsel zwischen den Sozialleistungssystemen erfolgen. Der-artige Wechsel sind jedoch Konsequenz einer gesetzlich vorgegebenen monatlichen Betrachtungsweise. Änderungen kann an dieser Stelle allein der Gesetzgeber durch Einführung entsprechender Verteilregelungen herbeiführen.

Die anfallende Nachforderung in Höhe von 730,43 EUR war daher im Monat März 2015 als zusätzlicher Bedarf anzuerkennen. Neben dieser einmaligen Forderung des Vermieters sind im Rahmen der Kosten der Unterkunft weiterhin ein Heiz- und Nebenkostenabschlag in Höhe von 200,00 EUR sowie die Grundmiete in Höhe von 416,19 EUR zu Grunde zu legen. Das Gericht erkennt die tatsächlichen Kosten der Unterkunft bei der Berechnung an. Zwar hat der Beklagte mitgeteilt davon auszugehen, dass eine Absenkung der anerkannten Kosten auf angemessene Kosten erfolgt sei. Allerdings ist es dem Beklagten trotz gerichtlicher Nachfrage nicht gelungen, den diesen Sachverhalt betreffenden Band II des Verwaltungsvorgangs vorzulegen. Auch im Termin zur mündlichen Verhandlung konnte die Akte nicht vollständig vorgelegt werden. Daher ist dem Gericht die Prüfung der Rechtmäßigkeit einer etwaigen Absenkung nicht möglich. Im Übrigen bestehen auch erhebliche Zweifel daran, ob eine solche Absenkung auch im März 2015 noch Wirkung entfalten könnte. Auf Grund der aufgetretenen Lücke im Leistungsbezug und Würdigung der Umstände des Einzelfalls dürfte von einer entsprechenden Fortwirkung einer Kostensenkungsaufforderung wohl nicht auszugehen sein (vgl. Landessozialgericht Rheinland-Pfalz, Urteil vom 27.06.2012, Az. L 6 AS 582/10). Der anzuerkennende Bedarf an Kosten der Unterkunft ist um die Regelbedarfe (399,00 EUR für die Klägerin zu 1 und jeweils 267,00 EUR für die Kläger zu 2 und 3) und einen Mehrbedarf wegen Alleinerziehung in Höhe von 143,64 EUR zu ergänzen, so dass sich ein Gesamtbedarf in Höhe von 2.423,25 EUR ermittelt. Neben dem anrechenbaren Erwerbseinkommen der Klägerin zu 1 in Höhe von 995,90 EUR (1.325,89 EUR netto abzüglich 330,00 EUR Freibetrag), dem Wohngeld in Höhe von 87,00 EUR sind Kindergeld und Kinderzuschlag (jeweils 319,00 EUR für die Kläger zu 2 und 3) vom Bedarf abzuziehen. Hieraus ermittelt sich ein Restanspruch nach dem SGB II in Höhe von 702,36 EUR, welcher entsprechend dem prozentualen Anteil am Gesamtbedarf zu einem Betrag von 390,08 EUR auf die Klägerin zu 1) und zu jeweils 156,14 EUR auf die Kläger zu 2) und 3) entfällt.

Im Übrigen überzeugt bei näherer Betrachtung der Leistungsberechnung auch der Hinweis des Beklagten auf Ansparmöglichkeiten der Kläger nicht. Nach Auswertung der vorliegen-den Unterlagen übersteigen die Einnahmen der Kläger aus Erwerbseinkommen (im Monat März 2015 1.325,89 EUR netto abzüglich Freibetrag in Höhe von 330,00 EUR), Kindergeld (jeweils 184,00 EUR), Kinderzuschlag (270,00 EUR) und Wohngeld (87,00 EUR) den ohne die Nachforderung anzuerkennenden Bedarf (1.692,84 EUR) um gerade 28,05 EUR. Aus welchen Mitteln die Kläger seit Beendigung des Leistungsbezugs nach dem SGB II im September 2014 binnen eines Zeitraums von 6 Monaten einen erheblichen Betrag ansparen sollen, er-schließt sich im konkreten Fall nicht.

Letztlich ist eine Übernahme des Nachzahlbetrags aus Mitteln des SGB II auch nicht des-halb ausgeschlossen, weil die Kläger die Wohnung N-Weg in B. nicht mehr bewohnen. Sie sind zum 01.05.2015 umgezogen. Die Übernahme der ergänzenden Kos-ten war jedoch zur Wohnungssicherung erforderlich, da die Kläger die Wohnung im Zeit-punkt der Antragstellung bei dem Beklagten noch bewohnten. Im Übrigen resultiert die Nachforderung aus Zeiten des Leistungsbezugs, was auch für deren Übernahme spricht (vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 25.06.2015, Az. B 14 AS 40/14 R).

Nach alledem war der Klage stattzugeben.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 183,193 SGG.

Die Kammer sah sich zur Zulassung der Berufung veranlasst. Es ist davon auszugehen, dass der Rechtsstreit Fragen grundsätzlicher Bedeutung aufwirft, deren höchstrichterliche Klärung noch nicht erfolgt ist.
Rechtskraft
Aus
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