S 8 RA 149/02

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Aachen (NRW)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 8 RA 149/02
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Bescheide vom 24.09.2001 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 02.09.2002 werden aufgehoben. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten in einem Anfrageverfahren gemäß § 7 a SGB IV um die Arbeitnehmereigenschaft des Beigeladenen.

Der Kläger zu 1) betreibt für die Firma U eine Niederlassung in Aachen. Gegenstand des Unternehmens ist die Abrechnung verbrauchter Wärme- und Wassermengen in vermieteten Wohnungen. Die Klägerin zu 2) betreibt ebenfalls ein Abrechnungsunternehmen für verbrauchte Wärme- und Wassermengen. Der Beigeladene ist für den Kläger zu 1) und die Klägerin zu 2) als Ableser von Wärme-und Wasserverbrauchsmessgeräten tätig.

Am 26.06.2000 beantragte der Beigeladene, gemäß § 7 a Abs. 1 SGB IV festzustellen, dass, ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis zum Kläger zu 1) und zur Klägerin zu 2) nicht vorliegt. Er gab an, er arbeite nicht am Betriebssitz der Auftraggeber, habe keine regelmäßigen Arbeits- oder Anwesenheitszeiten einzuhalten, erhalte keine Weisungen hinsichtlich der Ausführung seiner Tätigkeit und die Einstellung von Vertretern bzw. Hilfskräften sei nicht von der Zustimmung der Auftraggeber abhängig. Die organisatorische Arbeitsvorbereitung bestimme wesentlich den Ableseverlauf. Dadurch werde mehrfaches Anfahren der Objekte vermieden. Ein rationeller Ablauf ermögliche die Übernahme weiterer Aufträge.

Im Anhörungsverfahren teilten der Kläger zu 1) und die Klägerin zu 2) mit, der Beigeladene sei in der zeitlichen Abwicklung seiner Aufträge frei. Verbindlich seien nur Terminsabsprachen mit den jeweiligen Auftraggebern (Mietern). Der Beigelade trage ein Unternehmerrisiko, weil er nur die Aufträge, die auch abgewickelt werden, vergütet bekäme. Weisungen hinsichtlich der Art und Weise der Arbeitsausführungen würden nicht gegeben, der Beigeladene habe sich lediglich an Qualitäts-vorgaben der Firma U zu halten, die auch für den Kläger zu 1) und die Klägerin zu 2) gelten würden. Die technischen Anleitungen hätten eher den Charakter einer Bedienungsanleitung. Der Beigeladene habe eigene Arbeitsmittel und sei befugt, Aufträge an Dritte weiterzugeben. Er müsse die Dienstleistung nicht persönlich erbringen.

Mit Bescheiden vom 24.09.2001 stellte die Beklagte fest, dass der Beigeladene sowohl zum Kläger zu 1) als auch zur Klägerin zu 2) im Rahmen eines abhängigen und damit dem Grunde nach sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses stehe. Der Beigeladene vertrete die Kläger gegenüber den Endkunden. Er erscheine nach außen als Mitarbeiter eines Servicecenters. Das Weisungsrecht in Bezug auf den Ort sowie die, Art und Weise der Tätigkeit ergebe sich aus dem jeweiligen Auftrag. Auch der zeitliche Rahmen der Tätigkeit sei hinreichend eingegrenzt. Der Beigeladene habe sich hinsichtlich der gesetzlichen und technischen Vorgaben an die zur Verfügung gestellten Handbücher zu halten. Damit sei er in die Arbeitsorganisation der Firmen eingebunden. Der Beigeladene genieße keine unternehmerische Entscheidungsfreiheit und auch ein kein unternehmerisches Risiko. Die Möglichkeit, die Höhe der Vergütung zu beeinflussen, sei mit dem Akkordlohn eines abhängig Beschäftigten zu vergleichen. Die Möglichkeit, Aufträge abzulehnen, stelle kein unternehmerisches Risiko dar. Die relevanten Arbeitsmittel würden vom Arbeitgeber gestellt.

Im Widerspruchsverfahren wiederholten und vertieften der Kläger zu 1) und die Klägerin zu 2) die bereits im Anhörungsverfahren geäußerte Meinung.

Mit Bescheiden vom 02.09.2002 wies die Beklagte die Widersprüche zurück. Sie führte ergänzend aus, gemäß Anlage 4 des Rundschreibens der Spitzenverbände der Sozialversicherungsträger zum Gesetz zur Förderung der Selbständigkeit vom 20.12.1999 - stünden Ableser in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis. Grundlage für diese Rechtsauffassung sei das Urteil des Bundesfinanzhofs vom 24.07.1992 - VI R 126/88 - in dem festgestellt worden sei, dass Wärmedienstableser nicht selbständig im Sinne des Einkommenssteuergesetzes seien. Gegen diese Entscheidungen richten sich die am 14.10.2002 erhobenen Klagen. Die Beteiligten wiederholen und vertiefen ihr bisheriges Vorbringen.

Der Kläger zu 1) und die Klägerin zu 2) beantragen, die Bescheide vom 24.09.2001 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 02.09.2002 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt, die Klagen abzuweisen.

Der Beigeladene hat keinen Antrag gestellt ...

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze und die übrige Gerichtsakte sowie die beigezogenen Akten, deren wesentlicher Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist begründet. Der angefochtene Bescheid ist rechtswidrig im Sinne des § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG. Der Beigeladene steht zum Kläger zu 1) und zur Klägerin zu 2) nicht in einem dem Grunde nach sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis.

Die Befugnis der Beklagten zur Feststellung des sozialversicherungsrechtlichen Status ergibt sich aus § 7 a SGB IV.

Beschäftigung ist gemäß § 7 Abs. 1 SGB IV die nichtselbständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Anhaltspunkte für eine Beschäftigung sind eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers. In Anlehnung an den Rechtsgedanken von § 84 Abs. 1 Satz 2 HGB ist demgegenüber selbständig, wer im Wesentlichen frei seine Tätigkeit gestalten und seine Arbeitszeit bestimmen kann. Entscheidend für die Bestimmung einer Tätigkeit als nichtselbständige Arbeit ist die persönliche Abhängigkeit des Arbeitnehmers. Die persönliche Abhängigkeit äußert sich vornehmlich durch Eingliederung des Beschäftigten in einen betrieblichen Organismus; zur Abgrenzung von der selbständigen Tätigkeit kommt es daher darauf an, dass die eigene Arbeitskraft in den Dienst eines anderen gestellt wird, die Tätigkeit also fremdbestimmt ist. Nicht selbständig ist eine Arbeit daher immer dann, wenn sie nicht frei gestaltet werden kann, sondern einem Zeit, Dauer, Ort und Art umfassenden Weisungsrecht eines Dritten - des Arbeitgebers - unterliegt. Maßgeblich sind in erster Linie die tatsächlichen Verhältnisse, entscheidend ist also, wie weit die Tätigkeit fremd bestimmt ist, welche Freiräume im Einzelnen bei der Gestaltung der Arbeit verbleiben, wie stark einerseits die Eingliederung in den Betrieb des Arbeitgebers ist und andererseits in welchem Umfang der Arbeitnehmer auf dessen Arbeitsmittel und -stätte angewiesen ist. Auch die Frage des Bestehens eines Unternehmerrisikos ist ein gewichtiges Indiz. Ein solches spricht dann für eine selbständige Tätigkeit, wenn mit diesem Risiko größere Freiheiten in der Gestaltung des Arbeitsablaufes und der Bestimmung des Umfangs beim Einsatz der eigenen Arbeitskraft verbunden sind. Führt der erhöhte Einsatz der eigenen Arbeitskraft zu wesentliche erhöhten Verdienstchancen, so spricht dies für eine selbständige Tätigkeit (vgl. hierzu insgesamt Eicher/Haase/Rauschenbach, Die Rentenversicherung der Arbeiter und Angestellten, Anm. 4 ff. zu § 7 SGB IV; zur Bedeutung des Unternehmerrisikos BSG SGb 1980,152).

Die Gesamtwürdigung dieser Kriterien spricht für eine selbständige Tätigkeit des Beigeladenen: Gewichtiges Indiz hierfür ist, dass der Beigeladene zum Abschluss einer Einzelvereinbarung nicht verpflichtet ist, sondern in seiner Entscheidung, derartige Aufträge anzunehmen oder abzulehnen, frei ist. Dies haben sowohl der Beigeladene als auch die Kläger in der mündlichen Verhandlung glaubhaft und unwidersprochen erklärt. Zudem war der Beigeladene befugt, Aufträge an Andere (Ableser oder dritte Personen) weiterzugeben. Dies ist arbeitnehmeruntypisch. Der Beigeladene konnte hierdurch auch im Sinne eines Unternehmerrisikos seine Verdienstmöglichkeiten in erheblichen Umfang beeinflussen. Es war ihm ebenso möglich, sich lediglich einen kleinen Nebenverdienst zu verschaffen wie durch Steigerung der Auftragsannahme ein größeres Einkommen zu erzielen. Im Gegensatz zur Meinung der Beklagten ist das Vorliegen eines weiteren, etwa durch Kapitaleinsatz entstandenen, Unternehmerrisikos für die Bejahung der Arbeitnehmereigenschaft nicht konstitutiv. Vielmehr handelt es sich auch bei diesem Kriterium lediglich um ein Indiz für eine selbständige Tätigkeit (Brand in Niesel SGB III, Rd.-Nr. 13 ff. zu § 25). Dies gilt insbesondere, wenn es sich um eine Tätigkeit handelt, die sich im Wesentlichen in einer persönlichen Dienstleistung erschöpft und hach ihrer Natur keinen besonderen darüber hinausgehenden Kapitaleinsatz erfordert.

Die Kammer ist auch davon überzeugt, dass der Beigeladene bei der Ausführung der ihm übertragenen Aufgaben in der Terminsfestlegung wie in der Bestimmung der Arbeitszeit und -gestaltung frei ist. Auch die Beklagte bestreitet letztendlich nicht, dass der Beigeladene selbst Terminsabsprachen mit dem Kunden traf. Die Tatsache, dass der Beigeladene an diese Terminsabsprachen dann gebunden war und technische und gesetzliche Regelungen einhalten musste, führt nicht zu einer Bejahung eines Abhängigkeitsverhältnisses, denn derartige Umstände sind von jedem Selbständigen natürlich zu berücksichtigen.

Im Gegensatz zur Meinung der Beklagten ist die Tätigkeit des Beigeladenen nicht mit der von Stromablesern im Sinne der genannten Entscheidung des BFH vergleichbar. Der BFH hat entscheidend darauf abgestellt, dass die Zählerableser für das Elektrizitätsunternehmen "lediglich untergeordnete Arbeiten" ausgeführt haben. Dies ist im vorliegenden Fall anders. Vom Beigeladenen wurden nicht nur keine "untergeordneten Arbeiten" ausgeführt, die von ihm erbrachte Dienstleistung ist vielmehr identisch oder jedenfalls teilidentisch mit dem Unternehmensgegenstand selbst. Der Beigeladene war als Ableser der eigentliche Träger der Sacharbeit. Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass das BSG mit Urteil vom 26.10.1962 im Gegensatz zum BFH entschieden hat, dass "Ortsbeauftrage eines Elektrizitätswerkes", die es vertraglich übernommen hatten, in einem bestimmten Bezirk ihres Wohnortes die Zähler abzulesen sowie aufgrund der ihnen übersandten Quittungen bei den Stromabnehmern Geldbeträge zu kassieren, nicht in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis stehen. Das BSG hat - nach Auffassung der Kammer zutreffend - entscheidend darauf abgestellt, dass die Stromableser selbst entscheiden können, wie sie ihre Arbeitskraft einsetzen und ihre Arbeitszeit einteilen, ob sie ihre Tätigkeit auf einzelne Tage im Monat konzentrieren oder ob sie während der einzelnen Abrechnungszeiten gleichmäßig durcharbeiten. Es stehe ihnen auch frei, zu welcher Tageszeit und welcher Reihenfolge sie die einzelnen Stromabnehmer aufsuchten. Ferner sei zu berücksichtigen, dass die betroffenen nicht verpflichtet waren, die Zähler persönlich abzulesen, sondern sich nach ihrem Gutdünken dabei durch dritte Personen vertreten lassen konnten. Diese Umstände treffen auch auf die streitbefangene Tätigkeit zu. Wenn die Beklagte demgegenüber meint, für die Entscheidung BSG vom 26.10.1962 sei maßgeblich gewesen, dass die Ortsbeauftragten des Elektrizitätswerks auch "aus einem eigenen Materiallager elektrische Artikel verkauften", so folgt die Kammer dem nicht. Denn bei diesem Umstand handelt es sich allenfalls um einen Nebenaspekt. Für das Gesamtbild der Tätigkeit ist nicht entscheidend, ob der Beigeladene neben seiner eigentlichen Hauptarbeit befugt ist, kleinere Geschäfte auf eigene Rechnung zu tätigen. Dieser Umstand gibt dem Gesamtbild der Tätigkeit jedenfalls nicht das Gepräge. Auch bei den Stromablesern im Sinne der Entscheidung des BSG vom 26.10.1962 handelte es ich nicht um Handelsvertreter für das Elektrizitätswerk, sondern in erster Linie um Stromableser.

Schließlich kann der Parteiwille nicht unberücksichtigt bleiben. Zwar gilt grundsätzlich, dass die tatsächlichen Verhältnisse die Grundlage der Beurteilung bilden, nicht dagegen vertragliche Vereinbarungen. Dies schließt jedoch nicht aus, dass es in der Macht der Parteien eines Rechtsverhältnisses steht, dieses nach ihrem Willen in seinen Einzelheiten so auszugestalten, dass es sich objektiv als Beschäftigungsverhältnis oder als selbständige Tätigkeit ausweist. Vertragliche Vereinbarungen können zudem den Ausschlag geben, wenn das Gesamtbild aufgrund der übrigen Merkmale gleichermaßen für abhängige Beschäftigungen wie für selbständige Tätigkeit spricht (BSG, Betriebsberater 1981, 1581; vergl. auch Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht - Seewald - Rd.-Nr. 48 zu § 7 m.w.N.).

Nach alledem sieht die Kammer keine Veranlassung, von ihrer bisherigen Rechtsprechung zu Heizkostenablesern abzuweichen (vergl. Urteil der Kammer vom 31.01.2003 - S 8 RA 13/02 - nicht rechtskräftig, Berufung anhängig beim LSG NRW unter dem Aktenzeichen L 16 KR 54/03).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197 a SGG in Verbindung mit § 154 VwGO
Rechtskraft
Aus
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